So nah, so fern

 

 

 

80-90 % der radikalisierten Jugendlichen stammen aus muslimischen Familien

 

Lies München 150510

 

Kinder und Jugendliche, die sich radikalisieren, leben nicht im luftleeren Raum. Sie sind Teil dieser Gesellschaft, haben eine Familie und besuchen Schule, Ausbildungsort, Arbeitsstelle oder Uni. Sie haben also – zumindest vor der Radikalisierung – mehrheitlich ein relevantes soziales Umfeld, das dieser Ideologie nicht anhängt. Wird diese Radikalisierung festgestellt, so wird häufig und pauschal die Schuld auf die Gesellschaft geschoben. Das ist eine ebenso einfache wie unzureichende Zuweisung. Ja, es gibt Jugendliche, die nicht teilhaben können. Das ist manchmal, jedoch nicht immer ein gesellschaftliches Problem.

Weniger betrachtet wird oft die Rolle des engsten Umfeldes. Hilfseinrichtungen müssen – da sie die Eltern oftmals als Ansprechende bzw. Hilfesuchende erleben – da vorsichtig sein mit Schuldzuweisungen. Im akuten Fall hilft die Vergangenheitsbetrachtung auch kaum weiter. Man darf die Eltern, die Angehörigen nicht als Mitstreiter verlieren, zumal sie – wenn sie Hilfe suchen – selber geschockt sind durch die Entwicklung.

In der Strukturbetrachtung ist jedoch auch dieses engste Umfeld zu analysieren. In einem Papier, dass das ZDF veröffentlichte vor einiger Zeit und das aus Sicherheitskreisen stammt, wird der Radikalisierungsprozeß bei immerhin 10 % der Ausgereisten durch einen Familienangehörigen gestartet:

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Mit etwa 30 % spielt der Freundeskreis eine erhebliche Rolle: Die falschen Freunde können ins sprichwörtliche Unglück führen.

Um so bemerkenswerter ist der folgende aktuelle Appell eines muslimischen Aktivisten:

Der Brite Manzoor Moghal ist Vorsitzender des Muslimischen Forums in England – und hat sich nun mit einem eindringlichen Appell an seine Glaubensbrüder gewandt: Wenn junge Muslime in den Krieg ziehen, müsse ihr Umfeld sein Verhalten und seine Verantwortlichkeit hinterfragen, statt stets anderen die Schuld zu geben.

Die Abgrenzung vieler Glaubensgemeinden von der britischen Gesellschaft habe verhindert, dass sie sich erfolgreich integrieren konnten. Diese Abschottung sei ein Nährboden für extremistischen Islamismus: Westliche Demokratien würden fälschlicherweise als etwas Gefährliches und unislamisches dargestellt.

http://www.focus.de/politik/ausland/islamischer-staat/appell-eines-muslims-wir-muessen-aufhoeren-anderen-die-schuld-zu-geben-wenn-unsere-kinder-in-den-dschihad-ziehen_id_4760008.html

Auch bei den anderen 90 %, bei denen die Familie nicht direkt beteiligt war, muss man jedoch fragen, wie sich der junge Mensch angeblich so weit entfernen konnte trotz oftmals engsten Zusammenlebens. Vielleicht hat es teilweise damit zu tun, dass gerade bei engstem Zusammenleben die Herstellung einer inneren Privatsphäre wichtig ist? Und doch: Wie können es Eltern vorgeblich nicht bemerken, dass Sohn oder Tochter abdriften? Wie können es professionell agierende Sozialpädagogen missdeuten, wenn sich ein Schützling nicht nur dem Glauben, sondern einer radikalen Ideologie zuwendet? Wie können es diese Menschen nicht bemerken, dass der Jugendliche die „falschen Freunde“ hat oder sich nachmittags immer zur gleichen Zeit in der Fußgängerzone herumtreibt?

