Provokation oder Promotion?

Gestern gab es dies hier zu lesen in der Welt:

http://www.welt.de/vermischtes/article138616999/Autorin-als-Feind-Allahs-beschimpft-und-verpruegelt.html

Bei der Schilderung von Frau Korten im Artikel machen mich einige Dinge stutzig:

1. Bei der Lesung eines Romans kommen i.d.R. nur Personen der akademischen
Mittelschicht. Jugendliche Schläger mit Migrationshintergrund fallen da
definitiv auf im Publikum.
2. Eine Verfolgung durch diese Personen hätte ihr ebenfalls auffallen müssen. Nahm sie ein Taxi von der Messe zum Hotel oder benutzte sie andere Verkehrsmittel?
3. Beim Auflauern vor dem Hotel hätten diese Personen wissen müssen, wo sie
gebucht hat. Unwahrscheinlich.
4. Das „Überfall-Kommando“ habe gerufen, sie sei eine „Feindin Allahs“.
Das wird normalerweise nicht gerufen, wenn „der Feind“ schon unterworfen
ist, dann kommt allenfalls „Allahu akbar“. Aber das ist eher eine Petitesse.
5. Beim Hinwerfen auf die Straße und gar Treten wird die Kleidung
derangiert, die ganze Person gerät in Unordnung. Das fällt normalerweise an der Rezeption auf. Hat diese nichts beobachtet?
6. Bei so etwas wird in aller Regel die Polizei verständigt. Auch weil
das Opfer vor lauter Adrenalin oft gar nicht abschätzen kann, was alles
verletzt wurde. Insbesondere bei Freiberuflern, die i.d.R. eine
Berufsunfallversicherung und eine -unfähigkeitsversicherung haben, die das ganz genau wissen will, ist das nötig. Schon deshalb hätte sie den Vorfall, wenn er so passierte, zeitnah aktenkundig machen
müssen. Der Versicherungsschutz ist sonst weg.
7. Sie bricht ihr Schweigen erst, als weitgehend sicher ist, dass z.B. nach
Hämatomen (Sturz!, Tritte!) nicht oder kaum noch gefragt werden wird?
8. Wenn schon einmal dieses Gewaltstadium erreicht wird, bleibt es meist
nicht bei solchen eher kleinen und schwer nachweisbaren „Knuffen“. Auch
bei Frauen nicht.
9. „Ich wollte den Übergriff zunächst tot schweigen“, erklärt sie, „um
mich und andere zu schützen.“ Welche anderen?
10. „Astrid Korten ist in der Hahnemannstraße unterwegs zum Hotel, als
sie von zwei Jugendlichen bedrängt wird. „Zunächst pöbelten die beiden
mich an“, erzählt sie. „Ich reagierte nicht und bin weitergelaufen in
Richtung Hotel. Als mich dann einer der beiden Männer aber einen ‚Feind
Allahs‘ nannte, war mir klar, dass es vielleicht mit meinem neuen Roman
zu tun haben könnte.“ Ganz unglaubwürdig. Dieses Klientel liest nicht so was.
Romane nehmen die nicht zur Kenntnis. Ernsthaft.
Schon gar keine neuen Bücher von Frauen. Sie hat bislang einen Namen als
Krimi-Autorin, nicht als Islamisten-Bekämpferin. Das impliziert doch,
sie sei OPTISCH erkannt worden in Leipzig, das sowieso keine so große
Szene hat.
11. „Trotz schwerster Übelkeit, Fieber und Erbrechen“ Und hier kann ich
sagen: FIEBER bekommt man von einem Magentritt nicht. Das ist
medizinisch völliger Mumpitz. Nach Tagen auch keine Übelkeit und
Erbrechen mehr. Das kriegt man sofort – oder gar nicht. Da hat sie dem Journalisten einen Bären aufgebunden.

Sorry.

12. Eine Strafanzeige nach etlichen Tagen ist wohlfeil.

Es gibt also etliche Fragwürdigkeiten bei der Geschichte.

Ich möchte ihr nichts unterstellen. Aber Fragen stellen sollte man da schon, meine ich. Es wäre nicht das erste mal, dass zur Promotion eines Buches etwas Buntes für die Öffentlichkeit erzählt wurde. Das gibt es immer wieder. Leider. Und Journalisten, die nicht so genau hinschauen, wie es fachüblich ist.

