Wie erst Ende Juni durch eine Pressemitteilung bekannt wurde, hat sich bereits im März ein neuer Deutsch-Marokkanischer Rat (DEMARAT) gebildet. Gründungsmitglieder waren Vertreter beziehungsweise Vorstände von „neun deutsch-marokkanischen Vereinen und Organisationen aus den Bereichen Kultur, Bildung, Religion und Soziales“. Welche Organisationen und Vereine dies konkret sind, blieb jedoch unklar, da die Organisationen nicht ausdrücklich benannt werden.

Den Vorsitz des DEMARAT führt nach eigenen Angaben Abdelmalek Hibaoui. Seinen Sitz hat das Gremium im hessischen Dietzenbach – unmittelbar neben der Tawhid-Moschee, die schon vor Jahren durch radikale Bezüge aufgefallen ist. Deren Jugendarbeit ist seit einiger Zeit umgesiedelt worden. Unter dem Namen Förder- und Kulturverein Dietzenbach (FKD) wird diese Jugendarbeit jetzt von ehemaligen Beauftragten des Moschee-Vereins geleitet.
Neben Abdelmalek Hibaoui werden weitere DEMARAT-Vorstandsmitglieder aufgeführt: Abdelhak El Kouani, Mohammed Assila, Mustapha Azerfane, Rachid Madmar, Hassan Annou, Mimoun El Madaghiri, Salima Diouch sowie Hafida El Achak. Aufnahmen von der Gründungsversammlung zeigen auch Abdassamad El Yazidi, den ehemaligen Vorsitzenden des Landesverbandes Hessen des Zentralrats der Muslime (ZMD) und derzeitigen Generalsekretär des ZMD Bund. Einige Mitglieder des Vorstandes sind mehr oder weniger bekannt und fielen teilweise schon durch Funktionen in Organisationen auf, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurden oder im Geflecht der Muslimbruderschaft zu verorten sind.
Hibaoui selbst war als Tübinger Junior-Professor öffentlich wegen Antisemitismus-Vorwürfen in Erscheinung getreten. Einer der Kernpunkte der Kritik in der Tageszeitung Die Welt im Jahr 2019 war seine Teilnahme an einer Anti-Israel-Konferenz sowie seine Kommentierung der Veranstaltung auf den sozialen Medien: „Hibaoui, der zwischen 2009 und 2013 an der Deutschen Islam-Konferenz teilnahm, veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite mehrere Postings zur Konferenz in Ankara. ,Fotos meiner Teilnahme, zusammen mit dem großen ägyptischen Denker Kamal Helbawy an einer der Sitzungen, in denen das Thema ‚Probleme und Lösungen der islamischen Welt‘ erörtert wurde und die der frühere iranische Außenminister Manouchehr Mottaki leitete‘, schrieb der Theologe am vergangenen Sonntagabend. Helbawy war zwischen 1995 und 1997 Sprecher der Muslimbruderschaft in Ägypten. Mottaki eröffnete 2006 die vom damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad initiierte sogenannte Holocaustleugnungskonferenz in Teheran, an der Islamisten und Rechtsextreme aus 30 Ländern teilnahmen.“ Die Fakultät aber stellte sich seinerzeit vor Hibaoui, als die Stuttgarter Nachrichten an dem Fall blieben. Hibaoui versuchte mit einer Beschwerde bei Presserat die unliebsame Aufmerksamkeit der Presse anzugreifen. Der Presserat kam aber nach Informationen der Autorin zu dem Ergebnis, dass die Berichterstattung korrekt und die Vorwürfe hinreichend belegt seien.
Im Newsletter der Uni Tübingen wurde zu Anfang dieses Jahres ausgeführt, Hibaouis Junior-Professur sei „durch die zuständige Kommission nicht positiv evaluiert und somit nicht verlängert worden.“ Derzeit bezeichnet sich Hibaoui als Gefängnisseelsorger. Angesichts der von der Presse thematisierten Einbindungen und den neuen Aktivitäten wäre hier zu fragen, in welchen Justizvollzugsanstalten Hibaoui da wohl aktiv ist oder werden will. Bei dem bereits erwähnten Abdassamad El Yazidi hatte das hessische Justizministerium 2016 dessen Zugang zu Haftanstalten beendet, nachdem Bezüge zum Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft öffentlich bekannt wurden.
