Die Diyanet in Deutschland und darüber hinaus
Mit der Diyanet in Deutschland ist es ein wenig wie mit dem Unschärfeprinzip in der Physik: Impuls und Ort können nicht gleichermaßen genau festgestellt werden. Der Versuch, da ein wenig mehr Einblicke zu bekommen, wurde vorgestern bei einer Veranstaltung in Wiesbaden ein weiteres Mal unternommen. Auf Einladung der Karl-Hermann-Flach-Stiftung diskutierten Prof. Dr. Rudolf Steinberg (Jurist), Prof. Dr. Susanne Schröter (Ethnologin) und Dr. Bekir Alboğa (Islamwissenschaftler und Generalsekretär sowie verantwortliches Mitglied für die interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit im DITIB-Bundesverband) zu der Frage „Der Islam in Deutschland – ein deutscher Islam?“. Es wurde deutlich, dass aus juristischer Sicht eine Gleichbehandlung mit den Kirchen z.B. der DITIB nur dann in Frage komme, wenn die konkreten Bezüge zur Diyanet gekappt würden und keine Auslandsfinanzierung mehr relevant sei. Alboga verwies auf die Einbindungen der katholischen Kirche. Das an diesem Punkt relevante Argument, dass man nämlich trotz Auslandseinflüssen (vielleicht wider besseres Wissen?) die Ahmadiyya als KöR anerkannt hatte, fiel sogar nicht einmal.*
Auch Frau Schröter versuchte, Antworten hinsichtlich des Auslandsbezugs zu erhalten. Sie verwies auf explizit politische Freitagspredigten und auch die bekannt gewordenen Märtyrer-Comics der Diyanet. Alboga begründete die problematischen zwei Freitagspredigten damit, dass man zu dieser Zeit „emotional involviert“ gewesen sei. Man hätte – im Nachhinein betrachtet – diese Passagen wohl nicht schreiben und verbreiten sollen, meinte er auf mehrfache Nachfrage. Den Comic habe man nicht übernommen. Den allgemeinen Auftrag der Diyanet umriss er damit, dass diese Behörde sich in religiösen Angelegenheiten um alle türkischstämmigen Bürger zu kümmern habe.
Der interessante Abend ließ jedoch eine Menge Fragen zurück.
Die DITIB nun wird meistens nur noch mit dem Akronym bezeichnet. Schreibt man das aus, so heißt dies Diyanet İşleri Türk İslam Birliği. Man führt die Diyanet sogar im Namen. Das genaue Verhältnis bzw. die genauen Einwirkungen jenseits der Satzungsfragen bleiben jedoch auch nach der erhitzten Diskussion unklar. Lang bekanntes wird knapp eingeräumt, Offensichtliches muss Silbe für Silbe gegen eine steigende Emotionalität erstritten werden wie z.B. die Existenz und Einbindung der Landeskoordinatoren:
Der direkte Kontakt, das direkte Bemühen um Transparenz bleibt also zäh. Die Quadratur des Kreises, den rechtlichen Vorgaben soweit zu genügen, dass man anerkennungsfähig wäre als Körperschaft und gleichzeitig seinen Einbindungen Rechnung zu tragen, gelang auch vorgestern nicht. Man scheint darauf zu bauen, dass die politischen Entscheider schon die rechtlichen Räume gestalten werden, man spielt auf Zeit. Ob allerdings die immer wieder gewährten Aufschübe tatsächlich Bewegung auch bei der DITIB bringen, darf bezweifelt werden. Bei sich verfestigender politischer Grundlinie in der Türkei führte das Herumlaufen um das grundlegende Problem wie bei der Fesselung an einen Baum nur näher an die Wunscherfüllung der Gegenseite.
Die Diyanet ist in Deutschland also gleichzeitig diffus anwesend und konkret den Angaben zufolge nicht richtig präsent.
Hinsichtlich der religiösen und politischen Ausrichtung und Einbindung driftet man da abseits des Diskurses zur Mehrheitsgesellschaft in Deutschland hin weiter in Kooperationen mit z.B. Gremien der Muslimbruderschaft. Das ist nicht ganz neu, zeichnete sich eine solche Kooperation doch schon länger ab:
https://vunv1863.wordpress.com/2017/01/13/ditib-tango-mit-verfassungsfeinden-ii/
War bereits bei der Konstituierung bzw. ersten öffentlichen Veranstaltung des Fatwa-Ausschusses Deutschland, eines Ablegers des European Council of Fatwa and Research (ECFR), ein DITIB bzw. Diyanet Vertreter dabei, so zeichnet sich das auch in internationalen Gremien ab. Das ECFR mit Sitz in Dublin ist ein von Yusuf Al Qaradawi geleitetes Gremium der Muslimbruderschaft. Bei einer wichtigen Tagung des ECFR vom 4. bis 8. Oktober 2016 nahmen verschiedene türkische Vertreter teil:
Google-Übersetzung:
https://translate.google.de/translate?hl=de&sl=ar&u=https://www.e-cfr.org/&prev=search
„Die Sitzung wurde mit einer Begrüßungsrede des Generalsekretärs des Rates, Sheikh Hussein Halawa, eröffnet, in der er die Bedeutung dieses Seminars für die Zukunft der Muslime in Europa betonte.
