Ravsan B.: IS-Anschläge um „zu helfen“?

Letzte Woche begann in Düsseldorf der Prozess gegen Ravsan B. Ihm wird vorgeworfen, eine IS-Zelle gegründet zu haben, die Anschläge in Deutschland begehen sollte. Unter anderem sollte ein Islam-Kritiker aus Neuss ermordet werden. Die Einlassung von Ravsan B. am Montag gipfelte in der Darstellung, er habe nach dem Konsum von Alkohol, Drogen und IS-Propagandavideos „helfen wollen“. Wegen einer plötzlichen Erkrankung eines Senatsmitglieds wurden seine Selbstdarstellungen vorzeitig beendet.

Ravsan B. wird zur Prozesseröffnung in den Gerichtssaal gebracht (Bild: Sigrid Herrmann-Marschall)

Seit 22. September wird vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgericht Düsseldorf gegen Ravsan B. verhandelt. Dem 30-jährigen Tadschiken wird vorgeworfen, spätestens im Januar 2019 in Nordrhein-Westfalen eine Terror-Zelle gegründet und sich mit dieser durch Unterwerfung unter die Befehlsgewalt hochrangiger Funktionäre der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) in dessen Befehlshierarchie eingegliedert haben. Die Zellenmitglieder verfolgten laut Anklage das Ziel, in Deutschland Anschläge für den IS zu begehen. Dazu soll sich Ravsan B. bereits Anleitungen zum Bombenbau verschafft haben. Auf Anweisung des IS-Terroristen „Abu Fatima“ aus Afghanistan soll die Zelle auch geplant haben, den in Neuss lebenden und zum Christentum konvertierten Iraner Amir M. zu ermorden. „Abu Fatima“ gilt bei Ermittlern als Drahtzieher eines Terror-Anschlags in Stockholm, bei dem im April 2017 fünf Menschen getötet wurden.

Amir M. hatte mit Internet-Videos, in denen er den Islam auch mit derber Wortwahl kritisierte, den Zorn der Salafisten-Szene auf sich gezogen. Der Anschlag auf ihn wurde „in letzter Sekunde“ verhindert, sagte Staatsanwalt Michael Klemm bei der Prozesseröffnung. Der Leichnam von Amir M. sollte in Internet-Videos gezeigt werden, um „die hiesige Bevölkerung einzuschüchtern“ und ein „allgemeines Klima der Angst“ zu schaffen. Die Bevölkerung sollte verunsichert werden, ob der Staat noch in der Lage sei, Sicherheit gewähren zu können, so die Anklage.

Außerdem soll die tadschikische Terror-Zelle Anschläge auf Luftwaffen-Stützpunkte geplant haben. Laut eines Medienberichts soll es sich dabei um die Nato-Airbase in Geilenkirchen (Nordrhein-Westfalen) sowie die US-Airbase in Spangdahlem (Rheinland-Pfalz) gehandelt haben. Die geplanten Anschläge auf die Luftwaffen-Stützpunkte sollen jedoch in einem anderen Prozess gegen die übrigen Mitglieder der mutmaßlichen Terror-Zelle angeklagt werden. Begründet wurde das damit, dass diese Planungen überwiegend erst nach der Inhaftierung von Ravsan B. am 15. März 2019 stattgefunden haben sollen. Vier weitere Mitglieder der mutmaßlichen Terror-Zelle wurden erst am 15. April 2020 an verschiedenen Orten in NRW verhaftet, ein weiteres vor einigen Wochen am Frankfurter Flughafen.

Ravsan B. will nicht religiös gewesen sein

Bei der Prozesseröffnung am letzten Donnerstag aber blieb es bei der Verlesung der Anklage, da sich Ravsan B. weder zu seiner Person noch zur Anklage äußern wollte. Erst am Montag, dem zweiten Verhandlungstag, war er bereit, sich zumindest zu seiner Person zu äußern. „Meine Familie war nicht religiös, ich auch nicht“, sagte er, als er seine Kindheit in Tadschikistan schilderte. Seine Mutter habe ihn geschlagen, weil sie auf seinen Vater, der sich eine neue Frau genommen habe, wütend gewesen sei. An der Universität habe er Jura studiert, „aber nicht bis zum Ende“. Später sei er von der tadschikischen Polizei „geprügelt und gefoltert“ worden, weil er für eine demokratische Partei Flugblätter verteilt habe. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Jan van Lessen war Ravsan B. aber nicht in der Lage, Politiker oder den Vorsitzenden dieser Partei namentlich zu benennen.

