Eine kleine Einordnung der Muslimbruderschaft in ihren verschiedenen Handlungsebenen
Im Rahmen der Debatte um die Neuköllner Begegnungsstätte ist in den letzten Tagen auch immer wieder die Frage aufgetaucht, wie diese Bewegung in ihren Betätigungen in Deutschland zu bewerten sei. Dabei wird einerseits von jenen Personen, die ihr zugerechnet werden, in Abrede gestellt, ihr zuzuordnen zu sein; beliebt ist die Behaupt, dass die Bewegung nur im Ausland existiere. Andererseits scheint auf, wer mittlerweile alles mit Strukturen und Akteuren kooperiert, die ihr zuzurechnen sind. Da die Muslimbruderschaft aber sowohl international als auch lokal als Akteur in Erscheinung trttt, es recht sichere Merkmale gibt, seien einige kleine Punkte zur Einordnung aufgeführt.
Die Muslimbruderschaft wirkt in Deutschland weitgehend nach außen hin legalistisch, d.h. Akteure halten sich nach außen hin an die Gesetze und rufen nicht offen zum Kampf auf. Problematische Weisungen etc. sind eher eine Sache der Hinterzimmer – oder von Referenten, die man aus dem Ausland holt. Dass das die Vordenker anders sehen, wird somit weniger häufig öffentlich thematisiert. Die Muslimbruderschaft kann jedoch nicht losgelöst gesehen werden von ihren internationalen und ideologischen Bezügen (s. dazu auch relativ frische Einschätzung des VGH
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lareda.html#docid:8021065
Dass sie davon losgelöst gesehen werden will, ist Marketing und Wunschziel.
Einer der führenden Köpfe der Muslimbruderschaft (MB), Yusuf al Qaradawi, hat immer wieder unter bestimmten Bedingungen den bewaffneten Kampf als Pflicht definiert:
„Im Sommer 2009 veröffentlichte Qaradawi ein weithin beachtetes Buch über die islamische Rechtsauslegung bezüglich des Dschihads. Darin nahm er die von ihm so genannte „Mittelposition“ ein: Auf der einen Seite grenzt er sich von dschihadistischen Strömungen ab, die auch Muslime bekämpfen, wenn diese von ihrer eigenen Deutung des Islam abweichen. Auf der anderen Seite erhebt er Einspruch gegen Muslime, die die Bedeutung des Dschihads auf den spirituellen Aspekt eines „Kampfes für die Sache Gottes“ beschränken wollen. Der gewaltsame Dschihad gegen die Besatzung von islamischen Ländern, zu denen er Israel und die Palästinensischen Gebiete rechnet, zählt für ihn zur unabdingbaren Pflicht der Muslime.“
http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/jugendkultur-islam-und-demokratie/125168/al-qaradawi-yusuf
In diesem Kontext ist ganz fluide, was als „Besatzung“ definiert wird. Das können auch „ehemalige Gebiete“ sein, in denen in der Vergangenheit islamische Anführer die politische Gewalt innehatten.
Im November 2017 appellierte er an die Gemeinschaft der Muslime, die Ummah:
„Islam has spread from the Arabian Peninsula to China, from the Samarkand to the Indian peninsula, Asia and Europe“ in a short time. Now „it is our duty to restore the glory of the nation of Islam (Ummah) back to the level of those days, back to the days where the Muslims were rulers of the world. This is our promise to the Ummah“ said al-Qaradawi.“
http://www.aljazeera.com/news/2017/11/al-qaradawi-calls-islamic-awakening-171107094013049.html
Erst in 2017 wurde auch seine Position zu Selbstmordattentaten erneut bekräftigt, nachdem er sie im Jahr 2016 zurückgestellt hatte. Nicht, weil er zum allgemeinen Menschenfreund geworden wäre, sondern aus Erwägungen heraus, was das nützlichste sei:
http://www.israelhayom.com/opinions/qaradawis-flexibility/
https://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/232881
Dabei sollte nicht vergessen werden, dass er auch als Vordenker der Hamas gilt
Ein anderer Protagonist der MB, Ashraf Abdelghaffar, möchte die jihadistische Tradition der MB wiederbeleben; schon nach dem Gründer, Hassan al Banna, war der religiös konnotierte Kampf, der Jihad, der Weg:
Ein anderer, jüngerer Anführer hatte diese Grundlinie bzw. die Ausrichtung auf das Kalifat erst im August 2017 bekräftigt, man möchte die Gemeinschaft der Muslime auf dieses Ziel einschwören:
„In an effort to reinvigorate the Muslim Brotherhood, one of the group’s leaders — Magdy Shalash — reminded supporters that the organization’s main objective is establishing an “Islamic Caliphate” based on “Sharia” law. “The Muslim Brotherhood was established for a general overall purpose, namely, the return of the comprehensive entity of the Umma (Muslim community)…the Islamic Caliphate, which is based on many Sharia proofs,” Shalash wrote in a Facebook post on Wednesday that was translated by the Investigative Project on Terrorism (IPT).
