Genderapartheid ante portas

Die Trennung des männlichen und des weiblichen Lebensbereichs ist eine Gestaltung der sozialen Zone, die seit einigen Jahren mehr oder weniger verdeckt wieder vorangetrieben wird. Im Unterschied zu „Sex“ oder „Geschlecht“ bezeichnet Gender das soziale Geschlecht, die gesellschaftliche Zuordnung und die jeweils für dieses Geschlecht als angemessen oder untypisch oder gar verboten zugeordneten Verhaltensspannbreiten oder Handlungsoptionen. Genderapartheid ist demnach die unterschiedliche Behandlung der biologischen Geschlechter und die Zuordnung von Geschlechterrollen. Einschränkungen im Vergleich zum jeweils anderen Geschlecht betreffen beide Geschlechter, jedoch stärker Frauen, da diesen meist mindere Rechte und eine untergeordnete Stellung zugewiesen wird.

Gleichberechtigung und der gleich mögliche Zugang von Frauen zu allen Lebensbereichen ist ein Kernmerkmal unserer demokratischen Gesellschaft. Wer dieses Kernmerkmal angreift und in Frage stellt, stellt die gleiche Behandlung und die gleichen Rechte von Menschen generell in Frage.

 

Taliban Frauen 160228 jpg

Das Ende vom Lied Bild: http://rawa.org/beating.htm , Taliban schlägt Frauen

Die Abtrennung der Frauen, die strikte Zuordnung, was ihnen gebührt und wo sie sich entfalten durften und v.a. wo auch nicht, ist etwas, das Stück für Stück aufgeweicht und im Gegenzug Freiheiten erkämpft werden mussten. Nicht nur von den Frauen, sondern auch von gerecht denkenden Männern, die das unterstützten. Der gesellschaftliche rollback hat jedoch eingesetzt. Nicht in den gesellschaftlichen Biotopen, in denen man um das Binnen-I und andere Petitessen bis aufs Blut streitet, sondern in den migrantischen Communities. Dort wird das von einigen Jüngeren sogar als besonders progressiv verstanden und verkauft: Progressiv ist, was anders ist und sei es noch so mittelalterlich. Die Absage an die westliche Emanzipation wird als „orientalische Emanzipation“ umgedeutet, von den europäischen Gesprächspartnern bequemerweise als eine Art exotischer Folklore nicht hinterfragt: Kulturrelatvismus ist, wenn man trotzdem schweigt.

Was sind das nun für Haltungen im Einzelnen? Das beginnt mit dem Kopftuch, einer ungleichen Forderung an Frauen, ihre Körperlichkeit und ihre Sexualität zu unterwerfen (den Männern, denen sie zugeordnet ist oder sich zugehörig fühlt), geht über die Absage an die Koedukation und hört erst bei völlig getrennten Lebensbereichen auf. Sofern man Frauen (und sie sich selber und gegenseitig!) überhaupt eine öffentliche Betätigung erlaubt. Frauen werden nicht als eigenständige Individuen gedacht, deren Ehre nur ihnen selber gehört und deren Entscheidungen frei sind, sondern sie werden als Männern, ihren Männern unter- und zugeordnet gedacht, deren „Ehre“ von der Schamhaftigkeit und der „freiwilligen“ Eigenbeschränkung der Frau abhängt. Der Mann selber kann völlig schamlos sein – seine „Ehre“ ist ja externalisiert, personalisiert in den Frauen seiner Familie. Frauen, die öffentlich gegen diese Regeln verstoßen, werden somit nicht nur als persönlich ehrlos betrachtet, sondern das wird auch den zugehörenden Männern zugerechnet. Wer in diesen Communities als Frau gleiche Rechte fordert, stellt die angeblich göttliche Ordnung der Dinge in Frage. Die kleine, persönliche Insubordination ist so schon Staatsaffäre. Das erklärt auch zwanglos die als Emanzipation umgedeutete Rückbesinnung bei den Salafistinnen: Da der Weg zu „westlicher Freiheit“ manchmal schon durch die Familie versperrt ist, vielleicht auch durch persönliche Neigung abgelehnt wird, werden „gleiche Rechte“* dadurch erreicht, dass Schamhaftigkeit und Keuschheit auch von den männlichen Mitgliedern der Familie gefordert wird: Mehr Religion geht immer.

