Der demokratische Rechtsstaat funktioniert innerhalb bestimmter und festgelegter Grenzen: Gesetze werden in den Ausschüssen der jeweiligen gesetzgebenden Organe ausgearbeitet, vorgeschlagen und vom gewählten Parlament nach den vorgesehenen Lesungen beschlossen. Dieses Recht gilt entsprechend bestimmter Regeln (z.B. im Strafrecht keine Strafe ohne Gesetz, Analogieverbot).
Natürlich muss dieses Recht dann auch Anwendung finden. Gegen und für alle Bürger gleichermaßen, angemessen und im Sinne des Gesetzes umgesetzt, im Bemühen, aus Recht Gerechtigkeit werden zu lassen im besten Falle.

Bild: https://www.thebureauinvestigates.com/2012/11/01/special-advocates-the-faces-of-secret-justice/
In letzter Zeit waren immer wieder Fälle zu lesen, in denen Recht überraschend keine Anwendung fand. Als Begründung wurde manchmal genannt, dass man der Vielzahl der Fälle nicht Herr werde und deshalb gezwungen sei, zu… priorisieren, möglicherweise beispielhaft:
„Im Oktober des vergangenen Jahres einigten sich die Polizei in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt Kiel und die Staatsanwaltschaft offenbar darauf, kleinere Diebstähle und Sachbeschädigungen durch Flüchtlinge, die keine Papiere vorweisen können, nicht zu ahnden. Laut einem internen Protokoll, über das die Zeitung „Kieler Nachrichten“ und die Deutsche Presse-Agentur berichten, gab es am 7. Oktober eine Absprache „hinsichtlich des Umgangs mit strafrechtlich auffälligen Flüchtlingen, deren rechtmäßige Personalien nicht eindeutig feststehen“.“
Das Recht gegen Straftäter unter den Flüchtlingen wird also nicht in gleicher Weise umgesetzt wie gegen andere Bürger. Das schafft neben erheblichem und berechtigtem Unmut auch Legitimationsprobleme: Mit welchem Recht werden gleichartige Delikte dann von anderen Personen verfolgt? Muss die Menge an Rechtsbrechern nur groß genug sein, damit sich der Rechtsstaat in Teilbereichen schon auflöst? Ein ähnliches logisches Muster wird immer wieder bei den Btm-Delikten vorgeführt: Die Verfolgung minder schwerer Delikte in diesem Bereich sei schlicht zu arbeitsaufwendig, deshalb solle man diese Delikte doch vielleicht gar nicht mehr ahnden? Richtiger wird diese Argumentation dadurch nicht.
Auch an den Verwaltungsgerichten ist Land unter. Nachdem letztes Jahr schon Hilferufe der Hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit verhallten, liest man dies auch aus anderen Bundesländern. Aktuell:
„Die Verwaltungsgerichte des Landes NRW sind immer stärker mit Asylverfahren ausgelastet. In 2015 stieg die Zahl der Fälle an den sieben Verwaltungsgerichten des Landes um 37 Prozent auf über 21.000. Damit beträgt der Anteil der Asyl-Streitigkeiten gut 40 Prozent aller verhandelter Fälle (52 350).“
Mag man diese Vorgänge noch als minder schwer beurteilen, so stellt sich spätestens bei der Unterstützung von Terror die Lage anders dar: Das sind Handlungen, die ein Gemeinwesen nicht mehr hinnehmen kann, will es sich nicht schutzlos preisgeben. In den vergangenen Jahren wurde sukzessive die Schwelle im Strafrecht gesenkt, ab wann beteiligte Personen sich tatsächlich strafbar machen. Das war leider notwendig. Da aber der Grundsatz gilt, keine Strafe ohne Gesetz, sind die Wirkungen nur in der Zukunft, nach Inkrafttreten zu erwarten. Vorherige Täter genau derselben Tat gehen straflos aus, wenn sie nicht wieder in gleicher Weise handeln. Aktuell ist eine Frau, die in Syrien mindestens einen Kämpfer, ihren Mann, unterstützte und diesem sogar noch eine Zweitfrau unter dem Pseudonym „Umm Dschihad“ gleichsam besorgte, straffrei ausgegangen. Das Verfahren gegen sie wurde eingestellt:
