Demokratie? Wo lebt sie denn?

Über mehr fragwürdige Projekte und Projektpartner bei „Demokratie leben“

„Demokratie leben“ ist ein wohlausgestattetes Bundesprogramm, dessen Umfang erst vor wenigen Wochen verdoppelt wurde:

http://www.demokratie-leben.de/aktuelles/haushalt-2017-erhoehung-der-mittel-fuer-das-bundesprogramm-auf-1045-millionen-euro-vorgesehen.html

Man hat also Geld. Wenn man Geld hat, kann man es auch ausgeben. Bei öffentlichem Geld sieht man sich oft genug – Grund mancher „November-Exzesse“ – genötigt, Geld auch auszugeben, sogar dann, wenn es kaum sinnvoll verwendet werden kann. Weil z.B. sich nicht genügend geeignete Projektpartner melden oder man bei sparsamem Gebrauch gar nicht so viel braucht wie zugesprochen. Sparsamkeit heißt ja auch, zu unterscheiden zwischen dem, was notwendig und nützlich ist, und Dingen, die mehr Dekoration sind oder einem persönlichen oder politischen Geschmack entsprechen. Braucht man das Geld nicht auf, könnte es im nächsten Jahr weniger geben, etwas, was dringend vermieden werden muss. So wird zumindest häufig gedacht.

Aus „Demokratie leben!“ werden viele gute Projekte gefördert, keine Frage: Beratungsstellen gegen Extremismus zum Beispiel, Jugendprojekte. Da kann man auch noch mehr brauchen, auch keine Frage. Aber nicht umsonst wurde um das Bundesprogramm der Zaun gezogen, dass das geförderte Projekt der Demokratie, dem friedlichen Zusammenleben dienen soll. Überwiegend religiös konnotierte Projekte sind explizit ausgeschlossen. Mehr und mehr zeichnet sich jedoch ab, dass man es mit dem Leitmotto nicht mehr so arg ernst zu nehmen scheint. Zumindest, wenn die Wünsche an den „Geldtopf“ aus einer ministerial erwünschten Richtung kommen, scheinen Motto und Förderleitlinien schon einmal gezogen und gedehnt zu werden, damit es noch passt.

Manchmal gelingt auch das nicht. Das sind die Fälle, in denen Transparenz unerwünscht scheint. Da werden normale Anmerkungen, Informatioen oder Anfragen schon mal wochenlang nicht beantwortet. Trotz Erinnerung, anscheinend in der Hoffnung, der- oder diejenige werde das Thema vergessen, werde am passiven Widerstand der Behörde gegen Öffentlichkeit und Transparenz schon die Segel streichen. Das mag manchmal funktionieren.

Natürlich kann man das in angemessenem Abstand dann auch so schreiben: So einige Stellen wollen nicht wirklich kommunizieren. Nicht freiwillig. Oder nur über Schönes. Und bitte ohne kritische Nachfragen. Da geht sicher was.

Kritische Nachfragen zu diesen Projekten zum Beispiel scheinen wenig Kommunikationsneigung auszulösen:

https://vunv1863.wordpress.com/2016/04/30/praevention-unheilige-allianzen/
.
Dass die Moscheevereine wie berichtet ausgestiegen sind, wurde jetzt offiziell wenigstens andernorts bestätigt:

http://hessenschau.de/gesellschaft/moscheen-steigen-aus-frankfurter-vorzeigeprojekt-aus-,moscheen-100.html

Beim Bundesfamilienministerium will man nun wissen, wie es weitergeht. „Der Träger ist durch die Regiestelle aufgefordert worden, bis Ende Juli auf Grundlage der bisherigen Zielsetzung des Projekts ein überarbeitetes Konzept vorzulegen“, hieß es auf Anfrage. Darin sollen neue Überlegungen mit einbezogen werden, das Projekt im Bereich Flüchtlinge weiterzuführen. Außerdem sollen neue Kooperationspartner benannt werden. „Auf dieser Basis wird dann eine formale wie fachlich-inhaltliche Neubewertung des Projekts vorgenommen und über die weitere Förderung entschieden.

Man ist geneigt zugespitzt zusammenzufassen: „Dann macht halt irgendwas mit Flüchtlingen, damit wir euch weiter fördern können. Die Gelder sind jetzt für 5 Jahre eingerechnet und wer will denn schon so was rückabwickeln?“

Dass es auch mit dem Leitmotiv „Demokratie leben“ bei manchen Projektpartnern ein kleines Problem geben könnte, zeigte sich schon in der Auftaktveranstaltung des eigentlich nach den Förderleitlinien ausgerichteten obigen säkularen Projektes. Dort fragte ein Mitglied der gastgebenden, beteiligten Moscheegemeinde nach, was es denn mit dem Motto auf sich hätte. Der Dame von der zuständigen Integrationsbehörde, dem AmkA, stockte sichtbar der Atem – sie erklärte dann, nein, das sei nicht das Motto des Projekts, sondern nur der Name des „Geldtopfes“. Eine Demokratie, die solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.

