Die Arabische Medizin hat durchaus einen Ruf. Leider nicht die heutige – das ist etwa 1000 Jahre her. Zu Zeiten von Avicenna (arab. Ibn Sina) wurde in seinem Alterssitz Isfahan Medizingeschichte* geschrieben – es entstanden Werke, die über Jahrhunderte genutzt wurden. Nicht weil sie ihrer Zeit so weit voraus gewesen wären, sondern weil Forschung, die im anatomischen Bereich nun mal auch mit der Sektion von Menschen zum Funktionsverständnis verbunden ist, schlicht nicht stattfand. Avicenna war seinerseits von griechischen Lehren (Hippokrates, Galen) beeinflusst. Man hielt die Werke der Alten für den erreichbaren Stand und übte sich im finsteren Mittelalter lieber im vermehrten Gebet. Auch in der muslimischen Welt schritt man nicht mehr wesentlich voran. Von konservativen Muslimen ohne naturwissenschaftliche Kenntnisse werden ibn Sina und seine Sichten gerne als Monstranz durch das medizinische Dorf getragen. Das ist der Leuchtturm, mit dem man ein wenig Selbstbewußtsein hinsichtlich der aktuellen Rückschrittlichkeit im Vergleich zur „westlichen Medizin“ zurückgewinnen will.
Dass die ganze muslimische Welt, die seine Erkenntnisse wesentlich früher hatte als die christliche (es gab ja noch kein Whatsapp), seine Befunde wenig nutzte, um auf ihnen aufzubauen, bleibt meist unerwähnt. Lieber sonnt man sich im Abendglanz vergangener Größe. Man kann daher berechtigt fragen, ob ibn Sina seine medizinischen Sammlungen nicht wegen (was gerne behauptet wird), sondern trotz eines muslimischen Umfeldes gewann. Der fundamentalistische Islam ist fortschrittsfeindlich und rückwärtsgewandt. Schließlich ist für manchen orthodoxen Geist die letzte Wahrheit schon geschrieben – sie findet sich im Koran oder kann aus Handlungen und Empfehlungen des Religionsgründers abgeleitet werden. Nur so macht man sich vielleicht nicht der Bida, der verbotenen Neuerung, schuldig, sieht sicher keine Dinge, die Schrift und Sunna widersprechen könnten. Wer sein ewiges Leben nicht gefährden will, sieht Lebewesen also lieber als geschaffene black boxes, deren Wunder man nur dem Schöpfer zuschreibt, sie aber nicht genau erkunden will. Man schaut und will nicht sehen.
Wie so häufig werden aber ab und an alte Erkenntnisse, die zur Entstehungszeit durchaus (manchmal) ihren Wert hatten, in der heutigen Zeit wieder aufgegriffen. Man macht eine kleine Zeitreise, überspringt mal locker 500 fruchtbare Jahre naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Zugewinns anatomischer Forschung und präsentiert das der Kundschaft als letzten Schrei. Das Schicksal, das schon der traditionellen chinesischen Medizin beschieden war, die Schamanen, die Drecksapotheke des Mittelalters und Kräuterweiblein nicht ausließ, kommt seit einigen Jahren nun auch aus islamischen Kulturkreisen auf uns zu. Es wird wieder geschröpft und verkohlt. Nicht nur im übertragenen, sondern auch ganz wörtlichen Sinne. Es wird fleißig gepfuscht und dummes Zeug erzählt, so lange es der Kunde nur bezahlt. Das Ganze nennt sich „Unani-Medizin“ und die Illustration mag einen ersten Eindruck geben.
Was da heute auf den ersten Blick als Kinderzeichnung gedeutet würde, war mal Stand des Wissens. Wer da nicht auf die Knie fällt und das Schicksal preist, im Zeitalter von Gefäßchirurgie, Gyrasehemmern und Grippeimpfung geboren zu sein, ist undankbar für die heute erreichbare Lebenserwartung. Es gibt aber tatsächlich noch Länder, in denen so praktiziert wird, in denen „Unani-Mediziner“ herumlaufen und Medizin nach alter Art anbieten. In Pakistan soll das sogar an Hochschulen angeboten werden, was Gedankengänge und Methoden aber nicht besser macht. Auch an Universitäten kann man größten Unsinn lehren, es müssen sich nur genügend Gleichgesinnte an den Bildungseinrichtungen finden und vereinbaren, dass man das wider jedes bessere Wissen ernst nehmen müsse (man denke nur an die Homöopathie).
