Über die 15 jährige Safia, die einen Polizisten in Hannover niederstach, und die unterschiedliche Rezeption ihrer Handlung
Vor einigen Wochen stach eine 15 Jährige einen Polizisten nieder, als sie sich im Hauptbahnhof Hannover auffällig verhielt und deswegen kontrolliert wurde. Der Werdegang dieses jungen Mädchens war geprägt durch frühen Kontakt mit einem fundamentalistischen Islam. Dieser stete Kontakt führte dazu, dass sie zum IS wollte:
https://www.tagesschau.de/inland/is-safia-101.html
[Man beachte auch das Video in dem Beitrag, ebenso den Anwalt, der Safia vertritt: Mutlu Günal.]
Auch hier war der Fall – auf damaligem Kenntnisstand – schon thematisiert worden:
https://vunv1863.wordpress.com/2016/03/03/vertrauen-ist-alternativlos-skepsis-auch/
Das Mädchen sieht nun nach dem Jugendstrafrecht einem Verfahren entgegen. Sie soll sich mittlerweile bei dem von ihr verletzten Polizisten schriftlich entschuldigt haben:
„Inzwischen hat sie dem verletzten Beamten nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR einen Brief aus der Haft geschrieben, der sofort beschlagnahmt wurde; er gilt als Geständnis und damit als Beweismittel. Es tue ihr leid, heißt es darin, sie wünsche sich, das Geschehene ungeschehen machen zu können und hoffe, dass er ihr die Tat eines Tages vergeben könne.[…]
Solche Anschläge hat es in vielen Ländern gegeben, oft werden Soldaten und Polizisten als Opfer ausgewählt. Die Tatausführung ist stets einfach: ein Messer, eine Axt oder eine Schusswaffe werden verwendet. Solche „Low Profile Attacken“ gelten im Vorfeld als schwer zu entdecken, die Amerikaner nennen es den „Do-it-yourself-Dschihad“. 90 Prozent der Täter sind männlich und im Schnitt 26Jahre alt. Ein 15-jähriges Mädchen gab es noch nie.“
In Deutschland nicht, das stimmt. International gibt es natürlich schon Fälle.
Ein Beispiel:
In der islamistischen Gegengesellschaft wird das völlig anders diskutiert. Dort ist Safia ein eher unschuldiges Mädchen, dessen Tat irgendwie wie ein Missverständnis scheint. Dort wird sie eher als Opfer gesehen, als Opfer einer feindlichen Gesellschaft, die Muslime verfolgt, auch wenn sie unschuldig sind und nur irgendeinen Anlass bieten. Im Grunde ein klassischer verschwörungstheoretischer Ansatz. In diese Gegengesellschaft dringen übliche Medien kaum (noch) vor. (Andere) Kinder werden in dieser Gegengesellschaft, mit dieser Haltung zur „ungläubigen“ Umwelt und zu den Medien großgezogen. Ungläubige sind unglaubwürdig, Muslime, die sich innerhalb dieses Systems bewegen, werden wechselnd als Verräter, gekaufte Personen oder als verblendet angesehen. Die mentale Abschottung ist total, ein geschlossenes Weltbild. Das Mädchen Safia hat dort viele, viele Geschwister.
Einer der Wortführer dieser Gegengesellschaft ist Bernhard Falk, in dessen Einlassungen sich die Linien recht klar nachvollziehen lassen:
In den Kommentaren zu diesem Video auf seiner fb-Seite liest sich das so:
Es wird also deutlich, dass zu diesen Mitbürgern nur sehr schwer ein Kontakt möglich ist, da die Zuordnung von Menschen einem einfachen und pauschalen gut-böse Schema folgt und auch Information wenig neutral geprüft wird. Eine Information, die von einer Person oder Einrichtung kommt, die nicht sicher als „gut“ nach diesem Schema eingeordnet wird (ergo im fundamentalistischen Spektrum nahezu alle nichtmuslimischen Stimmen – zumindest sofern sie widersprechen; Bestätigung ist auch vom Ungläubigen immer gerne gesehen), wird abgelehnt. Insofern dringen an viele aus dieser Gegengesellschaft selbst die bestgemeinten und gut aufbereiteten Informationen aus Medien und Institutionen wie der bpb nicht vor: Die Quelle wird nicht akzeptiert. Die Inhalte können durchaus auswendig gelernt werden, aber sie dringen nicht vor.
Auf dieser Stufe verschwörungstheoretischen Denkens wird sogar die Entschuldigung des Mädchens nicht wahrgenommen, sondern allenfalls in den verschwörungstheoretischen Kontext eingebunden. Sobald sich jemand in diesen Kreis begeben hat, wird alles eingeordnet.
Dieser Kreis kann nur durch eigenen Willen gesprengt werden und indem jemand guten Willen zurückgewinnt, aus dem einfachen Schema auszubrechen. Man kann das unterstützen, indem man die Schwachstellen und logischen Brüche im verschwörungstheoretischen Konstrukt aufzeigt. Nichtsdestotrotz ist es Arbeit und ein langer Prozeß. Um so länger, je früher diese Gegenrealität zur Hauptrealität wurde und je mehr Angst und Emotionalität mit logischen Brüchen verbunden sind und die Abwehr entsprechend groß ist. Bei frühem Beginn ist die Chance klein, aber wir müssen sie in Schule und Jugendarbeit nutzen.