Wichtiges Gremium salafistischer Akteure gegründet
Der Mond spielt als Taktgeber muslimischer Zeitberechnung eine wichtige Rolle im Islam.* Die Frage, ob und wann die Mondsichel gesichtet wird, ist durchaus Gegenstand muslimischer Debatten – und Dissense. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen und zwischen den Befürwortern verschiedener Verfahren gibt es nicht selten erheblichen Streit. Solcher Streit ist real existierend, auch wenn die Begründungen esoterisch anmuten mögen.** Eine knappe Zusammenfassung von 2007 findet sich auf dem fundamentalistischen Portal „way to allah“ von dem Gelehrten Prof. Dr. Mohammad Hawari. Hawari war damals – er ist wohl mittlerweile verstorben – Vorsitzender eines Gremiums (DIWAN), das sich ebenfalls die korrekte Mondsichtung zur Aufgabe gemacht hatte:
„Der Diwan hat ausschließlich eine beratende Funktion, ein wissenschaftlich religiöser Apparat, der zum Zentralrat der Muslime gehört. Er arbeitet in diesem Themenbereich Hand in Hand mit dem europäischen Rat für Fatwa und Islamische Studien [gemeint ist wohl das ECFR, s. unten, SHM].
Der Diwan trifft seine Entscheidungen unabhängig von Saudi Arabien, da sie mit ganz anderen Methoden arbeiten. Zum Beispiel haben sie letztes Jahr in 2 Bereichen anders entschieden als die Saudis.“
http://www.way-to-allah.com/themen/mondsichtung_interview.html
Ein Gremium, dass diese Debatten für Deutschland beenden sollte und damit die Deutungsmacht hinsichtlich der deutschen Muslime beanspruchte, ist der muslimbruderdominierte Fatwa-Ausschuss Deutschland (FAD). Hawari sollte diesem wohl eigentlich vorsitzen; dann kam aber seine Erkrankung dazwischen (Eigenangabe FAD):
https://vunv1863.wordpress.com/2016/03/18/fatwas-made-in-germany/
Dieser Ausschuss ist sozusagen die deutsche Filiale des Gremiums „European Council of Fatwa and Research“ (ECFR), dem Yusuf al Qaradawi vorsitzt. Im Grunde also eine vom Zentralrat der Muslime nunmehr eigenständige Organisationsform, die aber auch ihre Wurzeln – nach dieser Quelle – dort hat.
Der Fatwa Ausschuss Deutschland empfiehlt die „türkische Methode“:
„Wir empfehlen den Moscheen den Winkel von 13° zu verwenden, mit dem auch die türkischen Moscheen die Gebetszeiten berechnen, um mit der Mehrheit der Muslime in Deutschland zu gehen und um den Menschen das Gebet und Fasten zu vereinfachen.“
https://www.fatawa.de/die-richtige-berechnungsmethode/
Hier führt in einem nicht datierten Text Dr. Khaled Hanafy, der Vorsitzende des Fatwa-Ausschusses, weiter aus (der Text stammt mindestens aus dem Jahr 2016, ist also max. ca. 2 Jahre alt):
„Es ist demnach statthaft, sich an den Imsāk-Zeiten der türkischen Gemeinden zu orientieren und entsprechend dieser zu fasten. Wobei diese Zeiten dann auch über den Ramadan hinaus für das persönliche Gebet verwendet werden müssen. Damit gehen folgende Erleichterungen einher:
Eine Stunde weniger Fasten
Verlängerung der Nacht um eine Stunde
Übereinkunft mit der Mehrheit der Muslime im Gebet und dem Fasten (türkischstämmige Muslime machen ca. 60% der Muslime Deutschlands aus)
Abkehr von fragwürdigen Fatwas (Rechtsgutachten), die authentischen und eindeutigen Texten widersprechen (z.B. die Empfehlung, sich in Bezug auf das Fasten an Mekka zu orientieren, was in den meisten Städten Deutschlands einen 18 Stündigen Fastentag zur Folge hat).
Ich empfehle eindringlich der Gesamtheit der Muslime in all jenen auf Iǧtihād beruhenden Fragestellungen, sich bei unterschiedlichen Auffassungen nicht gegenseitig des Unrechts zu beschuldigen. Die gesegnete Atmosphäre des Ramadans und die besondere Spiritualität während der Gottesdienste insgesamt sollten nicht durch Feindseligkeit, Streit und Zwiespalt gestört werden.“
https://www.iisev.de/wissensportal/artikel/die-zeit-des-morgengebets-und-des-imsks-in-deutschland/
Nun gibt es Akteure, die diese Deutungshoheit des Fatwa-Ausschusses für Deutschland wohl nicht anerkennen. Sie vertreten ein anderes Verfahren (und auch sonst einige andere, noch fundamentalistischere Positionen). Das Gremium nennt sich „Ausschuss für Mondsichtung – Deutschland“:
Das ist die Facebook-Seite des Ausschusses:
https://www.facebook.com/ausschussmondsichtung/
Als Träger sozusagen wird der Verein „Güte e.V.“ genannt:
https://www.facebook.com/pg/ausschussmondsichtung/about/?ref=page_internal
Zum Verein „Güte e. V.“:
https://vunv1863.wordpress.com/2018/01/30/heilbronn-stuttgart-und-halal/
und
https://vunv1863.wordpress.com/2018/03/06/toetungsdelikt-im-salafistenmilieu/
Heutiger Abruf des Vereinsregisters erbrachte, dass der neue Vorstand des Vereins nach dem Tod des alten Vorsitzenden noch nicht elektronisch niedergelegt ist. Hinter der Initiative stehen also wohl die Akteure, die auch teilweise schon mit ihrem „Hohen Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland“ (HRIGD) eine Gegenorganisation zum Rat der Imame und Gelehrten (RIGD), der muslimbruderdominiert erscheint, ausbildeten. Im Gegensatz zur Auffassung, die vor einiger Zeit im Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg vertreten wurde, erscheint sich auch dieser Rat durchaus weiteren Lebens zu erfreuen. Bei letzter Sichtung des Vereinsregisters war der Verein nicht aufgelöst, wenn auch in Liquidation.
Von der neuen Strukturbildung werden dann solche Inhalte verbreitet:

Quelle: https://www.facebook .com/ausschussmondsichtung/posts/456176134824914 ; Abruf 23.06.2018
Und noch deutlicher:
Das kann man durchaus als Gegenposition zum Fatwa-Ausschuss verstehen und es ist auch wichtig, auf wen man Bezug nimmt. Ahmad ibn Taimīyyah ist eine wichtige Figur, auf die sich u.a. nicht wenige Salafisten beziehen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ibn_Taim%C4%ABya#Lehre_in_der_Gegenwart
Gehört nicht zur Gemeinschaft? Das ist schon schweres Geschütz.
Für diese Abgrenzung und Sicht haben sich denn eine Reihe Unterstützer gefunden, von denen viele bereits einschlägig bekannt sind:
Neben bundesweit bekannten Akteuren wie Abul Baraa, (wahrscheinlich) Brahim Belkaid und Muhamed Ciftci finden sich der Imam der Mannheimer Al Faruq ebenso wie die Frankfurter Bilal-Moschee, neben einem Prediger der bekannten Berliner Al Nour-Moschee auch Personen wie der Frankfurter Prediger Abu Abdallah***
Aus Hessen einmal die in Zusammenhang stehenden Aktivitäten zusammengefasst:
Sunnah Moschee, Fulda
Bilal Moschee Frankfurt
Als Einzelperson der Herr Benhamed, der auch in der Offenbacher El Fath Moschee auftritt
Farouk El-Houssain Akhouaji von den „Darmstädter Muslimen“
Der Herr Dali, der immer mal in Darmstadt auftritt (aus Mannheim)
Der Herr Ciftci, der Ehrenmitglied von „Islamic Care“ ist und auch immer wieder in Darmstadt auftritt (aus Braunschweig)
Nach angegebenen Städten geordnet:
Bremen
Kiel
Stade
Braunschweig
Cloppenburg
Berlin
Köln
Frankfurt
Fulda
Darmstadt
Rottal-Inn
Heidelberg
Heilbronn
Mannheim
Schwäbisch Hall
Ein wenig verwundert, dass der Herr Fathy Eid aus Stuttgart nicht mit dabei ist. Schließlich sind er und der Herr bin Radhan ja die maßgeblichen Akteure des HRIGD gewesen. Dazu passt vielleicht dieser aktuelle Schachzug:
Der Vorsitzende des Fatwa Ausschusses und langjähriger RIGD-Vorsitzende Hanafy beim HRIGD-Vorstand Eid? Das ist interessant.
Die neue Struktur ist auf jeden Fall bemerkenswert und stellt wegen der Zahl an bekannteren Akteuren mit jeweils eigener, nicht kleiner Anhängerschaft eine relevante Grüße im fundamentalistichen Islam dar. Da darf man sich durch den harmlos klingenden Namen nicht irritieren lassen, der ein wenig nach eine Astrologie-Portal klingt. Dahinter stehen langjährig bekannte und in der Community wirksame Akteure, die man v.a. in ihrem Zusammenwirken nicht unterschätzen darf.
*
Ein Portal, das sich explizit mit der Mondsichtung befasst, existiert schon länger:
**
Man beachte auch die Formulierungen des FAD in dieser Stellungnahme. Die Gebetszeiten-Regelung diene dem „friedlichen Zusammenleben“:
Anscheinend können schon solche banalen Differenzen zu erheblichem Ärger führen.
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https://vunv1863.wordpress.com/2018/03/16/offenbach-salafistische-vernetzung/