Bericht zur Evaluation der Beratungsstelle Hessen liegt vor
Der Präventionsdienstleister „Violence Prevention Network“ (VPN) ist vom Land Hessen seit 2014 beauftragt, Maßnahmen der Prävention und Deradikalisierung im Bereich Islamismus durchzuführen. Vor einiger Zeit wurde nun – unbeachtet von den Medien – die bereits erwartete Untersuchung zur Prävention in diesem Bereich abgeschlossen und nachfolgend auch veröffentlicht. Dass dies bislang nicht von der Presse aufgegriffen worden ist, mag dem Umstand geschuldet sein, dass es wohl keine Pressemitteilung dazu seitens der Beteiligten gab und zu wenig genauer hingesehen wird.
Vorab: In der Prävention islamistischer Radikalisierung greifen Bund, Länder und Kommunen auf unterschiedliche Akteure aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich zurück, auf Nichtregierungsorganisationen (engl. Non-governmental organization, NGO). Diese erhalten öffentliche Mittel in erheblichem Ausmaß. Um eine Vorstellung zu erhalten, inwiefern diese öffentlichen Mittel in zweckdienlicher Weise eingesetzt werden, werden Evaluationen durchgeführt oder vom Zuwendungsgeber gefordert. Im Bereich der Präventionsdienstleister ist die Datenlage allgemein immer noch dünn (s.u.). Dies mag auch deshalb der Fall sein, weil erheblich öffentliche Mittel in diesem Bereich bereit gestellt werden, eine Konkurrenz also wenig greift, mancher Zuwendungsgeber schon die Bereitstellung eines Angebots politisch als Erfolg verkauft und so eine überaus vielgestaltige Landschaft an Akteuren und ein bunter Strauß an Konzepten wechselnder Qualität entstanden ist. Wenn schon die Bereitstellung eines Angebots politisch als Erfolg verkauft werden kann, wird es auf den tatsächlichen Erfolg der Angebote weniger ankommen denn auf die selbstbewusste Eigendarstellung sowohl der NGO wie auch der politischen Akteure.
Das kann bis zu dem Punkt getrieben werden, dass gar nicht mehr hinterfragt wird und sogar allerlei Manöver veranstaltet werden, um erfolgreiches Handeln zu simulieren. Zum Beispiel, indem man eine Art Selbstbegutachtung aktiv verdeckt (anderer Präventionsdienstleister)* oder schlicht Erfolgskriterien so weit nach unten setzt, dass die reine Betätigung schon als Erfolg gewertet wird. Das geht so lange gut, bis einmal etwas passiert** oder die Presse stärker hinterfragt. Dieser finanziell gut ausgestattete Freiraum wird von den Präventionsdienstleistern, nicht nur VPN, eifrig benutzt, um ein Selbstbild zu erzeugen, das so manches Mal eher weniger mit der Realität denn Marketing zu tun hat: die Eigenschaft, natürlich auch Wirtschaftssubjekt zu sein, tritt zurück hinter so mancher übertriebener Helfergeschichte.*** Evaluationen dienen dazu, die Debatte zu versachlichen, weil sie jenseits eines – politisch gewünschten – schönen Scheins die tatsächlichen Erfolge oder eben auch Mängel und Misserfolge sichtbar machen sollen. Je nachdem, wie eine solche Evaluation durchgeführt wird, ist mit einem mehr oder weniger realitätsnahen Bild des Untersuchungsgegenstandes zu rechnen.
Im Falle von VPN Hessen wurde die Evaluation von Prof. Dr. Kurt Möller aus Esslingen und Mitarbeitern durchgeführt. Die Evaluation wurde von VPN selber finanziert, wenn man den Angaben des öffentlich zugänglichen Berichts glauben darf. Der Bericht ist hier auf den Seiten von VPN einsehbar:
Evaluationen sind ein wichtiges Instrument, um Projekte zu bewerten bzw. die Möglichkeit zu erhalten, einen Eindruck von der Nützlichkeit einer Maßnahme zu erhalten. Berechtigt war in einer Untersuchung, die vom Nationalen Zentrum Kriminalprävention durchgeführt wurde, bemängelt worden, dass zwar viele Maßnahmen ausprobiert und gefördert würden, diese aber eher weniger in ihrer Zweckmäßigkeit nüchtern bislang betrachtet worden seien, Seite 5:
„Eigenen Angaben zufolge lassen sich viele Präventionsprojekte – zum Teil mittels wissenschaftlicher Begleitforschung durch externe Institute – evaluieren. Doch sind vorhandene, d.h. abgeschlossene Evaluationen in aller Regel nicht veröffentlicht und auch auf Nachfrage nicht zugänglich (Bundeskriminalamt 2017, 36). Weitgehend übereinstimmend wird daher ein Mangel an formativen, prozess- sowie wirkungsorientierten evaluativen Erkenntnissen attestiert.“
http://journals.sfu.ca/jd/index.php/jd/article/view/105/88
Auch wenn Evaluationen ihre Begrenzungen haben (jede andere), ist dies doch ein wichtiges Instrument, um komplexere Vorgänge erfassen zu können. Auch bei multikausalen Befunden, zu deren Auflösung bzw. Besserung ebenfalls mehrere Faktoren beitragen können, können Indizien für eine Wirksamkeit von Eingriffen in den Verlauf so erfasst werden. Bei allen Begrenzungen von Evaluationen sind ernsthaft und mit ausreichend Ressourcen ausgestattete Evaluationen daher unabdingbar, um ermitteln zu helfen, ob die öffentlichen Gelder gut angelegt sind. Immerhin kann die reine Betätigung, alleine die Bereitstellung eines Angebots meiner Ansicht nach nicht als Erfolg bewertet werden, auch wenn dies mancher Akteur gerne so definiert sehen möchte (was manchen Dienstleister, der es natürlich gut findet, öffentliche Gelder zu erhalten, und manchen politischen Entscheider, der es gut findet, auf etwas verweisen zu können und dem dieser Verweis schon ausreicht, eint). Dazu sind Herausforderung, gesellschaftlicher Auftrag und Entwicklungen zu ernst.
