Der unterschätzte Gegner

Nach den gestrigen Anschlägen in Brüssel wird wieder kollektiv laut nachgedacht: Was ist es, das diese jungen Menschen antreibt?

Ganz wichtig: Wir sehen jetzt nur die Täter. Die Unterstützer-Szene denkt jedoch genauso und es fehlt nur entweder eigener Antrieb oder Befehl. Der Sympathisantenkreis ist leider viel größer als wir uns das hoffen können, wie sich nicht nur in den sozialen Netzwerken spiegelt. Rechtfertigungsmuster wie „Rache für xyz“ machen die Runde, klammheimlich freut sich mancher.

Wer sich noch nie mit Menschen unterhalten hat, die sehr ähnlich strukturiert sind wie die aktuellen Täter, mag tatsächlich rätseln und hilflos sein. Zu fern ist das autoritäre Denken, zu groß auch die Eitelkeit, mit genügend Wissen werde sich das von selber geben. Zu verführerisch einfach ist die Vorstellung, die Ursache liege alleine in ungenügender wirtschaftlicher Partizipation oder dem mangelnden Zugang zu Bildung. Sicher ist dieser einfache Zugang auch der Realpolitik geschuldet, denn gegen diese Umstände kann Politik direkt wirken.

Chancengerechtigkeit ist tatsächlich für alle Kinder zu fordern.

Doch diese senkt nur leicht die Wahrscheinlichkeit, Mitläufer zu werden. Gleiche Chancen müssen auch genutzt werden und auch nicht jeder, der diese gleichen Chancen nutzt oder schon genutzt hat, empfindet diese Möglichkeit als Geschenk oder ist der Gesellschaft dankbar. Dankbarkeit für etwas empfunden kostenloses, bei dem man sich auch selber bemühen muss, wird von manchen nicht gefühlt. Oder mancher schreiben es falsch zu, indem er weltliche Vorzüge dem jeweiligen Gott dankt.

Das Angebot unserer Gesellschaft ist – im Ideal – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Doch mit Freiheit sind viele überfordert, denn sie ist geknüpft an eigene Wahl, eigene Verantwortung. Selbstorganisation kann man zwar erlernen, sie erfordert jedoch wiederum Disziplin. Einfacher ist, Verantwortung abzugeben, die eigentlich eigene Wahl an andere Menschen abzugeben oder sich als Teil eines Plans zu sehen. Ein fester Platz im Universum, die maximal mögliche, eine irreale egozentrische Sicht. Diese Art der Egozentrik gibt einen klaren Sinn vor. Ein vorgegebener Sinn ist leichter anzunehmen, als sich selber Sinn zu schaffen. Fundamentalistisch ausgelegte Religion bietet sich dort an, denn sie offeriert, bei relativ kleinen Einschränkungen, sofort einen Sinn: Das reale Leben ist nur Bewährungszeit, bei Einhaltung bestimmter Regeln, die die Freiheit einschränken mögen, winkt aufgeschoben eine sehr große Belohnung. Verstärkend kommt bei fundamentalistischen Religionen die Strafandrohung hinzu. Dem, der seine Freiheit nicht „freiwillig“ einschränkt, droht die maximale Bestrafung.

 

 

Gleichheit wollen manche nicht, weil sie der Meinung sind, im Grunde einer Elite anzugehören. Auch hier bieten sich fundamentalistische Sichten an, denn diese sind meist mit einem überragenden Dünkel verknüpft. Die eigene Gruppe wird aufgrund nur einer, meist mit wenig Anstrengung verknüpfter Eigenschaft als in allen Dingen überlegen wahrgenommen (eine Gemeinsamkeit von Faschismus, Stalinismus und Islamismus). Gruppenbezogene Überheblichkeit ist ohne gruppenbezogene Abwertung nicht denkbar. Diese Eigensicht mag mit realen Gegebenheiten jedoch kollidieren: Wer sich als Elite wähnt, real jedoch sehr viel Arbeit investieren müsste, um das Wirklichkeit werden zu lassen oder zu wenig Antrieb oder Talent hat, um dies umzusetzen, steht vor einem Problem: Selbstempfunden „Topdog“, real „Underdog“. Und auch die Bemühung ist keine Garantie, tatsächlich „Topdog“ zu werden. Der so Strukturierte wird Gleichheit als ungenügend empfinden. So Strukturierte können das auch auf die Gruppe übertragen. Selbst wenn sie selber es „geschafft“ haben in der westlichen Gesellschaft, so wähnen sie doch „die Ummah“ unterdrückt, verkennend, dass Personen niedrigen Bildungsstand und niedrigen eigenen Antriebs es immer schwerer haben, stammen sie nun aus Anatolien oder Niederbayern. Dem Niederbayern wird dies jedoch eher persönlich zugerechnet. Im Bild beispielhaft Anjem Choudary, britischer Anwalt. Seit seiner fundamentalistischen Erweckung bzw. Rückbesinnung ist Choudary einer von Europas radikalsten und deutlischsten islamistischen Vordenker. Er schien integriert, kam jedoch mit etwa 40 zu dem Schluss, dass das nicht genug ist. Seither propagiert er die unausweichliche Herrschaft seiner Islam-Auslegung.

