Das Grauen der Wölfe

Über die ATIB und Marketingprobleme

Die „Union der türkisch-islamischen Kulturvereinein Europa“ (ATIB), einem Derivat der stramm türkisch-nationalistischen „Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.“ (ADÜTDF) umgangssprachlich der Grauen Wölfe, war in den letzten Wochen mehrfach im blog Thema. Befördert wurde das durch eine erhöhte Eigenaktivität und die Wahl der Mitstreiter. Nach Neuwahlen beim Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD),  durch die die ATIB eine größere Rolle spielen wird im Dachverband, besteht ein relevantes öffentliches Interesse daran, was diese Gruppierung macht. Als öffentlicher Akteur ist es jedoch hinzunehmen, dass es nicht nur gute Kritiken gibt, sondern auch Nachfragen und Bedenken. Das ist normal, das gehört zentral zur Meinungsfreiheit.

 

[Nur einmal als Beispiel für eine durchaus üppig geplante und ausgestattete ATIB Moschee, sicher eines der Flaggschiffe: die ATIB Moschee in Darmstadt. Man hat übrigens auch eine Reise und Handels GmbH beim Verein.]

 

Aktuell möchte die ATIB die Meinung aber so frei wohl nicht sehen. Zumindest nicht die fremde Meinung oder Sichten, die ein wenig kritischer sind. Sie hat derzeit eine Stellungnahme ihres Vorsitzenden Ihsan Öhner auf ihre Homepage eingestellt. Bei dem Text irritieren sowohl Anlass als auch Inhalt. Behauptet wird eine Diffamierungskampagne in den letzten Wochen. Google News geben dazu nichts Einschlägiges her, es sollte sich somit um eine Reaktion auf Beiträge dieses blogs und auf Kritik auf einer facebook-Seite („Anti Jürgen Todenhöfer“ wohl) handeln.

Der Verweis auf ihre Geschichte wird schon als „Diffamierung“ demnach empfunden. Dass die ATIB diese beschriebene Herkunft hat, nämlich eine Parallelbildung aus abgespaltenen ADÜTDF-Vereinen zu sein, ist niemandem anzurechnen denn der ATIB selber:

Durch die Abspaltung des religiösen Flügels unter Musa Serdar Çelebi, dem etwa die Hälfte der Mitglieder in den neuen Verband ATIB folgte, hat die ADÜTDF einen starken Mitgliederschwund zu verzeichnen. Die Mitgliederzahl dürfte heute bei 5.000 bis 6.000 liegen. […] Die Imame der von der ATIB betriebenen Moscheen sind teilweise Religionsbeamte der türkischen Anstalt für religiöse Angelegenheiten, deren Gehalt zum Teil vom türkischen Staat, zum Teil von der Organisation bezahlt wird.

http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/engagementtuerkisch/1-Einleitung/1-4-verbaende,did=44816,render=renderPrint.html

Die Namensgleichheit zum neuen Stellvertreter Mazyeks, der Herren Celebi, ist kein Zufall.

Sachlich zutreffende und belegte Einordnungen, zwei, drei blog-Beiträge und einige Beiträge auf einer Facebook-Seite* werden erstaunlicherweise als „Kampagne“ bezeichnet und bemängelt. Die Benennung einiger Akteure wird wohl – obwohl diese öffentlich auftreten und muntere Selfies von sich machen beim Kungeln – nicht gern gesehen. Die Selfies waren wohl nur für die eigene Klientel. Warum man sie dann allerdings in den sozialen Medien teilt und nicht der familiären Dia-Show vorbehält, bleibt das Geheimnis der Protagonisten. In der Mehrheitsgesellschaft mag man das dem Anschein nach nicht so gerne sehen und vor allem möchte man wohl nicht, dass die Ausrichtung und die Verbindungen frei thematisiert werden. Meist kommt man damit durch, die ATIB wird selten in den Medien erwähnt. Die Akteure haben da weniger Scheu. Die Kluft zur Mehrheitsgesellschaft ist bei so einigen Akteuren sicher kontextabhängig, sie können durchaus in und zur Mehrheitsgesellschaft hin. Neo-Moslems. Man hat eine Ausbildung gemacht, man hat studiert. Aber die eigene Agenda – da bleibt man dem Anschein nach eher unter sich und Gleichgesinnten. Das ist prinzipiell legitim, wie bei anderen Gruppen auch. Anmerken darf man es trotzdem, auch das ist statthaft. Der Eindruck drängt sich auf: Integration bei Unwichtigem und in andere Gruppen und Organisationen, auch Parteien hinein. Segregation bei Wichtigem, Familie und eigene Politik.

