… und doch kein Wohlgefallen Teil I
Yūsuf ʿAbdallāh al-Qaradāwī ist ein international bekannter Mann. Er ist einer der wichtigsten, wenn nicht der relevanteste Vordenker der Muslimbruderschaft, Fernseh-Prediger bei Al-Jazeera und bestens vernetzt. Er sitzt in vielerlei Gremien, u.a. steht er der „Internationalen Union Muslimischer Gelehrter“
https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Union_Muslimischer_Gelehrter
vor.
Zur Einordnung ergänzend:
https://de.wikipedia.org/wiki/Yusuf_al-Qaradawi
Abdallāh ibn Mahfūz ibn Baiya (verschiedene Schreibweisen), ein Mauretanier, lehrt in Saudi-Arabien beruflich über die Malikiten des Madhhab, einer Denkschule des Islam, die v.a. in Nordafrika weite Verbreitung hat. Auch er ist extrem gut vernetzt:
https://de.wikipedia.org/wiki/%CA%BFAbdall%C4%81h_ibn_Baiya
Er ist ein alter Herr, dessen altersmildes Auftreten über die Ideologie, die dahinter steht, jedoch nicht täuschen sollte. Immerhin ist er z.B. im Gremium „Internationale Union muslimischer Gelehrter“ der Stellvertreter Qaradawis (und wohl in einem weiteren) gewesen bis 2013. Etliche Jahre. Diese Organisation wiederum macht sich international sehr für die Muslimbruderschaft stark. ibn Baiyas Vernetzungen und die Art seines Agierens sind die eines fundamentalistischen Aktiven, wenn nicht gar eines Muslimbruders. Ende 2013 trat ibn Baiya überraschend zurück in obigem Gremium. Er fiel immer wieder auch selber wegen böser und martialischer Forderungen auf, Forderungen nach dem Tod von US-Soldaten:
ibn Baiya ist ein Hamas-Unterstützer. Was das hinsichtlich seiner „frommen Wünsche“ zu Juden und Israel heißt, kann man sich ausmalen:
Er machte sich auch stark dafür, „Blasphemie“ unter Strafe zu stellen:
Global Muslim Brotherhood Daily Watch schreibt dazu 2013:
„Yusuf al-Qaradawi’s deputy Abdallah bin Beyah resigned on Friday from the International Union of Islamic Scholars, a loud supporter of the Muslim Brotherhood.
Bin Beyah, a 77-year-old Mauritanian living is Saudi Arabia, said in brief message addressed to the Secretary-General of the Union of Islamic Scholars that ‘the path for reform and reconciliation requires a speech that does not fit with my role in the Union,’ without clarifying the motives behind his abrupt resignation. […] Sheikh Bin Bayyah served for nine years as the Vice-President of the IUMS. In 2004, the IUMS ruled that “resisting occupation troops in Iraq is a ‘duty’ on able Muslims in and outside the war-torn country and that aiding the occupier is impermissible.” Abdallah Bin Bayyah, last known to be living in Saudi Arabia, is a well known global Muslim Brotherhood figure originally from Mauritania.“
Ergänzend (hier wird ein Dissens zwischen Qaradawi und ibn Baiya hinsichtlich der Ägypten- und Syrien-Haltungen der IUMS vermutet):
http://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/view/qaradawi-and-the-struggle-for-sunni-islam
Das ist die offizielle Lesart.
Inoffiziell könnte man vermuten, dass dieser Rücktritt auch mit einer Strategie-Änderung verknüpft sein könnte. Wer wollte an der Form hängen, wenn es doch um die Inhalte geht? Natürlich kann das auch eine einfache zeitliche Korrelation sein: Rein zufällig tritt man nach 9 Jahren Gefolgschaft und enger Zusammenarbeit zurück, während andere Dinge etwa zeitgleich passieren…
In einigen Ländern war die Muslimbruderschaft unter Druck geraten, wurde in Terrorlisten geführt. Im nahen zeitlichen Umfeld (wenige Tage) nach dem Rücktritt ibn Baiyas wurde die Muslimbruderschaft in Ägypten verboten. Spätestens das bedeutet jedoch eine Einschränkung der Vernetzungs- und Unterwanderungs-Betätigung, wie sie für Muslimbrüder so typisch ist. Man kann aber durch das einfache Manöver einer neuen Form die ganzen alten Inhalte anders, an die Zielgruppen angepasster, präsentieren. Man kann überall agieren, weil Verbote und Einschränkungen meist an Strukturen, nicht jedoch Einzelpersonen geknüpft sind (manchmal aber schon: al-Qaradāwī hat seit vielen Jahren ein Einreiseverbot z.B. in die USA). Zeitgemäßes Marketing, das alte Spiel: Wieder wird die eigene Betätigung als nichtextremistisch („extrem sind immer nur die anderen“) verkauft, wird die Fehldeutung, Unterwanderung sei Dialog, offeriert, wird Vernetzung Gleichgesinnter und Finden gemeinsamer Strategien als Ringen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt inszeniert. Wer da als Schelm Arges denkt, „spaltet“, schafft Unfrieden und muss überhaupt ein Feind sein (auch wenn man nur Gegner dieser Betätigungen und dieser Verlogenheit ist). Da sich jedoch auch Un- und Halbwahrheiten gut verkaufen, wenn sie nur schön sind, ist man sehr um Schönheit bemüht. Ein „Forum Promoting Peace in Muslim Societies“:
http://peacems.com/?page_id=2973&lang=en
ist rein optisch so schön, dass das Auge tränt.
