Deutschland ist ein Rechtsstaat, ein Land, in dem sich gut und sicher leben lässt. Es gibt verglichen mit fast allen anderen Ländern gute Bildungschancen und ein passables Gesundheitssystem. Wenn sich jemand schlecht behandelt fühlt, kann er vielfache Wege gehen, um zu seinem Recht zu kommen. Wenn er die Welt ändern möchte, kann er in Parteien gehen oder eine gründen oder eine Aktion ins Leben rufen. Der Bürger ist bei aller Bürokratie ziemlich frei, er ist weitgehend sicher, er hat umfängliche Rechte.
Der Krieg ist seit 70 Jahren verschwunden aus Deutschland und nicht wenige seiner Kinder gehen nun den Krieg suchen. Wir müssen uns der traurigen und höchst schmerzhaften Realität stellen, dass junge Menschen unter uns sind, hier aufgewachsen, die zum Töten und Vergewaltigen gehen wollen. Und auch der Tatsache, dass es Mädchen und Frauen gibt, die diese Mörder und Vergewaltiger so anziehend finden, dass sie in ein Kriegsgebiet reisen wollen, um sie zu heiraten und ihre Kinder zu bekommen.
Thomas de Maizière hatte das letzten Oktober so formuliert, dass es „unsere Söhne und Töchter“ sind. „Ein Großteil wurde hier geboren. Sie sind in unsere Schulen gegangen, in unsere Moscheen, in unsere Sportvereine. Wir tragen für deren Radikalisierung Verantwortung“.
Das ist verstörend, denn sie gehen in ein Gebiet, aus dem andere fliehen. Aus der Sicherheit und dem Wohlstand Deutschlands, der Menschen aus aller Welt anzieht, gehen sie in Gefahr, Unsicherheit und brutale Existenzfragen. Der Boden ihres Utopia trieft vor Blut.
Wer sind nun diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen? Ein kurzes Papier des Verfassungsschutzes, das letztes Jahr in die Öffentlichkeit gelangte, gibt einen ersten Überblick:
VfS Analyse Ausgereiste 20140930
Das sind natürlich nur die, die ausgereist waren. Es gibt aber neben anderen Informationen über die, die (noch) hier sind oder gehindert werden konnten, einen ersten Eindruck. Nämlich den, dass es Wahrscheinlichkeiten gibt, aber keine Zwangsläufigkeiten, Profile, aber keine Blaupause.
Es hängt von Disposition, persönlicher Historie und sozialen Einflussfaktoren ab. Es gibt Häufungen in Wohngegenden, in denen Personen missionieren, fragile Umfelder, aber jenseits der stärkeren Betroffenheit von städtischen sozialen Brennpunkten mit vorwiegend migrantischer Wohnbevölkerung gibt es nirgendwo Garantien. Das Web erreicht alle, die das wollen. Und auch Bildung vermindert nur die Wahrscheinlichkeit. Es sind viele junge Menschen dabei, die Zugang zu höherer Bildung hatten oder sogar diesen Weg beschritten.
Gelegenheit, an Koranverteilaktionen teil zu nehmen, sowie der Zugang zu islamistischen Moscheen, deren Einfluß sich im Zuge der Radikalisierung noch verstärkt, spielen eine Rolle. Die allgemeine Zurückweisung von Verbandsfunktionären wie Aiman Mazyek, wonach Moscheen generell Partner im Kampf gegen Radikalisierung sind, ist wertlos und nicht durch Fakten gedeckt. Sie verschleiert deren Beteiligung. Nicht wenige Moscheen sind genau Orte, an denen Radikalisierung stattfindet oder zumindest nicht wahrgenommen oder gar gegengewirkt wird.
Kinder und Jugendliche, die in solche Problem-Moscheen zur Charakterbildung von arglosen, gleichgültigen oder gar bewußt eine stramm islamistische Grundhaltung befürwortenden Eltern geschickt werden (10 % der Jugendlichen wurden durch Verwandte dahingehend beeinflusst), haben eine gute Chance, auf diese für sie und andere schiefe Bahn zu geraten. Auch die Eltern, die Haltungen die ersten Jahre vorgeben, kann man da nicht außen vor lassen: Welche Grundhaltungen vermittelten sie dem Kind, wie beeinflussten sie das Verhältnis ihrer Kinder zu den anderen Menschen, welches Vorbild gaben sie?
Die Dunkelziffer beträgt ein vielfaches der offiziellen Ausreisezahlen. Erwachsene, bei denen keine Meldung durch Verwandte oder Freunde gemacht wurde, werden schlicht nicht vermisst und nicht gesucht.
Auf einen, der ausreist, kommen 5, die das auch gerne tun würden, aber (noch) nicht den Antrieb dazu aufbringen, und 50, die das gutheißen.