Im Fachblatt für die optimierte Kundenbespaßung, bis diese von selber wieder gesund werden, der Veröffentlichung „Der Heilpraktiker“, wird das natürlich gerne aufgegriffen. Schließlich ist alles, was exotisch klingt, gut hierzulande. Zumindest kann man darüber noch nicht zu viel Angstmachendes in der Apotheken-Umschau gelesen haben. Das klingt dann so:
„Im Unani-System ist die Ursache des Diabetes eine heiße Temperamentstörung der Leber als Organ, aber keine Störung durch die Humoralsäfte.“
oder
„Nach Meinung der Unani-Medizin wird Vitiligo durch eine Unordnung im Humoralsaft Plegma erzeugt. Grund ist eine Schwäche der transformativen Kräfte von Haut und Leber. Eine Schwäche und Kälte des Blutes verschlimmern zusätzlich die Ursachen des Vitiligo. “
Klicke, um auf Unani-Medizin-August-2013.pdf zuzugreifen
Das erklärt natürlich einiges. Spaß beiseite.
Was in der Not, gar nicht versorgt werden zu können, als beruhigendes Ritual noch seine Restberechtigung haben mag, ist aber völlig bizarr als gewählte Alternative in der hiesigen Medizinlandschaft. Da hilft auch nicht, dass gestern der „World Unani day on 11th Feb,2016“ begangen wurde:
Man sollte diesen Tag eigentlich auf den 29. Februar legen. Und alle 4 Jahre ausfallen lassen.
Auch hierzulande wird das angeboten. Es gibt z.B. ein befremdliches „Unani-Institut“ in Darmstadt, wo sich „Ärzte, Heilpraktiker und Interessierte der Heilkunst“ – kostenpflichtig versteht sich – in die persönliche (Bauch-Aua malen wie mit 5) und medizingeschichtliche (wie vor 500 Jahren) Vergangenheit zurückversetzen lassen können.
http://www.unani-institute.com/
Man könnte meinen, dazu genüge vielleicht auch ein Vollrausch, aber mancher will das ja ganzheitlicher, asketischer und mit Jodel-Diplom. Und vor allem teurer. Denn was teuer ist, ist gut, wußten schon die Altvorderen. Dieses Geld will man dann sicher von den so Behandelten zurück. Das Modell generiert betrogene Betrüger und so erklärt man schon einmal:
„Aufgrund dieser komplexen Diagnostik ist ein Erstgespräch sehr zeitaufwendig. Jedoch ist das die Basis für den Therapieerfolg.“
Lernen von der Homöopathie.
Man scheint es vornehmlich auf muslimische Kundschaft abgesehen zu haben. Vielleicht verortet man dort im Schnitt weniger Kenntnisse und mehr Glauben. Und richtig vermutet: Um das muslimische Publikum noch mehr zu gewinnen, wird sogar über „Die UNANI Medizin und die Medizin des Propheten“ referiert.
Von einer „Islamischen Gemeinschaft an der Medizinischen Hochschule Hannover“ wird dazu eingeladen, die „Unani Medizin – die altarabische Medizin im Lichte der modernen Wissenschaft“ zu sehen:
https://www.facebook.com/events/652491884812289/654359624625515/
Weniger „spaßig“ ist das natürlich, wenn es Patienten mit ernsthaften Erkrankungen angedient wird. Wenn es um mehr geht als vertane Zeit und vergeudetes Geld. Man kann nur hoffen, dass dann weniger auf den Glauben als auf die moderne Medizin, weniger auf Quacksalbereien denn Methoden gesetzt wird, zu denen man wenig Glauben, aber sehr viel Wissen braucht.
Avicenna auf jeden Fall würde heute das MRT wählen und nicht obige Zeichnung als Orientierung. Avicenna war schlau.
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* er hinterließ ein beeindruckendes Werk: