Wegen IS-Unterstützerwerbung wurde Malik F. am Freitag in Frankfurt zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Seine Aufrufe zur Gewalt gegen „Ungläubige“ blieben jedoch straffrei. Die juristische Begründung dafür ist kritisch zu sehen.

Oberlandesgericht Frankfurt
Das Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) hat den 38-jährigen Syrer und ehemaligen Darmstädter Mathematik-Promotionsstudenten Malik F. am Freitag wegen Werbens um Unterstützer für die Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) sowie wegen Billigung von Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil kann Revision eingelegt werden, über die der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden hätte.
Vom Vorwurf, sich Anleitungsschriften zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verschafft zu haben, wurde Malik F. jedoch freigesprochen. F. in diesem Punkt nicht zu bestrafen, begründete der Strafsenat damit, dass die Tat in der Türkei erfolgt sei. Da die Beschaffung von Anleitungsschriften dort nicht strafbar sei, könne dies in Deutschland nicht verfolgt werden.
Auch hinsichtlich einer möglichen Volksverhetzung, strafbar nach § 130 Strafgesetzbuch (StGB), wurde von einer Bestrafung abgesehen. Die Begründung des Senats folgte in dieser Frage zwar der herrschenden Meinung. Juristen sind auf Gesetze angewiesen, die so formuliert sind, dass ein gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten auch bestraft werden kann. Im Rechtsstaat gilt, dass es ohne entsprechendes Gesetz mit Strafvorschrift auch keine Strafe geben kann. Ist die Strafvorschrift jedoch so formuliert, dass bestimmte Handlungen, obwohl sie dem Sinn der Strafbarkeit entsprechen, nach Auslegung des Wortlauts eher nicht gefasst werden können oder hat sich die Rechtsprechung überwiegend an einer bestimmten Deutung orientiert, so besteht im Grunde ein weiterer Regelungsbedarf, also eine Notwendigkeit der Präzisierung. Die entsprechende Vorschrift:
„§ 130 StGB Volksverhetzung
(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
F. rief gegen „die Kuffar“, gegen die Ungläubigen, zur Gewalt auf. Die Ungläubigen, so der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel in seiner Urteilsbegründung, seien jedoch keine hinreichend eingrenzbare gesellschaftliche Gruppe im Sinne des § 130 StGB.*
In seiner dreijährigen Bewährungszeit muss F. Auslandsreisen ankündigen und genehmigen lassen. Aus der Urteilsbegründung wird aber noch mehr deutlich: In Darmstadt, dem zweiten Ort, wo man die Türen für den damaligen Mittzwanziger aufmachte, hatte man sich erheblich um ihn bemüht. So wurde bekannt, dass seine Betreuerin mehrfach vergeblich ein Exposé der geplanten Arbeit angefordert haben soll.**
Mehrere Gefährderansprachen ließen Malik F. unbeeindruckt, er verbreitete weiter beharrlich seine Inhalte. Auch Auflagen der Ausländerbehörde blieben ohne Wirkung. Trotzdem hatte er seit 2011 von Sozialleistungen gelebt, die Familie wuchs. Bei einer geplanten Abschiebung habe eine andere Behörde interveniert. Ab 2013 habe F. nur noch „private Dinge“ betrieben. Mehrere Türkeireisen waren darunter, auch ein Studenten-Vermittlungsservice. Dass das Promotionsvorhaben durch die Technische Universität beendet worden sei, habe sich als besondere Belastung nicht ausgewirkt. Hinsichtlich der Strafzumessung wurde bei F. wegen seiner Eigenschaft als „Ersttäter“ und wegen seiner neuen Erkrankung eine erhöhte „Haftempfindlichkeit“ festgestellt und berücksichtigt.
Nach der Urteilsverkündung wurde seitens der Verteidigung keine Erklärung abgegeben. Damit ist offen, ob Revision beantragt wird.