In der gegenwärtigen Lage wäre so etwas jedoch völlig verantwortungslos. Ich hoffe mal, ich irre mich, auch wenn die Geschichte für mich unglaubwürdig klingt.

Eine Bitte an die Journalisten: Nein, das ist kein „falscher Koran“!

Klarstellung zum verteilten Koran durch die LIES!-GmbH:

In verschiedenen Medien wird immer wieder behauptet, der auf der Straße von den LIES!-Aktivisten verteilte Koran sei z.B. „falsch übersetzt“ (SAT1), „radikal übersetzt“ (HR), nur „ein Auszug von radikalen Stellen“ (div.), „verfälscht“ (div.), „rückständig übersetzt“ (HR). Konkrete Beispiele für diese Behauptungen:

„… verteilen Salafisten besonders radikale Ausschnitte aus dem Koran.“

Das Interview mit Ismail Tipi: Islamismus

„Er solle die Verteilaktion verbieten, vermittelten die verteilten Korane doch auch einen rückständigen Islam.“

http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?rubrik=36082&key=standard_document_54344921

„Nach Ansicht von Experten handelt es sich um eine Art Self-Made-Exemplar, das das arabische Original besonders streng auslegt.“

http://www.n-tv.de/politik/Uebersetzung-ist-entscheidend-article6018511.html

Das ist so nicht korrekt.

Im Rahmen dessen, dass Übersetzungen natürlich immer auch eine Wort-Auswahl nach Übersetzerkönnen und -absicht mit sich bringen, ist die verteilte Version eine ganz normale Übersetzung. Es wird die Übersetzung von ibn Rassoul verteilt, über den man sich hier informieren kann:

http://de.wikipedia.org/wiki/Muhammad_Rassoul

Es sei insbesondere auf die – nach E.-M. Kogel – weitgehende Übereinstimmung mit der Ahmadiyya-Übersetzung verwiesen.

Zur Verdeutlichung hier auch eine Synopse verschiedener gängiger Übersetzungen (z.B. Ahmadiyya, Rassoul):

http://www.koransuren.de/koran/koran_vergleich.html

Dort kann man sich persönlich überzeugen, wie wenig Unterschied da besteht.

Die Kommentierung von Bubenheim im von „Siegel der Propheten“ verteilten Koran ist kurz und knapp, das ist keine richtige Kommentierung. Wer einen günstigen Koran mit Kommentar haben möchte, kann sich die Übersetzung von Ali Ünal besorgen (meist nur noch in Englisch verfügbar, wobei man bei der deutschen Fassung das Problem der doppelten Übersetzung hat). Dort findet sich eine eingehende Kommentierung, sogar von Gülen selbst abgesegnet, vielleicht sogar teilweise selbst geschrieben oder angeregt. Auf jeden Fall aber autorisiert.

Eine Bitte also an die Medienschaffenden, es sich nicht so einfach zu machen.

Insofern einmal allgemein betrachtet:
Die fundamentalistische Ideologie, die gibt es als Tradition, als Gruppierungs-Ideologie (z.B. Muslimbrüder), im Umfeld von Strassen-Aktionen (LIES!, „Jesus im Islam“ (Marcel Krass), „Wacht auf!“ (Millatu Ibrahim-Surrogat) und als soziales Beiwerk (z.B. bei der Betreuung bei Gülen-Einrichtungen). Die wird nicht mit dem Buch an sich überreicht, sondern ist das, was dazu übermittelt wird. Im Ünal-Koran wird übrigens die fundamentalistische Auslegung in der Kommentierung schon deutlicher. Das ist aber nicht der auf der Strasse verteilte (der wäre auch zu schwer und unhandlich mit seinen 1300 Seiten auf Dünndruck-Papier). Über das jeweilige Umfeld entscheidet sich dann alles weitere. Bei den Unterstützern der LIES!-Gruppierung führt es eben über die Kontakte nur all zu oft nach Syrien.

Jeder Journalist, der behauptet, die verteilte Koranversion sei irgendwie besonders im Hinblick auf Radikalität, zeigt damit nur auf, dass er da so gar keine Ahnung und Überblick hat und die Übersetzungen nie vergleichend las. Er zeigt damit leider nur seine überschaubare Recherchetiefe, er verkennt, dass wesentlich das Umfeld bewirkt, was herauskommt. Deshalb also hier der Tipp und Hinweis.

Also bitte einmal schlau machen, bevor man das weiterreicht. Danke!