Die Stuttgarter, Hamburger und Kölner Vorgänge in der Silvesternacht, Raub und sexuelle Übergriffe in größeren Männergruppen, haben es denn doch breiter in die Medien und die internationale Presse geschafft. Sogar die New York Times berichtete nachfolgend. Die Politik greift es auch auf und spricht von ungeheuerlichen Vorfällen. Hinsichtlich der Einordnung ist man sich jedoch noch nicht so sicher. Was heißt das nun?
In Köln gab es heute eine „Krisensitzung“, in der Vorgänge und evtl. Versäumnisse beleuchtet werden sollten. Die Polizei hatte in ihrem Bericht von der Silvesternacht zwar von einer Gruppe von etwa 1000 Personen berichtet. Sexuelle Übergriffe kamen darin jedoch nicht vor. Heute wurde nun ergänzt, dass die Lageeinschätzung wohl falsch war:
Man muss sich fragen, wenn die Lageeinschätzung so falsch war und es wohl zu etlichen Übergriffen kam, wie dann von einer ausreichenden Präsenz gesprochen werden kann. Wenn Übergriffe nicht einmal bemerkt wurden, ist „ausreichende Präsenz“ schon die nächste falsche Einschätzung. Polizisten werden nicht wie Tannenbäume nach Fläche berechnet, sondern ob die Aufgaben erfüllt werden konnten, was hier offenkundig nicht der Fall war. Man sollte aufhören, das zu beschönigen.
Sicher muss bei den nun vorliegenden 90 Strafanzeigen geschaut werden, was eine Relevanzschwelle überschreitet. Unter dem Aspekt, dass eine solche Strafanzeige von weiblichen Personen, die meist wissen, dass vor Gericht im Zweifelsfall penibel und peinlich nachgefragt wird, eher nicht erstattet wird bzw. große Hemmungen bestehen, kann man jedoch eine gewisse weitere Anzahl im Hintergrund vermuten. Solche Strafanzeigen werden, zumal sie nicht in einem Beziehungszusammenhang stehen, in dem Falschanzeigen schon mal vorkommen, meist nicht leichtfertig gestellt.
Es wird eine Aufarbeitung geben, die sicher einige Zeit in Anspruch nehmen wird.
Da mit dem Kölner Karneval bereits das nächste Großereignis absehbar ist, haben die Kölner Verantwortlichen auch bereits dieses in ihre Überlegungen einbezogen. Ab diesem Punkt wird es jedoch ebenso weltfremd wie bizarr..
So soll es etwa „Verhaltensregeln“ für junge Frauen und Mädchen geben, „damit ihnen solche Dinge nicht widerfahren“, sagt Reker mit Bezug auf die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht. Es gebe bereits einen Verhaltenskatalog, der nun aktualisiert würde und bald online abrufbar sein wird.“
Einen ersten Vorgeschmack gibt es bereits:
„Frauen sollen zu Fremden „eine Armlänge“ Distanz halten“

Kölner Modell gegen Vergewaltigung im Bild rechts Bild: http://www.chemguide.co.uk/atoms/properties/atradius.html
Das wird sicher ein Exportschlager.
Reker und der Kölner Polizeipräsident scheinen die eigenen Berichte nicht gelesen zu haben und auch nicht die aus Hamburg. Da war von Jagden auf Frauen die Rede und Umzingelungen. Reker und Albers scheinen sich so etwas gar nicht vorstellen zu können: Personen, die einen feuchten Kehrricht auf die eigenen Distanzbemühungen geben, sondern trotz Aufforderung und eigenem Abrücken so nah kommen, dass man ihren Atem im Nacken spürt. Eine Armlänge Distanz ist irrelevant, wenn man gejagt wird. Ist man umzingelt auch. Rekers und Albers Tipps hätten – eingehalten – den Opfern ungefähr so geholfen wie der Knoblauch auf der Fensterbank.
Es ist aber mehr als Hilflosigkeit, wenn solche Statements erfolgen: Es ist der alte Minirock im neuen Schnitt: Mädchen, passe dein Verhalten an, dann passiert weniger. Regeln für die Frauen zu machen, heißt Regeln für die Opfer zu machen, weil man die Regeln bei potentiellen Tätern nicht durchsetzen kann. Man macht weitere Regeln für diejenigen, die Regeln einhalten, weil man bei denen, die Regeln nicht einhalten, nicht oder nicht spürbar genug durchgreifen kann. Und natürlich ist das im Vorfeld schwierig. Diese Bankrotterklärung nebst mehr Regeln für die Regelgetreuen hätte man sich aber sparen sollen. Dann lieber ehrlich gesagt: Wir denken noch mal in Ruhe drüber nach, was man zweckmäßig machen kann.
Ich gebe zu, dass das Sicherheitskonzept für den Karneval herausfordernd ist. Was aber Reker und auch Albers dringend begreifen müssen, ist, dass Regeln für den sind, der sie bricht. Bei den Männern, nicht bei den Frauen.
Sonst ist das erste wirklich abschließend Geschaffte der Kölner Karneval.