Dorian Gray am Dialogtisch

Manchmal irritiert, wie Menschen darauf reagieren, wenn ihnen eigentlich klar werden sollte, dass sie die Realität nicht richtig oder nur einen Teil von ihr wahrgenommen haben. Im Integrationsbereich gibt es viele Personen, die sich über Jahre hinweg bemüht haben, in Dialog-Veranstaltungen mit Vertretern von Moscheegemeinden ins Gespräch zu kommen. Teilnehmer sind manchmal auch Gemeindevorstände, die ein Doppelleben führen: Zur Mehrheitsgesellschaft hin wird ein Image aufgebaut, man gibt sich freundlich, aufgeschlossen, einsichtig und gesprächsbereit. Real wird jedoch das eigentliche Eigenleben geführt: Da werden anti-integrative Reden geschwungen, man beschwört die Ummah mit Abwertung der Mehrheitsgesellschaft oder lädt Hassprediger ein.

 

Tritt der Fall ein, dass Teile dieses Doppellebens offenbar werden, werden also hässliche Inhalte bekannt oder ist ein Besuch eines Hasspredigers nachweislich, sind verschiedene interessante Reaktionen zu beobachten. Von Seiten der Gemeinde wird zunächst geleugnet, dass dieser Hassprediger da war. Hält diese Linie nicht, so wird nachgeschoben, das müsse ein Irrtum sein, das sei schon ganz lange her, dass der Herr zu Gast war. Mindestens vor der letzten Eiszeit, vergangene Vorstände hätten vielleicht irgendwann einmal… hätte man vielleicht gehört. Aber nur vielleicht, man sei sich da gar nicht sicher. Ob denn das Gegenüber sicher sein könne? Bestimmt ein Missverständnis. Wird auch das als Schutzbehauptung enttarnt, so dreht man den Spieß schon halb um, indem behauptet wird, man habe doch nicht wissen können, dass der Herr XY problematisch sei. Man selber sei in solchen Dingen ja ganz naiv und in der eigenen Einrichtung sei der Betreffende gar nicht aufgefallen, habe eine normale Predigt gehalten und sei ansonsten ein lieber Bruder. Dann wird meist in Täter-Opfer-Umkehr nachgeschoben, man sei nicht informiert worden. Wenn die Gesellschaft mit dem XY ein Problem habe, warum sei man denn nicht aufgeklärt worden?

Und schon ist die Unschuld subjektiv gerettet.

Fällt ein Journalist nicht auf diese Mätzchen herein und berichtet trotzdem, weil die Belege gut sind und man sich auch als Person, die sich der Erkennung der und Berichterstattung über die Realität verpflichtet fühlt, veralbert vorkommt, wird gerne versucht, in der Herstellung der Öffentlichkeit das eigentlich Böse zu verorten. Die Transparenz will man nicht, die Berichterstattung stört das bisherige Bild und der Berichterstatter wird zum Unruhestifter umgedeutet. Dorian Gray will nicht, dass jemand das Abbild vom Dachboden holt und abstaubt.

Jeder Außenstehende erkennt dieses Rechtfertigungsmuster und ist verärgert wegen der gleichzeitig unverfrorenen und doch infantilen Haltung, die den schwarzen Peter der Verantwortung für einen solchen Auftritt allen zuschiebt – nur nicht den eigentlich Verantwortlichen.

Das ist die Stunde der jahrelangen Dialogpartner, die sich nun bemüssigt fühlen, ihrem Dorian beizuspringen. Sie haben nur diesen kennengelernt und wollen das reale Abbild nicht sehen. Vor allem möchten sie nicht, dass die Öffentlichkeit dieses sieht. Führt der Vorgang doch zweierlei vor alle Augen: Zum einen sind sie getäuscht worden, haben die Vorspiegelung („der Herr XY ist doch immer so nett“) für die Realität gehalten. Kein Mensch findet es angenehm, hintergangen worden zu sein und fast jeder, mag der Kenntnisstand bei einem bestimmten Gegenstand noch so überschaubar sein, hält sich selber für nicht täuschbar und für im Besitz der Wahrheit. Seine „Wahrheit“ muss zwingend die allgemeine sein. Die Enttarnung der eigenen „Realität“ als Konstrukt des Dialogpartners ist eine erhebliche narzisstische Kränkung, die schmerzlich ist. Wahrheit kann weh tun. Zum anderen zeigt es auf, dass der ganze Dialog dann in der Art, wie er geführt wurde, hinsichtlich der Bedeutung entkernt wurde. Man hat sich mit einem Konstrukt unterhalten. Mit einer Wand geredet zu haben, ist nicht schön. Auch das ist eine erhebliche narzisstische Kränkung, die nicht jeder verträgt.