While many Islamist apologists attempt to defend the use of terms like “caliphate” or “jihad” as purely religious and peaceful concepts, Shalash does not try to hide the Brotherhood’s true colors. He calls for “the return of all states Islam ruled, such as Andalusia and others, to the quarters of the coming Caliphate.” Andalusia is part of modern-day Spain.“
Bei gemeinsamen Interessen wie dem Voranbringen islamistischer Handlungskonzepte in Europa, agieren auch Muslimbrüder und ihre expliziten Gegner oder Machtkonkurrenten in den jeweiligen Ländern (die MB versuchen immer wieder auch, die Kontrolle zu übernehmen in den jeweiligen Gesellschaften) jedoch in synergistischer Art und Weise: Der gemeinsame „Gegner“, die gemeinsamen Interessen einen auf der Handlungsebene.
„Two Faces Of Egypt’s Al-Azhar: Promoting Goodwill, Tolerance Towards Christians In Informational Holiday Campaign – But Refusing To Do The Same In Its School Curricula“
Die Handlungsempfehlung, den interreligiösen Dialog zu nutzen findet sich als strategische Planung schon bei der Muslim World League:
„For the development of the Muslim community in the West, Da’wah work and Inter-Faith dialogue the following suggestions for the safeguard of rights and obligations of the significant Muslim communities living in the West. This exciting challenge and responsibility can be addressed simultaneously by the Muslim communities in the West, the MWL and the Muslim Nation. First, by fulfilling their responsibility to organise sustained and well planned da’wah and educational activities for their community. Secondly, by engaging in meaningful dialogue and discussion with non-Muslim neighbors, colleagues and senior position holders in the government and administration. And thirdly, by receiving proper support and encouragement from the Muslim governments and other relevant agencies in the field of da’wah and education such as the MWL is pioneer in conducting negotiations with government agencies to realize their legitimate religious, cultural, economic and political rights in full measure.“
„Letter from the editor“
http://themwl.org/downloads/The-MWL-Journal-2017-July.pdf
Dieses geschicktere Vorgehen kann auch im Zusammenhang mit dem Ausschluss Qaradawis aus der Muslim World League gesehen werden (einen 91 jährigen auszuschließen kann kaum mehr als symbolischer Akt gesehen werden):
Eine Vereinfachung mal visualisiert:
Als moderne Werbefigur, die als angeblich moderate Person installiert wird, findet sich z.B. Abdallah bin Bayya, der in einigen Gremien nach wie vor entweder Stellvertreter oder Mitstreiter von Yusuf al Qaradawi ist, auch wenn es so viele feinere Unterschiede gibt, dass er als Person an manche Orte kann, die explizitere Figuren der MB nicht mehr aufsuchen können. Nicht nur in Deutschland fällt er jedoch in MB-Kontexten auf als Bezugsgröße. Er wird er als Dialogfigur wie der Dalai Lama vermarktet:
https://vunv1863.wordpress.com/2017/03/11/bin-bayya-texte-aussagen/
Vielleicht durch die Vermittlung Aiman Mazyeks war bin Bayyah geschätzter Gast im Auswärtigen Amt letztes Jahr (2017), weil man dort den „zusätzlichen Handlungsansatz“ über religiöse Vertreter verfolgen will. Man fragt sich, wer hinsichtlich dieser Linie beraten haben mag. Eine solche Abtrennung und gesonderte Aufwertung der religiösen Anführerschaft erscheint mehr als fragwürdig:
https://vunv1863.wordpress.com/2017/05/25/auswaertiges-amt-wir-sind-papst/
Strategisch wird dadurch eine von der staatlichen Bezugsebene abweichende Dialogebene zwar eröffnet; zugleich wird aber damit auch eine Art Interessenvertretung initiiert, die auf religiöse Zugehörigkeiten abstellt. Auch wenn dies vielleicht als potentielle Vermittliungsrunde gedacht war, kann sich daraus eine ganz andere Gemengelage hins. der Interessenvertretung religiöser Akteure entwickeln.
