Mahnwache vom 23.05.2015

 

 

 

Von 16-18 Uhr vor dem „My Zeil“. Herzlichen Dank für freundlichen Schutz von der Frankfurter Polizei.

Mit dabei war wieder der Kurdisch-Israelische Freundschaftsverein (KIFA). Vielen Dank für die Unterstützung.

Ein junger Mann, groß und rothaarig, vielleicht 22 und wohl autochthon, trat hinzu und wünschte mir mit feinem Lächeln AIDS. Als ich nachfragte, er missverstehe wohl und warum er mir das wünsche, meinte er , er verstehe sehr wohl und ging ein paar Schritte weiter. Nach wenigen Minuten kam er mit seiner Freundin zurück und wiederholte seinen Wunsch. Die Freundin nickte, hörte aber meinen wenigen Sätzen der Entgegnung zu, schien auch eher zu verstehen. Auch das Beispiel mit der Mutter und ihrem seit 1,5 Jahren vermissten Sohn, der durch LIES! radikalisiert wurde, zog bei ihm nicht. Er meinte dann, er wünsche sich auch, dass „die Polizei verschwinde“ und ich geschlagen würde. Die Freundin stand stumm daneben, obwohl sie nach meinem Eindruck verstanden hatte, dass wir nichts gegen private Frömmigkeit haben, die jedem selber überlassen ist. Ich fragte ihn ungläubig: „Wegen meiner Meinung, die sie nicht mal nachvollziehen wollen und können, wünschen Sie mir, verprügelt zu werden?“ Er bestägtigte dies unumwunden, weiterhin fein lächelnd. Ich musste ihm leider sagen, dass er erst mal etwas zur freien Meinungsäußerung lernen müsse und zur Möglichkeit in einer freien Demokratie, dass man diese ohne Androhung von Gewalt müsse äußern können. Solche Haltungen, wonach das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit gleichermaßen zur Disposition gestellt werden, seien im Kern totalitär. Ich befürchte allerdings, dass er auch das nicht verstand, obwohl er formal gebildet erschien und in ganzen Sätzen sprechen konnte.

Ein öfters aufgefallener fanatischer Unterstützer der LIES!-Aktivisten wartete am Rande ab bis „seine Leute“ hinzukamen. Alleine bzw. ohne Publikum beobachtet er nur und wartet auf einen geeigneten Moment. In den letzten Monaten wird er nach zwischenzeitlicher Besserung zunehmend aggressiv.

Eine ältere Dame stellte sich nach Erläuterung  direkt neben mich zur „moralischen Unterstützung“, wie sie sagte. Ein Schild mochte sie nicht halten, wollte aber trotzdem gerne dabei stehen. Weitere ältere Damen, die häufiger vorbeischauen, flankierten in der Menge durch Gespräche und Erläuterungen. Sie finden alleine schon die Diskussion wichtig und wollen dazu in einem geschützten Rahmen beitragen.

Mehrfach konnte ich Passanten, älteren männlichen Muslimen, vermitteln, dass der Begriff „Islamismus“ zwar stören mag und erklärungsbedürftig ist, aber doch das Diskussionsangebot und schon den sprachlichen Kompromiss zwischen beiden Seiten darstellt. Dass wir ihn als Gesellschaft also brauchen, um darüber überhaupt reden zu können: So klar wie nötig, so freundlich wie möglich.

Eine Gruppe junger Mädchen, Muslimas, verteidigte die Koranverteilungen als ganz normale religiöse Betätigung. Der Zusammenhang mit der Radikalisierung und so manchen Ausreisen war nicht vermittelbar, da sie „westliche Medien“ ablehnten. Sie gaben an – ich glaubte ihnen das – dass sie hier geboren seien und hier aktuell zur Schule gingen. Es ist sicher schwierig im Sozial- und Gemeinschaftskunde-Unterricht, wenn hiesige Medien grundsätzlich abgelehnt werden.

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Zwischendurch lief – als sei es das Normalste von der Welt – ein Pärchen mit großer schwarzer Schahada-Flagge an uns vorbei. Es handelte sich – nach vorsichtiger und rein äußerlicher Einschätzung  – um Anarchos, vielleicht auch Antifa-Leute der speziellen Art. Als Anarcho – wenn es denn so wäre – nun ausgerechnet die Herrschaft des Islam so offenkundig zu fordern, könnte man jedoch nur als äußerst verwirrt bezeichnen. Der Flaggenträger war auf jeden Fall sehr erstaunt, als er sich umgehend von einer Reihe Polizisten umringt sah, die ihn befragten. Diese Fahne ist zwar (noch) nicht verboten, aber das musste wohl erst noch geprüft werden. Ich war so frei, da nur zu beobachten.

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http://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzes_Banner

Gestern versuchte man also die Flagge des Dschihad – auch diese Flagge wird nur zu diesem Zweck öffentlich gezeigt – über der Frankfurter Zeil wehen zu lassen. Die Polizei holte die Flagge dann mal bis auf weiteres ein.

