Über den Moschee-Dachverband DITIB gibt es eine Reihe weit verbreiteter, aber dennoch falscher Annahmen. Insbesondere die politischen Debatten rund um die DITIB sind bis heute von den immer gleichen falschen Annahmen gekennzeichnet.

Die DITIB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld (Bild: Sigrid Herrmann-Marschall)
Der Moschee-Dachverband Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Diyanet İşleri Türk İslam Birliği, abgekürzt DITIB) gilt als größte sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland. Nach eigenen Angaben sind mehr als 900 Moschee-Gemeinden Mitglied bei der DITIB. Der Verband mit Sitz in Köln ist seit 1984 als Verein eingetragen. 2018 wurde vom Bundesverfassungsschutz eine Beobachtung der DITIB geprüft. Bislang kam es dazu jedoch nicht.
In vielen Bundesländern ist die DITIB seit langem im Gespräch, wenn es um den islamischen Religionsunterricht geht. Die politischen Debatten rund um die DITIB sind jedoch bis heute von den immer gleichen falschen Annahmen gekennzeichnet. Zu einer wirklichkeitsnahen Einschätzung gelangt man allerdings nur durch einige Fakten zur DITIB, die der Moschee-Dachverband selber nicht liefert. Im Folgenden werden die Irrtümer behandelt, die sich bislang am hartnäckigsten gehalten haben.
1.) Die DITIB ist eine Religionsgemeinschaft
Die DITIB wird bei den Gesprächen um den Islamischen Religionsunterricht von Politikern häufig als Religionsgemeinschaft im Sinne des grundgesetzlich verbrieften Mitwirkungsrechts behandelt. Dieses Mitwirkungs- und Gestaltungsrecht steht Religionsgemeinschaften zu, die anerkannt sind. Eine Gemeinschaft zu sein, die sich selber als Religionsgemeinschaft sieht und betätigt, reicht dafür jedoch nicht.
Die DITIB ist, obwohl sie durch ihre Satzung deutschem Vereinsrecht unterliegt, die deutsche Dependance der türkischen Religionsbehörde Diyanet und unterliegt deren Weisungen. Diese wurde 1923 als Behörde gegründet, um einen staatlichen Einfluss auf die religiösen Betätigungen der türkischen Bürger zu nehmen. Das ist eine Konstruktion, wie sie in Deutschland nicht vorgesehen ist, da die religiöse Betätigung hier frei selbst gestaltet und von den Religionsgemeinschaften selber verantwortet wird. Die Kirchen als bekannteste Religionsgemeinschaften erfahren eine Vielzahl an staatlichen Zuwendungen, die teilweise historisch bedingt sind. Religionsgemeinschaften haben Rechte gegenüber dem Staat in der Umsetzung, der Staat setzt allerdings auch die Grenzen dieser Ausübung, kurz: sie sind nicht Teil der Staatsmacht. Die Diyanet aber ist als Behörde Teil der türkischen Staatsmacht. Wohl aus diesem Grund hat sie – im Gegensatz zu dem Zentralrat der Muslime oder dem Islamrat – ihre Rechte gegenüber dem deutschen Staat als Religionsgemeinschaft nicht einzuklagen versucht. Sondern es wurde nur die Möglichkeit der religiöse Betreuung der türkeistämmigen Bevölkerung eingefordert, gegebenenfalls auch unter hiesiger staatlicher Leitung bei dem Religionsunterricht, der Teil der Schulpflicht ist.
2.) Die DITIB vertritt alle türkischstämmigen Muslime
Die DITIB stellt türkischstämmigen sunnitisch-muslimischen Gemeinden auf Nachfrage ihre Imame zur Verfügung. So ist das bei den namentlich DITIB zugeordneten lokalen Vereinen, so ist dies aber auch bei der ATIB, einer Organisation aus dem Spektrum der türkisch-nationalistischen Graue Wölfe, oder manchen Vereinen, die sich der Milli-Görüs-Bewegung zuordnen. Viele andere türkischstämmige Muslime haben sich Diyanet-unabhängig organisiert und haben ihre eigenen Imame. Das ist teilweise in der jeweiligen Organisationsgeschichte begründet. Aus der Türkei stammende Schiiten, Aleviten oder Ahmadiyya organisieren sich sowieso selber und in Anlehnung an andere Autoritäten.