Weiteres Marketing-Tool dieser Richtung ist die sogenannte Marrakesch-Deklaration. Diese wird zum Teil sogar von Journalisten, die es besser wissen müssten, und der evangelischen Kirche als instrumentalisierter Institution inhaltlich falsch erfasst als Fortschritt verbreitet:
https://vunv1863.wordpress.com/2017/06/03/die-marrakesch-deklaration/
Auch:
http://www.ezw-berlin.de/html/15_7020.php
Über die Absprachen hinsichtlich der Haltung zu Israel wird hingegen – das ist nicht marketingtauglich und richtet sich an die eigene Community – wenig oder gar nicht berichtet:
„More than 300 Muslim Scholars Issue a Statement Forbidding Normalization with ‚Israel’
http://www.ikhwanweb.com/article.php?id=32885
Auf der Ebene der Anhänger finden sich neben offenen Bekundungen für die Marketing-Figuren aber meist auch Bekundungen zu den Gelehrten und Vordenkern bis bin zu Sayyid Qutbs, der Gewalt legitimiert.
Sogar die größte Organisation in Deutschland, in der sich Muslimbrüder organisieren, die Islamische Gemeinschaft in Deutschland, sagt explizit aus, sie gehörten ihr nicht an. Damit versuchen sie, die Debatte in den Einzelnachweis zu verdrängen.
Da auf der lokalen Ebene die Zugehörigkeit zu den MB geleugnet wird, ist es zum Teil schwierig, Akteure zuzuordnen und wird absichtsvoll erschwert. Namen der Vereine lassen oftmals keinen Rückschluss zu; in den letzten Jahren werden verbreitet auch deutsche Namen gewählt, die eine positive Assoziation zu gänzlich anderen Konzepten nahelegen. Jedoch bestehen sogar bei klar zuordnungsfähigen Strukturen und Akteuren Skrupel, diese Ambivalenz auszuhalten, oftmals sogar zu diskutieren. So wird – um schwierige Diskussionen zu vermeiden – nur die Marketing-Selbstdarstellung übernommen. Wenn man die MB nicht als MB wahrnimmt, kann einem politischen Akteur – so seine Hoffnung – auch nicht zugerechnet werden, wenn er wieder jede demokratische Vernunft und auch Verantwortlichkeit mit diesen Akteuren kooperiert (wobei sich das eine oder andere Mal die Frage stellt, was diese Person an Benefit von ihren Handlungen hat).
Selbst im Präventionsbereich wird kooperiert. Teilweise erkennen die „Extremismusbeauftragten“ der Länder und Kommunen schlicht entsprechende Akteure nicht (Fälle bekannt), halten sie sogar für besonders empfehlenswert oder kooperieren institutionalisiert, siehe Beitrag zur „Bundesarbeitsgemeinschaft Extremismus“ (BAG). Andere erkennen sie durchaus, solidarisieren sich jedoch sogar bei Kritik, indem sie auf die Sichten von Vereinen, die unter Beobachtung stehen, verweisen. Jüngstes Beispiel:
Text ufuq:
„Wer sich ernsthaft dafür interessiert, was es mit der Neuköllner Begegnungsstätte und Mohamed Matar auf sich hat, sollte sich nicht auf aktuelle Medienberichte beschränken, sondern auch diese Stellungnahme zur Kenntnis nehmen. Wie so oft ist es nicht ganz so einfach – die aktuelle Kampagne richtet mehr Schaden an, als sie an berechtigten Fragen auf den Tisch bringt.“
ufuq hat – anders kann man diese Einlassung nicht verstehen – ein Problem damit, wenn Muslimbrüder Muslimbrüder genannt werden und wenn darüber in der Gesellschaft offen diskutiert wird. Wenn die Gesellschaft den politischen Islam – berechtigt – ablehnt, scheint das als Schaden definiert zu werden. Der Präventionsdienstleister meint also anscheinend entscheiden zu können, was berechtigte Fragen sind und wer sie stellen darf. ufuq kooperiert über die BAG mit Muslimbruderstrukturen. Das sagte ufuq wohl bei der Gründung der BAG schon nicht – man hätte sich dem ja verweigern können . und das werden die Vertreter dieses Vereins auch Journalisten nicht erzählen, die sie vielleicht um ihre Sicht bitten könnten. Uninformierte Medienvertreter werden sich allenfalls wundern, warum ein säkular auftretender Verein derart agiert, weil sie nur das Ergebnis sehen, aber die Hintergründe nicht. Sie werden das vielleicht als Beleg nehmen, dass vielleicht doch die NBS (oder ein anderer lokaler Akteur der MB – sowohl ufuq als auch die MB agieren ja bundesweit) in der Öffentlichkeit verkannt wird. Das bereits geknüpfte Netzwerk der MB in den Präventionsbereich hinein wird ihrer Aufmerksamkeit i.d.R. entgangen sein, da es nicht sehr offensichtlich ist. Das Knüpfen solcher Netze kann statthaft sein – aber dafür muss das transparent sein. Und selbst wenn Journalisten aufmerken sollten, wird das vielleicht von ufuq mit dem Verweis, solche Fragen seien entweder nicht berechtigt oder schadeten, abgewiesen.* Auch bei anderen Präventionsdienstleistern wird begründete Kritik in diesem Bereich gerne im Keim der öffentlichen Debatte erstickt.