So zeigen sich insbesondere die Dialogpartner dieser Gemeinden nicht selten recht aggressiv, wenn die Hauptrealität belegt ihre Nebenrealität bedroht. Es wird dann nicht selten der Überbringer dieser schlechten Nachricht, der Bote, angegangen, dessen einzige „Schuld“ es ist, die Nebenrealität des Betreffenden nicht zu teilen, sondern die Fakten und Belege vorzulegen und für sich sprechen zu lassen. Es besteht also die Gefahr, dass als die allgemeine Realität das Bild vom Dachboden erkannt wird, weil die Allgemeinheit nicht das Konstrukt interessiert, sondern die Realität.

Das ist um so schmerzlicher, wenn der Dorian Gray vom Dialogtisch als schutzwürdige Person oder seine Betätigungen als schutzwürdiges Gut definiert wurden. In einer im Grunde völlig unwürdigen (man hat es mit Erwachsenen zu tun, nicht mit unverantwortlichen Kindern!) und damit eigentlich herablassenden paternalistischen Haltung wird Dorian verteidigt, als sei er das eigene Kind. Meinem Baby tut niemand etwas!

All dies führt jedoch nicht weiter.

Von den Moscheegemeinden ist mehr Ehrlichkeit zu fordern. Dialogtische mit Marketing-Gebilden führen nicht voran, nur mit erwachsenen und verantwortlichen Personen kann über einen Dissens geredet werden. Von denen, die sich in den Dialogrunden bemühen ist mehr Wahrheitssuche und Kritik zu fordern, wenn diese Wahrheit eben nicht sofort den Konsens ergibt. Ihr habt einen Hassprediger eingeladen? Ok, da müssen wir über Inhalte reden. Auch wenn der aus der betreffenden Moscheegemeinde über Inhalte nicht reden möchte und obige Schau bietet. Wer am Dialogtisch den Dissens nicht aushält, wer nur hingeht, um sich selber zu bestätigen, was er für ein weltoffener Mensch ist und wie tolerant, der vergisst, wozu er diesen Dialog eigentlich führt: Den anderen kennenzulernen. Kennenlernen auf Augenhöhe heißt, den anderen so wahrnehmen zu wollen, wie er ist, nicht wie er scheint oder scheinen möchte. Und vor allem heißt Dialog nicht, dort nur sein eigenes Bild von sich zu polieren oder hinzugehen, um sich gut zu fühlen. Das ist dann verbrämter und heuchlerischer Aktionismus, der gesellschaftlich nichts bewegt und schon gar nicht zueinander bringt. Denn dafür ist es notwendig, dass wir in EINER Realität alle miteinander zuhause sind und nicht jeder seine eigene Welt und Realität hat. Darum kann, darum muss man streiten, wenn es um ernsthafte Dinge wie Demokratieverständnis oder Menschenbild geht.

Die weitgehende Beschäftigung mit dem Konsens ist nämlich kein Dialog, der den Dissens bereinigt, sondern ihn schwelen lässt. Niemand braucht Small talk-Runden, in denen nur in den Erinnerungen über das letzte schöne Straßenfest geschwelgt wird oder in denen nur den Partnern aus der Mehrheitsgesellschaft das (gelernt und vorgespiegelt) Gewünschte erzählt wird. Das ist unwürdig und das ist unerwachsen. Die Zeit arbeitet nämlich immer für die Realität, Dorian.

Ein Gedanke zu „Dorian Gray am Dialogtisch

  1. In den den Kellern der klammheimlich Enttaeuschten akkumuliert sich Affirmation fuer Putin als dem edel-finstren Raecher an den zerstobenen Luestchen mit den eigenen Illusionen.

    Wir erleben Unheilsgeschichte pur vom aller-unfeinsten.

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