Ängste sind Gefühle, die man unterteilen kann in Phobien und Realängste. Realangst kann man zum Beispiel haben, wenn man ins Auge des Tigers blickt und kein Gitter dazwischen ist. Angst vor einer im geschlossenen Einweckglas residierenden Spinne kann man jedoch getrost als Phobie bezeichnen.
Ist man im Besitz seiner Vernunft und kann man eine Angst noch kontrollieren, so tut man gut daran, seine Angst zu rationalisieren: Sitzt mir da nur eine eingesperrte Spinne gegenüber oder eine Phantasie oder ein Tiger?
Genug der Metapher.
Politisch Tätige haben zur Zeit dem Anschein nach mehr Angst vor Stimmungen und den eigenen Bürgern als vor Personen, die tatsächlich Übles ankündigen. Anders ist kaum zu erklären, dass man wegen eines Vorfalls in Freiberg, einer Ortschaft in Sachsen, jenseits des Bürgermeisters sich wohl mehr darum sorgt, welche Stimmung in der Bevölkerung sein könnte als vor einer Person, die angekündigt hat, einen Menschen zu köpfen. Mehr Angst also davor, wie Bürger es finden könnten, dass ein potentieller Mörder herumläuft als DASS er herumläuft. Mehr Sorge darum, dass die Bürger ihre Repräsentanten in die Verantwortung nehmen könnten. Und last but not least, dass dies nicht mehr so recht zu steuern sein könnte.
Wer das nun völlig daneben findet, hat meiner Ansicht nach Recht.
Aktuell wird der Fall so aufbereitet in der Wirtschaftswoche:
Das ist zwar ein besonders krasser Fall, aber er ist auch exemplarisch. Die Meldungen über mafiöse Strukturen, absichtsvolle Mißachtung unserer Gesetze und Gewalt in Flüchtlingsheimen reißen nicht ab. Die Polizei läuft Sturm:
http://www.pnp.de/mobile/?cid=1821864
Das ist ein Bericht von so einigen mittlerweile. Auch bei mir laufen etliche Augenzeugenberichte auf von Personen, die ihren Augen kaum trauen wollen und die ihre Beobachtungen nicht der Öffentlichkeit mitteilen können. Weil sie Angst um ihren Job haben, weil sie Angst davor haben, dass das falsch bewertet wird, weil sie befürchten, dass die Begegnung mit einer, ihrer Realität nicht nur ihre Stimmung und Einschätzung kippen lassen könnte.
Das ist bitter, denn auch eine unschöne Realität bleibt doch Realität und nur, wenn wir uns ihr stellen, können wir etwas ändern und bewirken.
Willkommen heißen und ein Feldbett sind nicht genug. Wer Sicherheit anbietet, muss auch für sie sorgen. Allen Beteiligten.
Es gelingt offenkundig nicht in der Breite, Flüchtlinge wirksam vor anderen Flüchtlingen zu schützen. Das ist ein Skandal, wenn man es allgemeiner betrachtet. Die Bevölkerung wird auch nicht arg wirksam geschützt, denn der junge Mann aus obigem Vorfall wurde nur in ein anderes Lager verbracht. Der Kumpan ist flüchtig. Die Bevölkerung kann sich nun vorstellen, dass man, wenn diese Personen – es sind ja keine Einzelfälle! – in der Gesellschaft sind, sie also einen noch einigermaßen überwachten Raum verlassen, dieses Tun nicht nur fortsetzen, sondern sie auch noch weniger geschützt sind als die Flüchtlinge im Lager. Man muss Vorfälle ja ordentlich persönlich zuordnen und sachlich nachweisen, das ist im Rechtstaat korrekterweise so. Oft genug fällt so etwas schwer.
