Neues „Islamkolleg“: Hintergrund fragwürdig

Beim „Islamkolleg Deutschland“, das vom Bundesinnenministerium gefördert wird, sollen Imame und Seelsorger praktisch ausgebildet werden. In der Presse wird der neue Verein unterschiedlich bewertet, mal ist von „unabhängiger Ausbildung“ die Rede, mal von „verbandsübergreifender Beteiligung“. Was und wer steht hinter dieser Bildungsinitiative, die am Dienstag auf der Deutschen Islam Konferenz so gelobt wurde?

Um Imam einer muslimischen Gemeinde zu sein, ist prinzipiell keine formale Ausbildung nötig; es genügt, die Rituale und Gebete leiten zu können und wichtige religiöse Vorschriften zu kennen. Hilfreich ist für die Anerkennung in der Gemeinde, das Vertrauen der Gläubigen zu genießen. Hinsichtlich des Imams richtet man sich oft nach den Möglichkeiten, die nicht zuletzt durch die Finanzstärke der Gemeinde bestimmt sind. Ein Grund, weshalb auch mancher Prediger oder Autodidakt sich als Imam fühlt oder so bezeichnet wird. 

Da die überwiegende Zahl der Muslime in Deutschland aus der Türkei stammen, sind die Gemeinde-Imame, die den Gläubigen zur Verfügung stehen, häufig türkischstämmig. Die DITIB, ATIB und auch einige IGMG-Moscheen beschäftigen Imame, die von der türkischen Religionsbehörde Diyanet gestellt werden. Der VIKZ bildet seine Imame überwiegend selber aus. Andere sunnitische Gemeinden beschäftigen Imame, die aus Bosnien, Albanien, nordafrikanischen Ländern, Pakistan oder noch anderen Ländern herstammen oder dort ihre Ausbildung absolviert haben. Schiitische Imame stammen häufig aus dem Iran oder anderen schiitisch geprägten Ländern. Die Ahmadiyya Muslim Jamaat unterhält seit Jahren ein eigenes Zentrum in Riedstadt bei Darmstadt. Ausschließlich in Deutschland nicht von der Gemeinschaft selbst ausgebildete Imame hingegen haben es bislang schwer. 

Diese Auslandsfixierung und -finanzierung wird nicht nur von der Politik kritisch gesehen. Besteht doch die Befürchtung, dass Imame, die die deutsche Sprache nicht beherrschen und die mit deutschen Lebensrealitäten nicht vertraut sind, ein stärker fundamentales und hier radikal wirkendes Islambild vermitteln könnten. Auch besteht die Sorge, dass ein zu starker religiös-traditioneller Bezug zur Herkunftsregion hierzulande einer Integration im Wege steht. Deswegen war das Angebot einer Imam-Ausbildung in Deutschland ein Wunsch der Politik. Islam-Verbände hingegen wünschten sich überwiegend Geld, um dies selber zu gestalten oder die eigenen bereits laufenden Bemühungen zu unterstützen. Zum Stand in Sachen Ausbildung der Imame war im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz (DIK) 2019 eine Übersicht erstellt worden, bei der allerdings das Fehlen der Erfassung schiitischer Organisationen auffällt. Daraus geht hervor, dass die Verbände überwiegend keine eigenen Imam-Ausbildungen in Deutschland betreiben. Und dass etwa ein Projekt zur „Interkulturellen Qualifizierung von Imamen“, das öffentlich gefördert wurde, genau von jenem Imam koordiniert wurde, der vom hessischen Justizministerium wegen seiner Muslimbrudernähe nicht mehr in hessische Gefängnisse gehen sollte. Dieser Imam ist seit einigen Jahren Generalsekretär des Zentralrats der Muslime (ZMD).

Eine staatlich unterstützte Imam-Ausbildung hingegen wurde durchaus auch, wie hier im IGMG-nahen IslamiQ, kritisch gesehen. „Es ist nicht Aufgabe des Staates, Imame auszubilden, sondern Aufgabe der Religionsgemeinschaften“, sagte der Vorsitzende des DITIB-Landesverbandes Niedersachsen und Bremen, Ali Ünlü, laut dieser Quelle. Jene Verbände, die ihre Imame durch die türkische Religionsbehörde gestellt bekommen, sind also – bislang – nicht dabei, sie haben seit Januar ihre eigene Einrichtung in Dahlem. 