Immerhin sind mindestens Teile des VPN-Berichts öffentlich zugänglich und werden von VPN auf seiner Seite veröffentlicht. Das muss man – bei aller Kritik – anerkennen. Man beachte deshalb auch das Vorwort von VPN zur Untersuchung.
In dem Bericht sind nun einige Punkte, die bemerkenswert sind. So waren die Mittel für die Evaluation so begrenzt, dass eine Auswahl der betrachteten Angebote getroffen werden musste, Seite 4:
„Dabei ließ allerdings der vorgegebene Finanzierungsrahmen der Evaluation eine gleichgewichtige Berücksichtigung sämtlicher Angebotsarten der Beratungsstelle in seriöser Weise nicht zu. Deshalb wurden jene Angebotsbereiche ins Zentrum der Untersuchungen gerückt, die auf Angehörigenberatung bzw. Beratung von weiteren Personen und Institutionen aus dem sozialen Umfeld; Beratung, Begleitung und Training für Radikalisierungsgefährdete; Anti-Gewalt und Kompetenztraining im Strafvollzug und Ausstiegsbegleitung bezogen sind. Im Vergleich zu den anderen Angebotstypen liegen hierzu die wenigsten Erkenntnisse vor. Zugleich kann hier der Kern des Anliegens der Beratungsstelle verortet werden.“
Ob dieser Bereich ausgewählt wurde, weil das den Kernauftrag von VPN umfasst oder weil die finanzielle Ausstattung schlicht nur die Betrachtung eines möglichst kleinen Ausschnitts der Arbeit erlaubte, geht nicht ganz genau hervor, Seite 5:
„Damit ist impliziert, dass eine Zentrierung auf eine „Erfolgsmessung“ im Sinne einer quantitativen Wirkungsevaluation nicht erfolgt, sondern der Fokus auf qualitative Elemente der Zielerreichung ausgerichtet ist. Angesichts von Fallzahlen, deren Umfang wenig geeignet erscheint, auf ihrer Basis eine differenzierte Wirkungsanalyse zu unternehmen, wie auch der Innovativität des Praxis- sowie des Forschungsfelds und der erwarteten Praxisorientierung der Evaluation geschuldet, rücken sinnvollerweise die Relevanz der qualitativen Anlage und der Durchführung der Beratungstätigkeiten sowie die Identifizierung von Wirkungszusammenhängen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Um diese Aspekte und die darin beinhalteten Erfolgsfaktoren (oder ggf. auch Misserfolgsfaktoren) zu erfassen, war eine zielführende Anwendungsorientierung der Forschungsarbeiten erforderlich. Sie wurde u.a. forschungspraktisch auch durch enge Zusammenarbeit mit Auftraggebern und den Stakeholdern in der Praxis über die Durchführung inhaltszentrierter gemeinsamer Workshops
und mittels informeller terminlicher und organisatorischer Abstimmungen realisiert. “
[Man fragt sich, wer oder was in diesem Zusammenhang „stakeholder“ sein könnten. Möglicherweise die Zuwendungsgeber und diejenigen, die die Leistungen in Anspruch nehmen, seien es Beratungsnehmer oder andere Institutionen und Personen, die die Angebote von VPN beanspruchen.]
Man betrachtete demnach mehr die Qualität des Angebots, da die Datenlage dünn war.
