Ein Plädoyer gegen Panik – aber für eine angemessene Sorge
Ein Mantra bei sehr vielen der jüngeren Entwicklungen im Zusammenhang mit Islamismus ist, „Angst sei kein guter Ratgeber“. Das wird bei jedem möglichen Anlass verbreitet, vom Terroranschlag bis zur viel beschworenen Islamophobie. Bei genauer Betrachtung ist Furchtlosigkeit manchmal aber noch ein sehr viel schlechterer Ratgeber oder gar eine infantile Sorglosigkeit. Vor jemandem mit fraglicher Weste erst einmal wegzurennen, mag im Falle eines Scherzes albern aussehen. Ist es jedoch Ernst, kann der Unterschied zwischen Angst und Sorglosigkeit der sein, dass man die Sorglosigkeit nicht überlebt.
In den modernen europäischen Gesellschaften sind wir nach dem Ende des Kalten Krieges (und Tschernobyl!) echter, existenzieller Angst oftmals entwöhnt. Sorgen gibt es, ja. Auch Kummer der verschiedensten Art ist nicht abgeschafft – vom Liebeskummer bis hin zum Kummer, wenn die eigenen Leistungen und die Anerkennung nicht dem eigenen Wunsch entsprechen. Ängste hingegen sind oftmals vermindert worden: Es gibt eine moderne Medizin, Sicherheitsgurte und im Regelfall kann man sich darauf verlassen, nicht überfallen zu werden. Wir haben uns daran gewöhnt, relativ angstfrei sein zu können. Das ist ein seltener und ganz unerhörter Luxus im weltweiten Vergleich, den viele nicht ausreichend zu schätzen wissen, weil ihnen der Vergleich fehlt.
Ungeachtet dieser relativ sicheren Lebensweise sind wir jedoch Umständen ausgesetzt, denen wir nicht ausweichen können und dort ist die Angst wie zu Urzeiten da: Krankheiten, der Tod lassen sich auch mit modernster Medizin nicht abschaffen, nur unwahrscheinlicher machen und aufschieben.Vor Zufällen gar sind wir nicht gefeit. Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein kann fatal enden. Diese Unwägbarkeiten zählen zum normalen Lebensrisiko.
Diese nicht vermeidbaren Lebensrisiken schieben wir üblicherweise beiseite und lassen uns davon nicht nicht beeinträchtigen. Diese Art der Verdrängung ist durchaus normal und hilft dabei, ein normales Leben aufrecht zu erhalten.
Verdrängung ist jedoch nur hilfreich, wenn eine Gefahr beseitigt bzw. eingegrenzt ist oder sie in der das Hintergrundrauschen üblicher Lebensrisiken zurücktritt, also unvermeidlich ist. Bei allen Umständen, in denen Handlungen eine Minderung des Risikos bewirken können, ist Verdrängung jedoch schädlich, weil sie verhindert, dass nach einer Strategie gesucht wird. In einer repräsentativen Demokratie verhindert kollektive Verdrängung das diejenigen, die an einer Lösung bzw. Verminderung des Risikos arbeiten sollten, dazu gebracht werden, dies zu tun, wenn sie es nicht oder nicht ausreichend tun.
Bei den Gefahren des Terrors wird oftmals demonstrativ Ängsten entgegengewirkt, so weit, dass relative Sorglosigkeit für links und klug, Sorgen und Ängste schon als dumm und rechts gelten. Es mag unwahrscheinlich sein, jedoch sind diese Ängste zunächst einmal nicht unbegründet oder ganz abwegig. Eine solche Reaktion ist eine normale und man sollte sie sich auch nicht absprechen lassen. Man kann das rationalisieren und sich Wahrscheinlichkeiten vor Augen führen, das hilft. Es aber ähnlich wie die Angst vor den Schreckfiguren der Kindheit zu behandeln, die ganz unbegründet war, ist unwürdig und bizarr. Das ist kein unverminderliches Risiko-Hintergrundrauschen. Negiert man diese Ängste in der Bevölkerung, gehen sie davon ja nicht weg. Sie werden noch mächtiger, wenn sie nicht bearbeitet und ernst genommen werden. Erwachsene kann und darf man bei nicht abwegigen Sorgen nicht wie Kinder behandeln.
In einem aktuellen Artikel „Warum sich die Berichterstattung über Terror ändern muss“, den Peter Neumann und Georg Mascolo mit verfasst haben, sind einige kluge Gedanken enthalten. Wie der, ob man mit der medialen Verbreitung von IS-Nachrichten nicht das Geschäft des IS betreibt und Angst sät:
Das kann man fragen. Natürlich muss man einer Sensationsmache entgegentreten, wenn gar keine Sensation da ist. Eine professionelle, nüchterne Haltung ist wünschenswert. Neumann und Mascolo sollten allerdings auch erkennen, dass die Art und Weise, wie professionell mit der Thematik befasste Personen mit solchen Vorgängen umgehen, keine normale ist, auch nicht bei den Kollegen, die nicht monothematisch befasst sind. Die dauernde Beschäftigung mit dem Thema macht irgendwann zum Experten, aber sie verändert auch die eigene Wahrnehmung. Will man Experte sein, hat man jeden der vergangenen Vorgänge in vielen Details mitverfolgt. Die eingeübte Sachlichkeit dabei lässt einordnen und – relativieren. Journalisten, die auch noch anderes machen müssen, empfinden da durchaus auch anders und nehmen anders wahr.
Ihren Gipfel findet eine solche Haltung in einem aktuellen Interview von André Schulz, einem Gewerkschaftsvertreter der Polizei:
Mal abgesehen davon, dass der Herr Schulz m.M.n. unzureichend informiert ist, ist seine Wertung mehr der Pädagogik geschuldet denn einer Facheinschätzung. Das scheint durch, als er im Prinzip kontextuiert, man tue einer ganzen Religion Unrecht, wenn man Personen, die nicht „Jahre brauchen, um den Islam kennenzulernen“ als Islamisten bezeichne. Er meint mehrfach, wenn man sich die Fälle näher anschaue, bleibe davon nicht viel Islamistisches übrig. Schulz gibt hier eine professionelle Sicht vor, wird aber Opfer seiner eigenen Imaginationen von Religion: Religion sei etwas schwieriges und lange zu erlernendes. Wer solche Definitionen im Kopf hat, für den fallen im Prinzip alle schnell Radikalisierten aus der Zuordnung (das verkennt die jüngere Entwicklung). Sie fallen auch deshalb weg, weil Schulz die Religion vor der Zuordnung schützen möchte. Er kann Religion nicht gewalttätig denken, also darf sie es nicht sein. Er projiziert moderne christliche Narrative auf den Islam. Eine solche Negierung und Herunterspielen mag ein pädagogisches Anliegen sein – sie wird jedoch weder der Realität gerecht noch erfüllt sie sogar ihren Zweck. Wer so kategorisch verneint, dass islamistische Anschläge islamistische Anschläge sind, der bewirkt nur eines: Er untergräbt seine eigene Glaubwürdigkeit. Je nach Ausgangslage des Betrachters wird diese Einlassung als töricht oder als absichtlich täuschend bewertet werden. Im Ergebnis könnten sich die Objekte dieses pädagogischen Versuchs dem entziehen. Was zu weit weg ist von der eigenen Einschätzung, Sorge und allenthalben Angst, wird sicher nicht angenommen.
In dem oben verlinkten Artikel aus der SZ sind die Objekte der pädagogischen Handlung andere Journalisten. So begrüßenswert ein Aufruf zu Mäßigung und Nüchternheit ist, so muss man sich auch fragen, was darüber hinaus bezweckt werden soll. Der Live-Sucht entgegenwirken? Natürlich sinnvoll, wenn es operative Maßnahmen schützt. Keine Panik schüren, Konsens. Aber berechtigte Sorgen nicht aufnehmen? Generell heruntertakten?
Die im Artikel gegebenen Antworten sind nur die eine Seite der Medaille. Es mag sein, dass die Botschaften des IS und die Terrornachrichten angstauslösend sind. Verkannt wird jedoch, dass die sogenannte Mehrheitsgesellschaft nicht die einzigen Rezipienten dieser Botschaften sind, sogar „unsere“ völlige Abstinenz würde fehlschlagen.
„Das Schweigen der Medien werde auch das Ende des Terrorismus bedeuten, prophezeite die britische Regierungschefin. Lange bevor er Ministerpräsident wurde, schloss sich auch der israelische Politiker Benjamin Netanjahu dieser These an: Ohne Öffentlichkeit, so Netanjahu, wäre Terrorismus wie der sprichwörtliche Baum, der im Wald umfällt.“
s.o.
Das ist grober Unfug, um es dezent auszudrücken. „Terrorismus“ gab es schon, bevor der Druck erfunden wurde. Einfach weil unterschiedliche politische Interessen da sind mit Abwertung anderer Menschen. Je nach Ausgang war das in der geschichtlichen Betrachtung dann Freiheitskampf – oder halt Terrorismus, wenn auch die Zivilbevölkerung in Angst und Schrecken versetzt wurde. Das funktioniert auch ohne Medien, über Hörensagen, auch wenn es besser funktioniert mit.
„Aber es gibt eine Verpflichtung zur Selbstkontrolle sowie die Empfehlungen des Presserates. Ausdrückliche Regeln für Terrorismus-Berichterstattung gibt es nicht – aber inzwischen werden erste Forderungen danach laut. Ein Satz aus den Leitlinien zur Berichterstattung über Gewalttaten aber ist hilfreich: „Die Presse lässt sich nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen.“
Das ist schön und das ist hehr und das ist eine wichtiger Vorsatz gewesen nach Gladbeck.
Man muss sich jedoch fragen, auf wen die Botschaften des IS wirken.
Dies auch deshalb, weil nicht die Angst oder Furchtlosigkeit das primäre Problem in dieser Gemengelage sind, sondern reale Begebenheiten. Längst zieht sich durch die Gesellschaft ein Spalt auch in der Anerkennung und Rezeption von Nachrichten und Quellen. Was den einen Angst macht, versetzt nicht wenige Menschen in den Gegengesellschaften in einen förmlichen Machtrausch. Anschläge werden dort gefeiert. Diese Menschen sehen die normalen Medien gar nicht mehr oder konsumierten sie nie. Wir haben das früher nur nicht so intensiv wahrgenommen. Durch die sozialen Medien wurde dies massiv befördert. Die Zahl der Follower mancher Hassprediger beläuft sich in die Hunderttausende. In diesen Räumen zeigt sich ein breit angelegter Hass auf die Mehrheitsgesellschaft, auf Nichtmuslime. Die Abwertung von Nichtmuslimen und der westlichen Gesellschaft sind kein Randphänomen. Es ist ja schön, wenn im Feuilleton der FAZ* der IS und seine Botschaften dekonstruiert werden. In der Wirkung auf die Mehrheitsgesellschaft bleibt dies jedoch folgenlos, weil FAZ-Leser und IS-Fans keine relevante Schnittmenge bilden. In der FAZ müsste man mehr darauf aufmerksam machen, dass mal mehr, mal weniger klammheimliche Zustimmung zu islamistischem Terror keine Randerscheinung ist. Oder man sich so einlässt, dass man Terror zwar persönliche ablehne, aber die westlichen Länder ja eigentlich selber schuld seien, wenn… Oder hinter einem schlechten Image der Muslime nicht die aktuellen Handlungen, sondern eine Medienverschwörung stehe, hinter der die Juden… Das sind verbreitete Narrative. Das sollte man thematisieren, auch wenn es die Leser verunsichern könnte. Es muss also nicht nur der IS dekonstruiert werden, sondern auch die Einschätzung, wer hier lebe, sei oder werde automatisch Demokrat, pro-westlich und ein allgemeiner Philanthrop. Das ist eine wirkungsvolle Dekonstruktion, denn zwischen FAZ-Lesern und politischen Entscheidern gibt es relevante Schnittmengen. Diese müssen begreifen, dass wir an den Schulen viel, viel mehr machen müssen, um diesen Narrativen entgegenzuwirken, dass wir die Pädagogen in ihren Sorgen, in ihren realen Problemen mit diesen Haltungen nicht alleine lassen dürfen. Die Schule ist der einzige Ort, wo wir alle Menschen sicher erreichen, zumindest physisch.
All dies ist kein Grund zur Panik. Die ist tatsächlich nicht hilfreich, denn sie lähmt. Begründete Ängste hingegen, Sorgen sind sowohl herleitbar als auch fruchtbar. Sie schärfen die Sinne und lassen die Probleme angehen, auch wenn man spontan und sofort vielleicht noch keine Lösung haben mag. Das Aufgreifen der Sorgen, das sichtbare Arbeiten an Lösungen ist der beste Weg, um Panik zu verhindern. denn eines muss klar sein: Es wird einen islamistischen Anschlag geben, der auch die etwas eigenen Kriterien des Herrn Schulz erfüllt. Die Panik danach werden dann weder Anja Reschke noch Thomas de Maizière ganz auffangen können. Die politischen Entscheider tun gut daran, auch in der Weise vorzubeugen, dass sich die Bevölkerung dann nicht breit von ihnen abwendet. Wer sich jahrelang in seinen Ängsten nicht ernst genommen fühlte, wird sich spätestens durch einen großen Anschlag bestätigt sehen. Das ist aber nur die Spitze des Angstberges, die kann man noch relativ gut abfedern. Schwerwiegender sind die Sorgen, die mit einer allgemeinen Tendenz der Gesellschaft verbunden sind. Jeder Internetnutzer kann mit zwei Klicks feststellen, dass Pierre Vogel ungefähr 40 mal so viele „Fans“ hat wie der Herr Mazyek. Mazyek mag mit Gauck schunkeln – die Masse der Jugend ist bei Vogel & Co. Mazyek täuscht, wenn er vorgibt, die Jugend sei bei ihm (die Gelder für Präventionsprogramme locken) oder durch seine Mitgliedsvereine in der Breite zu gewinnen. Jenseits der FAZ-Leser ist mittlerweile breit angekommen, dass Mazyek eben nicht für einen liberalen Islam steht, sondern für u.a. die Muslimbrüder und die ATIB, also die Marketing-Abteilung der Grauen Wölfe. In der Summe also für einen Islam, der in anderen Ländern auch offen fundamentalistisch auftritt. Eine Politik, die einen solchen Akteur aus Unkenntnis hoffähig macht, ist sehr schlecht beraten. Das schafft mehr Angst als so manches andere, denn das bewirkt den Eindruck, als lebe man in Berlin und auch in den Medien in einer filter bubble.
Es ist weder Phobie noch reine Angst, wenn das mit Sorge erfüllt.
Wenn man also einen pädagogischen Ansatz verfolgen wollte, was im Grunde weder die Aufgabe von Journalisten noch Politikern ist, sollte man das ruhig, aber realitätsnah tun. Panik entgegenwirken, ja. Sorgen und auch Angst aber ernst nehmen und nicht die eigene kühle und professionelle Haltung für die einzige oder sogar für die einzig statthafte halten. Menschen haben ein Recht darauf, Dinge anders zu werten als ein Profi. Sie haben auch ein Recht auf die Realität, auch wenn sie nicht schön sein mag und verunsichern kann. Das ist ein wenig wie in der Arztpraxis. Menschen haben auch das Recht, nicht nur islamistischen Terror nicht zu wollen, sondern auch die Ideologie des Herrn Mazyek und das, wofür er steht, aber nicht stehen will öffentlich, abzulehnen. Sie haben das Recht, ihre Ängste und Sorgen klar zu artikulieren. Sie sind weder Politiker noch Diplomaten. Auf diese Ängste mit infantil anmutenden Konzepten und Beruhigungsformeln zu reagieren ist sowohl kontraproduktiv wie unwürdig. Den Ereignissen, die man nicht direkt beeinflussen kann, hinterher zu entscheiden, erscheint mindestens suboptimal wenn nicht gar unprofessionell.
Der beste Weg, um verbreiteten Ängsten und Sorgen entgegenzuwirken, ist neben mehr Personal in den sicherheitsrelevanten Bereichen die Abkehr von Akteuren wie Mazyek. Man muss einen Masterplan Integration und einen Masterplan Islamismusbekämpfung erstellen, neu anfangen. Eine erste Maßnahme könnte sein, aus der „Deutschen Islamkonferenz“ eine „Deutsche Integrationskonferenz“ zu machen und entsprechend einzuladen, einfach auch um die Fixierung auf die Religion, die von den Verbänden natürlich sehr gewünscht wird, zu mindern. Migranten haben so viele Eigenschaften, wie andere auch, warum fixiert man sich auf die Religionszugehörigkeit? Es ist eine langfristige gesellschaftliche Querschnittaufgabe und erst wenn die Menschen den Eindruck gewinnen, dass eine realistische Sicht da ist, dass eine Strategie an dieser Realität entwickelt wird und nicht an Wunschdenken oder Verbandsinteressen entlang, wird an die Stelle von Wunschdenken oder Angst auch wieder etwas treten, was wertvoller ist als Verdrängung: echte Zuversicht.
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* Exemplarisch für Qualitätsmedien genannt.