Aus obigem WiWo-Artikel: „Eine Flüchtlingsanerkennung ist beispielsweise ausgeschlossen, wenn ein Ausländer rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist.“
Läuft es „gut“, so kann somit sogar jemandem, der eine Körperverletzung mit Todesfolge in einem minder schweren Fall (gibt es!) begangen hat, diese Anerkennung nicht verweigert werden. So ist die Gesetzeslage. Diese 3 Jahres-Regel gilt übrigens auch nach Anerkennung bzw. allgemein bei Personen, die zugezogen sind und eine andere Staatsangehörigkeit haben. Selbst das funktioniert aber schon dann nicht mehr, wenn die Person ihre Papiere vernichtete, also nicht sicher identifiziert werden kann. Manche Staaten kooperieren da auch nicht mit Deutschland, wollen ihre Bürger gar nicht zurück und finden es ganz großartig, dass das ein deutsches Problem ist.
Es ist begründet, vor Rechtsextremen zu warnen und sie niemals zu unterschätzen. Diese Gefahr ist da und es ist von Glück zu sagen, dass es bislang bei Sachbeschädigungen wie rechten Schmierereien und Brandanschlägen an leeren Gebäuden blieb. Solange jedoch politisch Tätige, weil sie sich von den aktuellen Geschehnissen getrieben sehen, versuchen, auch Realängste der Bevölkerung zur Phobie umzudeuten, tritt man dieser Gefahr nicht wirkungsvoll entgegen.
Diese Gefahr wird nämlich durch diese falsche Prioritätensetzung geradezu heraufbeschworen. Weil die Bürger gar nicht mehr verstehen, dass man vor ihrem Protest mehr Angst haben kann als vor dem Anlass ihrer Aufregung. Weil nicht wenige politisch Verantwortliche sogar Realängste nicht ernst nehmen und Handlungen (!) herunterspielen. Weil Umfragewerte, also die eigenen Chancen auf Versorgung, manchmal mehr im Kalkül sind als Verantwortung und das auch so gesagt wird:
Noch mal aus dem WiWo-Artikel: „Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, fürchtet im Fall einer zu laschen Flüchtlingspolitik einen Dämpfer für die Union in Umfragen.“
Eine falsche Flüchtlingspolitik, Herr Haseloff, schadet zunächst den Flüchtlingen selber und diesem Land. Ob falsche Handlungen einer Partei schaden, egal welche das ist, ist sekundär, denn die Parteien und vor allem diejenigen, denen sie Verantwortung geben, sind für Land und Menschen da, nicht umgekehrt. Der „Schaden“, der einer Partei durch eigenes Zutun oder Nichtstun seiner Verantwortungsträger entsteht, nennt man „die Verantwortung tragen“. Er hat also Angst davor, nicht nur eine fastauthentische Verantwortungssimulation abzuliefern, sondern sie tatsächlich zu haben. Glücklicherweise sind einige um ihn herum, die die Sache etwas ernster nehmen. Das wäre breit zu hoffen, ist aber bislnag nur vereinzelt auch für den Bürger sichtbar. Neben der Bewältigung der Probleme muss das aber auch wichtig sein: Durch konkrete Bewältigungsstrategien diffusen Ängsten entgegentreten. Im Hinblick auf die Lage in den Unterkünften ist das deshalb noch nicht in Sicht, weil man Polizisten, die man nicht hat nicht einsetzen kann. Ein falsches, idealisiertes Flüchtlingsbild, also als Gegenteil der diffusen Angst die diffuse Sorglosigkeit plus vollmundige Zusagen haben das bewirkt.
Fakt ist: Die Angst der Flüchtlinge (!) und Bürger vor wiederum anderen, die auch Asyl suchen, ist in vielen Fällen begründet. Wer das nicht wahrnimmt, versündigt sich nicht nur am Realitätssinn der Menschen, sondern steigert ihre Angst ins Unermessliche, so dass aus begründeten Fällen diffuse Vermutungen und Pauschalisierungen werden können, die man auch kaum noch einfangen kann. Die Verantwortung tatsächlich tragen, heißt, da jetzt ehrlich gegenzusteuern, damit nicht Personen, die generell wesentlich weniger demokratisch aufgestellt sind, aber eine derzeit vielleicht attraktivere Verantwortungssimulation anbieten, diese Ängste benutzen. Und davor habe ich auch Angst. Ich halte sie für real.