Mitte Juni wurde bekannt, dass der Koordinationsrat der Muslime (KRM) weitere Mitglieder aufnehmen will. Mit dabei sind auch problematische Vereine und Verbände. Wird damit eine neue politische Macht aufgebaut?
Mitte Juni wurde bekannt, dass der Koordinationsrat der Muslime (KRM) weitere Mitglieder aufnehmen will. Unter den drei neuen Verbänden sind zwei, die eigentlich schon über den Zentralrat der Muslime (ZMD, letzter öffentlich gemachter Stand 2016) eine Stimme im KRM haben.
Im Koordinationsrat waren bislang die DITIB, der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), der Islamrat und der Zentralrat der Muslime vertreten. Während die DITIB, die die türkische Religionsbehörde repräsentiert, und VIKZ sowie Islamrat – über die darin dominierende Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) – vor allem türkischstämmige Muslime repräsentieren wollen, sind im ZMD eine Vielzahl verschiedener Herkünfte und auch Strömungen beteiligt. Der ZMD hat überwiegend sunnitische Mitglieder, die hinsichtlich der Herkunft vorwiegend nicht türkischstämmig sind. Eine Ausnahme davon ist die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB).
Nach dem oben verlinkten IslamiQ-Artikel* stehen nach über einem Jahrzehnt des Bestehens nun Änderungen bevor. IslamiQ gilt als IGMG-nah und ist damit eine in einem solchen Zusammenhang verlässliche Quelle. Neu im KRM sollen demnächst auch der Zentralrat der Marokkaner in Deutschland (ZMaD), die Union der islamisch-albanischen Zentren (UiaD) und die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken (IGBD) in Deutschland sein. Das ist recht formlos durch Absprache möglich, denn eine feste Organisationsform jenseits einer gemeinsamen Geschäftsordnung hat der KRM entgegen dem Auftreten in der Öffentlichkeit bislang nicht. Die Sprecher wechseln gemäß dieser Geschäftsordnung. Die aktuelle Sprecherin, Nurhan Soykan, ist vom ZMD benannt. Sie betont im obigen Artikel den „wichtigen Schritt auch im Sinne einer gemeinsamen muslimischen Repräsentanz“. Eine gemeinsame muslimische Repräsentanz? Darüber gab es im Januar Gespräche auf einer Konferenz in Köln, auf der zumindest weitergehende Kooperationen abgesprochen wurden zwischen Vertretern der DITIB und Vertretern anderer Organisationen:
https://vunv1863.wordpress.com/2019/01/07/koelner-erklaerung-muslimische-forderungen/
Es könnte also sein, das im KRM eine Möglichkeit gesehen wird, eine gemeinsame Vertretung zur Durchsetzung von Interessen verschiedener Strömungen des politischen Islam zu bilden. Man kann vermuten, dass es zwischen einem „Koordinierungsrat“ und dem Koordinationsrat auf nationaler Ebene erhebliche Schnittmengen gibt.
In einer aktuellen Angelegenheit, einer Stellungnahme zum islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen, sind die neuen Strukturen auch schon gemeinsam aktiv geworden:
„Zu der Stellungnahme möchte die Islamische Religionsgemeinschaft DITIB – NRW e.V.
(DITIB NRW) mitteilen, dass dieser in Abstimmung mit dem im Koordinationsrat der Muslime
organisierten Verbänden, zusätzlich in Abstimmung mit dem Zentralrat der Marokkaner, mit
der Union islamischer Zentren aus Albanien und mit der Glaubensgemeinschaft der Bosniaken
erarbeitet wurde.“
In dieser Stellungnahme sind einige Punkte durchaus strittig. Unter III. 7. etwa fällt auf, dass man angibt, die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ zu achten; dass einige der Unterzeichner** Mitgliedsvereine oder Verbände aufweisen, die unter Beobachtung stehen, wird genauso wenig aufgegriffen wie der Umstand, dass der Status als Religionsgemeinschaft bei einigen Mitgliedern nicht nur deswegen fraglich ist, sondern auch, weil sie lediglich religiös konnotierte Mitglieder haben, die selber nicht als Religionsgemeinschaften gelten dürften.
