Wegen der Corona-Krise war auch das Islamische Zentrum Aachen (IZA) dazu gezwungen, mehr Aktivitäten in das Internet zu verlagern. Das gewährte jedoch auch tiefere Einblicke in die Betätigungen und Strukturen des IZA. Dabei waren Bezüge zur Muslimbruderschaft wie auch zur Salafisten-Szene zu finden. Zuletzt war eine Erwähnung des IZA in den Verfassungsschutzberichten aufgrund zurückgegangener Aktivitäten rechtlich nicht mehr zulässig. Die corona-bedingten neuen Einblicke deuten jedoch mehr auf Verlagerungen, aber nicht auf rückläufige Aktivitäten.

Minarett der zum IZA gehörenden Bilal-Moschee in Aachen (Bild: Sigrid Herrmann-Marschall)
Zu der Aufteilung der nationalen Strömungen der Muslimbruderschaft führte der hessische Verfassungsschutz vor längerer Zeit aus: „Der syrische Zweig der Muslimbruderschaft ist im Islamischen Zentrum Aachen (IZA) vertreten und tritt unter der Bezeichnung ,Islamische Avantgarden‘ auf. Auch sie sind in Frankfurt am Main aktiv. Beide Zweige (gemeint sind die Islamische Gemeinschaft in Deutschland, IGD, jetzt Deutsche Muslimische Gemeinschaft, DMG, und das IZA, Anm. d. Autorin) verfügen im Bundesgebiet über jeweils etwa 500 Mitglieder. Ziel dieser Zweige ist es vor allem, in Deutschland lebende Muslime für die Muslimbruderschaft zu gewinnen. Es werden Publikationen herausgegeben sowie Seminare und Treffen organisiert.“ Die Zahlenangaben beziehen sich noch auf die alten Darstellungen, bei denen mit etwa 1.000 für den Verfassungsschutz sichtbaren Muslimbrüdern gerechnet wurde. Seit einigen Jahren wird das IZA nicht mehr in den Verfassungsschutzberichten erwähnt.
Am und vor allem für das IZA sind viele Personen aus der alten Garde jedoch weiterhin aktiv. Issam al-Attars Aktivitäten sind im ersten Teil dieses Beitrags beleuchtet worden. Al-Attar hat, wie im ersten Teil ausgeführt, seine Internet-Gefolgschaft von über 300.000 Followern und hält Reden; zuletzt wurden allerdings eher alte Aufnahmen erneut veröffentlicht. Nadeem Elyas, der frühere Vorsitzende des Zentralrats der Muslime (ZMD), Mitglied des ehemaligen DIWAN-Ausschusses des ZMD und IZA-Ratsmitglied, vermittelt seit langen Jahren, wenn es um den Dialog mit den Kirchen geht und das vor allem über die Kooperation mit Jürgen Miksch. Der evangelische Theologe erwies sich als loyaler Fürsprecher, der auch frühere kritische Berichterstattung zu radikalen Haltungen, wie etwa 2003 durch Report Mainz, stets in Nibelungentreue ausgesessen hat. Ahmad al-Mrayati verantwortet weiterhin formal federführend die Informationsverbreitung über den Islamischen Info.Dienst (IID) und ist durch eine medizinische Organisation nach Syrien vernetzt. Salahdin Nakdali, früherer Leiter der Moschee mit wenig Berührungsängsten zu bekannten Hardlinern, predigt weiterhin.

Belegbild: http://www.facebook.com/WSUchannel, Abruf 01.08.2020
Gelegentlich trat man auch zusammen in Erscheinung, wie etwa 2013 bei der Eröffnungsfeier der Bonner al-Muhajirin Moschee. Der IID machte Aufnahmen, filmte und fotografierte. Auf dem links angefügten Bild kann man Mousa Metwaly und Issam al-Attar am Tisch mit dem verstorbenen Mohamed Hawari sehen. Für die Gäste aus der Mehrheitsgesellschaft, darunter der heutige nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP), gab es in der al-Muhajirin-Moschee hingegen eine separate Feier. Der heutige Stellvertreter des DMG-Vorsitzenden Khallad Swaid, Sabri Shiref, stammt übrigens aus dieser Gemeinde dieser Moschee.
Corona-Krise führt zu tieferen Einblicken
Die Corona-Krise führte nun dazu, dass auch das IZA große Teile seiner Aktivitäten in das Internet verlegen musste. Dadurch wurde erkennbar, welche Imame derzeit im IZA verantwortlich sind oder als Gastprediger auftreten dürfen. Damit ergeben sich auch Hinweise auf die gegenwärtige ideologische Ausrichtung des IZA und ergänzende Einsichten zu den Aktivitäten der letzten Jahre. Salahdin Nakdali ist auch weiterhin dabei. Mousa Metwaly und Adnan Nakdali wurden zuletzt auch auf der Internetseite des Zentrums als Imame benannt.
Zu Mousa Metwaly (amtliche Schreibweisen Metwaly und Mettwaly) schrieb Rita Breuer letztes Jahr in dem Artikel „Die Muslimbruderschaft in Deutschland“: „Leitender Imam [der Abu-Bakr-Moschee, Anm. d. Autorin] ist seit Jahren Scheich Mitwalli Mousa, der 2007 die filmisch dokumentierte Radikalisierung des Konvertiten Barino Barsoum zu verantworten hatte. Am Ende spricht sich der junge Mann für die islamischen Körperstrafen und den bewaffneten Jihad aus und meidet jeden Kontakt zu ,Ungläubigen‘. Als er sich einige Zeit später anders besinnt und dem Christentum zuwendet, will in der Moschee niemand mehr mit ihm sprechen. Mitwalli Mousa plädierte einstweilen für die Tötung derer, die sich öffentlich vom Islam lossagen.“ Metwaly ist laut Vereinsregisterauszug vom 19. Juli auch wieder Vereinsvorsitzender der oben erwähnten Islamischen Gemeinde Köln, zu der die Abu-Bakr-Moschee gehört. Diese gilt laut Focus als „Hotspot der Muslimbrüder“, vom Kölner Stadt-Anzeiger wurde die Moschee als „Hort der Muslimbrüder“ bezeichnet.
Mit seinem Bundesverband für islamische Tätigkeiten war Mousa Metwaly lange Mitglied im ZMD, wie ein Dokument aus dem Jahr 1999 belegt. Aktuelle Mitgliedsangaben werden vom ZMD seit 2016 selbst Zuwendungsgebern gegenüber verweigert, so dass nicht bekannt ist, ob der Verein immer noch dort Mitglied ist. Allerdings wurde der Vereinsvorsitzende Metwaly 2012 nach Aachen umgemeldet. 2013 tritt er in einem Video als Vertreter des European Islamic Forum (EIF) Aachen auf. Das EIF ist ebenfalls ein Projekt des IID und auch damit des IZA, es wird auch in dem Nachruf auf Mohamed Hawari 2015 vom ZMD erwähnt. Auch auf der Seite des IID ist Metwaly als Autor benannt. Bei den Kongressen des IZA, die im ersten Teil dieses Beitrags erläutert wurden, taucht er seit den 80er-Jahren auf. Ein so radikaler Imam und so lange dem IZA verbunden? Doch weitere Imame sind kaum weniger problematisch. Salahdin Nakdali stand dem Verein vor, er verantwortet laut des Impressums immer noch den IID mit.
Nächste Generation bereits aktiv
Auch die nächste Generation ist bereits aktiv. Das IZA stellt den aktuellen Vorsitzenden des ZMD, Aiman Mazyek. Söhne von Ahmad al-Mrayati machen beim IID mit (Issam al-Mrayati) oder halten Vorträge beim Funktionärstreffen, der sogenannten Mittwochssitzung (Amr al-Mrayati). Der Sohn von Nadeem Elyas, Usama Elyas, steht oder stand zusammen mit der Mutter von Aiman Mazyek, Mousa Metwaly und dem ehemaligen IGD-Mann Hassan Swaid, der in der Vergangenheit auch dem DIWAN-Ausschuss angehörte, für eine Moschee in Bergheim Ratsuchenden zur Verfügung. Die Hauptseite der Moschee ist im Webarchiv ab 2016 auffindbar. Im selben Jahr war er auf der IGD-Jahrestagung angekündigt.
Usama Elyas ist dem breiteren Publikum besser als „Ususmango“ und durch „RebellComedy“ bekannt. Ende 2018 gab es mehrere Promotion-Videos von Usama Elyas und RebellComedy für die – wegen ihrer von der Bundesregierung gesehenen personellen Bezüge zur Muslimbruderschaft – umstrittene Hilfsorganisation Islamic Relief Deutschland (IRD). Diese sind auch alle auf dem YouTube-Kanal von RebellComedy veröffentlicht. Auf der Internet-Seite des IRD-Projekts „Speisen für Waisen“, auf der Prominente dafür werben, ist er auch aufgeführt. Die RebellComedy GmbH, deren Bilanzsumme laut Bundesanzeiger im Jahr 2018 immerhin über eine dreiviertel Million Euro betrug, wird seit einiger Zeit von Humaam Mazyek geführt. Auch Humaam Mazyek fiel etwa schon dadurch auf, dass er für islam.de Tariq Ramadan, einen international bekannten Muslimbruder, interviewte.

V.l.: Adnan Nakdali, Talha Kemiksiz, n.n., Issam al-Mrayati, n.n. Belegbild: http://www.facebook.com/WSUchannel, Abruf 01.08.2020
Adnan Nakdali, ebenfalls als Verantwortlicher des IID angegeben und Imam des IZA, ist diesen Einflüssen offensichtlich sehr stark verhaftet und setzt im Grunde noch einen drauf: Er veranstaltet mit seiner Firma „Manasic“ Mekka-Reisen – zusammen mit Ferid Heider und dessen Firma „Makarim“. Das wirkt nicht wie ein Zufall, denn schon früher bestanden offensichtlich beste Kontakte der jüngeren Aktiven in die salafistische Szene. So gab es bereits 2014 einen Besuch von Muslim Media (MM) im Aachener WSU-Studio des IZA (siehe Bild). Einer der Verantwortlichen von MM ist Talha Kemiksiz, der seit langem in der salafistischen Szene wirkt, vielerlei Kontakte hat und auch schon bei der Erstellung von Propaganda-Videos gemeinsam mit dem im Juni verurteilten IS-Anhänger Sabri ben A. aktiv war. Trotz all dieser Betätigungen durfte Adnan Nakdali eine Zeitlang unter anderem in Heinsberg als Gefängnis-Imam agieren, wenn auch unter ständiger Begleitung der JVA-Bediensteten. Dieses Engagement wurde allerdings, wie aus Justizkreisen zu vernehmen war, wieder beendet.
