Vater und Herr

Ein prägnantes Beispiel für die totalitäre Kontrolle junger Frauen durch Fundamentalisten

Vor einigen Tagen waren hier u.a. die hessischen Bezüge des türkischen Fundamentalistenpredigers Nureddin Yildiz thematisiert worden:

https://vunv1863.wordpress.com/2018/09/08/zu-radikal-fuer-erdogan/

Wie weit die Kontrolle junger Frauen in Familien und solchen Gemeinschaften tatsächlich geht, ist oft schwer fassbar. Manches erscheint in Zeiten von AGG und Gendersternchen hierzulande wie der ferne Nachhall vergangener Zeiten, ohne Bezug zum hier und jetzt. Anhand eines aktuellen Beispiels auf der deutschen Facebook-Seite dieser Strömung lässt sich die umfassende Kontrolle fundamentalistischer Gemeinschaften jedoch sehr gut dokumentieren. Der Originalpost wurde entfernt, nachdem der Vorgang auf Facebook geteilt worden war und einige Personen diese Darstellungen und Haltungen kritisiert hatten.

Der Sachverhalt nach der Schilderung auf dieser Seite:

Quelle: https://www.facebo ok.com/FatwaZentrum/, Abruf 18.09.2018

Der Sachverhalt noch einmal besser lesbar vergrößert, Frage:

Quelle: https://www.facebo ok.com/FatwaZentrum/, Abruf 18.09.2018

Und die Antwort:

Quelle: https://www.facebo ok.com/FatwaZentrum/, Abruf 18.09.2018

Auf der Seite entspann sich daraufhin eine lebhafte Debatte, infolge der wohl der Post gelöscht wurde. Deshalb hier die Screenshots zwecks Dokumentation.

Ob es sich um einen echten Fall handelt, also das nicht ein Beispiel zur Belehrung der Anhänger sein soll, konnte nicht überprüft werden. Manche Details sprechen jedoch eher für eine echte Anfrage.

Man beachte folgende Details:

1. Die Tochter ist erwachsen.
2. Sie wohnt noch zu Hause.
3. Die Eltern haben die Arbeitsstelle bestimmt, die als „sicher“ bezeichnet wird.
4. Die Eltern verfügen über das Geld der Tochter.
5. Der Chef der Tochter beobachtete sie und informierte die Eltern (!).
6. Die Eltern beenden nach Rücksprache mit dem Chef das Arbeitsverhältnis (!) der Tochter.
7. Es wird geraten, die Tochter zu Hause zu behalten, um dort auf sie einzuwirken.
8. Der Vorfall wird als als Vorgang bewertet, der vor der Gemeinschaft verborgen werden muss.

Man kann ahnen, was der Fragesteller unter einem sicheren Arbeitsplatz versteht: Ein Arbeitsplatz, an dem die Tochter bis ins Private hin überwacht wird. Der Chef ist Teil des Überwachungs- und Kontrollsystems. Er interessiert sich offensichtlich intensivst für das Privatleben seiner jungen Angestellten. Ob er seinen Angestellten, den 52 jährigen Mann, ebenso anging oder dessen Eltern kontaktierte, ist nicht bekannt.

Völlig deutlich wird durch die Formulierung des Fragestellers, er habe das Gefühl, keine Tochter mehr zu haben, dass das Gefühl für die Tochter unter Glaubens- und Unterwerfungsvorbehalt steht. Das Elternteil ist schicksalsgläubig und scheint das als Prüfung zu betrachten. Es erscheint völlig gefangen in einer gedanklichen Parallelwelt, in der zugleich alles vorherbestimmt ist, es aber nur auf sich fixiert versucht, das islamisch richtige zu tun. Im Grunde maximale Egozentrik, die Gefühle der Tochter spielen keine relevante Rolle in seinen Darstellungen und Ängsten. Der Fragesteller hat Angst vor Gott. Angst vor der eigenen Gegengesellschaft wird ihm zusätzlich gemacht und scheint auch auf.

Einige der innigsten und engsten Gefühlen und Bindungen, die ein Mensch haben kann, sind durch solche Ängste und induzierten Zwänge nicht mehr unmittelbar erlebbar. Das Gefühl wird abhängig davon gemacht, dass sich die Tochter den eigenen, strengen Regeln, die nicht mal die eigenen tatsächlich sind, unterwirft. Der betroffene Elternteil merkt nicht einmal, dass sein Gefühl manipuliert ist, er ist Täter, aber auch Opfer der Haltungen, die er übernimmt.*
Die Dissonanz entsteht, da die Tochter eigene Vorstellungen entwickelte, kurz, erwachsen selber entscheiden wollte (in engen Grenzen, siehe „Abschminken“). Ihr muss bewußt gewesen sein, dass ihre Eltern sie nicht bedingungslos lieben und ihre Entscheidungen nicht billigen würden. Zudem sah sie sich wohl der bedrohlichen Situation ausgesetzt, bei eigenen, vom Elternwillen abweichenden Entscheidungen nicht nur die Liebe der Eltern, sondern auch ggf. ihre Wohnung zu verlieren. Nicht mal eigenes Geld, das sie selber verdiente, war ihr „erlaubt“. Völlige Unmündigkeit, totale Anhängigkeit, trotz Alter und Arbeitsstelle.

Sie muss sich in dieser Situation von allen Seiten beobachtet fühlen, nicht nur von den Eltern, sondern auch vom Chef (!) und der Gemeinschaft. Derjenige, der für das Fatwazentrum antwortete, versuchte seinerseits, die Furcht der Eltern vor der Gemeinschaft zu befördern. Es ging also nicht nur um eine nach Binnensicht Übertretung, die selbst zu verantworten ist, sondern auch darum, dass die Gemeinschaft das persönliche „Fehlverhalten“ bemerken und zurechnen könnte. Man fürchtete in der totalitären Blase den sozialen Tod. Da trennte man sich gedanklich lieber von der Tochter als eigenen Unterwerfungs“notwendigkeiten“. Das ist leider eine ähnliche Konstellation wie in Fällen, die fatal ausgingen.

Insbesondere Lehrer müssen erfassen, in welch brutale Unterwerfungsmechanismen Mädchen und auch Jungen** in manchen Communitys eingebunden sind. Die erste Furchtinstanz sind die Eltern, wobei die Rolle der Mütter oft diffus bleibt. Denn auch sie tragen durch ihren eigenen Mangel an Aufbegehren mindestens bei, erziehen Töchter zur Folgsamkeit. Die Eltern bleiben Furchtinstanz, weil sie ständig die Kontrolle behalten auch über erwachsene Kinder, z.B. indem sie lange zu Hause wohnen bis zur eigenen Eheschließung. Frauen kommen da kaum alleine heraus. Diese Familie fürchtet wiederum die für die junge Frau zweite Kontrollinstanz, die eigene Gemeinschaft (die mal mehr, mal weniger eng gefasst ist). Gefürchtet wird von den Vätern, dass man ihnen einen Kontrollverlust zurechnet. Frauen fürchten den Ruf, sie hätten die Töchter nicht genügend zur Unterwerfung angeleitet; sie seien also schlechte Mütter.

Schon das Wohnen alleine wird in solchen Gemeinschaften nicht gerne gesehen, weil ein Generalverdacht besteht, dass junge Leute ihre eigenen Entscheidungen treffen könnten. Das ist alles so totalitär, wie man sich das als Außenstehender kaum vorstellen kann, denn schon die nächsten Menschen sind nicht wirklich nahe und auf Zwang aus im Zweifelsfall. Mütter leiten zur Unterwerfung an. Der Herr ist der Vater. Und des Herren Herrn ist die Gemeinschaft der anderen Väter.

Das Patriarchat in einer totalitären Wirkmacht, die verstört. Es hilft also nicht automatisch, dass junge Frauen arbeiten. Es zählt auch, wo. Firmen, die Teil eines glaubensbasierten Spitzelsystems gegen ihre v.a. weiblichen Angestellten sind, verhalten sich also nicht neutral oder führen Frauen gar in Selbstbestimmung, sondern halten sie in Unmündigkeit.

*
Solche persönlichen Konstellationen gibt es nebenbei auch in Gruppen wie den Zeugen Jehovas, in denen auch darauf hingewirkt wird, sich von Personen zu trennen, die nicht mehr dem „geraden Weg“ der Sekte folgen. Auch dort wird darauf hingewirkt, totalitäre Kontrolle über die engsten Beziehungen noch zu gewinnen oder zu erhalten.

**
Junge Männer brachten schon ihre Freundinnen um, da sie schwanger wurden und sie den Eltern den „Fehltritt“ nicht erklären wollten und konnten. Die Furcht vor den Eltern war so stark, dass manchesmal gegenüber der Frau keine Empathie da war. Alle Beziehung war unter Vorbehalt und die Dissonanz wurde so gelöst, dass letztlich das Leben der Person geopfert wurde, die nicht im „System“ war.

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