Ein weiteres Gremium, eine Art Ältestenrat, wurde geschaffen:
http://peacems.com/?page_id=2979&lang=en
Dieser wird wiederum einen Jugendrat installieren:
Unter diskreter Leitung der Muslimbruderschaft ibn Baiyas soll also der allgemeine islamische Friede ausgerufen werden. Sehr wahrscheinlich geht es aber eher darum, handlungsfähig zu bleiben trotz des Gegenwindes mancherorts, sich gemeinsam zu organisieren als grob anti-westliche Koalition Gleichgesinnter. Ein Friede mit den Juden und Israel scheint da nicht auf der Agenda (und auch wohl dort nicht mehrheitsfähig).
Der Falke ist also als Friedenstaube unterwegs, könnte man vermuten. In Zeiten verbreiteten gesellschaftlichen Unfriedens kommt so etwas gut und so wird so mancher Taube nicht arg unters Federkleid geschaut. Das aber sollte man tun, bevor man solche Betätigungen gutheißt.
In den Vereinigten Arabischen Emiraten wird schon mal unterstützt, wie es scheint.
ibn Baiya wirbt mit dieser neuen Strategie, die sich als Alternative zu Extremisten und Terroristen andienen will, überall bei politischen Entscheidern und Würdenträgern. Mitunter ist das leider von Erfolg gekrönt, sogar Ban Ki-moon gibt sich für Treffen und Bilder her:
Das ist ohne angemessene Kontextuierung erschütternd und kontraproduktiv.
Von allem, was der Herr ibn Baiya so organisiert, sollte man also dringend Abstand halten, auch wenn er aktuell freundlich scheinende und versöhnlich wirkende Dinge von sich gibt wie „Sicherheit für alle“. Man sollte sich da keinen Illusionen hingeben. Das ist Marketing. Fast so glaubwürdig wie Aussagen mancher Autohersteller zu Verbrauchswerten. Selbst wenn es einen Dissens hinsichtlich Syrien und Ägypten gegeben haben sollte im IUMS, hat ibn Baiya fast ein Jahrzehnt auch offiziell mit Qaradawi zusammengearbeitet. Deren Europa-Strategie dürfte identisch sein. Und deren Israel-Strategie. Und auch so ziemlich alles andere. Es steht Frieden drauf und es ist Muslimbruderschaft drinnen. Von ibn Baiya organisierte oder besuchte Konferenzen mit anderen Personen, die Abwertungen gegenüber allerlei Menschengruppen pflegen, sind bei genauer Betrachtung Muslimbruder Kungel-Treffs: Finde Alliierte*, die dein eigentliches Ziel entweder befördern oder verschleiern helfen können.
Mehr dazu in Teil II.
* Unter diesem Aspekt ist auch die auf den ersten Blick moderat scheinende „Marrakesch-Deklaration“ zu sehen. Unter Rückgriff auf die Gemeindeordnung von Medina wird diese als Modell für eine Gesellschaft vorgeschlagen. Auch sei man weder im Haus des Krieges noch im Haus des Friedens, sondern in westlichen Gesellschaften im Haus des Vertrages. Man hätte ja auch den Weg gehen können, dass die Sache mit den Zuordnungen in „Häuser“ zeitbedingt gewesen sei und man mit nichtmuslimischen Communities tatsächlich in Frieden leben könne: Der Wohnraum im „Haus des Friedens“ hätte ausgebaut werden können. Das aber wollte man nicht und macht damit deutlich, dass das alles nur Manöver ist, um sich selber Vorteile zu verschaffen und ein wenig Sand in die Augen zu streuen. Der Vertrag, die Gemeindeordnung half real übrigens wenig. Man orientierte sich gegenüber den Juden lieber an anderen Aussprüchen des Religionsgründers. Glaubhaft um Frieden bemüht wäre eine „neue“ Struktur auch unter ibn Baiya erst dann, wenn man sich deutlich von der Hamas distanzierte und das Existenzrecht des Staates Israel anerkennen würde, man sich also glaubhaft von den antijüdischen Haltungen, Handlungen und und auch DIESEM Terror distanzierte. Das aber stach nicht ins Auge (ich lasse mich gerne belehren, sofern ich etwas übersah)
Dazu auch:
https://counterjihadreport.com/tag/shaykh-abdallah-bin-bayyah/
http://www.jewishpress.com/news/morocco-muslim-summit-to-debate-protecting-non-muslims/2016/01/23/