In der Außendarstellung hätte man das jedoch dem Anschein nach gerne so gefällig wie möglich. Eine Außendarstellung, die relevante Fragen ausblendet. Das ist leicht, denn im Integrationsbereich gibt es mehr Wohlmeinende (das ist nicht abwertend gemeint) denn fundiert Informierte. Das funktioniert also meist, denn kritische Nachfragen sind nur von wenigen zu erwarten.

Um das schöne Marketing auch durch Petitessen nicht zu gefährden, gibt man denn aktuell diese Stellungnahme ab, hier ein Auszug:

ATIB Vorsitzender Ihsan Öhner: Stellungnahme der ATIB zu den diffamierenden Anschuldigungen

In den vergangenen Wochen wurden erneut kampagnenartig Falschberichte über die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V. (ATIB) gestreut. ATIB wurde besonders in den sozialen Netzwerken in einen direkten Zusammenhang mit den sogenannten „Grauen Wölfen“ gebracht.

Die ATIB stellt unmissverständlich klar, dass es keinerlei organisatorische oder ideelle Verbindung zu den „Grauen Wölfen“ gibt. ATIB verurteilt jede verfassungsfeindliche und nationalistische Ideologie. Als eine in Deutschland verortete Religionsgemeinschaft distanziert sich ATIB von jeglichem menschenverachtenden und rassistischen Gedankengut und bejaht die Vielfalt in Deutschland.

Wir als ATIB laden Politik und Gesellschaft ein, sich ernsthaft mit der Materie auseinanderzusetzen. Das ist besser als voreilige Schlüsse zu ziehen und möglichen Falschbehauptungen zu folgen. Denn gerade in Zeiten eines aufblühenden Rechtsextremismus und religiös begründeten Radikalismus tragen wir gemeinsam die Verantwortung miteinander zu sprechen, um auch gemeinsam die Herausforderungen für unser Land zu meistern.[…]

Das Zusammenleben von verschiedensten Ethnien und Religionen im traditionellen Islam und im Osmanischen Reich sowie der Islam als Garant dieser Toleranz und des Miteinanders ist eine wichtige Grundlage unserer Geisteswelt.

http://www.atib.org/de/content.php?baslik=haberler&detay=Stellungnahme-der-ATIB-zu-den-diffamierenden-Anschuldigungen

Der direkte Zusammenhang ist belegt. Wie weit er „nur“ organisationshistorisch ist oder prinzipiell und normativ, ist zu prüfen.

Die Geisteswelt, wie es der ATIB-Vorsitzende so schön nennt, des Osmanischen Reiches ist denn doch eine sehr, sehr andere. Es ist bekannt, dass in manchen Kreisen das osmanische Reich und Al-Andalus (Reiseziel ATIB-Jugend neulich) verklärt werden. Vergangene Größe bringt ins Schwärmen, wenn man meint, die islamische Kultur müsse in dieser Weise wiedererstehen, da man sich wohl eben nicht einfügen möchte als Gleicher unter Gleichen. Es entlarvt aber, wenn man die angebliche „multikulti“-Atmosphäre des Osmanischen Reichs preist, noch mehr. Weniger Spock, mehr Sultan Selim ist da im Sinn. Es zeigt auf, dass es um die Gestaltungsmacht geht, wer die Regeln für alle festlegt. Im Osmanischen Reich waren dies islamische Regeln. Dazu gibt es auch viele andere Mythen über das Zusammenleben. Vielleicht wurde der Christ, Jude, Feueranbeter im Osmanischen Reich nicht verachtet. Vielleicht wurde er sogar hoch geschätzt: Als Untergebener, Sklave und erst als Konkubine!

[Interessantes dazu auch: http://www.katholisches.info/2015/02/21/sklaverei-im-islam-islam-und-gewalt-11/]

Den gleichen Rang in der Breite gab es trotz aller Anekdoten nicht.

Diese Rückbesinnung auf vergangene Großmachtzeiten, der Wunsch nach dem islamischen Primat, das eint so manche fundamentalistisch organisierte Türkischstämmige von den Gülen-Anhängern bis hin zur ADÜTDF. Die Erhebung und Erbauung, die die Person dadurch empfindet, ist so überaus komfortabel von persönlicher Leistung abgekoppelt, der Traum so schön und von Geschichtskenntnissen oft ungetrübt. Sklavenhaltung? Da findet sich doch vielleicht etwas Brauchbares an alternativer Geschichtsschreibung bei Fuat Sezgin.

 

Geschäftsreise? Rechts Muhsin Senol, UETD-Funktionär (mit Kind, Hessen-Vorsitzender, siehe: http://uetd-hessen.de/?team=muhsin-senol), Celebi, Güvercin, Dikci in der ultrakonservativen Sehitlik-Moschee in Berlin (DITIB). Die UETD ist gewissermaßen die Auslandsvertretung der AKP.

