„Wegweiser“ wird evaluiert

Das Salafismus-Präventionsprogramm „Wegweiser“, das zuletzt auch auf andere Islamisten sowie Graue Wölfe ausgedehnt wurde, wird nun evaluiert. Allerdings schweigt das NRW-Innenministerium dazu, wer diese Evaluation durchführt und wer sie finanziert. Das 2014 medienwirksam als Schutz vor islamistischen Terror angepriesene Projekt ist inzwischen nur noch ein Programm eines von mehreren Ministerien gesteuerten und geförderten Geflechts von Präventions-Projekten.

Während einer Salafisten-Kundgebung in Mönchengladbach hält sich in einer Nebenstraße ein größeres Polizeiaufgebot bereit (Bild: Privat)

Das Salafismus-Präventionsprogramm „Wegweiser“ hat eine lange Geschichte: Der gedankliche Anstoß dazu kam 2010 von dem damaligen nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD). Damals geriet Jäger unter Druck, weil Salafisten um Muhamed Ciftci, Pierre Vogel und Sven Lau die Bewohner eines Mönchengladbacher Stadtteils mit martialischen Kundgebungen in Angst und Schrecken versetzt hatten. Jäger tolerierte das Treiben der Mönchengladbacher Salafisten und machte mehrfach deutlich, dass nur Prävention ein geeignetes Mittel gegen diese neue Bedrohung sei. Auch als über das Zeigen von Mohamed-Karikaturen verärgerte Salafisten im Mai 2012 in Solingen sowie Bonn Polizisten mit Messern und Steinen angegriffen und es dabei auch Schwerverletzte gab, blieb er bei dieser Haltung.

Dennoch wurde das vom Landesverfassungsschutz entwickelte Programm, das zuletzt auch auf andere Islamisten sowie auf die Grauen Wölfe ausgedehnt wurde, erst 2014 medienwirksam an den Start gebracht. Der Bevölkerung wurde es vollmundig als Schutz vor islamistischem Terror vorgestellt. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass für das Programm tätige Sozialarbeiter muslimische Jugendliche vom Einstieg in den Salafismus abhalten. Die NRW-Leitmedien begleiteten das Programm fast immer wohlwollend und unkritisch.

Die einzige Ausnahme davon gab es 2016, weil sich nach einem Bomben-Anschlag auf ein Sikh-Gebetshaus in Essen herausstellt hatte, dass der später verurteilte Haupttäter nur vier Tage vor seiner Tat zusammen mit seinen Eltern an einer „Wegweiser“-Sitzung teilgenommen hatte. Daraufhin übten CDU- und FDP-Innenpolitiker erstmals Kritik an dem Programm. Nachdem die beiden Parteien jedoch ein Jahr später in die Regierung gewählt wurden, änderten sie ihre Meinung, lobten das von der rot-grünen Vorgängerregierung initiierte Programm und beschlossen dessen Fortführung.

SPD, CDU und FDP meiden das Thema

Danach wurde es medial wieder still um „Wegweiser“. Einer Sachverständigen-Anhörung dazu, bei der im Januar 2018 auch ungewöhnlich kritische Töne zu vernehmen waren, blieben die nordrhein-westfälischen Leitmedien fern. Nach dieser Anhörung wurde es auch im Landtag still um das Präventionsprogramm. Die Fraktionen von SPD, CDU und FDP mieden das Thema. Dass sich Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) dennoch gelegentlich dazu äußern musste, war lediglich den Fraktionen von Grünen und AfD geschuldet, die – wenngleich unterschiedlich motiviert – in Abständen von einem bis zwei Jahren von ihm wissen wollten, welche Ergebnisse dieses Programm denn nun hervorbringe.

Die AfD-Fraktion ließ Reuls Antworten dazu zumeist unkommentiert. Bei den Grünen war es deren Fraktionsvorsitzende Verena Schäffer, die im letzten Jahr im Innenausschuss die Sorge offenbarte, dass die immensen Kosten für das Präventions-Programm in keiner Relation zum Kampf gegen den Rechtextremismus mehr stünden. Dabei ging sie offenbar von der Annahme aus, dass der Islamismus keine solche Gefahr darstelle wie der Rechtsextremismus. Die anderen Fraktionen ließen ihre Wortmeldung und die damit verbundene Sichtweise jedoch unkommentiert.

Auch in diesem Jahr meldete sich der CDU-Innenminister bislang nur dann zu „Wegweiser“ zu Wort, wenn er dies aufgrund einer Nachfrage einer dieser Fraktionen tun musste. So etwa Anfang Januar, als Herbert Reul der AfD-Fraktion antwortete, dass bis zum 30. September 2021 insgesamt 1.154 Personen in den Wegweiser-Stellen beraten wurden. Davon waren 859 männlich und 295 weiblich. 159 Beratene waren Kinder unter 14 Jahre und 640 waren Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren. In der Summe heißt das, dass es sich bei 799 von insgesamt 1.154 Beratungsfällen, also mehr als zwei Dritteln, um Minderjährige handelt. Diese Relation lässt nur erahnen, welche Probleme unserer Gesellschaft nun mit den von Salafisten und anderen Islamisten erzogenen Kindern bevorstehen.