Die Doppelstrategie der Muslimbrüder geht also genau deshalb auf, weil zu wenig offen gefragt wird, weil nicht zugeordnet wird. Der suggerierte Schaden liegt dabei für die befragten Akteure jedoch nur darin, dass die Aktionen aus den Hinterzimmern geholt werden, dass sie sich Fragen, die natürlich berechtigt sind, stellen müssten. Dass sich alle Kollaborateure entscheiden müssten und dann auch dazu stehen, dass sie den politischen Islam befördern wollen. Das ist für die lokalen Akteure ein direkter „Schaden“, während das Locken mit einem Nutzen für die Gesellschaft ganz imaginär ist und auch erklärungsbefürftig wäre: Welchen Nutzen hat die Gesellschaft konkret davon, dass Akteure des politischen Islams befördert und beschützt werden, welchen Nutzen hat die Gesellschaft davon, dass einzelne Akteure das Feld für Qaradawi-Fans bereiten? Schon der Nutzen der Prävention ist ja ganz fraglich, insbesondere wenn Strukturen oder Akteure des politischen Islam eingebunden werden.**
Es gibt den Spruch, dass, wer Freunde suche, sich nicht in die Politik begeben solle. Gleiches gilt für den Präventionsbereich. Man muss nicht jedermanns Freund sein. Ist man derartig strukturiert, es sein zu wollen und verlässt man die professionelle Ebene oder hat andere Interessen, ist man empfänglich für die Doppelstrategie der Muslimbrüder.
Das Puzzle hat also viele Teile, einige Ebenen und auch eine zeitliche Dimension. Auch letztere wird meist unterschätzt. Wenn eine fest stehende Ideologie dahintersteht und lokal „selbstorganisiert“ agiert wird, auf der Gegenseite wechselnde Akteure mit einer zunehmend fluiden eigenen Werteorientierung stehen, wird über die Strecke immer näher an die feststehenden Haltungen herangezogen. Die Strategen der Musimbruderschaft haben auch das erkannt.*** Deswegen achten sie auf Identitäres bei der eigenen Community, während sie auf der Gegenseite das „fluide Modell“ nach Kräften befördern. So setzt jede Generation ihre Puzzleteilchen.
*
Das ist natürlich eine Spekulation – aber irritiert sein kann man durch derlei Aktionen.
Von einem Verein, der öffentlich bezahlte Extremismusarbeit macht, könnte man den Schulterschluß mit dem Verfassungsschutz erwarten, weniger Hinweise auf die gegenseite.
**
https://vunv1863.wordpress.com/2015/11/09/islamismus-substrat-und-frucht/
Dazu auch:
https://vunv1863.wordpress.com/2017/11/03/das-andere-gesicht-des-dialoges/
***
In manchen Familien ist die 3. Generation in der Ausbildung.
Man lese dazu auch die frisch öffentlich verfügbaren Einordnungen des hessischen Verwaltungsgerichtshofs. Neben dem konkreten Fall steht da allerlei Wissenswertes zur allgemeinen Einschätzung gerichtsfest aufnotiert:
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lareda.html#docid:8021065
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Hervorragender Beitrag.
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