„Islamkolleg“ medial als Lösung präsentiert

Pünktlich zum Beginn der Deutschen Islam Konferenz am Dienstag gab es breite Medienaufmerksamkeit. Beim NDR werden Zahlen genannt: Eine Million Euro will das Bundesinnenministerium beisteuern, 450.000 Euro sollen als „Anschub“ vom Land Niedersachsen kommen. Von der Tagesschau wurde das Projekt „Islamkolleg“, das die deutsche Imam-Ausbildung vorantreiben soll, gar als Erfolg von Bundesinnenminister Horst Seehofer dargestellt. Hinter dem „Islamkolleg“ stehen laut NDR unter anderem der ZMD, die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken und der Zentralrat der Marokkaner. Eine solche Aus- und Weiterbildung wirke präventiv gegen extremistisches Gedankengut, sagte der ZDM-Vorsitzende Aiman Mazyek. Das scheint der CSU-Politiker Seehofer laut Migazin selber auch so zu sehen. Die taz jubiliert überschwänglich in der Überschrift, die Imame würden „bald staatlich geprüft“. Das trifft zwar nicht zu, zeigt aber nur auf, wie sehr da das Verstandene, das Vertretene und das Tatsächliche auseinander gehen. Markus Kerber, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, behauptete beim WDR Morgenecho gar, „dass die in Deutschland tätigen Imame sicherlich keine Quelle von Radikalisierung sind.“ Wenn dem so wäre, wäre der Druck der Politik, eine deutsche Imam-Ausbildung zu initiieren, ganz unverständlich und es wäre auch nicht ersichtlich, warum diese Radikalisierung verhindern helfen sollte. (1) 

Auch wenn sie das Projekt einer Imam-Ausbildung in Deutschland insgesamt begrüßt, sieht auch Susanne Schröter, Professorin am Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI), Kritikpunkte, die sie in einem Radio-Interview erläutert. Als problematisch sieht sie unter anderem an, dass dieselben Verbände des politischen Islams dabei wieder eingebunden wurden. Alleine auf eine neue Generation zu setzen, wie es Seehofer und Kerber in den letzten Tagen mehrfach betont haben, ist auch nach meiner Ansicht nicht weiterführend. Die DITIB ist mit ihrer Satzung an die türkische Religionsbehörde gebunden. Die Loslösung von ihr, die die Politik immer beschwört, ist damit schon organisatorisch gar nicht möglich. Die „Mannschaft“ spielt ja auch immer noch Fußball, auch wenn Sepp Herberger schon lange nicht mehr Trainer ist.

Hintergrund wie auch Akteure fragwürdig

Die wissenschaftliche Begleitung des „Islamkollegs“ soll von Bülent Ucar geleistet werden, der bereits in Osnabrück das Institut für Islamische Theologie (IIT) leitet. Direkt verantwortlich für das Kolleg sind laut Vereinsregister zwei Akteure, die in Osnabrück bereits promoviert wurden oder noch im Verfahren sind, Esnaf Begic und Samy Charchira. Begic war jahrelang hoher Funktionär des Bundesverbands der Bosniaken (IGBD) und hat seine erste Ausbildung in Bosnien und Herzegowina absolviert. Die IGBD stellt laut ihrer Satzung von 2011 „in geistlicher und kultureller Hinsicht einen Teil der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina dar und ist Mitglied der Islamischen Gemeinschaft in BiH mit Sitz in Sarajewo.“ Nach dieser Satzung werden „das religiöse Oberhaupt und die fünf Haupt-Imame für die Regionen zusätzlich per Dekret vom RIJASET I.Z. bestimmt.“ Die IGBD ist also zumindest nach Satzung nicht ganz frei in der Auswahl ihrer Imame. (2)