Bei dem neuen Projekt über den Deutsch-islamischen Vereinsverband, in dem diese Gemeinde auch Mitglied ist und wo sie jetzt ihre religiöse Jugendarbeit verortet, stört der „Topf“ nun nicht mehr. Man bekommt ja jetzt, was man wollte: Geld für die eigene, religiöse Jugendarbeit. Aber pssst, ist ja über Bande gespielt.

Oder das Projekt „i, Slam“, ein gefördertes Projekt, das „für einen Poetry Slam [steht], der exklusiv auf islamische Bedürfnisse zugeschnitten ist:

Aus diesem Grund beschäftigt „i,Slam“ auch einen „theologischen Berater“, der dafür Sorge trägt, dass bloß keine Blasphemie auf die Bühne gelangt. Denn im Gegensatz zu konventionellen Poetry Slams werden die Beiträge bei „i,Slam“ schon vorab von den Initiatoren gelesen und auf Spuren von Gotteslästerung überprüft.[…] Wenn sich aber junge Muslime auf ein striktes Blasphemie-Verbot einigen, während aufgrund von Mohammed-Karikaturen Botschaften brennen und französische Karikaturisten im Namen Gottes sterben müssen, dann wird es mit dem Label „Demokratie leben“ etwas schwierig.

http://jennifernathalie.blogspot.de/2016/05/ein-islamistisches-gedicht-fur-manuela.html

Weitere Merkwürdigkeiten, die verwundern, gibt es in einiger Anzahl.

Über den Zentralrat der Muslime, der mit dem Projekt „safer spaces“ gefördert wird, war schon berichtet worden. Dieser Fall hat einige Spezialitäten, weswegen dazu demnächst noch einmal eine genauere Betrachtung folgen wird.

Oder die Türkische Gemeinde zu Berlin, Fördermittel unter dem allgemeinen Begriff „Empowerment von Migranten [-Organisationen]

Dekmokratie leben TGB 160613

Konkret das hier:
https://www.demokratie-leben.de/mp_modellprojekte-zur-radikalisierungspraevention/praeventionsnetzwerk-gegen-religioes-begruendeten-extremismus.html

Hinter vielen für das Auge des Lesers (und wohl auch Sachbearbeiters) wohlklingenden Leerformeln verbirgt sich wohl, dass man sich a) die eigene Vereinsarbeit und das Netzwerken finanzieren lassen möchte und b) dass man – unter dem Deckmantel der Demokratieförderung eigene Strukturen aufbauen will. Denn das, was man da gefördert machen möchte, gibt es bereits. Das bieten zum Beispiel die Bundeszentrale und die Landeszentralen für politische Bildung an. Für eine Vorstellung, welche *anderen* Strukturen das bei diesem Vereinsvorsitzenden sind, kann man sich hier Anregungen holen:

http://www.welt.de/debatte/kolumnen/platz-der-republik/article156071472/Wie-Herr-Yilmaz-eine-tuerkische-Pegida-organisiert.html

Die DITIB wird auch gefördert:

https://www.demokratie-leben.de/mp_modellprojekte-zur-radikalisierungspraevention/muslimische-jugend-friedliche-zukunft.html

Das ist die Arbeit, die eigentlich z.B. VPN machen soll. Hier wird ein paralleles, man könnte auch sagen konkurrierendes, Modell aufgebaut, das stärker religiös konnotiert ist. Man weicht die Förderleitlinien deutlich auf.

Oder die BAHIRA Stelle, die eine Kooperation von VPN, dem ZMD und der Berliner Sehitlik-Moschee ist.

https://www.demokratie-leben.de/mp_modellprojekte-zur-radikalisierungspraevention/bahira-beratungsstelle.html

Mehrere Stellen an der nicht unproblematischen Sehitlik-Moschee, die eine ultrakonservative DITIB-Moschee ist, werden nun über VPN aus dem Programm „Demokratie leben“ finanziert. Googelt man die dort direkt eingesetzten Personen, so zeigen sich eine Kosmetikerin und ein Dipl. Ingenieur, die der Gemeinde angehören. Dass man „das Netzwerk des ZMD“ nutzen will, steht auch da: Braucht es eine finanzielle Unterstützung dafür, die Internetseite des ZMD aufzurufen? Netzwerken mit der ATIB, den Muslimbrüdern oder salafistisch konnotierten Vereinen sind „Demokratie leben“? Fragen über Fragen.

