Jesus galt auch mal als Extremist

Über eine Podiumsdiskussion zum Thema „Extremismus-Prävention – mit oder ohne Religion?“

Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des „Hessischen Forums für Religion und Gesellschaft“ fand gestern abend in der Frankfurter Innenstadt eine Gesprächsrunde statt. Unter Moderation von Dr. Joachim Valentin, dem Leiter des Hauses am Dom Frankfurt, diskutierten drei Teilnehmer zum Thema.

 

Den etwa 100 Zuschauern wollte man eine Vorstellung der verschiedenen Herangehensweisen vermitteln. Nach einer kurzen Einführung des Moderators, in der explizit auf die „Vorkommnisse vom Februar“ verwiesen wurde und der berichtende HR-Journalist quasi als Auslöser der „Suspendierung zweier Mitarbeiter“, die mittlerweile „rehabilitiert seien“, gesehen wurde, sollten die drei Teilnehmer jeweils ihren Ansatz verdeutlichen. Dr. Valentin stellte die beiden Herren als Praktiker vor, die aus ihrer Arbeit in der Extremismus-Prävention berichten sollten, wonach Frau Gnadl die Sicht der Politik darstellen sollte. In der Lesung* Hakan Celiks erfuhren die Zuhörer, dass bei VPN ein „demütigungsfreier“, nichtkonfrontativer Ansatz erfolge. So leite man die angestrebte „Beziehungsarbeit“ mit den Vorstellungen ein, die Radikalisierten hätten vielleicht niemals Wertschätzung erfahren. Er arbeite aktuell vor allem mit Gefängnis-Insassen. In der Beratungsstelle beachte man auch die „Raumpädagogik“. Räume hätten ja eine große Wirkung auf Menschen. Man habe so z.B. einen „Raum der Stille“ mit „orientalischen Teppichen“, damit die Klienten in Ruhe beten könnten oder „mal die Füße ausstrecken“. Dass man nicht nur Wasser anbiete, sondern auch Tee, dass man die muslimischen Floskeln beherrsche, eröffne einen weiteren Zugang zu Jugendlichen für z.B. „Biographiearbeit“. Die Hinwendung zum Salafismus sei multifaktoriell bedingt, Diskriminierungserfahrungen spielten eine wichtige Rolle. Allgemein bräuchte man mehr Räume für Religiosität. Die tatsächlichen Klienten blieben in dem Impuls seltsam nebulös.

Dr. Mendel stieg damit ein, dass er über die Begrifflichkeit von „Extremismus-Prävention“ laut nachdachte. Extremismus sei ein diffuser Begriff. Sinngemäß legte er dar, dass eine Zuschreibung als „Extremist“ eine Frage des Standpunktes sei. Mit Verweis auf den kirchlich geführten Veranstaltungsort merkte er sinngemäß an, auch der Begründer des Christentums habe mal als Extremist gegolten (recht wörtlich). Erst bei der Gewaltbereitschaft sei bei ihm in der politischen Bildungsarbeit eine Schwelle erreicht, ab der man eine Art rote Linie ziehe. Er erwähnte die französischen Debatten von Kepel und Roy, wobei er beide als Islamwissenschaftler bezeichnete (Gilles Kepel ist Sozialwissenschaftler, Olivier Roy ist Politikwissenschaftler). Kepel sehe in der Ideologie den wesentlichen Grund für den Extremismus, während Roy ihn stärker aus sozialen Ungerechtigkeiten ableite. Man verfolge u.a. „meditative Ansätze“, mache Bildungsarbeit. Er verweist auf die Untersuchung einer Whatsapp-Gruppe durch Kiefer et al. und spricht von „tausenden Einträgen“. Die Studie sei ein Beleg dafür, dass sich Jugendliche selber einen „Lego-Islam“ bastelten (die – wichtige – Einschränkung dieser Untersuchung, dass es sich um EINE Gruppe von Jugendlichen mit einer spezifischen Eigendynamik in der Gruppe handelte und die nur bis zu 12 Mitglieder umfasste, unterblieb, so dass der Eindruck eines allgemeinen Sachverhalts entstand). Man arbeite mit den Kollegen von VPN gut zusammen.

Frau Gnadl stellte knapp dar, man habe sich im Hessischen Landtag mit dem Problem beschäftigt, es habe eine Anhörung gegeben (damit ist eine zweitägige Veranstaltung gemeint, die im Januar 2015 durchgeführt wurde). Man müsse sich sehr viel breiter um abgehängte Jugendliche kümmern, Perspektiven eröffnen. Man habe eine gute Trägerlandschaft und habe einiges an Geld angefasst, um dort einzugreifen.