Wer vertritt diese Haltungen hier in Deutschland? Das mag von manchen Hindus ebenso vertreten werden wie von manchen Sikh und durchaus von manchen ultraorthodoxen Christen (Kirchenrecht als Binnenrecht einmal außen vor gelassen) und Juden. Gesellschaftlich relevant wird es bei den konservativen muslimischen Verbänden. Üblich ist es von den Ahmadiyya bis hin zu den Salafisten. Da besteht ein breiter Konsens, auch wenn er nicht von allen Gruppierungen gleichermaßen auf die Fahne geschrieben wird.

Die Ahmadiyya sind – das ist wenig bekannt – für eine ganz strikte Geschlechtertrennung, auch wenn bei den Veranstaltungen auffällt, dass fast nur Ahmadiyya-Männer anwesend sind. Fragt man nach, sind die entsprechenden Damen immer schwerstens beschäftigt. Alle haben irgendwie immer alternativ zu tun… Anscheinend arbeiten die Ahmadiyya-Frauen viel, viel mehr als die Männer, könnte man spaßhaft nachfragen. In Wahrheit ist dies jedoch ein Notlüge, denn man wird als besuchende und interessierte Frau auch schon mal an den „Katzentisch“ der Ahmadiyya-Frauen verwiesen. Man darf das nicht als freundliches Angebot mißverstehen wie die Offerte in einer politischen Partei, man könne doch *auch* beim Frauenverband aktiv werden. Das ist ernst gemeint und – das ist der Knackpunkt – als ausschließliche Zuordnung. Da gehört man hin und da soll man gefälligst auch bleiben. Kooperation von Männern und Frauen gibt es nur bei Unabdingbarem wie einer gewollten, andersgerichteten Außenwirkung. Detailliert kann man das im link unten wie auch in anderen Predigten und Reden der Oberhäupter der Gruppierung nachlesen

„Beginnend mit einem Entwurf über die Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft, ist es dem Islam zufolge unabdingbar, alle Maßnahmen zu ergreifen, um Keuschheit, Treue, Beherrschtheit und eine einwandfreie Lebensführung zu fördern. Eine Betonung keuschen Lebensstils, wohlabgeschirmt gegenüber den Gefahren eines Kurzschließens des Geschlechtstriebs, ist ein wichtiges Merkmal islamischer Gesellschaftsordnung. […] Der Gedanke der Frauenemanzipationsbewegung spiegelt in keinster Weise eine fortschrittliche Entwicklung menschlicher Gesellschaftsform wider. […] Tatsächlich steht die Frage von Vermischung oder nicht innerhalb einer Gesellschaft in überhaupt keinem Zusammenhang mit der Fortschrittlichkeit oder Rückständigkeit einer Zeit. “

Dies und anderes Totalitäre hier:

http://www.ahmadiyya.de/islam/die-frau-im-islam/geschlechtertrennung-im-islam/

Sie sind der Meinung, es nicht der persönlichen Entscheidung überlassen zu dürfen, ob man seinen Trieb unter Kontrolle halten will oder auch nicht. Da muss dringend nachgeholfen werden, dafür gesorgt werden, dass das Individuum nicht gegen die angeblich göttlichen Regeln verstößt. Die eigene Unterwerfung wird projiziert und zur gesellschaftlichen Regel erhoben. Unter dem Nabel endet spätestens die Freiheit**.

Zur Verhinderung dieser Freiheit gibt es dann den Frauenverband bis hin zum eigenen TV-Sender. Schon Kindergruppen sind getrennt.