Die Methodik, die Arbeit zu erfassen, wird auf Seite 7 geschildert:
„Durch die Präsenz des Projektmitarbeiters bei fünf Teambesprechungen, fünf kollegialen Fallberatungen, sowie fünf Sicherheitskonferenzen/Lagebesprechungen und den damit einhergehenden teilnehmenden Beobachtungen konnten vor allem Erkenntnisse zur Struktur- und Prozessqualität erhoben werden.“
Zum Umfang der Erhebung, bzw. wie man zu den Erkenntnissen gelangte, wird auf S. 8 erläutert. Ein sehr überschaubarer Bereich, der sicherlich kein Gesamtbild erlaubt:
„Experteninterviews wurden mit folgenden Personen geführt:
– mit neun Mitarbeitenden der Beratungsstelle Hessen. Durch die geführten Interviews mit den
für die Evaluation relevanten Berater_innen sowie mit der Projektkoordination konnte die angestrebte Vollerhebung realisiert werden;
– mit der Leitung des Hessischen Kompetenz- und Informationszentrum gegen Extremismus.“
Wesentlich ist auch, dass die Eindrücke der Sicherheitsbehörden nicht mit einflossen, Seite 8:
„Zusätzlich waren Interviews mit Vertretern von Sicherheitsbehörden geplant und auch von entsprechenden Stellen bereits zugesagt; diese wurden aber ohne Nennung von Gründen kurzfristig wieder abgesagt, sodass mit diesem Personenkreis bedauerlicherweise keines der geplanten Interviews realisiert werden konnte.„
Dieser sehr wichtige Teil einer Bewertung der Handlungen fehlt demnach komplett. Die fachliche Einordnung ist somit nicht verfügbar, denn Möller kann Sinnhaftigkeit, Zielerfüllung und konkrete Umsetzung eher nicht einschätzen ohne den Input der Sicherheitsbehörden. Es stellt sich einerseits die Frage, warum zunächst zu- und dann wieder abgesagt wurde, andererseits, welche Bewertung die Sicherheitsbehörden dann tatsächlich haben.
Coaching durch den Evaluator? Immer noch scheinen wesentliche Handlungen eher etwas chaotisch in dieser Durchführung, Seite 12 f.:
„Gleichwohl diverse Zielbenennungen bereits in unterschiedlichen Publikationen der Beratungsstelle Hessen erfolgt sind, erschienen diese zu Beginn des Evaluationsprozesses sowohl dem Evaluationsteam als auch den Mitarbeitenden der Beratungsstelle selbst als noch zu unspezifisch und nicht genügend systematisiert. Aus diesem Grund wurde in Zusammenarbeit mit der Projektleitung und – koordination und unter Reflektion nationaler und internationaler Erkenntnisse zum Handlungsfeld eine Zielsystematik entworfen, die Wirkungs- und Handlungsziele sowie durch Praktiker_innen leicht erhebbare Indikatoren in einen stringenten Zusammenhang bringt.“ [Zitat verändert durch Entfernung der Literaturhinweise, SHM]
Die Evaluation von VPN Hessen wirft also einige Fragen auf. Diesen Fragen sollten die Medien nachgehen, denn es geht nicht nur um die sparsame und zweckdienliche Verwendung der Mittel, sondern auch darum, ob die Maßnahmen den Erfolg tatsächlich haben, der seitens politischer Akteure gerne behauptet wird. Behauptungen aber sind – bei allem gutem Willen – auf den tatsächlichen Gehalt zu überprüfen. Reine Meinung zählt nicht, Marketing zählt nicht und es zählt auch am Ende des Tages weniger, ob man es gut gemeint hat. Die Ernsthaftigkeit und Größe der gesellschaftlichen Herausforderung erfordern es, es auch nachweislich gut zu machen. Und wenn es nicht gut zu machen ist, dann so gut wie möglich. Da ist immer Luft nach oben. Die Basis, es gut oder wenigstens besser zu machen, ist Kritik und Eigenkritik. Diese aber wird so lange vermieden, wie niemand nachfragt und man es laufen lassen kann. Insofern lohnt da der genaue Blick und auch die Nachfrage.
*
Parlamentarier und Öffentlichkeit werden über Interessenkonflikte wiederholt getäuscht:
https://vunv1863.wordpress.com/2018/01/12/wegweiser-begutachtet-sich-selbst/
Bei der erneuten Anhgörung vor einigen Tagen:
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/GB_I/I.1/Tagesordnungen/WP17/500/E17-582.jsp
war eine identische Vorgehensweise zu beobachten:
„Prävention und Repression – Für eine stimmige Gesamtstrategie gegen Salafismus in Nordrhein-Westfalen“
Geladene Sachverständige:
Dr. Marwan Abou-Taam, Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz, Mainz
Dr. phil. Michael Kiefer, Institut für Islamische Theologie, Universität Osnabrück, Osnabrück
Kenan Kücük, Geschäftsführer Multikulturelles Forum e.V., Lünen“
Abou Taam konnte nicht teilnehmen. Dr. Michael Kiefer setzt „Wegweiser Düsseldorf“ gemeinsam mit Samy Charchira um, unterliegt also der gleichen Bewertung wie im Blogartikel vom letzten Jahr geschildert. Man hat Akteur A gegen Akteur B ausgetauscht; strukturell ist das identisch.
Kiefer und Kücük werden in der Ankündigung unvollständig gekennzeichnet. Über den bestehenden Interessenkonflikt wird in der Ankündigung nicht informiert.
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https://www.br.de/nachricht/kooperation-beratungsstelle-is-sympathisant-100.html
http://violence-prevention-network.de/de/ueber-uns/auszeichnungen