Galoppierender Totalitarismus

Anjem Choudary 1507030

Anjem Choudary Bild: http://www.anorak.co.uk

zuerst auf fb veröffentlicht am 29.10.2014

Salafisten, Islamisten, wie sie uns als Anhänger der „Islamischen Staates“ (IS) entgegentreten, wollen mit aller Macht zurück in die Zukunft. Sie imponieren als fleischgewordener Anachronismus, alles erscheint ihnen bereits vorgegeben und geschrieben, man muss die ideale Lebensweise nur dem Koran und der Sunna entnehmen. Ihr Utopia ist der Staat des 7. Jahrhunderts wie er von dem kleinen lokalen Herrscher Mohammed* mit eiserner Faust vorgelebt wurde. Autokratische Führung von Gottes Gnaden ist ihnen Vorbild und Ziel.

Wer dies nur als Religion sah, beging einen folgenschweren Fehler: Das sind im Kern politische Ambitionen und nur wer in den letzten Jahren sich ständig mit dem Hinweis beruhigte, es handele sich ja „nur“ um Religion, verkannte, dass es eine Säkularisierung im Islam nicht gab. Daraus ergibt sich auch die Schwierigkeit vieler sehr konservativer Muslime, sich nun abzugrenzen von den Handlungen des IS, auch wenn man vielleicht die Brutalität im Einzelnen abscheulich findet und ablehnen mag. Von den Haltungen des IS, auch wenn man den Exzess und die Steigerung ins Extreme nicht teilen mag, sich zu distanzieren, fällt schwer, auch weil es eine große Schnittmenge in den Einstellungen (der Islamwissenschaftler Abou Taam spricht von 90 %) gibt: Einen Eindruck verschafft der Blick in die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam, 1990 unterschrieben von 56 Mitgliedsstaaten, die die Menschenrechte unter den Vorbehalt von Koran und Sunna stellt.

Die Virulenz in der modernen Gesellschaft, bei manchen jungen Menschen, mag erstaunen. Man bietet Gleichwertigkeit, Gleichberechtigung und Gleichbehandlung. Das ist jedoch manchem nicht genug. Er möchte gerne ein besserer Mensch sein. Selbstempfunden und in der Wahrnehmung durch sein Umfeld. In der modernen Gesellschaft muss man sich dafür anstrengen, muss lernen und sich bemühen. Das Angebot des fundamentalistischen Islam ist ein anderes: Man ist Teil einer selbstempfundenen Elite, wenn man bestimmte Dinge schon nur unterlässt, bestimmte Dinge meidet und einige Rituale einhält. Man kann schon mehr gelten, wenn man sich nur mehr an der als heilig empfundenen Handlungsweise und Person des Vorbildes orientiert.

Da es sich um einen Menschen aus dem 7. Jahrhundert handelt, sind die Vorgaben notwendigerweise sehr schlicht. Da es sich um einen im späteren Leben autokratisch herrschenden Menschen handelte, sind seine Vorgaben oftmals brutal und mit modernen Vorstellungen kaum vereinbar. Eine Änderung dieser Vorgaben wird von fundamentalistischen Anhängern als „Bid´a“ gesehen, als unerlaubte Neuerung.

Hielt man das bislang vielleicht nur für eine bizarre Parallelwelt, so schwappt diese nun über in die Gesellschaft. Das ist alles keine Folklore, sondern zunehmend unverholen der Griff nach politischer Macht. Macht, auch dem Andersdenkenden vorzuschreiben, wie er zu leben hat. In dieser Parallelgesellschaft ist einiges möglich, die Biographien der Wortführer erinnern an Personen aus der Geschichte anderer gesellschaftlicher Bewegungen, die die Maßstäbe der Gesellschaft veränderten oder in Frage stellten. Abdellatif Rouali beispielsweise, der Chef des verbotenen Netzwerkes Dawaffm, ist im richtigen Leben Hausmeister und war u.a. Besitzer eines kleinen Ladens. Er gibt Unterrichte im Islam, versteht aber nicht einmal einfachste Behördenschreiben, wie er im Netz selbstentblössend darlegt. Von seinen Anhängern wird er aber als Lehrer für die letzten Wahrheiten gesehen, ist also in seiner Parallelwelt eine Größe. Agieren diese Anhänger zunehmend in der realen Welt, tragen ihre Vorstellungen aus dem Hinterhof in die Fußgängerzone und in die Vorstadt, so muss man auch dozierende Hausmeister ernst nehmen.