Dort stellen sich jedoch allerlei Fragen:
„Eine weitreichende Entscheidung wie sich nun zeigt. Auf Anfrage von hr-iNFO erklärte die Staatsanwaltschaft Frankfurt, dass das Ermittlungsverfahren gegen die Frau aus Hessen eingestellt wurde. Sie verweist dabei auf „die tragende Rolle“ des BGH-Urteils.“
Schon im Fall der anderen Frau, deren Betätigungen vom BGH als nach dem § 89a StGB nicht zu bestrafen betrachtet wurden, irritierte, dass der § 129 StGB keine Erwähnung fand. Die Vorschrift mag schlecht definiert sein und natürlich darf das nicht dazu dienen, in Strafwillen nun beliebig diesen Paragraphen auch noch zu dehnen. Bei Männern, die auch nur Hilfsdienste verrichtet hatten, d.h. Kämpfer versorgt, Botendienste etc. wurde er jedoch schon angewandt. Und – er ist geltendes Recht, auch wenn dies hinsichtlich der Anwendung nicht immer eine Rolle spielen mag (s.d.a. Art. 18 GG, der bislang noch nie Anwendung fand). Schon der Name, den sich die Frau selber gab „Umm Dschihad“ (Mutter des Kampfes etwa) deutet in eine andere Richtung als die, die man jetzt wohl zum Vorteil der Frau annahm: So nennt sich keine Frau, die Waffen nur zur Selbstverteidigung einzusetzen gedenkt. Für „Dschihad“ gibt es einige Bedeutungen. Notwehr ist nicht darunter. Hinweise darauf, dass „Umm Dschihad“ den Dschihad sein lassen will und auch ihren Kindern nicht als Berufswahl Märtyrer vorschlagen, sind nicht an die Öffentlichkeit gedrungen.
In diesem aktuellen Fall wurde ein Haftbefehl ausgesetzt, weil wohl zu viele Fälle gleichzeitig vorliegen und die zuständige Kammer keinen Termin fand. Der Mann war zwar nicht in Untersuchungshaft, hatte aber, weil er unter erheblichem Verdacht steht, Auflagen zu erfüllen. Diese entfielen nun.
„Die Staatsschutzkammer des Landgerichts hat diese Anklage bereits zugelassen, aber noch keinen Prozess terminiert, weil sie unter anderemwegen des Verfahrens gegen den mutmaßlichen Bombenbauer aus Oberurselso stark belastet ist. “
Die Neigung könnte also vorhanden sein, manche Verfahren erst gar nicht zuzulassen bzw. das Recht in die andere Richtung zu dehnen: Bei dieser Kammer einstellen, was nur irgend geht, auch wenn Verdacht und Handlungen und auch Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung in eine andere Richtung gehen.
In der Gesamtschau stimmt es nachdenklich, wenn die Anwendung des Rechts bei manchen Delikten und Tätergruppen an zu dünner Personaldecke scheitern sollte. Das verstehen die Bürger nicht mehr, die selber in ihren Belangen auf einen Rechtsstaat treffen, der z.B. bei banalen Parksünden und anderen kleinen Ordnungswidrigkeiten zur Höchstform aufläuft. Schon dieses Unverständnis schafft Entfremdung und weniger Identifikation mit unserem Gemeinwesen. Auf lange Sicht schadet das uns allen.
Über zwei Syrien-Rückkehrer, die wohl nicht an Kampfhandlungen teilnahmen:
Ein Tagesschau-Bericht zum Thema:
https://www.tagesschau.de/inland/bgh-urteil-syrien-101.html
Die BGH-Entscheidung: