Über weitere Problemzonen bei „Demokratie leben“
Das große Bundesprogramm „Demokratie leben“ (Dl), mit dem Extremismus bekämpft und das Eintreten für demokratische Gesellschaft gefördert werden soll, wurde erst vor einem halben Jahr in seinen Mitteln auf das Doppelte hochgefahren auf über 100 Mio € im Haushalt 2017. Begründet wurde dies mit den gestiegenen Erfordernissen im Bereich der Prävention. So gut und richtig das prinzipiell wäre, so wichtig ist es, dass dieses öffentliche Geld sorgsam verwaltet wird.
Daran bestehen aber erhebliche Zweifel. Nicht nur der Deutsch-Islamische Vereinsverband e.V. (DIV), dessen Förderung sich als der Fördermittel-GAU schlechthin darstellte, da er aus der Förderung direkt in die Beobachtung kam, siehe dazu die Beiträge auf diesem blog, ist eine Struktur, bei der öffentliche Mittel nach den Förderleitlinien von Dl mehr als unachtsam vergeben wurden.
Konnte man beim ersten Aufkommen der Verdachtsmomente noch zum Vorteil der Regiestelle von Dl annehmen, dass die Mitarbeiter von Dl bei 29 Projekten im Bereich Islamismus schlicht überfordert sind – es sind Mitarbeiter im einstelligen Bereich befasst für alle Projekte (also auch die gegen Rechts- und Linksextremismus) – ist nun nach Information eine andere Lage eingetreten: Offenkundig findet man es richtig, diese Vereine zu fördern. Oder anders ausgedrückt, man fördert auch im mindestens Graubereich der Förderleitlinien, da man gar nicht zu wissen scheint, wohin mit dem Geld. Zudem scheint man Legalisten als unproblematisch einzustufen. So kommt es dann, dass Muslimbrüder & Co, mehr schlecht als recht über Dachverbände getarnt, an öffentliche Gelder gelangen. Das geschieht, obwohl Manuela Schwesig in einer Pressekonferenz im Juli explizit angab, dass an Strukturen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, keine Gelder fließen sollen. Weiß sie es nicht besser? Wird sie schlecht informiert von den direkt Befassten? Oder versucht sie, die Öffentlichkeit zu täuschen? Denn faktisch fließen genau Gelder an Verbände, die als Unterstrukturen Vereine und Organisationen haben, die unter Beobachtung stehen, oder die schon als eigener Verein problematisch sind. Dass das weder im Sinne der Demokratie ist noch dem eigentlichen Anliegen förderlich, scheint man zurückzustellen. Das Geld ist da, es muss anscheinend ausgegeben werden. Eine Auflistung der gegenwärtig 29 Modellprojekte und Trägerorganisationen:
https://www.demokratie-leben.de/mp_modellprojekte-zur-radikalisierungspraevention.html
Da sind so einige fragwürdige Projektpartner dabei. Ein Projektpartner wird sogar seit Monaten OHNE Projektbeschreibung gelistet: Freie Förderung OHNE Projekt, einfach so (der Projektpartner ist zudem noch besonders fragwürdig wegen verschiedener Untervereine und besonders intransparent; über diesen ein anderes Mal). Was man mit dem öffentlichen Geld macht außer die Vereinskasse auszustatten, bleibt im Dunklen.
Ein weiteres konkretes Beispiel ist
„Think Social Now 2.0 – Verantwortung übernehmen im Internet“
„Das Projekt „Think Social Now 2.0 – Verantwortung übernehmen im Internet“ entwickelt ein Modell, wie radikalisierungsfördernden Internetangeboten wirksam begegnet werden kann.“
Moment – man hat noch gar kein Projekt, sondern will nur „ein Modell entwickeln“? Und das soll schon gefördert werden? Keine richtige Idee, aber Gelder? Geld für eine Absichtserklärung?