Ähnlich ist die Haltung anderer konservativer muslimischer Verbände. Auch dort wird neben dem Kopftuch die Genderapartheid gefördert und gefordert. Eigene Eingänge für Frauen in der Moschee, eigene Angebote, gesonderte Aufgaben. Alles so getrennt wie möglich. Deswegen reicht auch die Teilnahme mit Burkini am Schwimmunterrricht nicht; das Mädchen sieht immer noch halbnackte Jungen und man könnte ja einen unbefangenen Umgang miteinander gut finden und erlernen. Das gilt es dringend zu verhindern.

Natürlich geht diese Linie hin bis zu den Salafisten. Auch die wollen nicht die freie Wahl des Geschlechts- und Ehepartners, nicht mal den normalen sozialen Umgang. Freude am anderen Menschen, am anderen Geschlecht ist Mangel an Gottesfurcht und sie brauchen sehr viel Furcht, damit sich die Schäfchen unterwerfen. Dieser normale Umgang schon wird also in verklemmter Weise verboten und verteufelt. Das bringt jedoch erst die ständige Beschäftigung mit Sexualität, weil die Verbote kaum einzuhalten sind und schon kleinste Impulse kontrolliert werden müssen. Implementierung eines Überichs als eigene Gedankenpolizei, die buchführenden Engel immer auf den Schultern: Die imaginierte und suggerierte totale Kontrolle als Machtinstrument. Dagegen war der Große Bruder ein Waisenknabe.

 

 

Wenn diese Haltungen also – mal mehr, mal weniger offen transportiert – so weit verbreitet sind, fragt sich, warum das gesellschaftlich noch nicht so breit wahrgenommen wird. Das wird es nicht, weil weibliche Lobbyistinnen fröhlich und beherzt Unterwerfung als Emanzipation verkaufen. Das geht von Büchern wie „Unter dem Schleier die Freiheit“ bis hin zu eigens entsandten Personen, die diese Umdeutung propagieren und dann treuherzig im persönlichen Gespräch fragen, ob man sie für eine unterdrückte Frau halte. Das ist natürlich Masche und Marketing und baut auf die persönliche Hemmung, das der betroffenen Person nicht ins Gesicht sagen zu wollen.

Am perfektesten ist das aktuell in Saudi-Arabien umgesetzt. Das ist leider die Ausprägung des Islams, die aktuell allerorten immer mehr Einfluß gewinnt.

Tatsächlich verläuft bei den Frauenrechten eine wichtige Demarkationslinie unserer Gesellschaft, denn es gibt weitere Gruppen Menschen, die in diesen Denksystemen herabgestuft werden. Homosexuelle z.B. oder Atheisten. Man kann diese Unterwerfung bei Frauen auch als Indiz nehmen: Wer das akzeptiert, schon bei sich selber (und das nicht nur aus privater Frömmigkeit, Gewohnheit oder persönlicher Präferenz, sondern wissentlich als soziales Signal gebraucht), wird auch eher dazu neigen, die anderen Abwertungen im Gepäck zu haben. Das heißt konkret, unbedeckte Frauen für Schlampen zu halten, Homosexuelle für Sünder, Atheisten für Frevler und Wissenschaftler für gotteslästerlichen Abschaum. Wer für Genderapartheid ist, ist auch für religiöse Apartheid, da das den gleichen Hintergrund und die gleiche Herleitung hat. Und ist dann oft auch für die tradierten Strafen, weil auch diese im Grunde für angemessen und göttlich legitimiert zu halten sind. Zumindest muss man da nachfragen. Nachfrage ist legitim, weil es der einzelnen Person die Möglichkeit gibt, sich zu positionieren in diesem Spektrum.

Es gibt also gute Gründe, die Genderapartheid nicht nur als dem GG widersprechend zurückzuweisen. Es ist eine Form, den Anfängen zu wehren.

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* So gleich ist es dennoch nicht: Erbrecht und Heiratsbeschränkungen werden meines Wissens nach nicht hinterfragt, obwohl z.B. die Zahl der Ehemänner NICHT spezifiziert ist in den Schriften. Könnte man ja auch mal andenken.

** „Unter dem Schleier die Freiheit“ ist das Buch der Ahmadiyya und Journalistin Khola Maryam Hübsch.

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