Über Russland sei er dann nach Deutschland geflohen. Im April 2011 sei er in Dortmund angekommen und habe einen Asylantrag gestellt. Über Bielefeld und eine Asylunterkunft im Kreis Paderborn ging es dann nach Wuppertal, seinem späteren Wohnort. Seine Aufenthaltsberechtigung habe er im Juli 2012 erhalten. Aufgrund eines Messer-Angriffs auf ihn in einer Flüchtlingsunterkunft habe er „Albträume“ und „schlafe sehr schlecht“. Bei Schilderungen dieser Art war von Ravsan B. mehrfach ein deutliches Schluchzen zu vernehmen.

Hilfsorganisation IS?

An anderer Stelle sprach der Tadschike selbst davon, in Wuppertal im Zustand des „Selbstmitleids“ gelebt zu haben. Er habe dort eine Polin geheiratet, die dann zwei Söhne von ihm geboren hatte. Nach dem anfänglichen Bezug von Arbeitslosengeld II hatte er eine Reihe von Jobs, unter anderem als Security-Mitarbeiter von Diskotheken. Geldsorgen hätten ihn jedoch zunächst zum Glücksspiel gebracht, später zu Drogen wie Kokain und Speed sowie zum Alkohol. Nachdem seine Frau ihn verlassen und mit den beiden Kindern nach Polen zurückgegangen sei, habe er sich das Leben nehmen wollen.

In dieser Situation habe er Anfang 2018 im Internet Kriegs-Videos aus Syrien gesehen. Dabei habe es sich auch um IS-Propagandavideos gehandelt. Eines dieser Videos soll einen Raketen-Angriff auf eine Neugeborenen-Station gezeigt haben. „Das hat mich sehr emotional berührt“, sagte Ravsan B. „Es entwickelte sich eine Art von Hass, aber auch Mitgefühl, ich wollte helfen.“ Und: „Das war wie ein Notruf für die ganze Welt, ich sehe das so.“

Einlassung an entscheidender Stelle beendet

Nun ist der IS auf dieser Welt ja nicht unbedingt als Hilfsorganisation bekannt, die Notrufe entgegennimmt. Also warteten die wenigen Zuschauer im Saal 2 des Düsseldorfer Hochsicherheitstraktes an dieser Stelle voller Spannung auf eine Erklärung dafür, wie jemand, der angeblich nie religiös war und lediglich helfen wollte, nur ein Jahr später bereit gewesen sein soll, sich dem IS für Anschläge in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Aber der Vorsitzende Richter ordnete genau an dieser Stelle der Einlassung von Ravsan B. eine einstündige Mittagspause an. Nach der Pause teilte Jan van Lessen dann mit, dass ein Senatsmitglied gesundheitlich beeinträchtigt sei und die Verhandlung deswegen sofort unterbrochen werde.

Einer der Verteidiger von Ravsan B., der zuvor davon angedeutet hatte, dass sich sein Mandant ohnehin nur zur Person, aber nicht zur Sache äußern wolle, griff das begierig auf: „Deswegen bietet sich hier der Cut an“, sagte er. „Daher passt es aus meiner Sicht auch ganz gut.“ Damit blieb natürlich auch im Dunkeln, wie Ravsan B. vom verlassenen Ehemann, der sich in Alkohol und Drogen flüchtete, innerhalb nur eines Jahres zum Terroristen geworden sein soll.

Ebenfalls überraschend war die Mitteilung des Richters, das Verfahren gegen die anderen Mitglieder der mutmaßlichen Terror-Zelle werde „voraussichtlich“ auch vor dem OLG Düsseldorf geführt und um den nächsten Jahreswechsel herum beginnen. Da beim Verfahren gegen Ravsan B. bereits bis Mai 2021 Termine vergeben wurden, würde das bedeuten, dass in einem Gericht zwei Verfahren parallel geführt werden, die zumindest bei einem Tatkomplex, den mutmaßlich geplanten Anschlag auf Amir M., auf derselben Anklage basieren. Dies wäre in der Beweisaufnahme nur wenig effizient und würde der Öffentlichkeit erschweren, allem genau zu folgen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich die Behörden im Falle dieser mutmaßlichen Terror-Zelle ohnehin von Beginn an ungewöhnlich auskunftsunfreudig gezeigt haben, darf man das getrost merkwürdig finden. Der Prozess gegen Ravsan B. soll am 8. Oktober fortgesetzt werden.

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