Zurück zum neuen KRM. Dabei ist auch interessant, wer auf dem Foto nach der Übereinkunft des KRM mit dabei ist:

Quelle/Belegbild: Nach Angaben von IslamiQ der KRM mit Nachbearbeitung durch IslamiQ; 4.v.re. wohl Ibrahim El Zayat SHM, Abruf 25.6.2019 http://www.islamiq.de/2019/06/12/koordinationsrat-der-muslime-nimmt-neue-mitglieder-auf/?fbclid=IwAR34ohXmCoydWMUFaRTgLNtxIW675YyPAgXiDHiepUQQkEsehqSx2MZLeTk
Da ist wahrscheinlich Ibrahim El Zayat, der ehemalige IGD-Vorsitzende (jetzt DMG nach Umbenennung).
Warum die IGBD und die UiaD noch einmal eigenständig im KRM vertreten sein wollen, da sie doch eigentlich schon über den ZMD beteiligt sein sollten, ist bedenkenswert. Möglicherweise will man sich auch direkt breiter aufstellen – oder Größe darstellen.
Nach den Angaben auf der Seite eines der neuen Mitglieder, der IGBD, gibt es Bestrebungen, nunmehr eine weitere übergeordnete Interessenvertretung zu schaffen:

Quelle/Belegbild: Facebook-Account der IGBD https://www.face book.com/igbd.org/ , Abruf 25.6.2019
Auf der zugehörenden Internetseite wird man noch konkreter in einem Bericht über einen Workshop in Wiesbaden (Google-Übersetzung):
„Die Teilnehmer Konsultation zum Ausdruck gebrachten Unterstützung von Initiativen, die auf eine bessere und stärkere Verknüpfung von islamischer Religionsgemeinschaft in Deutschland mit dem Ziel der Schaffung eine gemeinsame muslimischen Vorstellungen von Muslimen in unserem Land beitragen. In diesem Zusammenhang begrüßt ausdrücklich die vor kurzem angekündigte Initiative der Islamischen Gemeinschaft von Bosniaken in Deutschland zusammen mit den islamischen Gemeinden, Albaner und Marokkaner werden ein unabhängiges Mitglied des KRM – Koordinationsrat der Muslime und Deutschland (Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland). Er begrüßte auch die Initiative zur Gründung des BIR – Bund Islamischer Religionsgemeinschaft (Union der Islamischen Religionsgemeinschaften) auf der Ebene der Bundesstaaten / Provinzen.“
Die neuen Verbindungen über den KRM stünden also am Beginn einer weiteren Organisationsstufe. Das könnte dann den Vorstellungen, die Anfang des Jahres in der Kölner Abschlusserklärung formuliert wurden, schon sehr nahe kommen. Der politische Islam würde sich konstituieren und mit angeblich einer Stimme sprechen. Zumindest dann, wenn es um den Gegenpart Mehrheitsgesellschaft geht.
Auch wenn vielen Muslimen diese neuen Entwicklungen – noch – nicht bekannt sein dürften, so könnten sie doch als vermeintlich vertretene Gruppe von den Verbandsvertretern instrumentalisiert werden. Wie viele Muslime tatsächlich Vorgaben wie der Absage an einen „Euro-Islam“ folgen würden, ob sie das überhaupt wollen, ist gänzlich unklar.*** Um solchen Bestrebungen, wie sie gegenwärtig einige muslimische Verbände verfolgen, nämlich muslimisch-identitär gegen eine recht wenig religiöse Mehrheitsgesellschaft und auch ganz konkret gegen das Gemeinwesen anzutreten, ein Gegengewicht entgegenzusetzen, sollten diese Bestrebungen im Auge behalten werden. Ob Initiativen Religionsgemeinschaften sind oder politische Akteure, die nur religiös konnotiert auftreten, ist nicht den Beteiligten selber zu überlassen. Da muss sich die Gesellschaft, allen voran Muslime, die derlei Instrumentalisierung und „Vertretung“ nicht wollen, ein Bild machen und die Akteure hinter dem Marketing einordnen. Wenn sich eine Organisation formiert, die Gegengesellschaft sein und aufbauen will, so kann jenseits aller Lippenbekenntnisse nur zählen, welche Ziele verfolgt werden. Daran wird man solche neuen Bünde messen müssen: An den problematischen Mitgliedern und ihren Zielen.
*
Ursprüngliche Pressemitteilung:
**
Unterzeichnet hat das Schriftstück nur ein Verband – gemeint sind wohl die im Text ebenfalls erwähnten Verbände.
***
Um so wichtiger wäre es, die BMI-Untersuchung von 2009 mit ähnlicher Fragestellung zu wiederholen.
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