Wenn die Geschichte ruft…

Zur Ankündigung des aktuellen Charlie Hebdo Herausgebers Laurent Sourisseau, künftig Mohammed nicht mehr zu karikieren.

 

Charlie Hebdo Bild BBC 150717

Bild: BBC

 

Laurent Sourisseau ist einer der Überlebenden von Paris. Er würde verletzt und es ist zu hoffen, dass er keine körperlichen Spätfolgen zurückbehält, da seine Schulter bei dem Attentat zertrümmert wurde. Psychische Spätfolgen bleiben in gewisser Weise immer: Nach einem solchen Erlebnis verändert man sich, man ist nie wieder der gleiche Mensch wie zuvor. Aktuell kündigt er an, Charlie Hebdo werde in Zukunft Mohammed nicht mehr karikieren:

http://www.tagesspiegel.de/politik/franzoesische-satirezeitschrift-charlie-hebdo-will-mohammed-nicht-mehr-karikieren/12065230.html

So, wie Laurent Sourisseau das ankündigt, ist das ein fatales Signal. Er will es zwar so nicht verstanden wissen. Genau so kommt es jedoch an: Man muss nur ein paar töten, die anderen geben dann schon irgendwann nach. So sehr man Sourisseaus persönliche Betroffenheit ernst nimmt und auch ihn als Person in diesem Kontext verstehen kann, so sehr ist das etwas, was nun so nicht hätte gemacht werden dürfen. Man kann durch Zufall in eine Position geraten, in der die Geschichte mehr von einem fordert, als man persönlich vielleicht aushalten und leisten kann. Ereignisse können einen auch als Mensch überfordern. Dann aber muss man seine Grenzen erkennen und diese persönlichen Grenzen nicht zu denen der Sache machen. Manchmal ist eine Sache wichtiger als die eigene Person. Sourisseau hat sich das nicht ausgesucht. Aber er ist nun an der Stelle, an der er ist.

Wenn Sourisseau meint, nicht aufrecht erhalten zu können, wofür Millionen Menschen ihn und die Sache unterstützten, dann müsste er eigentlich die Herausgeberschaft abgeben. Was er plant, ist nicht gut für die Zeitschrift und die Pressefreiheit: Die Schere im Kopf hat gesiegt. Das hat nichts mit einer Zwanghaftigkeit und einer Fixierung, die er anführt, zu tun, die nun aufzulösen wäre. Charlie Hebdo ist internationales Symbol geworden. Fällt diese Bastion, fehlt ein Vorbild, eine wichtige Säule.

Charlie Hebdo hat nicht wegen der Karikaturen an sich, sondern ihrer Rezeption Geschichte geschrieben. Dem muss man sich stellen, sonst versinkt nicht nur die Zeitschrift in der Bedeutungslosigkeit, sondern die Sache hat Schaden genommen. Man kann es Sourisseau persönlich nicht verübeln, dass er, vielleicht noch in einer langwierigen Rekonvaleszenz, ins zweite Glied zurücktreten möchte. Es ist menschlich, auf Sicht mit weniger Polizeischutz auskommen zu wollen, weniger bedroht zu sein. Ob das je wieder gelingt, wird die Zeit zeigen, es ist zu bezweifeln. Auch die dänischen Karikaturisten leben, obwohl sie nicht weitermachten, heute noch unter Polizeischutz. Sein Wunsch, andere würden folgen, wird vielleicht von Erfolg gekrönt sein, wenn Charlie Hebdo bleibt, wie es ist. Die Millionen Menschen, die die Zeitschrift unterstützten in der Zeit danach, sehen Charlie Hebdo trotz der Schwächen, die dieses Blatt hatte und hat, als Symbol. Kunst muss nicht gut sein. Sie muss nur frei sein.

Sourisseau sollte überlegen, ob er die Herausgeberschaft nicht jemandem übergibt, der für Zeitschrift und Sache mehr Kraft hat, weniger müde ist, das trotzige „Wir machen weiter! weiterzutragen. Sourisseau meint aktuell, nun seien andere dran. Vielleicht stimmt das. Aber nicht, um einen neuen Leuchtturm zu bauen (was man natürlich parallel tun sollte). Sondern beim alten ein neues Licht einzusetzen.