Dr. Valentin wollte nachfolgend auf die „Ereignisse vom Frühjahr“ zurückkommen. Schließlich seien Namen gefallen, seien „Persönlichkeitsrechte verletzt“** worden. Er ruft Herrn Celik auf, zu schildern, wie das erfolgt sei und verweist darauf, dass sich die Bildungsstätte Anne Frank solidarisiert habe. Celik führt u.a. aus, man habe nun als Standard, dass alle Neuzugänge in eine Sicherheitsüberprüfung müsten. Man habe sehr, sehr viele Papiere unterschreiben müssen. Danach stellt er den Beginn von VPN in Hessen dar, man habe zu Beginn „fast 80% Interventionen“ gehabt, habe damit „kreativ umgehen müssen“. Dr. Mendel beklagt sich darüber, dass die Vorgaben, die seit dem Frühjahr gälten, auch seine Einrichtung beträfen. Es sei ein Unding, dass man sich derart einmische in die Arbeit als Bildungsträger. So würden zivilgesellschaftliche Akteure, die man ja haben wolle, zu reinen Dienstleistern des Innenministeriums degradiert. VPN Hessen habe einen „eigenen Verein gegründet, den VPN Hessen e.V.“***. Gnadl führt aus, man habe gut mit Geld ausgestattet. Auch sie halte es allerdings für bedenkenswert, wenn Vereine sehr nah am Innenministerium wären, dies müsse breiter, auch von anderen Ministerien begleitet werden, da das Innenministerium einen anderen Fokus habe. VPN leiste hervorragende Arbeit, man müsse in die „Verstetigung“, da das Hangeln von Vertrag zu Vertag abträglich sei. Dr. Mendel stellt noch einmal die gute Zusammenarbeit mit VPN heraus. Man kooperiere und sende sich gegenseitig Klientel zu, sinngemäß je nachdem, ob ein mehr sozialpädagogischer oder ein mehr religiöser Ansatz erforderlich sei. Celik verwies darauf, dass man bei VPN „vielfältig aufgestellt sei“, eine Gleichschaltung in der Gesinnung gebe es nicht.

In der Fragerunde wird zunächst darauf verwiesen, dass es mitnichten eine hessische Neugründung von VPN, einem Berliner Verein, gebe. Neu gegründet worden sei nur eine angeschlossene GmbH, die aber auch in Berlin sitze. Man tue VPN Unrecht, wenn man es so darstelle, als sei VPN nur einem Wunsch des Hessischen Innenministeriums entsprungen. Auf das Fehlen einer Evaluation der Arbeit im Bereich Islamismus wird verwiesen; VPN habe im Wesentlichen eine Evaluation nur im Bereich Rechtsextremismus vorzuweisen. Vor einer Verstetigung der der Mittelflüsse solle man doch erst einmal eine Evaluation abwarten. Celik wird – da er nach eigenen Angaben aktuell v.a. an Gefängnissen sei und nicht an Schulen – gefragt, wie stark das VPN-Angebot in den Gefängnissen von den Syrien-Rückkehrern angenommen werde. Gebe es da Prozentzahlen?

Dr. Mendel beharrt intensiv darauf, dass VPN in Hessen einen neuen Verein gegründet habe. Gnadl stimmt zu, dass man eine Evaluation abwarten müsse und betont, dass sie das noch weiter fassen würde: ein unabhängiges Monitoring sei ihrer Ansicht nach angemessen. Celik kann keine Angaben machen, wie viele der Syrien-Rückkehrer in den Gefängnissen kooperieren und verweist auf eine Evaluation, die laufe.

Eine junge Frau, sie sagte, sie sei Lehrerin, wollte aber weder ihren Namen noch ihre Schule nennen, zeigt sich sehr begeistert über die Arbeit von VPN. Nur wegen VPN sei ihr Schüler noch da, Näheres erfährt man nicht. Deswegen müsse VPN (sie sagt nicht: ein solches Angebot, sondern stellt explizit VPN heraus) dringend weiter gefördert werden.

Dr. Naime Cakir führt breiter zum Thema aus. Sie selber wolle – sofern das recht verstanden wurde – demnächst auch Präventionsarbeit anbieten. Celik sei ja Islamwissenschaftler wie einige andere bei VPN auch. Sie fragt Celik konket, welche Fortbildungen sie im Bereich Sozialpädagogik machen würden, um diesen Bereich auch abzudecken.

Celik führt aus, man sei vielfältig und habe im Team auch Sozialpädagogen. Er selber habe eine „Trauma-Weiterbildung“ gemacht. Ansonsten arbeite man eng mit der Anne Frank Bildungsstätte zusammen. Celik und Dr. Mendel betonen, dass sie ihre gemeinsame Arbeit intensivieren wollen.