Bei allen Betrachtungen, die gegenwärtig angestellt werden, hat man das Problem, dass nur die manchmal reden wollen, die schon erkennen, dass sie Hilfe benötigen, also zweifeln am persönlichen oder allgemeinen Sinn oder sich etwas von ihrer Auskunftsgabe erhoffen (z.B. Strafmilderung). Bei diesen Personen stellt sich die Frage, ob sie so ehrlich mit sich selbst sein können, auch Schuld bei sich zu suchen, also ihre eigenen Motive zu hinterfragen. Dass sie, wenn sie mordlüstern waren durch Deso Dogg Videos und diesen Machtrausch auch gerne erleben wollten, das zugeben werden. Dass sie, wenn sie 4 Frauen haben wollten, das zugeben werden. Dass sie eine einfachere Welt wollten mit schwarz-weißen Vorgaben, ein einfaches Männer- und Frauen-Rollenbild oder einfach nur mehr Sinn frei Haus wollten. Dass sie sich gerne als Teil einer Elite fühlen wollten und einer Geneinschaft, die das Utopia baut. Oder in der weiblichen Perspektive: Dass sie mit eigenen Entscheidungen überfordert fühlten und sich lieber führen lassen wollten von einem Mann. Dass sie „mehr“ wollten als ein Pizzabote sein, aber nicht lernen wollten oder konnten, wie man das hinkriegt. Dass ihnen die Mär von der verpackten Frau als Edelstein eines Mannes besser gefiel als die Aussicht, eine Banklehre zu machen. Die Vorstellung, „Kriegerkinder“ einer neuen Zeit auszutragen, sie mehr persönlich befriedigte als das hier normale Leben.
Es ist wahrscheinlicher, dass sie der Gesellschaft die Schuld geben werden. Das ist auch deshalb einfacher, weil es bei den Betreuern und Betrauten eine erhebliche confirmation bias geben dürfte, also die Neigung, das Erwartete eher wahrzunehmen und ggf. zu verstärken. Die Erwartung der Betreuer und Betrauten ist oft, dass das Ursachen hat, die nicht in der Person und ihren Neigungen und vorliegenden Haltungen begründet sind, sondern in der Gesellschaft. In dem Hilfsangebot, in einer ggf. therapeutischen Beziehung, wird verdrängt und nur zu gerne die Lebenslüge dieser Betroffenen angenommen und gespiegelt: Dass sie nämlich ausschlißlich Opfer dieser Gesellschaft sind.
Diese Lebenslüge darf nicht gespiegelt werden und unhinterfragt bleiben. Es ist ein normaler psychischer Ausweichmechanismus, sich selber zu entschuldigen und alles auf die Umstände zu schieben. Dabei darf es jedoch nicht bleiben, sondern man sollte den Betroffenen auch zeigen, wo sie Chancen nicht wahrgenommen haben. Nicht wenige haben sich aus Schule oder Ausbildung direkt in die Gegenrealität begeben, haben sich also bewußt desintegriert, haben hingeworfen, um nun ein neues Ziel zu verfolgen. Die Vorstellung, dass es sich vor der Radikalisierung nur um Jugendliche gehandelt habe, die keine Aussichten in dieser Gesellschaft hatten, ist ebenso einfach wie falsch.
Wenn Betroffene zweifeln, kann man deren Zweifel als Wendung zum guten positiv spiegeln. Aber es muss auch klar sein, dass keine Diskriminierung Mordgedanken rechtfertigt, kein schiefer Blick von Frauen bei einem Mann dazu führen darf, dass er seine Vergewaltigungsphantasien in die Tat umsetzen will. Mit anderen Worten: Keine Enttäuschung und keine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild, zwischen Wollen und Wirklichkeit rechtfertigt die gewünschte Selbstüberhöhung dieser Art.
Es wird welche geben, die Diskriminierungen erfahren haben. Es wird welche geben, die sich von dieser Gesellschaft nicht angenommen fühlten oder tatsächlich schlechte Erfahrungen dieser Art machten. Welche mit schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Das sind narzisstische Kränkungen, mit denen man aber umgehen lernen muss als Erwachsener. Unter denen, die das reklamieren, werden aber auch welche sein, deren Selbstbild oder die Erwartungen der Familie mit ihren Fähigkeiten nicht übereinstimmten. Und solche, die keine schlechten Erfahrungen gemacht haben, die aber erwarten, dass das Leben ein orientalischer Harem mit ein wenig Ballerspiel zur Abwechslung sein sollte. Diese jungen Menschen werden in der Situation, in der sie Hilfe erhoffen oder Milde, sich nicht exponieren, indem sie ihre Gedanken offenbaren. Die, die sie beim Auszug, andere das Fürchten zu lehren, hatten oder die ihnen im Kopf schwirren. Sie werden sich selbst schützen vor allzugroßer Reue und allzu harter Beurteilung, indem sie Entschuldigungen finden oder erfinden. Das sind sicher wichtige Sichten, die man so sammeln kann. Man sollte sie aber immer auf Stimmigkeit prüfen und menschliche psychische Mechanismen kennen, mit denen die eigene Vergangenheit milder erscheint.