 

Die Distanzierung von allerlei ist denn auch wohlfeil. Verfolgte man keine eigene Agenda, so wäre es, bei so viel Nähe zum türkischen Staat folgerichtig, man löste sich auf, schlösse sich einfach der DITIB an. Das wäre sicher weniger aufwendig und hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten hier wie da vorteilhafter. Das kostete aber den Preis der Struktur, die man mittlerweile aufgebaut hat in der Zeit, als ATIB und DITIB politisch noch weiter entfernt waren als heute. In einem sind sich türkischstämmige und autochthone Funktionäre aber sicher ähnlich: Gib niemals eine gebildete Struktur auf, denn ob dein Einfluß in der neuen der gleiche sein wird, ist ungewiss.

Zu dem, was der ATIB-Vorsitzende als Diffamierung bezeichnet, als angeblich falschen Zusammenhang, meint der hessische Verfassungsschutz, übrigens ein empfehlenswerter kurzer Text zum Spektrum der „Grauen Wölfe“:

Neben der ADÜTDF existieren weitere Organisationen, die dem türkischen Nationalismus der
„Grauen Wölfe“ zuzurechnen sind, insbesondere die „Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa“ (ATIB) und der „Verband der türkischen Kulturvereine in Europa“ (ATB)2. Diese
beiden Organisationen weisen gemeinsam mindestens ebenso viele Mitglieder auf wie die ADÜTDF. In ihrer Gliederung bestehen sie jeweils aus lokalen Vereinen, in denen die Ideologie der „Grauen Wölfe“ gepflegt und vermittelt wird.  […] Vereine und Mitglieder müssen sich jedoch die Förderung und Verbreitung einer Ideologie zurechnen lassen, deren Handlungsmotivation letztlich auf Abwertung ethnisch Anderer und Gewalt gegen Andersdenkende hinaus läuft. Das gewaltverherrlichende Moment findet sich insbesondere in einer türkischen Jugendkultur in Deutschland, die sich neben den Vereinsstrukturen zunehmend in den sozialen Netzwerken des Internet auslebt. […] Der Panturkismus der „Grauen Wölfe“ zielt auf ein Großreich über die Grenzen der heutigen Türkei hinaus. Die Orientierung am Osmanischen Reich bezieht sich auf dessen Ausdehnung und Stärke, allerdings nicht auf dessen ethnische Vielfalt. […]

Keine Integrationsfördermittel für türkische Nationalisten.

Klicke, um auf Graue_Woelfe_Internet_0_0.pdf zuzugreifen

Und aus einer schriftlichen Anfrage an die bayerische Landesregierung vom letzten Oktober:

Die ATIB unterliegt der Beobachtung durch das BayLfV.

Klicke, um auf 17_0007902.pdf zuzugreifen

Das mit der Geschichtsklitterung wird also nichts.

Es steht selbstverständlich frei, auf Kritik mit Gegenkritik oder Stellungnahmen zu antworten. Vielleicht sollte man in einer freien Gesellschaft aber lernen, mit solchen Kleinigkeiten wie Kritik etwas entspannter umzugehen. Kritik erscheint als das kleinste Problem, das die ATIB hat.

 

 

* Beispielhaft:

 

Schlußbemerkung:
Der Wikipedia-Eintrag zur ATIB scheint veraltet. Man sollte dort einmal Informationen wie die aus der obigen Kleinen Anfrage in Bayern einpflegen. Dies als Aufforderung an die, die bei Wikipedia zum allgemeinen Wissen beitragen. Die Allgemeinheit dankt.

Empfehlenswert ist auch dieser Artikel zum Thema ATIB:

Kuscheln mit den Grauen Wölfen

Aktualisiert 20.05.2016

2 Gedanken zu „Das Grauen der Wölfe

  1. Ein Nachtrag in eigener Sache‘:

    Herr Güvercin behauptet seit gestern auf seiner facebook-Seite, ich hätte vor einem Interview von ihm beim domradio angerufen und mich über ihn ausgelassen.

    Das entspricht nicht der Wahrheit.

    Da ich wegen dieser Falschaussagen von Herrn Güvercin Belästigungen ausgesetzt bin, habe ich HEUTE beim domradio angerufen. Dort habe ich gebeten, Herrn Güvercin noch einmal unmissverständlich klar zu machen, dass nicht ich der Anrufer war.

    Spätestens seit heute nachmittag macht sich also Herr Güvercin mitschuldig an diesen Belästigungen, da er den Irrtum nicht ausräumt, sondern weiter unterhält und befeuert.

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