Will man wissen, wie ein Anhänger dieser politischen Strömung denkt, so muss man nur zuhören wollen, was die Vordenker der Bewegung wie der Extremist und bekannte pakistanischstämmige britische Prediger Anjem Choudary von sich geben. Sie tun dies oftmals ganz offen verfügbar im Internet, nutzen die Meinungsfreiheit dafür, der Demokratie den Kampf anzusagen:

Wir haben lange genug unter der Tyrannei von Demokratie und Freiheit gelebt!

Anjem Choudary in der Dokumentation „Das Kalifat des Schreckens“ vom 28.10.2014.

Das ist „1984“ in Reinkultur.
Krieg ist Frieden
Liebe ist Hass
Freiheit ist Tyrannei
Demokratie ist Tyrannei
usw.

Es gibt Gedankenverbrechen, es gibt Neusprech, es gibt fast alles, was in „1984“ beschrieben wurde, nebst der Entfremdung der Menschen voneinander.
Im IS wird dieses totalitäre Denken auch an den Universitäten umgesetzt:
Diese haben erfahren, dass sie verpflichtet seien, ihrer Arbeit nachzugehen, dass aber folgende Fakultäten und Abteilungen aufgelöst werden, weil sie angeblich „gegen die Scharia“ verstießen. Die Fakultäten für Jura, Politologie, Kunst, Archäologie, Sportwissenschaft und Philosophie werden aufgezählt, außerdem die Tourismusschule und die Hotelfachschule.
http://www.faz.net/…/der-islamische-staat-macht-die-univers…

Das nächste Opfer wird wohl die Lehre von der Geschichte sein. Dann würde es so sein, als ob die unerlaubten Neuerungen nie geschehen wären, die Historie nur an das flüchtige Gedächtnis der Überlebenden geknüpft. Das ist ein Utopia nach Orwellscher Prägung, der galoppierende Totalitarismus.

Will man dieser totalen Abkehr von der Moderne, diesem totalitären Gegenentwurf begegnen, will man von einer ggf. auch brutalen Umsetzung nicht überrollt werden in einigen Bereichen, muss man weg von verharmlosenden Begriffen wie „Jugendkultur“ oder „Popkultur“. Die Jugendlichen sind nur die, die man sieht und wahrnimmt. Die, die sie klammheimlich oder offener zumindest weitgehend ideologisch unterstützen, die, die sie auch lenken und anregen, sind weniger im Licht. Es wird nicht der Untergang des Abendlandes sein, dazu ist die Macht, wenn man sich auf sie besinnt, zu ungleich verteilt, der Wille, wenn man ihn denn aufbringt, zu deutlich. Aber die Probleme werden unnötig größer und schwerer in der Handhabung, wenn man eine politische Strömung nicht ernst genug nimmt. Das zeigt die Geschichte. Man sollte immer aus ihr lernen, sonst wiederholt sie sich.

.
* Wer jetzt meint, ja, aber das ist doch ein Religionsgründer usw.:
Ja, ist er, wenn es ihn als Person gab, wovon alle konservativ gläubigen Muslime ausgehen. Und friedliebende Muslime sehen in ihm auch etwas anderes bzw. reduzieren auf die Anteile, die auch erkennbar sind aus den Schriften, die friedlich und freundlich daher kommen und eher aus der frühen Zeit seines Lebens stammen. Die Person, die zentriert wird, ist dem säkularen, dem friedliebenden Muslim eine andere als den IS-Anhängern, es werden unterschiedliche Haltungen und Handlungen als Vorbild genommen. Worauf jemand seine Friedlichkeit stützt, weswegen jemand ein guter Demokrat ist, ist für die Gesellschaft sekundär. Das ist privat. Die privat gelebte Religion und die private Frömmigkeit sind nicht Gegenstand dieser kurzen Betrachtung.
Es ist jedoch notwendig, den islamistischen Totalitarismus politisch zu betrachten, weil er politisch auftritt, und er muss als islamisch betrachtet werden, weil er islamisch begründet wird. Politischen Extremismus als kulturelle Besonderheit dastehen zu lassen, ihr nicht politisch zu widersprechen, ist verantwortungslos und geschichtsvergessen.
Man kann weder den politischen noch den religiösen Aspekt hinwegdenken, will man das Problem in der Breite, in seiner Tiefe und in seiner potentiellen Wucht erfassen. Vor die Problemlösung ist jedoch die Analyse gesetzt, die hiermit grob und ganz kurz versucht wird.
http://de.wikipedia.org/wiki/1984_%28Roman%29
Der Extremist Choudary live:
https://twitter.com/anjemchoudary

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