In dem halben Jahr hat man es – so viel zum Thema Internet und soziale Medien – nicht einmal geschafft, eine Facebook-Seite zu machen oder andernorts google-findbar öffentlich aktiv zu werden. Zumindest jenseits behördlicher Ankündigungsseiten. Aber schließlich war ja nur anvisiert, etwas zu entwickeln. Das kann ja auch scheitern oder länger dauern. Assoziiert scheint diese Seite:
https://www.facebook.com/ikramenjoydifference/
Man findet dort nahezu ausschließlich (sparsame) religiöse Bildungsarbeit der konservativen Art, also etwas, das nach Förderleitlinien gar nicht förderungswürdig ist (zumindest sehr fragwürdig die Kriterien einhaltend). Manches Video erinnert in der Machart stark an die ebenfalls in Hamburg ansässige „Generation Islam“ (s.dazu auf diesem blog). Hardliner wie Farid Hafez kommen zu Wort:
Und noch mal Moment – sollte es nicht um Radikalisierungsprävention im Bereich Islamismus gehen? Nun geht es anscheinend mehr darum, was „Islamophobie“ und antimuslimischer „Rassismus“* sind. Wäre das nicht eher etwas für Nichtmuslime, wenn man gegen Vorurteile arbeiten will? So ablehnenswert dieser „Rassismus“ ist, so sind doch die muslimischen Jugendlichen sicher weniger die Personen, die man darüber aufklären muss. An diese Zielgruppe gerichtet kann es eigentlich nur den Sinn haben, dieses Wortungetüm „Islamophobie“ in einem Atemzug mit antimuslimischem „Rassismus“ zu implementieren und als Immunisierungswort anzubieten: Auch wer Inhalte kritisiert, ist „islamophob“ und diese Zuschreibung vereinfacht erheblich. denn darunter wird alles verstanden von der Sachkritik bis hin zum antimuslimischen „Rassismus“ (den es gibt, aber weniger unter Muslmen selber bzw. dort wird nicht dieses Wort gewählt (z.B. wenn Sunniten gegen Ahmadiyya sich positionieren).
Oder man macht ein Video: „Merkzettel Ramadan für Nichtmuslime“:
Wer ist jetzt noch mal die Zielgruppe? Oder das hier, man will Vorurteile über den Islam klären lautet die Überschrift auf der fb-Seite zu dem Video:
Die muslimischen Jugendlichen sollen also – so zumindest der Eindruck von der Facebook-Seite – nicht hinsichtlich Islamismus aufgeklärt werden, sondern man formiert sich als Gruppe, stärkt eine angenommene islamische Identität. Je mehr man diesen einen Persönlichkeitsaspekt verstärkt, desto mehr treten jedoch andere zurück, Aspekte, die mit anderen außerhalb der Community geteilt werden könnten. Die Folge ist eine Abgrenzung zu Nichtmuslimen. Das allerdings ist sicher nicht im Sinne des Erfinders.
In der Eigendarstellung sieht das allerdings ganz anders aus:
„Das Projekt soll Jugendliche, Angehörige, Bezugspersonen, Schlüsselpersonen und Institutionen sowie sonstige Betroffene auf die Gefahr des religiösen Extremismus aufmerksam machen. […]Das Kompetenzteam zu Erstellung der Inhalte besteht aus Wissenschaftlern der Islamwissenschaft, Religionspädagogik, Kultur- und Sozialanthropologie, sowie Sozialarbeitern und Theologen.
Das Projekt wird vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert, die Freie und Hansestadt Hamburg beteiligt sich mit einer Kofinanzierung,“
http://www.hamburg.de/religioeser-extremismus/projekte/4617920/think-social-now/
Zu religiösem Extremismus findet sich allerdings bislang gar nichts, was diesen Namen verdient. Wie sich das „Kompetenzteam“ wohl konkret zusammensetzen mag? Gibt es das mittlerweile?