WSU steht für „Worldwide Social Understanding“, einem YouTube-Kanal, auf dem seit 2011 unzählige Betätigungen im IZA sowie von dessen Aktiven dokumentiert sind. Auf dem Kanal wird ganz überwiegend arabisch gesprochen, er wendet sich also an die „eigene“ Community. Dort finden sich neben vielen Predigten Issam al-Attars auch Videos, die Gäste zeigen. So etwa der mittlerweile inhaftierte saudische Hassprediger Muhammad Musa al-Sharif bei einem Besuch im Jahr 2014. Al-Sharifs hetzerische Haltungen sind schon einige Male vom Middle East Media Research Institute (MEMRI) aufgegriffen worden. So verteidigte al-Sharif die Ehe ab neun Jahren, hält die Menschenrechte für wertlos, weil sie von Christen und Atheisten stammen, zitiert die „Protokolle der Weisen von Zion“, preist deshalb Selbstmordattentate und ist überhaupt der Meinung, der Islam werde die Welt beherrschen. Diese Ausführungen waren bereits von MEMRI veröffentlicht, als er im IZA auftrat.
Haltungen angepasst, aber nicht geändert?
Ein anderes Beispiel sind die Besuche von Omar Abdelkafi, einem bekannten ägyptischen Prediger, der seit vielen Jahren mehrfach in Aachen zu Gast war. International fällt er als radikaler Hardliner auf, der immer wieder Juden verächtlich macht und der Verschwörungstheorien zu den Anschlägen des 11. September 2001 sowie den Pariser Attentaten verbreitet. Dazu passt, dass als Gastreferent im Ramadan 2020 Abou Obaida Ali in Aachen war. In mehreren Ansprachen durfte er über Wochen seine Sichten verbreiten. Ali ist der Studien-Dekan des Europäischen Instituts für Humanwissenschaften (EIHW), das vom hessischen Verfassungsschutz als „Kaderschmiede der Muslimbruderschaft“ bezeichnet und beobachtet wird. Aus all diesen Eindrücken ergibt sich ein Gesamtbild, nach dem die Aktiven des IZA ihre Haltungen und Betätigungen nicht grundsätzlich geändert, sondern angepasst haben – und die nächste Generation damit geprägt haben.
Parallel zu ihren Recherchen bat die Autorin auch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz um dessen Einschätzung. Der antwortete Ende Juli: „Das Islamische Zentrum Aachen (IZA) war in seiner Anfangszeit ein überregional tätiges islamisches Zentrum mit internationaler Ausstrahlung, das europaweite Verbindungen pflegte und die Gründung neuer Moscheen in NRW unterstützte. Als eine der ältesten und bedeutendsten Moscheen in NRW unterhält es bis heute zahlreiche Kontakte zu anderen Moscheen in der Region und darüber hinaus. Verbindungen in den Bereich der Muslimbruderschaft ergaben sich vor allem aus personellen Bezügen zur (syrischen) Muslimbruderschaft, die heute jedoch nicht mehr in der gleichen Intensität wie in der Vergangenheit feststellbar sind. Eine Erwähnung im Jahresbericht ist deshalb seit 2009 nicht mehr erfolgt. Die deutlich zurückgegangenen Aktivitäten führen dazu, dass eine öffentliche Berichterstattung des Verfassungsschutzes über das IZA nicht mehr zulässig ist.“
Diese Einschätzung mag vor dem Hintergrund der in diesem Beitrag geschilderten Zusammenhänge erst einmal unverständlich klingen. Denn diese deuten nicht auf Rückläufigkeit, sondern eher auf eine Verlagerung der Aktivitäten; anscheinend wird nunmehr ein Ansatz verfolgt, der Muslimbrüder anderer Herkünfte stärker mit einbindet. Was aber die Gefährlichkeit des Gedankenguts eher vergrößert als verringert. Nur darf man dabei nicht vergessen, dass viele der geschilderten Zusammenhänge erst dadurch ersichtlich wurden, dass das IZA in der Corona-Krise große Teile seiner Aktivitäten in das Internet verlegen musste. Ohne diesen Effekt wäre so manches öffentlich noch immer nicht einsehbar. Der Verfassungsschutz berichtet jedoch immer über das jeweils zurückliegende Jahr. Und da war das, was 2019 ersichtlich an die Öffentlichkeit drang, für eine Erwähnung tatsächlich zu wenig. Allerdings darf man jetzt auf den nächsten Verfassungsschutzbericht neugierig sein.
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