All jene jedoch, die nicht zweifeln, die auf Linie sind, erreicht man kaum. Das Gegenüber kommt selten in die Lage, Zweifel zu erwecken bei einem fanatisierten Menschen, da die Weltsicht geschlossen ist. Es besteht schlicht kein Interesse und keine Gelegenheit zum Gespräch. Das muss vorher geschehen – in der Abschottungsphase ist das zu spät. Das ist bei Salafisten kaum anders als bei Scientology. Der erste Schritt aus dieser speziellen Ummah muss selbst gegangen werden.
Dieser harte Kern dieser Menschen will nicht Teil unserer Gesellschaft sein und es ist fraglich, ob man mit solchem Maßnahmen wie maximalem Entgegenkommen auch nur ein Jota bei ihnen bewegen könnte. Auf Begriffe wie „Islamismus“ zu verzichten, wie auf Seite 10 hier von einem Fachmann anläßlich einer Anhörung im Hessischen Landtag* Anfang des Jahres gefordert
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ist bizarr. Eine ganze Gesellschaft inkl. Medien soll einen notwendigen Differenzierungsbegriff fallen lassen, weil dieser Begriff einigen nicht schmeckt oder sie ihn nicht begreifen könnten? Der Preis wäre zu hoch. Solche Vorschläge führen nicht weiter; sie machen deutlich, dass die Klienten sehr intensiv auch Personen vom Fach beeinflussen können, Personen, die zwar da mitmischen, aber schon die eigenen psychischen Prozesse dem Anschein nach nicht im Griff haben bzw. nicht hinreichend reflektieren. Die Identifikation wird umgedreht, weil eine Person sehr empathisch zugeht, die andere jedoch nur Empathie erwartet, sie aber selber kaum leisten will. Empathie darf jedoch nicht dazu führen, dass wesentliche und zur gesellschaftlichen Diskussion unbedingt notwendige eigene Grenzen preisgegeben oder aufgeweicht werden.
Es wird zusätzlich befördert dadurch, dass die religöse Haltung, die Teil der Ursache ist, einen Teil der Haltungen schützt, weil der Betraute sie nicht hinterfragen will, also der Meinung ist, dass man die dort zugrunde liegende Religiosität nicht antasten darf. Es ist fraglich, ob das so funktionieren kann. In einigen Fällen sicher. Es erfordert jedoch einen eigenen Willen und es ist fraglich, ob diese Willensbildung durch eine helferische oder therapeutische Beziehung maßgeblich beeinflusst werden kann.
de Maizières Einlassung beinhaltete das Wort Verantwortung. Wer ist da „wir“ könnte man fragen. Tragen wir alle diese Verantwortung gleichermaßen?
Diese Kollektivverantwortung lässt die einzelnen Problemzonen verschwimmen, so dass da wenig konkretes übrig bleibt. Genauso wenig wie es die Blaupause gibt, so wenig gibt es die eine Maßnahme, die alle Fälle verhindern könnte, oder den einen Verantwortlichen, der die ganze Gemengelage zu verantworten hat. Das sind Schulleiter, die betroffene Lehrer alleine ließen, genauso wie Politiker, die das Problem klein redeten in der Hoffnung, die notwendigen, schwierigen Entscheidungen doch bitte, bitte dem Nachfolger anvertrauen zu können. .
Deutschland muss das als Querschnittaufgabe begreifen (lernen), denn es gibt für einzelne Maßnahmen noch nicht einmal eine Evaluation. Das wird alles noch kommen, die Zeit drängt aber. Sie drängt, weil die Anzahl der Sympathisanten nicht klein ist und wächst. Es sind zehntausende Jugendliche, die meisten von ihnen verstehen sich nicht einmal als Salafisten und sie sind auch kaum durch die Kleidung oder andere äußere Merkmale zu erkennen. Man erkennt es oft nur im Gespräch. Es drängt, weil diejenigen, die andere das Fürchten lehren wollen, nicht nur nach Syrien gehen, sondern schon wieder oder noch hier sind. Sie sind in Schulen, Universitäten und bei Lehrherren. Ihre Menschensicht, die in anderem Umfeld Töten und Vergewaltigen erlaubt, wird hier nur durch die Vorstellung direkter Nachteile eingegrenzt. Die, die so denken, sind derzeit unauffällig, weil sie nicht die Gelegenheit haben. Sie haben hier aber oftmals schon die Möglichkeit, andere zu drangsalieren: Liberale Muslime und säkulare, Christen, Juden, Atheisten. Frauen und allgemein Schwächere.
Wenn das unsere Kinder sein sollen, obwohl nicht wenige das nicht mal sein wollen hinsichtlich der Nebenwirkungen dieser Gesellschaft und ihrer Pflichten, dann müssen wir ein ernstes Gespräch mit ihnen führen. Wir alle.
* Das Papier lohnt unbedingt der Lektüre, weil es Stellungnahmen von verschiedenen Fachleuten enthält.