Der ebenfalls in der Vorstands-Liste des DEMARAT genannte Hassan Annou war von 2010 bis 2013 Zweiter Vorsitzender des Marokkanischen-Islamischen Freundschaftskreises, dem Trägerverein der Tawhid-Moschee in Dietzenbach. Auch 2017 trat er noch als Repräsentant dieses Vereins auf.
In einem aktuellen Beitrag auf Facebook verweist Abdelmalek Hibaoui auf Annou. Dabei geht es um einen Besuch in Marokko, den er als sein Stellvertreter wahrgenommen habe. In dem Beitrag bezeichnet Hibaoui – sofern dies von Facebook korrekt übersetzt wurde – Annou mehrfach als „Professor“. Die Firma, deren Geschäftsführer Annou ist, die LK Gebäudetechnik, hat ihren Sitz in der Justus-von-Liebig-Straße 6, dem Nachbarhaus der Tawhid-Moschee, und teilt sich dort mit dem DEMARAT einen Briefkasten.
Mit Salima Driouch und Hafida El Achak sind auch zwei jüngere Frauen im DEMARAT, die zur Mehrheitsgesellschaft hin integriert erscheinen. Aus der Pressemitteilung geht hervor, dass man sie nachträglich ernannte oder bestimmte, als man feststellte, dass keine Frauen in diesem Rat vertreten seien. Driouch kandidierte schon bei den lokalen Grünen und war bis 2013 nach eigenen Angaben „Integrationslotsin“.
Auch El Achak war bereits in Dietzenbach im Integrationsbereich aktiv. Sie war aber auch von 2015 bis 2020 im Vorstand des Frauenvereins Muslimisches Zentrum für Mädchen, Frauen und Familie (RAHMA). Dieser Verein hat seinen Sitz an der Frankfurter Adresse, die auch dem Vorsitzenden des hessischen Landesverbandes des ZMD, dem Rechtsanwalt Said Barkan, eine Zeitlang als berufliche Adresse diente und wo auch die ebenfalls von ihm geleitete Deutsch-Marokkanische Juristenvereinigung ihren Sitz hat. Barkan ist auch der juristische Beauftragte des ZMD-Bundesverbandes. Im RAHMA-Verein sitzt Noura Barkan laut der letzten offiziellen Eintragung (Stand der Abfrage 4. Juli) immer noch im Vorstand.
Rachid Madmar ist laut Angaben auf dessen Internetseite im Vorstand des Vereins Forum Recht und Islam. Die Betätigungen von Abdelhak El Kouani waren bereits Thema auf diesem Blog: Konkret war er nach den Angaben des damaligen Funktionärs Mohammed Khallouk in der Islamischen Zeitung zusammen mit diesem für den DIV an verantwortlicher Stelle tätig. Der Verband schloss in der Hochphase seines Bestehens etwa 40 Organisationen aus der Rhein-Main-Region zusammen, von denen nach dem hessischen Verfassungsschutz etwa ein Drittel extremistische Bezüge haben.
Der DIV, in dessen Vorstand auch Abdassamad El Yazidi saß, wurde 2016 zunächst vom Bundesfamilienministerium gefördert. Nach Recherchen der Autorin und des Hessischen Rundfunks, die von der Tagesschau aufgegriffen wurden, wurde bekannt, dass der Verband sowie einige Vorstandsmitglieder unter Beobachtung des hessischen Verfassungsschutzes standen, welches aber nicht dazu befragt worden war. Daraufhin wurde die Förderung widerrufen. Der DIV hat sich mittlerweile aufgelöst. Khallouk wird dennoch weiterhin als Stellvertreter von Aiman Mazyek im ZMD geführt, obwohl die eigentlich formal entsendende Organisation damit gar nicht mehr besteht. El Kouani ist laut eines Beitrages auf der Facebook-Seite des ZMD aus dem Jahr 2018 Mitglied von dessen Gelehrtenrates.
Inwiefern sich Aktivitäten dieses neuen Rates in den Stadtgesellschaften nicht nur der Region wiederfinden lassen, wird erst die Zukunft zeigen. Der DEMARAT erscheint mehr auf die eigene Community gerichtet. Bereits erste Schritte in die Dietzenbacher Stadtgesellschaft hat ein anderer, bereits früher gegründeter Verein gemacht. Dabei handelt es sich um den bereits erwähnten Förder- und Kulturverein Dietzenbach. „Wir sind sehr dankbar, dass wir unsere Aktivitäten jetzt im Reinhard-Göpfert-Haus ausüben können“, sagte der FKD-Vorsitzende Abdelali Ettahri der Dietzenbacher StadtPost. Weitere Verantwortliche in diesem Verein sind laut Vereinsregister Mohamed Foutat und Abdelaziz Bellarbi. Die langjährige Ausländerbeiratsvorsitzende Helga Giardino wird von der StadtPost ebenfalls zitiert: „Abdelali und ich kennen uns schon sehr lange und ich schätze ihn. Ich wünsche dem neuen Verein viel Glück. Ich möchte aber auch daran erinnern, dass die Zusammenarbeit mit dem Kreisausländerbeirat und dem Ausländerbeirat Dietzenbach intensiver sein kann.“
Es gibt also eine Vorgeschichte, die sich dem Leser nicht gleich erschließt. Ettahri war nämlich in der schon oben erwähnten Tawhid-Moschee aktiver Funktionär, wie etwa aus einem Artikel von OP-Online aus dem Jahr 2009 ersichtlich ist: „In seiner Position als Jugendbeauftragter bietet er nicht nur Nachhilfe, die Übersetzung von Predigten, Arabischunterricht und Beratung an, sondern ist auch Ansprechpartner für Eltern und die Polizei.“ In dieser Moschee trat in den Folgejahren immer wieder einmal Tarik ibn Ali auf, ein problematischer belgischer Prediger, der an einem Wochenende in Dietzenbach alleine 91.000 Euro gesammelt haben will. Angeblich, so die Angabe von ibn Ali, für den Moscheebau andernorts. Oder für Parfüm, wie es der damalige Vorstand der Tawhid-Moschee dargestellt hatte. Oder allgemein für die Unterstützung von Terror, wie es der Verdacht der spanischen Behörden war, die einen solchen Geldfluss aber nicht ausreichend nachweisen konnten.
Mit Parfüm im weiteren Sinne hat neuerdings auch der im Beitrag der StadtPost zum Verein erwähnte Dr. Ali Mosfer zu tun. Laut seinem Linkedin-Profil arbeitet er seit letztem Jahr für „Golden Scent“ als Berater in Dubai. Mit dem ebenfalls im Beitrag der StadtPost als leuchtendes Vorbild erwähnten Rechtsanwalt Said Barkan eint nicht nur das Eintreten für den FKD. Mosfer war auch schon als Referent bei der Deutsch-Marokkanischen Juristenvereinigung, also dem Frankfurter Verein, dem Barkan vorsteht.
Den Aktiven aus dem Umfeld der Tawhid Moschee werden in der Stadt also weitere Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, da sie größeren Bedarf angemeldet haben. Dazu heißt es in der StadtPost: „Die alten Lehr- und Übungsräume in der Tawhid-Moschee an der Justus-von-Liebig-Straße konnten wir aus vereinsinternen Gründen nicht mehr nutzen und es ist nicht einfach, geeignete Räume in Dietzenbach zu finden.“ Welche vereinsinternen Gründe das sein könnten, kann man da berechtigt fragen, wenn denn dort nunmehr auch der DEMARAT sein Plätzchen finden soll.
Andererseits hat die Auslagerung der Moschee-eigenen Jugendarbeit und die Umfirmierung unter einem neutral und nicht einmal mehr religiös klingenden Vereinsnamen auch Vorteile: Die Gründung des neuen Vereins könnte dazu gedient haben, leichter Fördermittel vom Land zu erhalten, als einfache Migranten-Selbstorganisation. Aber auch sonst gehen mit dem neuen Verein die Kooperationen nun richtig los. In einem Video über die Arbeit des Jahres 2020 werden das Integrationsbüro Dietzenbach, das Bildungshaus Dietzenbach, das Landessozialministerium und die Montessori-Schule als Kooperationspartner genannt. In dem Video, in dem weibliche Menschen keine wirkliche Rolle spielen, nahezu unsichtbar sind, werden Aktivitäten gezeigt wie der geschlechtergetrennte Arabisch-Unterricht, Fußballspiel und Bau-Aktivitäten der Erwachsenen.
Schaut man in der Justus-von-Liebig-Straße 6 vorbei, so findet man nicht nur den gemeinsamen Briefkasten des DEMARATS und der LK Gebäudetechnik GmbH von Hassan Annou. Sondern auch einen Zettel, auf dem auf die Angebote des FKD aufmerksam gemacht wird, etwa auf eine „Formularhilfe“ (Angaben Stand 7. August). Auf dem Hinweiszettel ist als Adresse des FKD-Angebots auch die Justus-von-Liebig-Straße 6 angeben. Im Vereinsregister aber ist die Auestraße 62 als Vereinssitz eingetragen. Und im Impressum auf der Internetseite des Vereins war die Weiherstraße 24 angegeben. Dort befindet sich das Göpfert-Haus, in dem nunmehr laut des OP-Artikels auch die Aktivitäten des FKD stattfinden. Auf neuen Aufnahmen von einer Veranstaltung des FKD, eingestellt auf dessen Internet-Seite, sind El Yazidi und Annou zu sehen.
Es scheint also, dass das alte Betätigungsfeld des FKD einer neuen Verwendung zugeführt wird. Dass der neue Rat in der angegebenen Aufstellung seine Adresse dort angibt, sollte in Dietzenbach zu denken geben. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Stadtgesellschaft im besten Willen Eigendarstellungen glaubt – und sich dann getäuscht sieht, weil es anders genutzt wird als gedacht und vereinbart. Integrativ ist das am Ende des Tages alles nicht. Es fördert nur, bestehende Differenzen nicht diskutieren zu müssen. Eine Beruhigungspille für die Stadtgesellschaft, während in aller Ruhe die Gegengesellschaft aufgebaut wird. Eine Gegengesellschaft, deren Werte durch religiöse Autoritäten wie Abdelhak El Kouani repräsentiert werden.
Unterschiedlich fielen auch die Antworten auf die Nachfragen der Autorin aus: Am schnellsten antwortete das hessische Sozialministerium, das mitteilte, dass der FKD seit Juni im Rahmen des Landesprogramms „WIR-Vielfalt und Teilhabe“ als Migrantenorganisation gefördert werde. Die Förderung für Migrantenorganisationen umfasse die Finanzierung einer Minijobstelle in Höhe von 7.200 Euro pro Jahr sowie die Mittel zur Durchführung eines Mikroprojekts bis zu 3.000 Euro pro Jahr. Beunruhigend dabei war, dass das Ministerium weiter mitteilte, dass vor der Vergabe dieser Förderung keine Anfrage beim Verfassungsschutz gemacht wurde. Außerdem wurde mitgeteilt, dass seit Mai 2020 Sprachkurse mit Gesamtkosten in Höhe von 44.556,00 Euro durch das Regierungspräsidium Darmstadt gefördert werden.
Die Stadt Dietzenbach teilte mit, dass es weder finanzielle Förderung gibt noch gab. Der FKD sei seit seiner Gründung lediglich ehrenamtlich in Arbeitsgruppen zur Umsetzung des Dietzenbacher Integrationskonzeptes aktiv. Außerdem stehe die Ordnungsbehörde „im permanenten Austausch mit dem Staatsschutz“.
Eine ähnliche Antwort gab es vom Montessori-Verein Dietzenbach, der darauf verwies, dass der FKD sowohl muttersprachlichen Unterricht als auch Deutschkurse an seiner Einrichtung durchführe. Eine finanzielle Unterstützung für den FKD habe es jedoch nicht gegeben. „Bezüglich der sicherheitsrelevanten Beurteilung stehen wir im engen Kontakt zur Stadt Dietzenbach, die wiederum eigenen Angaben zufolge einen engen Austausch mit dem hessischen Verfassungsschutz und dem Staatsschutz pflegt. Wir sind durch Ihre Anfrage nun zusätzlich sensibilisiert und werden, sollte es hier zu gesicherten Erkenntnissen kommen, entsprechend zeitnah reagieren“, hieß es am Ende der Antwort.