Zum einen ist sicher zu fragen, wie weit der Kontakt da schon vorher verloren wurde. Wurde dem Kind nicht nur das Leben geschenkt, sondern auch die Liebe zum Leben mitgegeben, die Freundlichkeit gegenüber allen Menschen, das Bewußtsein dafür, Gleicher unter Gleichen zu sein? Oder wurde dem Kind nur Gehorsam abverlangt, Freundlichkeit weniger denn Abgrenzung gelehrt und eine unrealistische Selbstsicht, wonach man ohne eigenes Zutun anderen überlegen sei? Gehorsam, Abgrenzung und narzisstische Überhöhung sind durch die salafistische Ideologie relativ leicht abzudecken. Man kommt dem Gelernten gewissermaßen entgegen. Es gibt erschreckend viele Kinder, die schon so strukturiert sind: Gehorsam zur eigenen Gruppe, Abgenzung und Abwertung anderer Menschen und ein starkes Überlegenheitsgefühl. Zum anderen ist fraglich, wie eine bemerkte Hinwendung zum Glauben nicht hinterfragt werden kann.

Ein Jugendlicher, zu dem kein gefestigtes elterliches Verhältnis bestand, keine wirkliche Teilnahme der Eltern an dem Leben des Jugendlichen, ist stärker gefährdet. Das erklärt auch zwanglos, dass viele Jugendliche aus Familien kommen, in denen die Mutter alleine erzog. Der Vater war physisch oder emotional oder als Vorbild nicht erreichbar. Die alleinerziehende Mutter mag mit Arbeit und reiner Familienorganisation ausgelastet sein. Ein Vater, der nichts mit den Jugendlichen unternimmt oder eine Rolle vorlebt, die nicht mehr zeitgemäß ist, mag wenig helfen. Der Jugendliche ist also alleine, obwohl er in der Familie lebt. Die innere Isolation mag schon vor der Radikalisierung bestanden haben, manchmal auch Teil einer pubertären Abgrenzung sein. Durch die falschen Freunde oder die falsche Freizeitgestaltung erhält diese Entwicklung Schub. Denn die Freunde, zunächst diffus vielleicht im Umfeld der islamistischen Straßenaktionen, isolieren weiter. Die Familie wird abgewertet, der Jugendliche als neuer Rechtgeleiteter bestärkt und aufgewertet. Die islamistische Bruderschaft zieht in ihren sozialen Bann.

Man muss also auch die Rolle der Familien hinterfragen – weniger der Schuldzuweisung wegen, sondern um die Hilfsangebote paßgenau anbieten zu können. Bevor der Weg in die islamistische Parallelwelt begonnen wird.

Make war not love

Für einen freien Menschen kann Sex etwas Wunderbares sein: Nicht nur die reine und temporäre Triebbefriedigung, sondern im besten Falle mit dem Wunschpartner mehr noch, Erfüllung und vielleicht auch die Erzeugung von Nachwuchs. Sexualität ist einer der stärksten Antriebe und so kann genau dieser Antrieb auch zu großem Leid führen, wenn man dem nicht nachgehen kann. Wir wären als Art nicht existent, wäre dieser Antrieb nicht stark vorhanden. Wenn Unerreichbarkeit zwischen Trieb und Trieberfüllung tritt, entsteht Unbehagen. Das kann diffus (kein Partner ist erreichbar) oder konkret (ein bestimmter Partner ist nicht erreichbar) sein. Es gibt verschiedene äußere Umstände, die alle im Grunde nicht recht natürlich sind, die Sexualität regeln. Soziale Gepflogenheiten, Gesetze und – Religion.

 

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Bild: BBC

Das ist im Grunde banal. Es tritt jedoch aus dieser Trivialität heraus, wenn Sexualität stark überhöht und von einer Religion zentriert wird. Wenn sie gefeiert oder verteufelt wird. In frühen Kulturen gab es häufig Fruchtbarkeitsrituale, in manchen heute noch, so z.B. im Shintoismus. In den abrahamitischen Religionen ist der Ansatz jedoch ein anderer: Sexualität wird unterworfen, wird kontrolliert, v.a. die weibliche, aber auch mit ihr, nachfolgend, die männliche.

In der hiesigen heutigen Gesellschaft haben v.a. muslimische (und auch einige andere aus religiösen Familien) Jugendliche das Problem, dass sie sozusagen von einem Meer der suggerierten sexuellen Verfügbarkeit umgeben sind, dem aber nicht nachgeben dürfen, weil ihre Sexualität an ihren Glauben geknüpft ist. Es gibt Vorstellungen von Reinheit, die nicht biologisch herleitbar sind, sondern rein ideologisch und traditionell bedingt. Die weibliche Unberührtheit und Treue wird mystisch überhöht oder gar als Kernpunkt einer archaisch-patriarchalen „Familienehre“ betrachtet, die von den Mitgliedern des Clans oftmals als verteidigungsfähig betrachtet wird. Sexualität ist keine Privat-, sondern Familiensache.

In vielen muslimischen Familien haben die Jugendlichen überdies keinen eigenen Raum für den Rückzug. Das mag auch schichtbedingt sein, man sitzt jedoch häufig auf engem Raum zusammen. Oftmals haben die Kinder nicht mal einen eigenen Platz, an dem sie ungestört lernen könnten. Hausaufgaben am Küchentisch sind da noch verbreitet. Privatsphäre Fehlanzeige.

Bei vielen männlichen muslimischen Jugendlichen führt das dazu, dass sie sich in Jungengruppen draußen treffen. Man trifft sich mit Kumpels, obwohl der Trieb eigentlich die Beschäftigung mit dem weiblichen Geschlecht vorgibt bzw. eigentlich eine Freundin gewünscht wird. Religiösere Jugendliche deuten das als Zeit der Versuchung um. Die Vorstellung, an gleich 72 junge Frauen heranzukommen, kann bei heftigem Triebstau schon mal gesondert kirre machen. Das wusste schon der Religionsgründer und er hielt deshalb seinen jungen Kämpfern diese Wunscherfüllung vor die Nase: Kämpfe und erhalte Frauen als Beute oder stirbt und erhalte auch Frauen. Sex sells.

 

Frauen in Ketten IS 150619

Quelle: The Liberal

Das hat sich nicht wesentlich geändert, der Antrieb ist der gleiche, weil der Mensch der gleiche ist. Auf der Zeil hörte ich schon einmal, wie sich zwei 15 jährige angeregt über „Kriegsbeute“ unterhielten. Es ging nicht um das neueste Computerspiel.

Diesen Aspekt hat man im folgenden britischen Bericht aufgegriffen:

Alyas Karmani said teenagers are at risk of being radicalised by terrorist groups because they feel isolated in ’sexualised‘ British society, and resent not having the same freedoms of Western youths to have girlfriends and intimate relationships.

http://www.dailymail.co.uk/news/article-3126987/Huge-numbers-Muslims-turning-ISIS-want-SEX-reveals-former-Islamist-says-resent-freedoms-Western-youths-have.html

Das ist bei deutschen Jugendlichen nicht anders. Junge Salafisten loben sich gegenseitig für enthaltsames Verhalten und „Meiden der Versuchung“, man geht Mädchen aus dem Weg. Man ist dafür im Jungmännerbund: Für das Heiraten, die einzig statthafte Art der Triebabfuhr, ist man sozial noch zu jung. Der Trieb ist aber da. So lenkt man sich ab, ohne sich da jedoch, es handelt sich um einen starken Trieb, völlig ablenken zu können. Manchesmal schägt das in erhöhte Aggressivität um. Nicht nur von den Bonobos wissen wir: Sex entspannt auch und macht sozial verträglicher.

Bei Mädchen ist das der Ansatz, ihre Sexualität als „Heldengattin“ auszuleben, als Mutter von „Heldensöhnen“. Bizarr-romantisch. Das ist was für das völlig verwirrte weibliche junge Wesen, das natürlich *auch* durch Sexualität getrieben wird. Vielleicht nicht ganz so stark wie die jungen Männer, aber nicht zu vernachlässigen.

Ein Teil-Rezept sollte daher auch sein, dass in vielen religiösen Familien die Sexualität endlich als Privatsache betrachtet werden muss. Dass Jugendliche einen Rückzugsraum haben, in dem sie sich ungestört auch mal ihrem Körper und seinen natürlichen Bedürfnissen widmen können. Sex muss entabuisiert werden und vor allem müssen Mädchen aus der Falle der Familienehre entlassen werden. Ihr Körper – ihr Recht. Niemandes sonst.

Dann wäre man wieder ein Stück voran.
Make love, not war.

 

Bilder:

http://www.bbc.co.uk/nature/life/Deer

http://theliberal.ie/isis-the-twisted-terrorist-group-are-using-women-for-slavery/