In einem Interview mit dem epd formuliert Esnaf Begic sogar, er „erwarte, dass das Projekt von höchster Stelle, also von Bundesinnenminister Horst Seehofer ausdrücklich begrüßt wird“. Diese Erwartung wurde nicht enttäuscht, sie verwundert aber. Es gibt Moscheen, die Begics Herkunftsverband IGBD angehören, die wohl unter Beobachtung stehen – oder bekannte Muslimbrüder einladen. Auch bei der Gründung des EIHW war ein IGBD-Imam beteiligt. Das Europäische Institut für Humanwissenschaften (EIHW) galt laut des hessischen Verfassungsschutzes als Kaderschmiede der Muslimbruderschaft. Und sein Stellvertreter im Trägerverein, der jüngst für die Grünen in den Düsseldorfer Stadtrat gewählte Samy Charchira, ist bereits mehrfach dadurch aufgefallen, auch problematische muslimbrudernahe Vereine bei der Erlangung ihrer Förderfähigkeit zu unterstützen oder sich für Projekte des ZMD ins Zeug zu legen. Oder dadurch, beim ZMD mit Imamen zusammenzusitzen, die zu den Führungsgremien der Muslimbruderschaft zählen. Ist das die Art Imame, die er als „unproblematisch“ sieht? Sind das die Vorbilder?

Abhängigkeiten werden verschwiegen

Worin nun die dieser Tage allgemein betonte „Unabhängigkeit“ bestehen soll, ist nicht ersichtlich. Unabhängig vom Staat, der Geld gibt, unabhängig von den Verbänden, die mit im Boot sind? Dass eine derart abhängige Institution sich als „unabhängig“ verkaufen kann, ist nur dem Umstand zu verdanken, dass man die Abhängigkeiten im Hintergrund lässt und dem Leser verschweigt. Dass man Personen einsetzt, die in der Mehrheitsgesellschaft kaum bekannt sind. Dass Journalisten das Marketing von Politik und Verbänden hinnehmen oder sogar feiern. Das Interesse seitens der Politik wohl liegt darin, Erfolge präsentieren zu müssen, auch wenn man inhaltlich in all den Jahren der Islam Konferenz keine wirklichen Fortschritte gemacht hat. Fortschritte wurden nur dabei gemacht, wie der politische Islam zum normalen und damit förderwürdigen Islam umgedeutet wird.

Der Wunsch der Politik, wenigstens gelegentlich positive Entwicklungen aufzeigen zu können, ist in der schwierigen Lage zwischen Sicherheitserfordernissen und dem grundsätzlichen Fehler, Integration religiös konnotiert zu haben und dort den Verbänden zu viel Raum gegeben zu haben, sehr verständlich. Er ist um so mehr verständlich, als die gesetzlichen Rahmenbedingungen eigentlich für Religionsgemeinschaften gedacht waren, die nicht derart zersplittert sind wie der Islam mit seinen sehr vielfältigen Interessengruppen mit oft noch nationaler Komponente. Diese Wünsche und der selbstauferlegte Druck, angesichts von Anschlägen positive Bilder zu generieren, dürfen allerdings nicht dazu führen, dass der politische Islam weiter eingebunden wird. Er wird nämlich nicht „domestiziert“, verzichtet also auf die Ziele, sondern verbessert nur seine Position und verbreitet sich. 

So begibt man sich Schritt um Schritt wieder auf die Verbände zu, anstatt nach all den vielen Jahren einmal einen Neustart zu wagen. Und die Verbände? Die können das durchaus als Etappensieg feiern. Schließlich erhalten sie Einfluß – wieder einmal. Man darf gespannt sein, wer bei dem Curriculum alles mit entscheidet. Vielleicht ja auch der phantomhafte Gelehrtenrat des ZMD. So bekämpft man Islamismus allerdings nicht. Man erkauft sich nur Zeit. Und die nicht einmal dieser Gesellschaft, sondern nur sich persönlich.

(1) Aus der KAS-Ausarbeitung „Imame – made in Europe?“ von Andreas Jacobs und Janosch Lipowsky, Seite 12, März 2019: „Beobachter in beiden Ländern (Frankreich und Deutschland, Anmerkung der Autorin) warnen daher vor einer Überhöhung der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung von Imamen und geben zu bedenken, dass eine Sozialisierung und Ausbildung in Europa keineswegs eine Garantie für den Einsatz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit darstellt. Auch in dieser Hinsicht hat Frankreich Deutschland einige ernüchternde Erfahrungswerte voraus. Ausgerechnet der umstrittene salafistische Imam von Brest hatte einen der staatlich geförderten Laizität-Studiengänge absolviert.“

(2) In einer Stellungnahme zum Schulrechtänderungsgesetz in NRW wurde im Mai 2019 festgestellt, dass hinsichtlich Eigenständigkeit und Unabhängigkeit bei der IGBD ein Klärungsbedarf bestehe (Seite 9).

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..