Zu Zeiten, in denen die Diyanet noch stärker säkular ausgerichtet war und durch den staatlichen Eingriff die islamistische Ausrichtung eingehegt werden sollte, standen manche türkische Religionsgemeinschaften dem Angebot des Staates kritisch gegenüber. Sie wollten und wollen häufig eine stärker islamisch-normierte Gesellschaft und hatten kein Interesse an Imamen, die die staatlichen Grenzen für religiöse Betätigung in die Gemeinden brachten und damit dem eigenen umfassender islamischen gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch entgegenstanden. Seitdem die Diyanet eine stärkere Ausrichtung des Staates auf eben jene islamisch-religiösen Normen unter den Regierungen Recep Tayyib Erdogans verfolgt, haben sich manche dieser Gegenhaltungen nahezu aufgelöst. Größere Gruppierungen, die sich Diyanet-unabhängig religiös organisieren, sind etwa der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) oder – so die Kenntnis der Autorin – die Mutterorganisation der Grauen Wölfe, die ADÜTDF.
3.) Die DITIB kann sich von der Türkei lösen
Der deutsche Verein DITIB kann sich wegen seiner Satzung und Abhängigkeit nicht von der türkischen Diyanet lösen. Diesbezügliche Forderungen scheitern an der Satzung der DITIB und stellen daher eine nicht zu erfüllende Bedingung dar. Politiker, insbesondere die mit juristischer Vorbildung, sollten daher die Grenzen ihrer Forderungen daran messen und auch nicht den unzutreffenden Eindruck erwecken, eine solche Lösung sei möglich. Wenn man die DITIB alleine wegen ihrer Größe als Partner für den islamischen Religionsunterricht will, dann muss man sie als Organisation so nehmen, wie sie formal aufgestellt ist, da eine Lösung von der Türkei nur durch Auflösung möglich wäre. Die DITIB wird in Deutschland – weil es den Wunsch der Politik gab, in Deutschland ausgebildete Imame zu nehmen – in Dahlem eigene Imame ausbilden.
Wer sich lösen kann, sind einzelne Gemeinden, die sich DITIB angeschlossen haben, sei es aus inhaltlichen, politischen oder finanziellen Interessen. Damit stellten sie jedoch auf der Länderebene, auf der etwa über den islamischen Religionsunterricht beschlossen wird, keine Organisationsstufe mehr dar, der genügend Größe als Verhandlungspartner aufweist.
4.) Die DITIB verkörpert einen europäischen Islam
Die DITIB wirkte in den Gründungsjahren des Vereins so, als könne sich über den säkulareren Ansatz ein europäisierter Islam in die hiesige Rechtsordnung einfügen. Seit dem Regierungsantritt Erdogans ist dieser Ansatz jedoch Schritt für Schritt zurückgenommen worden. Genauso wie anfänglich diese Behörde benutzt wurde, modernere Haltungen in die traditionellen Milieus und Gemeinden zu bringen, so wirkt dies nun umgekehrt: In die oftmals bislang nicht so intensiv religiösen Vereine, die mehr Kulturvereine waren, wird die Rückbesinnung auf traditionellere Islamische Haltungen bis hin zu klar fundamentalistischen Sichten vertreten. Die Diyanet-beeinflussten Gemeinden sind ein weiteres Mal Ziel einer religiösen Umerziehung.
Spätestens seit der Kölner Erklärung von Anfang 2019 ist deutlich, dass mit der Diyanet im gegenwärtigen Zustand kein europäisiertes Islamverständnis möglich ist. Dem „Euro-Islam“ wird in dieser Erklärung eine deutliche Absage erteilt, die Argumentation ist muslimisch-identitär.
5.) Die DITIB steht für interreligiösen Dialog
Die DITIB war in den Jahrzehnten seit Gründung oftmals gern gesehener Gast bei dem vornehmlich von den Kirchen aus Eigeninteresse initiierten interreligiösen Dialog. Politiker, die nur zu gerne die konkret lokalen Debatten an die Kirchen delegierten oder gar Integrationspolitik religiös verstehen wollten und aufluden, stehen nun vor den Scherben ihrer Pläne. Nicht nur hat sich die DITIB jenseits der Art der Gesprächsführung kaum beeinflussen lassen, sondern es stellt sich auch heraus, dass die DITIB ihrerseits die Kirchen nutzte, um sich der Politik als seriöser Gesprächspartner anzubieten. Insofern nahm und nimmt die DITIB an solchen Gesprächen teil, ohne sich aber eigenständig auf die Verhandlungspartner zuzubewegen oder unabhängig von den türkischen Vorgaben zubewegen zu können.
Wer also dafür ist, dass die DITIB trotz dieser Einbindungen, trotz der Vorgänge um Radikalisierung, Kinder-Kriegsaufführungen und Märtyrer-Comics hier in Deutschland den Islam-Unterricht mitgestalten sollte, sollte auch dazu stehen, ohne auf solche Irrtümer abzustellen. Bemüht man sie dennoch, steht der Verdacht im Raum, sich nur persönlich Luft zu verschaffen und das eigentliche Problem verdecken zu wollen, weil man keine Lösungsideen hat.