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Diese Auffassung wird breit vertreten. Dabei wird jedoch die Sicht eines potentiellen Täters wie in diesem Fall meiner Meinung nach unzureichend erfasst. Aus Sicht dieser handelnden Personen ist die Gruppe derer, die sie meinen, sehr wohl umschrieben: All jene, die nicht ihrer Auslegung islamischer Vorgaben folgen, sind gemeint. Diese Gruppe mag aus Sicht eines Dritten komplex zusammengesetzt sein. Aus der Sicht solcher Täter ist sie das jedoch nicht, weil ihr Kriterium da ganz einfach ist und eine Gruppe normiert. Die schlichte Zweiteilung zwischen Gläubigen und Ungläubigen schafft somit eine religiöse Gruppe.
Zum Vergleich seien Bestrafungen bei Aufhetzungen gegen „Ausländer“ herangezogen; auch dort ist die gemeinte Gruppe komplex zusammengesetzt, da sie Ausländer verschiedener Nationalitäten umfasst. Der Täter schafft in diesem Fall eine Gruppe, gegen die eine Aufhetzung, die den öffentlichen Frieden stört, denkbar ist. Auch dort kommt es auf die Binnensicht eines Täters an, an welchen Merkmalen er Zielobjekte ausländerfeindlicher Aufhetzungen ausmacht. Die Binnensicht eines potentiellen Täters ist zu berücksichtigen, wie der BGH in einem Fall um Kommunisten als Gruppe, gegen die aufgehetzt wurde, festgestellt hat:
„Hierfür reichte allein der Hinweis darauf nicht aus, dass die Strafkammer selbst die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Norm verneint hat. Vielmehr musste sie die maßgebende Vorstellung des Täters zum Zeitpunkt der Begehung der Tat feststellen und würdigen. Dabei war darauf Bedacht zu nehmen, dass der Vorsatz auf der Wissensseite als intellektuelles Element erfordert, dass der Täter sich zurzeit der Handlung des Vorliegens aller Umstände des äußeren Tatbestands bewusst ist. Namentlich bei normativ geprägten Tatbestandsmerkmalen braucht der Täter im Übrigen nicht die aus den Gesetzesbegriffen folgende rechtliche Wertung nachzuvollziehen; insofern genügt die Parallelwertung in der Laiensphäre, die voraussetzt, dass der Täter die Tatsachen kennt, die dem normativen Begriff zugrunde liegen, und auf der Grundlage dieses Wissens den sozialen Sinngehalt des Tatbestandsmerkmals richtig begreift (vgl. Lackner/Kühl, StGB 26.
Aufl. § 15 Rdn. 9, 14).“
BGHE 3 StR 394/07, 3. April 2008, RN 29 und 30
Die Frage, welcher Gruppe der Täter, welcher Gruppe diejenigen angehören, gegen die aufgestachelt wird, darf hingegen keine Rolle spielen, auch wenn dies im Zusammenhang mit dem $ 130 StGB häufig so gesehen wird. So sah die Hamburger Staatsanwaltschaft im Fall Karabulut „alle Deutschen“ nicht als Gruppe an, die hinreichend umschrieben sei:
Das kann man nach dem Wortlaut des Gesetzes so sehen, auch wenn die gleiche Handlung, nämlich die Aufstachelung und die Herabwürdigung von Menschen, dann bei Tätern verschiedener Herkunft und unterschiedlichen Zielobjekten unterschiedlich zu ahnden ist. Der Fehler liegt also im Gesetz. Ziel muss sein, dass gleich verabscheuungswürdige Handlungen auch gleich bestraft werden können unabhängig von Zielobjekten oder der Täterzugehörigkeit. Wer es ernst meint mit der Gleichbehandlung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Justizias Blindheit für die Tätermerkmale, kann gar nicht umhin, diese Gleichbehandlung auch bei der Strafbarkeit im Grunde gleicher Handlungen zu fordern.
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Das verwundert – normalerweise sollte das Exposé vor einer Zusage, man könne promovieren oder gar eine Stelle bekommen, vorliegen.
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