Mahnwache vom 04.06.2016

Von 15-17 Uhr vor dem „My Zeil“ in Frankfurt. Herzlichen Dank an die Frankfurter Polizei für den umsichtigen Schutz trotz Regens.

Unter erschwerten Bedingungen – es regnete zwischendurch länger – ergaben sich weniger Gespräche als üblich.

Eine Gruppe junger Frauen, wohl muslimischen Hintergrundes, „westlich“ gekleidet, lässt sich die Aktion erläutern. Sie fragen kritisch nach, worauf sich denn die Aufschrift „80 % der geworbenen Jugendlichen stammen aus muslimischen Familien“ bezöge, das würde doch alle Muslime als Terroristen darstellen. Ich erläutere, dass diese Zahl aus einer Untersuchung stamme, in der die Eckdaten der nach Syrien ausgereisten Personen aufgearbeitet wurden. Es ginge darum, genau diesen Personenkreis besser zu schützen vor Scharfmachern und Personen, die sie mit einem faschistoiden Feindbild ausstatteten. Das stellt noch nicht zufrieden, so dass ich die genaue Quelle (BKA, GTAZ-Auswertung, gerundet) angebe. Die jungen Frauen wolten das nachlesen. Fein.

Eine weitere Gruppe junger Frauen mit Migrationshintergrund findet die Aktion ganz schlecht, was ich denn gegen Muslime hätte? Auch dort erfolgt der Hinweis, dass es gerade darum ginge, eben jene muslimischen Jugendlichen vor der fatalen Einwirkung der Strassenradikalisierung zu schützen. Was sie denn jener Frau sagen würden, die mir einmal erzählte, sie wisse seit 1,5 Jahren nicht, wo ihr Sohn sei, ob er noch lebe, tot sei oder gar schuldig geworden? Der genau dort, wo wir stehen, in Kontakt kam mit einer Ideologie, die ihn wie in eine Sekte zog? Auch sie werden nachdenklich. Sie meinen dann, ja, davor müsse man unbedingt warnen.

Ein junger großer Mann wohl muslimischen Glaubens ruft mir im Vorbeigehen zu, ich sei wohl heute „noch nicht richtig gefickt worden, du Votze“.

 

Sie sind immer noch da – wenn auch in geringerer „Personalstärke“ wie früher (ich vermute relevante Teile der Frankfurter Szene mittlerweile woanders).

 

Einige junge Männer fragen nach – sie verstanden den Ansatz nicht oder wollten nicht verstehen. Es kam immer wieder dieselbe Schleife, was ich gegen Muslime hätte. Ein Mitstreiter ungefähr in ihrem Alter übernimmt die jungen Männer dann und führt mit ihnen ein langes Gespräch, das aber friedlich verläuft.

Mehrere, mehrheitlich autochthone deutsche Passanten laufen vorbei, bedanken sich für unseren Mut, wie sie sagten. Ein junger Mann, möglicherweise Muslim, läuft überraschend vor mich und macht ein Selfie von sich vor mir – mit gezücktem Mittelfinger. Rasch ist er wieder weggesprungen – nichts zu machen.

Ein anderer junger Mann fragt nach, was er konkret tun könne. Ich gebe ihm ein Flugblatt der Petition „Salafisten stoppen“ und verweise darauf, dass man diese verbreiten könne sowie Gesprächskreise zu dem Thema anregen.

Mit einem jungen Ahmadi unterhalte ich mich länger. Er lässt sich die Aktion erläutern und betont, dass sie etwas gegen die Strassenadikalisierung täten bzw. auch auf die Strasse gingen. Ich bekunde, dass ich darüber informiert bin und auch weiß, dass Ahmadi-Jugendliche von Salafisten immer wieder angegangen und bedroht werden. Da würde ich mich ganz klar vor diese Jugendlichen stellen. Er fragt mich dann, wie ich ihre Gruppe bewerte. Für diese Art der differenzierteren Diskussion ist die Straße eigentlich nicht der rechte Ort und so erläutere ich nur, dass ich erhebliche Kritik an der politischen Vorgehensweise und undemokratischen Binnenstruktur sowie Transparenzdefiziten der Ahmadiyya übe – dass man aber dieses andern Orts eingehender besprechen könne.

Ein Junge mit Freund stellt sich direkt vor mich, nachdem er die Szene etwas beobachtet hatte. Was das denn heiße, was da auf dem Plakat stünde? Ich frage zurück: Was er denn nicht verstünde? Er fragt, was ich gegen Muslime hätte. Ich erläutere den Zweck der Aktion. Während meiner Erläuterungen spuckt er mir im 30 Sekundentakt vor die Füße. Ich entschließe mich, diese grobe Verachtung (man muss sich schon Mühe geben, so viel Spucke in dieser Zeit zu produzieren) in diesem Fall zu ignorieren. Erfolgreich scheine ich damit aber nicht zu sein. Er und sein Freund ziehen gelangweilt und nicht in ihrer Meinung verändert ab.

Eine Lehrerin aus dem Raum zeigt sich entsetzt über die Art, wie mit einem Mitstreiter umgegangen wird. Er wird einreihig umringt und angekeift; sie findet die Gesprächsweise ganz unerträglich (Andrang und Ausfälle waren gestern im unteren Bereich). Sie berichtet von Vorkommnissen an ihrer Schule, die aber nicht ausreichend von der Leitung wahr- und aufgenommen würden. Obwohl immer wieder erhebliche Probleme im Lehrer-Schüler-Verhältnis vorlägen, tendiere man dazu, die Probleme klein zu reden, um nichts machen zu müssen nach ihrer Einschätzung. Wir verabreden weiteren Austausch.

Ein Passant, der sich selber als „alt links“ (Bonn-Demo, Startbahn etc.) bezeichnet, berichtet von zunehmender Verzweiflung, die er bei sich selbst wahrnehme hinsichtlich der von ihm gefühlten gesellschaftlichen Veränderungen. Er findet es schlimm, dass manche Probleme nicht besprochen und schon gar nicht gelöst würden, sondern dazu führten, dass der, der sie anspricht, sozial stigmatisiert würde. Er drückt sein Unverständnis darüber aus, dass die demokratischen Parteien der Mitte sich nach seiner Empfindung wegduckten. Er wird, so sagte er, das nächste mal AfD wählen – um „den Parteien etwas zum Nachdenken zu geben“.

Es wäre schön, wenn die Parteien auch ohne solche Denkzettel in den Lauf kämen. Genug Input gibt es. Man muss sich dieser Verantwortung aber auch stellen wollen.

Ein Gedanke zu „Mahnwache vom 04.06.2016

  1. Hat dies auf Boxvogel rebloggt und kommentierte:
    Mahnwache in Frankfurt /M. vom 04.06.2016
    Nichts hat sich verändert – nicht das Verhalten derer, die nicht verstehen wollen und nicht das Verhalten der Politik, die nicht unterstützt und handelt.

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