Dr. Valentin schließt die Diskussionsrunde. Canan Topcu, die Vorsitzende des „Hessischen Forums für Religion und Gesellschaft“ bedankt sich bei allen Teilnehmern. Dr. Valentin wird, da er aus dem Forum ausscheidet und durch Dr. Frank van der Velden als Entsandten des Bistums Limburg ersetzt wird, mit Dank verabschiedet.

Kommentar:

Die tatsächliche praktische Arbeit blieb trotz der zwei explizit als Praktiker geladenen Teilnehmer seltsam diffus in der Veranstaltung. Man konnte anhand der Darstellungen eher den Eindruck gewinnen gestern, als experimentiere man mit einigen Ideen herum, die in der Darstellung durch die beiden Praktiker aber eher wie ein Sammelsurium von Wellness-Angeboten („Raumpädagogik“, Meditation) erschienen denn ernsthafte und zielgerichtete pädagogische Arbeit. Warum beide die Chance verpassten, ihre Arbeit konkreter und näher zu erklären und Wirksamkeiten wirklich zu erläutern, bleibt dunkel. Das eigentliche Thema wurde eher nur gestreift trotz der Bemühungen des Moderators, der mehrfach auf die Vorkommnisse des Frühjahrs zu lenken versuchte. Über den eigentlichen Anlass und dass die Nachfragen begründet waren im Umfeld der „Suspendierungen“ und nicht wirklich nachfolgend öffentlich bearbeitet wurden, wurde nicht gesprochen. Stärker konnte man den Eindruck gewinnen, dass man sich gegenseitig lobte, während man den konkreten Zuwendungsgeber heftig kritisierte (insbesondere Dr. Mendel, der sich in Rage redete über die Einmischungen des Innenministeriums, das sei nicht sein Verständnis von Zivilgesellschaft; es fiel der Satz „DAFÜR hat der Verfassungsschutz Zeit“ vom Podium). Es war trotzdem eine recht interessante Veranstaltung, da man erfuhr, dass der Zuwendungsgeber nunmehr von allen, die in der Extremismus-Prävention tätig sein wollen, mindestens eine Sicherheitsüberprüfung haben möchte. Es wurde weiterhin deutlich, dass das VPN bzw. der anwende Vertreter und die Anne Frank Bildungsstätte, vertreten durch Dr. Mendel, dies für eine Art Zumutung zu halten scheinen (Celik ergänzte später, eigentlich habe der Zuwendungsgeber Anspruch darauf). Dem unkundigen Zuschauer dürfte einiges unklar geblieben sein. Bestürzend erscheint die Zurückweisung des Extremismus-Begriffs durch einen Träger in der öffentlichen Bildungsarbeit. Wenn es nur noch grüne Zone und Terrorismus gibt begrifflich, ist der gesamte politische Islam in seinem grünen Bereich. Dann wirbt man ein wenig für Demokratie, bekämpft aber den politischen Islam und Islamismus nicht mehr. Insbesondere der Vergleich, Jesus sei vor 2000 Jahren auch Extremist gewesen (sinngemäß), erschüttert. So als ob die Gründerfiguren Jesus und Mohammed inhaltlich und in ihren Handlungen auf einer Ebene seien. So als ob die heute als Extremisten bezeichneten Gruppen im Lichte der Geschichte dann auch anders bewertet würden. Erwartet er, das könnte man nach den Einlassungen annehmen, dass z.B. die Muslimbrüder in Zukunft zu Freiheitskämpfern umgedeutet werden? Als nachfolgend der Begriff „Rechtsextremismus“ fiel, schien Dr. Mendel damit aber keine Schwierigkeiten zu haben. Da relativierte er nicht und sah in den Ewiggestrigen auch nicht die Zukunft, sondern war da zu Recht ganz klar. Diese Deutlichkeit hätte man sich auch beim Islamismus gewünscht.

 

 

* Da das Eingangsstatement Herrn Celiks komplett abgelesen war, sei darauf verwiesen, dass alle Zitate aus diesem Impuls nur sinngemäß wiedergegeben sind hier. Wörtliche Zitate oder explizite Begrifflichkeiten sind durch Anführungszeichen gekennzeichnet.

** Diese juristische Einschätzung ist eine Falschbehauptung von Dr. Valentin. Die beiden öffentlich und auch nur auf diesem blog (!) Genannten haben sich selber – und nur diese öffentlichen Eigenangaben wurden verwertet – exponiert als Teilnehmer von Veranstaltungen oder als Vereinsvorsitzende. Weder der HR noch das Hessische Innenministerium oder ich haben Persönlichkeitsrechte verletzt oder Namen genannt. Wenn Dr. Valetin anderes öffentlich behauptet, sollte er den Beweis antreten.

*** Das trifft nicht zu. Es gibt nur den Berliner Verein. Nur eine Zweigstelle, eine Beratungsstelle wurde gegründet, als das Hessische Innenministerium VPN 2014 nach Hessen holte als zentralen Träger.

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