Oder hier, die Schura Bremen. Angegeben wird für diesen Verein der Wohnsitz des Vorsitzenden. Wieder ein Dachverband mit etlichen Moschee-Vereinen, die mit Sicherheit nicht einzeln überprüft wurden.

https://www.demokratie-leben.de/mp_modellprojekte-zur-radikalisierungspraevention/pro-islam-gegen-radikalisierung-und-extremismus-al-etidal.html

Ob man wenigstens die Internetseite dieses Verbands, dem man Gelder gewährte, angesehen hat? Schon daran kann man zweifeln, denn dort findet sich als oberstes (ohne Datum) eine Pressemitteilung, in der man sich über eine Veranstaltung mit dem Verfassungsschutz beschwert:

http://www.schurabremen.de/index.php/presse/pressemitteilungen

Die ist von 2013.

Im Rahmen des Projektes werden Fort- und Weiterbildungsangebote für Schlüsselpersonen, wie beispielsweise muslimische und nicht-muslimische Jugendliche, Lehrerinnen und Lehrer, Imame, Pastorinnen und Pastoren, Eltern, Jugend- und Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, Polizistinnen und Polizisten entwickelt und erprobt.

Wie viel konstruktive Arbeit mag wohl ein Verband leisten, der seit drei Jahren nichts Berichtenswertes gemacht hat, der es nicht mal geschafft hat, Pressemitteilungen zu machen o.ä.? Hat da die örtliche Integrationsbehörde – wie bei allen genannten Projekten ist deren Stellungnahme notwendig – die Feder geführt? So etwas wie assistierte Kommunikation bei Komatösen? So ähnlich wie das Frankfurter AmkA, das 2 Personen mit der Betreuung der „Interkulturellen Woche“ betraute (das muss wesentlich mehr gewesen sein als den Terminkalender zu führen)?

Im Rahmen des Projektes sind mehrere Informationsveranstaltungen vorgesehen, um ein Netzwerk mit allen relevanten Schlüsselpersonen aufzubauen.

Man will sich – so der Eindruck – seine ganz normale religiöse Verbandsarbeit (nach-)finanzieren lassen.

Oder hier, Hamburg:

Im Rahmen des Projekts werden Fort- und Weiterbildungsangebote für Schlüsselpersonen entwickelt und erprobt.“

Geplant sind Informationsveranstaltungen, Workshops, Fort- und Weiterbildungsangebote, Gremienarbeit, Internetauftritte (Webseite, Soziale Netzwerke) sowie eigene Filmproduktionen zum Projekt.

https://www.demokratie-leben.de/mp_modellprojekte-zur-radikalisierungspraevention/al-wasat-die-mitte.html

Das sind Angebote, die es schon gibt. Man fördert muslimische Parallelstrukturen in der politischen Bildung, die stark religiös durchsetzt sind.

Mit anderen Worten: Man ist nicht nur der extremistischen Durchdringung etlicher Dachverbände nicht gewahr, sondern fördert den legalistischen Islam. Das aber widerspricht dem eigentlichen Konzept von „Demokratie leben“. Das ist kein Ausweg, sondern nur Kosmetik (s. Türkei). Radikaler und legalistischer Islam sind ein wenig wie Scylla und Charibdis: beides ist nicht wirklich gut. Der Ausweg kann nur sein, wieder stärker auf die Förderleitlinien zu achten und klar religiöse Vereine und Verbände NICHT zu fördern.

Wenn auch die Verantwortlichen für das Programm beginnen, das nur noch als Füllhorn zu sehen, bei dem man es nicht so genau nehmen muss, so lange die Formalien irgendwie erfüllt sind, lebt die Demokratie nur noch auf dem Papier. Aber nicht mehr in der Gesellschaft, wo sie eigentlich hinsoll, auch genau in die Problemzonen, um die man sich Sorgen macht.

Wegen der Vielzahl der Projekte scheint das Bundesfamilienministerium da nicht mehr durchzublicken, könnte man meinen. Vielleicht will man das auch gar nicht, denn man hat ja Geld zu vergeben und will das auch tun. Transparenz, wie sie durch Nachfragen im Namen der Öffentlichkeit hergestellt werden soll, ist keine lästige, sondern eine normale Pflicht, wenn man öffentliche Gelder verwendet. Macht man das zweckentsprechend, ist die Öffentlichkeit ja auch gar nicht zu fürchten. Fürchtet man sie oder muss sie fürchten, lief schon etwas massiv schief.

Das alte Gerücht, „kosts nen Taler, schmeckts danach“ gilt hier nicht. Nicht alles, was teuer ist, ist auch gut. Und viel hilft auch nicht viel, wenn man gar nicht weiß, wer da was genau macht und warum. Schon gar nicht, wenn man Projekte fördert, die man meiner Ansicht nach gar nicht fördern sollte oder sogar dürfte. Die Hüter des Programmes, namentlich verantwortlich sind unter Ministerin Schwesig Thomas Heppener, Dr. Heiko Geue und Staatssekretär Dr. Ralf Kleindieck, sind bei diesem an sich wertvollen Programm nicht nur die Hüter der 100 Mio. Euro. Sie sollten auch die Hüter der Demokratie sein. Daran muss man sie erinnern, sofern das nicht mehr präsent ist.

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