IS-Rekrutierung in der U-Haft?

Hat Mine K. in der Untersuchungshaft Anschläge verherrlicht und versucht, Mithäftlinge für den IS zu begeistern? Sie selbst bestreitet das. „Ich habe mit dem IS nie was zu tun gehabt“, beteuerte sie am Donnerstag vor Gericht. Die Vernehmungen einer anderen IS-Rückkehrerin und eines Bild-Journalisten aber belasteten die 47-Jährige.

Der Hochsicherheits-Gerichtssaal des OLG Düsseldorf (Bild: Sigrid Herrmann-Marschall)

Beim Prozess gegen die mutmaßliche IS-Rückkehrerin Mine K. sagte am Montag vor dem 2. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG) eine andere Rückkehrerin als Zeugin aus. „Sie sehen sehr angestrengt aus“, wurde Annette L. vom Vorsitzenden Richter Frank Schreiber begrüßt. „Das ist ja kein Wunder“, erwiderte die 51-Jährige, die nach eigenen Angaben ihre Erlebnisse im IS-Gebiet mit Hilfe einer psychologischen Behandlung zu verarbeiten versucht und wegen ihrer Aussage bereits Tage zuvor „von muslimischen Kreisen“ im Internet als „Nazi“ beschimpft wurde. „Mir kommt das gerade wieder hoch.“ Schnell schilderte sie, wie sie Mine K. auf Facebook kennengelernt hatte.

Erlebnisse in ihrer Kindheit sowie ihre damalige Lebenssituation hätten im Ergebnis zu ihrem Entschluss geführt, in das IS-Gebiet auszureisen. So hätte sie das Sorgerecht für ihr Kind verloren, nachdem ihr Ex-Mann sie als extremistisch dargestellt habe. Auch hätte sie deswegen zweimal ihre Wohnung verloren. „Dann siehst du nur noch rot und willst abhauen“, sagte sie. „Und dann habe ich die Mine gefragt, wie man da runterkommt.“ Die aber hätte geantwortet, sie solle „nicht so viel fragen, sondern einfach tun“.

Facebook-Postings über „Jihad-Romantik“

Auch hätten falsche Darstellungen anderer IS-Frauen über „Jihad-Romantik“ auf Facebook zu ihrem Entschluss beigetragen: „Viele Frauen haben gepostet, wie toll das dort ist und dass sie in einer Villa wohnen.“ Außerdem hätte es geheißen, „hier wird man nicht wegen seiner Religion verfolgt“, schilderte die Konvertitin. „Dass man die Frauen dort wegsperrt, habe ich nicht gewusst. Da ist selbst Gefängnis besser.“ Mehrfach betonte sie: „Frauen sind halt manipulierbar, das ist leider so.“

Später fügte sie an, dass die deutsche Presse bei ihrer Berichterstattung über den Islamischen Staat (IS) „untertreiben“ würde: „Wenn im Fernsehen Berichte über den IS kommen, dann ist das Kindergarten im Vergleich zu dem, was da wirklich läuft.“ Später sagte sie: „Die Männer dort wollten alle ein Dawla-Baby, das war total in.“ Dawla ist eine arabische und hauptsächlich intern benutzte Bezeichnung für den IS.

Mehrfach schilderte sie die katastrophale Situation in den IS-Frauenhäusern und die schlechte Behandlung der Frauen durch die IS-Männer. „Und auf Facebook schreibt der, dass er seine Schwestern ehrt. Der soll mal die Klappe halten“, schimpfte sie über einen getöteten IS-Terroristen. „Das tut er ja jetzt auch“, merkte Frank Schreiber daraufhin an.

Kriegs- und Köpfvideos als Unterhaltungsprogramm

Als einer der Richter nachfragte, welches „Unterhaltungsprogramm“ in den Frauenhäusern geboten wurde, antwortete sie, dass dort „kein Koran herumgelegen“ habe. Stattdessen seien in einem IS-Frauenhaus „Kriegs- oder Köpfvideos“ gezeigt worden. „Dauerhaft in der Endlosschleife laufend, dem konntest du dich nicht entziehen, die Kinder dazwischen.“ Die meisten IS-Frauen hätten darauf aber „positiv“ reagiert: „Die hatten das mit Kindern gefeiert.“

An der angeklagten Mine K. ließ sie kein gutes Haar: „Wenn sie 4.000 Freunde hat, kann sie mir nicht erzählen, dass sie nicht wusste, was da unten abgeht.“ Dann warnte Annette L. eindringlich vor dem IS: „Wenn man es genau nimmt, wollen die ja fast die gesamte Weltbevölkerung abschlachten. Und du kannst mit denen nicht reden; die beharren darauf.“ Kurz zuvor hatte sie kritisiert: „Man kann ja auch nicht in ein christlich geprägtes Land einfallen und den Leuten die Scharia aufdrängen. Das geht einfach nicht!“ Ihre fast vierstündige Vernehmung beendete sie mit den Worten: „Der IS hat dem Ansehen des Islam geschadet. Mir fehlen die Worte, das hat mit dem Islam nichts zu tun.“

IS-Werbung in der U-Haft?

Am Donnerstag begann die Verhandlung mit einem Paukenschlag: Mine K. soll versucht haben „Mitgefangene von einem islamischen Weltbild zu überzeugen und dabei Terrorismus verherrlicht“ haben, las der Vorsitzende Richter aus einer Mitteilung der JVA Köln vor. Außerdem soll sie in der Untersuchungshaft versucht habe, Mithäftlinge davon zu überzeugen, sich dem IS anzuschließen.

Mine K. aber bestritt die Vorwürfe: „Das ist absoluter Blödsinn“, sagte sie. „Ich denke, dass die eine Intrige gegen mich spinnen. Ich habe mit dem IS nie was zu tun gehabt.“ Frank Schreiber aber kündigte schnell weitere Zeugenladungen an: „Wir werden das aufklären.“

Nach dieser überraschenden Mitteilung wurde der Journalist Björn S. als Zeuge vernommen. Der Journalist hatte 2018 in der Türkei mit Mine K. gesprochen und dann in der Bild-Zeitung einen Artikel veröffentlicht, in dem er sie als „Chef-Rekrutiererin des IS“ bezeichnet hatte. Am Donnerstag schilderte er, wie er zu dieser Einschätzung gekommen war: Durch seine Recherchen, Gesprächen mit anderen Frauen und nicht zuletzt durch die „Ratschläge“, die sie anderen in ihren Facebook-Beiträgen gegeben hatte. „Da konnte man schon erkennen, dass sie dort eine Respektsperson ist.“

Mit Kind und Jihadisten-Ehemann bei „Lies!“-Kampagne?

Auch habe sie selbst nach ihrer Ausreise aus dem IS-Gebiet das Kalifat in ihren Facebook-Beiträgen noch glorifiziert, schilderte der Journalist weiter. Diese wirkten wie Schilderungen eines „Urlaubsortes“. Kritik an den Verbrechen des IS sei von ihr ebenfalls nicht zu vernehmen gewesen: „Alles, was dort passiert ist, sei islamisch gerechtfertigt“, soll sie ihm gesagt haben.

Dann sprach Björn S. davon, dass seine Recherchen auch ergeben hätten, dass Mine K., ihr kleiner Sohn und Murat D. auch an Koran-Verteilaktionen der „Lies!“-Kampagne teilgenommen hätten. Der Herforder Jihadist Murat D. war mit Mine K. nach islamischem Recht verheiratet und galt bislang als Grund für ihre Reise in das IS-Gebiet. Er wurde 2015 von einer Drohne getötet.

„Who is who“ berüchtigter Jihadisten

Der letzte Zeuge in dieser Woche war ein Islamwissenschaftler des nahe gelegenen Landeskriminalamts (LKA). Der 62-Jährige hatte beschlagnahmte Datenträger von Mine K. und andere ihr zuzuordnende Quellen ausgewertet. Dabei hatte er unter anderem festgestellt, dass rund die Hälfte des Materials auf dem Datenträger auf jihadistische Inhalte bezogen war. Der Zeuge zählte einige der Urheber auf. Das wirkte auf die Prozessbeobachter wie ein „Who is who“ bekannter und berüchtigter Jihadisten; so fanden sich etwa Inhalte von Yassin und Mounir Chouka, zwei Bonner Brüdern, die 2007 nach Waziristan auswanderten und lange jihadistische Botschaften verbreiteten.

Oder Inhalte des Österreichers Mohamed Mahmoud, der 2014 zum IS ausreiste und möglicherweise 2018 getötet wurde. Mahmoud wurde unter anderem durch seine drastische Sprache in seinen Hassbotschaften bekannt. So forderte er in einigen seiner Videos den Kampf „bis der Kopf fliegt“. Auch türkische Jihadisten waren dabei, darunter der dort vor einiger Zeit zu 14 Jahren Haft verurteilte Halis Bayancuk alias Abu Hanzala. Der LKA-Mitarbeiter wies darauf hin, dass er nur etwa 20 Prozent des Materials näher ausgewertet habe. Eine Begutachtung des ganzen Materials hätte seiner Einschätzung nach „einen eigenen Aktenordner“ erfordert.

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