An dem Treffen nahm der türkische [s.u.] Ministerpräsident, Dr. Abdulmajid Al-Najjar**, teil, an dem der stellvertretende Ministerpräsident Yassin Aktay*** teilnahm.
Und dann von Dr. Ahmed Jaballah, stellvertretender Generalsekretär des Rates, in dem die Achsen und die Bedeutung dieser Sitzung unter Bezugnahme auf die dort vorgestellten Forschungsarbeiten erläutert werden.
Darauf folgte die Rede von SE Dr. Mohamed Jormaz, Leiter Religiöse Angelegenheiten der Republik Türkei, in dem er die Teilnehmer begrüßte, den Rat und seine Rolle im Dienste der muslimischen Minderheit in Europa lobte und die Beschlüsse und Gutachten herausgab, die sich positiv auf die Förderung des gemäßigten Nahen Ostens auswirkten. Barmherzigkeit und Prophet ist der Prophet der Barmherzigkeit, und die Nation des Islam ist die mittlere Nation und die Nation des Martyriums für das Volk, aber die schmerzhafte Realität zeigt das Versagen, diese Pflicht zu tun.“
[Wie häufig gibt es Unschärfen hinsichtlich der Namen alleine durch die unterschiedliche Übertragung der arabischen Schrift.]
Der arabische Text:
[Es wäre sicherlich sinnvoll von Seiten des Rates, eine autorisierte englische Übersetzung zur Verfügung zu stellen.]
Der niederländische Journalist Carol Brendel weist auf die veränderte Besetzung des Gremiums hin:
Und tatsächlich: Seit einiger Zeit sind zwei türkische Mitglieder im ECFR mit dabei:
Quelle: Internetpräsenz des ECFR, Abruf 27.10.2017
Das ist Dr. Ekrem Keles:
http://www.milliyet.com.tr/ekrem-keles-kimdir–gundem-2494521/
Dr. Keles ist der stellvertretende Diyanet-Chef, hier bei einer Veranstaltung mit Schülern vor etwa einem Monat:
Diyanet-Veranstaltung mit Schülern
Der Zweite ist ein Mustafa Mlaoglu:
[Oben im Bild der Herr Wolfgang Borgfeldt alias Muhammed Siddiq, ein im hessischen Lützelbach langjährig ansässiger und bekannter Akteur, der dort das „Haus des Islams“ betreibt.]
Der Herr „Mlaoglu“ ist Mustafa Mullaoglu, der für die IGMG länger in Funktion war. Hier 2007:
Seit einigen Jahren ist er jedoch in Österreich aktiv und wirkt als Mufti der IGGÖ:
http://www.heute.at/oesterreich/wien/story/Islam-Paedagoge-warnt-vor-Kindergarten-Drill-24843691
Es gibt also die eine Gesprächsebene, die der DITIB zur deutschen Mehrheitsgesellschaft hin und zu deutschen politischen Entscheidern.
Daneben existiert aber eine andere Ebene, eine von der Diyanet verfolgte Strategie der Einbindung und Kooperation an die internationale Muslimbruderschaft. Das sind ebenfalls, wie die türkisch-nationalen Einflüsse, keine liberalen Vorstellungen, sondern fundamentalistische Ansätze, auf die man sich dort verständigen würde. Bei Einigkeit mag seitens der Muslimbruderschaft auch als taktische Option gesehen werden, über die Linie Diyanet – DITIB den Islamunterricht zu beeinflussen. Aktuell entscheidungsreif sind da ja – parallel – Eingaben u.a. des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) hinsichtlich seiner Ansprüche zur Gestaltung des Islamunterrichts. Der andere Akteur hier ist maßgeblich die IGMG:
Man scheint also mehrgleisig zu fahren. Die Rolle der türkischen Akteure bleibt diffus, die Diyanet schwebt grau im Hintergrund. Erst bei Betrachtung der europäischen Ebene lüftet sich etwas, wo überall parallel gewirkt wird, aber auf sehr ähnliche Ziele hin. Integrative Ziele sind das nicht, eher segregativ-identitäre.
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Auch in der Vereinssatzung der Ahmadiyya mit Sitz in Frankfurt gibt es ja diesen starken Bezug, dass die Mitgliederversammlung manche Entscheidungen eben nicht treffen kann oder diese Entscheidungen zum. vorbehaltlich einer Genehmigung sind:
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Es sei hier ausdrücklich auf einen wahrscheinlichen Fehler, entweder in der Übersetzung oder im arabischen Original, verwiesen. Nach mehreren Quellen kommt Al-Najjar aus Tunesien:
http://www.iiit.org/news/locating-the-quran-in-the-modern-world-towards-a-maqasidi-tafseer
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Aktay ist nach der türkischen Wikipedia nicht türkischer Ministerpräsident, sondern der stellv. Vorsitzende der AKP: