Tagung Islamischer Extremismus: Prävention und Deradikalisierung zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Islamisten Bild UK

 

In verschiedenen europäischen Ländern gibt es mittlerweile nicht nur Präventionsprogramme und solche zur Deradikalisierung islamischer Extremisten, sondern auch schon Erfahrungen damit und deren wissenschaftliche Aufarbeitung. Die Gastgeberin einer gestrigen Tagung in Frankfurt, Prof. Dr. Susanne Schroeter, Direktorin des ausrichtenden Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) verwies denn auch darauf, ganz frühe Prognosen, Islamismus werde in seiner Bedeutung schwinden, hätten sich leider nicht bewahrheitet. Es sei eine breite islamistische bottom up Bewegung zu verzeichnen, die in vielen Ländern Fuß gefasst habe.

Die mit diesen Problemen befassten Wissenschaftler stammten nicht nur aus verschiedenen Ländern, sondern auch aus unterschiedlichen Fachbereichen. Vom Islamwissenschaftler bis zur Ethnologin, vom Politikwissenschaftler bis zum Psychiater waren diverse Disziplinen vertreten. Alleine diese Vielfalt verdeutlicht die Breite der Querschnittaufgabe und die Komplexität des Problems.

Schnell wurde deutlich, dass es schon an klaren, länderübergreifend gültigen Definitionen und Kriterien mangelt. Auch ist zu erkennen, dass für kluge, wissenschaftlich abgesicherte Prognosen und Entscheidungen meist die Datenbasis und Aufarbeitung noch fehlt. Es wird vieles versucht, die Ergebnisse sind aber meist noch kaum zu prüfen.

Das Spektrum der Herangehensweisen wird durch die länderspezifische Sicht beeinflusst, welche Ursachen die Radikalisierung hat. Radikalisierung als Missverständnis – das sieht man in so unterschiedlichen Ländern wie Dänemark und Saudi-Arabien so. In Dänemark ist man von der Überzeugungskraft des demokratischen Modells überzeugt und sieht ein Vermittlungsproblem nicht nur der persönlichen Vorteile. In Saudi-Arabien ist die gesellschaftliche Grundhaltung völlig unterschiedlich, die extremistischen jungen Männer werden als verirrte Schafe gesehen, die man von der Gewaltbereitschaft durch Maltherapie z.B. versucht abzubringen. In beiden Ländern wird der in der islamischen Orthodoxie angelegte ideologische Boden nicht fokussiert. Terrorismus wird als islamunabhängiges Phänomen externalisiert, als persönlichkeitsbedingtes Verbrechen. Eine sanfte Behandlung ist in Saudi-Arabien jedoch der gehobenen saudischen Schicht vorbehalten. Ausländer werden bei extremistischen Umtrieben schon einmal schlicht getötet. Die Referentin Orkide Ezgimen spricht denn auch von einem „dualen System“. Auch das Modell Dänemarks ist nach Einschätzung der Referentin Ann-Sophie Hemmingsen eher „soft“. Man setzt auf Inklusion, Nachschulungen in demokratischem Wissen, Stärken der Persönlichkeit, da man persönliche Vulnerabilitäten zentriere.

In Großbritannien ist man nicht erst seit den aktuellen markigen Worten von David Cameron, der von einer „existenziellen Bedrohung“ spricht, anderer Ansicht. Dort wird die ideologische Abkehr von der westlichen Welt, die politisch-strukturelle Komponente stärker fokussiert. Das hat direkte Auswirkungen. In der Erkennung von Radikalisierungsanzeichen werden selbst Personen aus dem Gesundheitswesen geschult, um möglichst viele gefährdete Menschen zu erkennen. Ob die Maßnahmen jedoch greifen, ist nach Paul Thomas, einem britischen Wissenschaftler von der University of Huddersfield, unklar. Es sei sogar möglich, dass die bislang erprobten Herangehensweisen kontraprodutiv seien. Durch die Fokussierung auf junge Muslime als gesonderte Gruppe werde die Formierung dieser Gruppe, deren gesellschaftlicher Einschluss doch Ziel sei, möglicherweise befördert und Segregation und Separation voran getrieben. Der Versuch der breiten Erfassung führe in der Abwehr dieser Erkennung zur Dissimulation der tatsächlich Radikalen: Man tarnt sich.

Auch die aus Frankreich von Eduardo Valenzuela berichtete Intervention in Gefängnissen stehe noch am Anfang. Wie in Deutschland stehe man, da man wegen Anti-Diskriminierungsrichtlinien kaum passend erfassen könne, jedoch alleine schon vor dem Problem, Zielgruppe und Ausmaß zu beschreiben. Auch habe der Anschlag auf die „Charlie Hebdo“-Redaktion wenig weitere öffentliche Maßnahmen initiiert. So seien keine neuen Programme und Projekte aufgelegt worden. Die konkreten Gegenmaßnahmen scheinen in Belgien, das in Europa in Relation zur Bevölkerung die meisten Ausreisen als Radiakalismussymptom zu verzeichnen hat, am weitesten fortgeschritten. Gesetze wurden bereits an die neuen Herausforderungen angepasst. Nach dem großen „Shariah for Belgium“-Prozeß mit 46 Angeklagten vor einigen Monaten wird dies deutlich: Die Verurteilungen erfolgten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, der Haupttäter und Anstifter wurde zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt.

Zurück nach Frankfurt. Hessen führt die Rangliste an Ausreisen in Relation zur Bevölkerung an. Nach Angaben des HR gehen Sicherheitskreise von aktuell 120 Ausgereisten, von denen 30 Frauen sind und etwa 30 Personen zurückgekehrt, aus. Dieser erheblichen Herausforderung will Hessen u.a. mit einem Maßnahmenpaket begegnen, das in den nächsten Jahren 13,5 Mio. Euro aus Bundes- und Landesmitteln umfasst. Wenn man berücksichtigt, dass es sich um ein Paket gegen alle Extremismusformen handelt, relativiert sich die Summe jedoch rasch. Eingebunden ist seit einiger Zeit das „Violence Prevention Network“ (VPN) eine NGO, die Konzepte aus der Bekämpfung anderer Extremismusformen auf den Islamismus überträgt. Es werden pädagogische Konzepte versucht, die auf einer Akzeptanz der Person auch in ihren politisch problematischen Haltungen beruhen. Die angegebene Zahl von aktuell 40 betreuten Personen zeigt den Unterschied zwischen Angebot und Nachfrage auf. Auch werden nur Personen betreut, die Hilfe entweder selber suchen oder deren Familien Beratungsbedarf anmelden. All diejenigen, die keine Hilfe wollen, die gefestigt sind in ihrer Ideologie, werden nicht von VPN erfasst. Unterhalb der staatsschützenden Beobachtungsschwelle, die wegen knapper Ressourcen hoch liegt, agieren viele Personen realativ frei und können Nachwuchs anwerben.

Die Beiträge auf dieser Konferenz haben sicher geholfen, die Vielschichtigkeit des Problems und die gesellschaftliche Querschnittaufgabe deutlich zu machen. Sie zeigten aber auch auf, dass man noch viel im Nebel stochert, teilweise hilflos ist und der politische Wille noch unzureichend ist, nicht nur das zu machen, was gerade unabwendbar ist, sondern klug vorausschauend nicht erst zu warten, bis man mit dem Rücken zur Wand steht. Ganz klar wurde auf jeden Fall: Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass uns auf Sicht erhalten bleibt.