Eine junge Mutter blieb länger stehen. Muslimin, „westlich“ gekleidet und eher säkular eingestellt fragte sie nach dem Anlass unserer Aktion. Ich erklärte den Zweck unserer Mahnwache. Sie bekundete, da auch in Sorge zu sein und die gegenwärtige Entwicklung nicht zu verstehen. Sie bekomme nur mit, dass sich das Klima verschärfe, obwohl es hier allen in den Grenzen der Möglichkeiten und sicher schichtabhängig gut gehe. Das bereite ihr große Sorgen. Ich versuchte, ihr etwas Mut zu machen, dass wir nur die Möglichkeit hätten, als Gesellschaft das menschenfreundlich, aber frei und klar zu diskutieren. Dass wir darüber sprechen müssten, wie wir zusammen leben wollen. Und dass die Wortführer leider die sehr konservativen Verbände mit klarer Agenda „Zurück in die Zukunft“ seien, während die vielen, vielen säkularen Muslime nicht ausreichend organisiert seien.

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Eine Gruppe LIES!-Unterstützer („Akhis“) diskutierte vor mehreren weiblichen Unterstützern über den bekannten Begriff „Islamismus“, den sie schon viele Male erklärt bekamen. Gestern wurden wieder viele judenfeindliche Ressentiments geäußert. Die verbreitete Forderung war, wir sollten „erst mal was gegen die 500 palästinensichen Kinder, die die Juden jeden Tag töten“ machen. Das Problem ist, dass diese jungen Leute weder die normalen Medien oder auch nur schlichte Zahlen wahrnehmen. Dass bei ~ 180.000 getöteten Kindern im Jahr längst niemand mehr da wäre, während die Bevölkerung dort real stark wächst, wird nicht zur Kenntnis genommen, bzw. das wird als Lüge abgetan. Diese Verschwörungstheorie und der Antisemitismus sind derart verfestigt, dass dem nur schwer beizukommen ist. Dem Anschein nach wird das in den Schulen nicht thematisiert. Geschichtsbücher oder seriöse Medien werden nicht herangezogen. So überlässt man nicht wenige Kinder den Haltungen aus den Elternhäusern und den sozialen Medien. Die von diesen Jugendlichen genutzten sozialen Medien sind voll von Zuschreibungen, die ebenso hanebüchen wie bösartig sind. Das hindert aber nicht, dass dann, wenn es um den eigenen Status hier in Deutschland geht, man den Holocaust bemüht. Schon banale IS-Kritik wird zum Teil damit abgewehrt, dass wir als Deutsche zu den IS-Gräueln nichts sagen dürften, weil wir ja viel schlimmer seien. Dass sie hier sicher, ruhig und gleichberechtigt leben können, ist ihnen nichts, wir seien „sowieso alle Nazis“, die „ruhig zu sein hätten“. Dass genau diese Haltung „alle Deutschen sind gebürtige und unheilbar Nazis“ ihrerseits faschistoid ist, weil sie aus einer ethnischen und nationalen Zugehörigkeit eine innere Haltung für die Zukunft festschreibt und die Person und ihre aktuellen Haltungen und Handlungen nicht betrachtet, also pauschal abwertet als Mensch und Person, ist nicht vermittelbar. Man wehrt sich gegen die Zuschreibung „alle Muslime sind gleich“. Das ist eine berechtigte Forderung (ungeachtet struktureller Erfassung, die anders zu bewerten ist, also Gruppe wie LIES! oder die „Grauen Wölfe“ z.B., also einer politischen Einordnung), wird aber nicht auf andere Menschengruppen angewandt. In diesen jungen Köpfen steht also gleichermaßen nebeneinander „Muslime sind nicht alle gleich“ und „Juden sind alle gleich“ bzw. „Deutsche sind alle gleich“ (zusammen „alle Ungläubigen sind gleich“ und gleich minderwertig und sollen minderberechtigt sein). Man macht es sich also passend je nach Bedarf, erfasst aber die grundsätzliche Problematik von Pauschalisierungen sowie geschichtliche Einordnungen nicht.

Ein mehr im Hintergrund der öffentlichen LIES!-Betätigungen stehender junger Mann, der im letzten Jahr als Unterstützer aufgefallen war und im inneren Zirkel der Frankfurter Gruppe zu verorten ist (auch nach eigenem Bekunden „Insider“), versuchte eine meiner Debatte mit jungen Leuten an sich zu reißen. Er hörte zunächst zu und bezeichnete dann meinen Verweis auf die Doku „Sterben für Allah“ als irreführend. In der der Doku sei alles erlogen. Er kenne oder haben die Protagonisten, also Enes und seine Mutter, gekannt und wisse daher, was abgelaufen sei. Da ich mich an ihn und seine Argumentationsweise (er ist nach meiner Erinnerung Student) erinnerte, brach ich das Gespräch mit ihm ab und meinte nur, dass wir beide es nach den Debatten vom letzten Jahr dabei belassen könnten, dass wir beide grundsätzliche politische Gegner seien.

Die LIES!-Aktivisten sowie nennenswerte Teile der Akhi-Szene waren gestern nicht auf der Zeil. Da der maßgebliche Organisator Gümüs zur Zeit wohl anderweitig beschäftigt ist, wird sich zeigen, ob die Frankfurter Aktivitäten wieder kontinuierlich weitergeführt werden. Eine Rolle mag spielen, dass wir deren Betätigungen – es war u.a. widerrechtlich n.m.M. die Fussgängerzone mit einem Kleintransporter befahren worden – auch entsprechend zur Kenntnis nehmen und geben.