Wer nun meint, diese grundsätzlichen Differenzen seien mit wirtschaftlicher Partizipation zu beheben oder mit nur genügend Bildung völlig zu beseitigen, geht also fehl. Das senkt bestenfalls die Wahrscheinlichkeit, indem sie die persönlichen Freiheitsgrade vermehrt. Das ist jedoch kein Patentrezept. Es ist die Eitelkeit einer eurozentrischen Sicht, die Freiheit positiv bewertet und sich – im Ideal – an Gleichheit orientiert, zu glauben, absolut jeder müsse sie vorziehen. Viele, die nach Partizipationsgrad und Bildungsstand völlig integriert scheinen, lehnen jedoch Freiheit, Gleichheit und Demokratie ab, s. BMI-Studie. Es sei auch der Hinweis erlaubt, dass sich relativ untereinander diskriminierungsfreie (gleiche ökonomische Verteilung, ähnliche soziale Schichtung, vergleichbarer Bildungsstand), aber ideologisch getriggerte Gesellschaftsanteile in anderen Ländern trotzdem bis wahrhaft aufs Blut bekämpfen können. Die uns ungewohnt scheinende Verquickung von Politik mit religiöser Überhöhung ist in vielen Ländern real beobachtbar. Das Problem ist die Ideologie.

Natürlich können wir Freiheit und Gleichheit nur anbieten. Wir müssen jedoch realisieren, dass diese Form von Brüderlichkeit von nicht wenigen ideologiegetriebenen Personen ausgeschlagen wird: Sie wollen schlicht nicht Bruder sein von Menschen, deren Freiheit ihnen verderbt und strafwürdig erscheint und deren Gleichheitsgedanken sie in Frage stellen. Hierarchisch und autoritär strukturierten Personen werden sich, weil Religion diese einfache Möglichkeit des narzisstischen Gewinns offeriert, einfach diese Aufwertung zusätzlich zuordnen. Sie werden autoritär agieren, sofern sie eine Möglichkeit sehen.

Wer Freiheit nicht will und Gleichheit ablehnt, gibt also nichts auf Brüderlichkeit mit jenen, die er als verdorben und unterlegen ansieht (das gilt sogar schon für miteinander verstrittene muslimische Strömungen untereinander). Wer einen anderen nicht heiraten, nicht lieben darf, ihn nicht einmal als Freund nehmen darf, wird da nicht diffus und allgemein brüderlich sein wollen. Wer nicht gelernt hat, dass Empathie jedem Menschen zu gelten hat, selektiert da vielleicht. Wer die „Ungläubigen“ so einordnet oder einzuordnen gelernt hat, ist nur untereinander Bruder. Bei fundamentalistischer Herleitung wird daraus dann die völlige Abwertung, „Höllenfutter“ ist persönlich bedeutungslos, allenfalls hinderlich auf dem Egotrip ins Paradies. Das Selbstmord-Attentat ist die maximale Unterwerfung unter diesen Gedanken, das ist kaum Opfer in der Binnenlogik, sondern Privileg. Es gilt die höchste Stufe im Paradies für die Ewigkeit zu gewinnen.

Das ist auch die Logik dahinter, dass meistens keine konkreten Forderungen gestellt werden, denn der Anspruch ist zugleich egozentrisch und ganzheitlich. Es wird alles auf das banale Aktion-Reaktions-Schema reduziert, oder auf Handlung und Rache wenn man so will.

Die Abkehr vom eigenen Rache-Gedanken ist zwar alternativlos im Rechtsstaat, dieser darf jedoch nicht reaktionslos sein. Eine zu wenig wahrnehmbare Gegenreaktion und Milde wird nicht gespiegelt, sondern – autoritäre Strukturierung – als Schwäche gedeutet. Schwäche gegenüber IS-Sympathisanten und anderen, die wie sie strukturiert sind, bedeutet aber im Zweifelsfall einfach nur den Tod. Auch wenn man den Kreis durchbrechen mag und auch wenn man autoritäre Handlung verabscheut, so zwingt doch die Art der Strukturierung des Gegenübers eine deutliche Gegenreaktion auf. Rechtsstaatliche Gegenreaktion, so weit wie das möglich ist, und Ursachenbekämpfung.

Wer diese Binnenlogik nicht nachvollziehen kann, wird den Gegner immer unterschätzen. Er wird die Größe der Unterstützer-Szene unterschätzen, er wird die Größe des Sympathisanten-Kreises unterschätzen, er wird den Umfang der gesellschaftlichen Herausforderung zu klein denken. Aus dieser Verkennung erwachsen dann Fehleinschätzungen wie Appeasement oder Ignorierungs- oder Duldungs-„Strategien“ gegenüber den weiteren Sympathisanten-Kreisen und Fundamentalismus oder auch der Umstand, dass man in Molenbeek nicht beherzt genug suchte. So traurig das sein mag: Wer sich dafür entscheidet, nicht Bruder sein zu wollen, sondern Herrscher sein will und sich wie ein Feind verhält, muss mit aller rechtsstaatlichen Gegenwehr rechnen. Mit einem rechtlichen Instrumentarium, das ggf. den aktuellen Herausforderungen, die langfristige Querschnittaufgabe bleiben werden, angepasst werden muss. Freiheit, demokratische Gesellschaft und die Sicherheit der Menschen in dieser Gesellschaft müssen vor solchen Personen geschützt werden.

 

 

Anhang:
Als kleines Beispiel die eigene Beschreibung eines fundamentalistischen Pierre Vogel-Anhängers von einer polizeilichen Aktion. Man sieht sich und stellt sich dar als normale Muslim, nimmt Deckung als fundamentalistischer Verfassungsfeind und ist völlig uneinsichtig:

Reaktion Szene PV 160323

 

Quelle: https://www.facebook.com/sabranyahooralayn2/?fref=nf

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