Das wiegt jedoch minder schwer, wenn es auch symptomatisch erscheint. Fragwürdiger ist, dass der Trägerverein viele, viele Jahre unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand und erst Mitte 2014 aus der Beobachtung genommen wurde. Grob ist man der IGMG zuzuordnen. Im folgenden Verfassungsschutzbericht taucht der Verein nicht mehr auf. Das jedoch ist eher im Rahmen einer notwendigen Priorisierung der Sicherheitsbehörden zu sehen denn als plötzlich bekannt gewordener interner Demokratisierung und fröhlichem Bekenntnis zur FDGO zu verdanken. Die Ressourcen sind knapp und man hat mit Jihadis, anderen Gefährdern und Rückkehrern mehr als genug in Hamburg zu tun. Die Legalisten mit „nur“ nicht grundlegender Ablehnung von Gewalt fallen unter diesen Bedingungen schon einmal durchs Raster. Dazu nur ein paar Zahlen von Ende August, die das Dilemma verdeutlichen:
„Die Zahl der erfassten Salafisten in Hamburg ist nach Angaben des Verfassungsschutzes auf gut 620 gestiegen. Von ihnen seien rund 310 sogenannte Dschihadisten, also Anhänger des bewaffneten Heiligen Krieges, teilte das Landesamt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Mitte Juni hatte die Zahl der Salafisten noch bei 580 gelegen. Von den derzeit gut 620 erfassten Islamisten seien rund 190 Deutsche. „Die Mehrzahl ist hier auch sozialisiert worden“, sagte Verfassungsschutz-Chef Torsten Voß. Seit 2011 hat sich die Zahl mehr als verdreifacht.“
http://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Immer-mehr-Salafisten-in-Hamburg-erfasst,salafismus154.html
Die knappen Mittel müssen schlicht dort eingesetzt werden, wo akut die größere Gefahr droht.
Der Verband BIG fand Ende 2013 noch Erwähnung in einer kleinen Anfrage der CDU-Fraktion und wurde als extremistischer Verein geführt:
Klicke, um auf aktivit%C3%A4ten-radikal-islamischer-vereine-und-gruppen-in-hamburg.pdf zuzugreifen
Der Verband selber gibt sich auf seiner Webpräsenz sehr zugeknöpft und wenig transparent:
Eine Vorstandsliste findet sich ebensowenig wie ein persönlich Verantwortlicher auf der Webseite. Die Wikipedia gibt etwas mehr her:
https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCndnis_der_Islamischen_Gemeinden_in_Norddeutschland
Auf den Vorsitzenden Ramazan Ucar ist auch die Domain zugelassen:
Ramazan Ucar ist langjährig Vorsitzender des Verbandes. Er war jahrelang Vorsitzender, als der Verband unter Beobachtung stand, was ihn jedoch nicht hinderte, zu polemisieren:
http://www.hamburg.de/innenbehoerde/archiv/232420/reaktion-auf-igmg-artikel/
Mangels Transparenz kann auch nicht überprüft werden, ob es sonst im Vorstand des Verbandes Veränderungen gab, so dass nur der Schluß bleibt, dass derselbe Vorstand, der lange unter Beobachtung stand, nun gefördert wird. Es somit ist fraglich, ob sich die Positionen und Haltungen, die einst zur Beobachtung führten, geändert haben. Dies spricht sehr für obige These, dass die Herausnahme aus der Beobachtung, die vielleicht politisch gewollt war, auf wenig Widerstand bei den Sicherheitsbehörden stieß. Solche Umstände zu eruieren, bevor man einem Verband öffentliche Mittel gibt, wäre eigentlich Aufgabe der vergebenden Stelle. Wenn bei diesem Verband jedoch ähnlich vorgegangen wurde wie bei DIV hat man die Reibungspunkte zur FDGO gar nicht bemerkt. Man hat vermutlich schlicht nicht nachgeforscht und auch nicht die Expertise der Sicherheitsbehörden eingeholt. Bewertung nur nach Aktenlage und ob die Formalien eingehalten wurden. Wurden da Gutachten über das Projekt eingeholt? Was wurde denn da begutachtet und von wem?
Es mangelt an einer strukturierten öffentlichen Aufarbeitung dieser Problemfelder. Es sind nachweislich Fehlentscheidungen, mindestens aber fragwürdige Entscheidungen getroffen worden. Da dies dem Anschein nach von den zuständigen Stellen nicht ausreichend angegangen und öffentlich korrigiert wird, ist dort eingeforderte öffentliche Diskussion und vor allem Transparenz dringend notwendig. Es ist ganz inakzeptabel, wenn Steuergelder an Verfassungsfeinde gehen, nur weil sich bei den einen Befassten die Sinne wandelten, bei den anderen die Sinne nicht geschärft sind und Dritte ganz blind agieren. Es kann nicht sein, dass u.a. die IGMG mit Steuergeld ihre Verbandsarbeit betreibt.
* Rassismus in Anführungszeichen, weil Muslime natürlich keine „Rasse“ bzw. Ethnie sind. Muslime gibt es mit den verschiedensten ethnischen Hintergründen.