Vage und ungenaue Statistik

Die Problematik der vom NRW-Innenministerium gewählten Darstellung besteht darin, dass immer nur die Gesamtzahl der Beratungsfälle seit dem Start des Programms angegeben werden. Damit lässt sich der Darstellung nicht entnehmen, wie viele Beratungsfälle tatsächlich erfolgreich abgeschlossen wurden. Auch geht aus diesem Zahlenwerk nicht hervor, ob und wenn ja, wie viele der Beratungsfälle in den Haftanstalten angefallen sind. Stattdessen zog sich Herbert Reul erneut auf die schon vor Jahren benutzte Darstellung zurück, dass 80 bis 90 Prozent der Beratungsfälle „einen langfristigen positiven Verlauf“ nehmen würden. „Ein Erfolg liegt vor, wenn die Betroffenen erreicht werden, Vertrauen aufgebaut wird, sie an Wegweiser gebunden werden und wenn beispielsweise aus Sicht aller Beteiligten getroffene Zielvereinbarungen zwischen den Beratungskräften und den Betroffenen regelmäßig umgesetzt werden und damit neue Lebensperspektiven erarbeitet werden, an deren Umsetzung sich dann auch die Betroffenen aktiv beteiligt haben. Das heißt konkret, dass gemeinsam mit diesen neue Lebensperspektiven erarbeitet werden konnten, so dass sich extremistische Einstellungen nicht festsetzten oder nicht mehr handlungsleitend sind“, erläuterte der CDU-Innenpolitiker.

Das aber wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Angefangen von der, warum die vermeintlichen Erfolgsfälle bis heute nicht statistisch erfasst werden. Bis hin zu der, ob es vom nordrhein-westfälischen Innenministerium bereits als Erfolg betrachtet wird, wenn die Person zwar immer noch extremistische Überzeugungen pflegt, sich in ihren Handlungen nicht mehr davon leiten lässt. Solche Formen der Darstellung führen dazu, dass Mutmaßungen, hier finde eine immer teurere und endlose Betreuung statt, die sich im Ergebnis schon damit zufrieden gibt, dass die Zielperson keine Gewalttaten begeht, eher genährt als ausgeräumt werden.

Aufhorchen aber ließ eine kurze Anmerkung am Ende von Reuls Ausführungen zu dem Präventions-Programm: „Seit Anfang des Jahres 2021 wird Wegweiser wissenschaftlich von einem externen Institut evaluiert. Ziel dieser Evaluierung ist es, die Arbeitsweise des Programms zu analysieren und potenzielle Optimierungsbedarfe zu identifizieren. Die Evaluierung wird 18 Monate dauern und wird auf Basis aktueller wissenschaftlicher Standards durchgeführt.“ Eine von der Autorin am 23. Januar an sein Ministerium gerichtete Nachfrage, welche Organisation diese Evaluation durchführt und wer diese finanziert, blieb jedoch bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.

Wesentlich mitteilungsfreudiger zeigte sich der CDU-Minister, als die Grünen-Fraktion Anfang Februar im Innenausschuss den „aktuellen Stand“ der „Maßnahmen des ganzheitlichen Handlungskonzepts zur Bekämpfung des gewaltbereiten verfassungsfeindlichen Salafismus“ wissen wollten. Darauf antwortete Herbert Reul mit einer sieben Seiten umfassenden Erläuterung sowie einer noch längeren tabellarischen Auflistung aller Einzelprojekte dieses Handlungskonzeptes. Dabei war „Wegweiser“ nur noch das erstgenannte von nunmehr insgesamt 27 Projekten. Auch sind diese Projekte der im Februar 2016 ins Leben gerufenen Interministeriellen Arbeitsgruppe (IMAG) „Salafismusprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ unterstellt. Die Zuständigkeit verschiedener Ministerien, insbesondere des Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI), bedeutet aber auch, dass der Einfluss des Verfassungsschutzes, der in Nordrhein-Westfalen ohnehin dem Innenministerium untersteht, auf die Salafismus-Prävention seit dem Start von „Wegweiser“ deutlich geringer geworden ist.

26 weitere Projekte

Bei der Betrachtung der Auflistung dieser 27 Projekte fällt auf, dass bereits beendete und auch umgewidmete Projekte immer noch mitgenannt werden. Oftmals wird nicht klar, wie viel genau an Mitteln eingesetzt wurde oder wird. Mehrfach sind Ziele und Zielgruppe wenig konkret benannt.

Auch wurden oder werden hier Projekte gefördert, die äußerst kritisch zu sehen sind. So etwa bei einem Projekt des MKFFI, bei dem Tagungen der „ZMD Akademie“ direkt gefördert wurden. Es gibt Bilder, die der ZMD veröffentlicht hat und die wohl die Teilnehmer der Tagungen zeigen. Darauf abgebildet sind auch „die üblichen Verdächtigen“, die Experten traditionell Kopfschmerzen bereiten, nämlich muslimbrudernahe Funktionäre, die teilweise nicht mal aus Nordrhein-Westfalen stammten. Hier ist die Handschrift des in dieser Form erst 2017 geschaffenen Ministeriums deutlich, das gegenüber muslimbrudernahen Strukturen noch nie Berührungsängste gezeigt hat. Inzwischen wird dieses als Nummer 7 aufgelistete Projekt als abgeschlossen geführt.

Ein Projekt des Landessozialministeriums, das 54 neue Stellen umfasst hatte, sollte Schulen vor Ort bei ihrer Präventionsarbeit unterstützen. Dort ist jedoch nur noch vom „gewaltbereiten Salafismus“ die Rede. Damit fallen all jene Betätigungen durch das Raster, die islamistisch-identitär auf Jugendliche wirken und auch deren Wirkungen auf andere nicht berücksichtigen. Hochgradig indoktrinierende Jugendliche, wie etwa ein unter Szene-Kennern gut bekannter Jungprediger aus Wuppertal, würden davon gar nicht erfasst werden, weil sie sich nicht gewaltbejahend äußern und damit durch das vorgegebene Raster fallen.

Fazit

Letztlich bleiben durch die Art der Darstellungen der NRW-Ministerien, die eine vage, veraltete und auch hinsichtlich der Finanzen oft unklare Aufarbeitung vorlegen, viele Fragen offen, die geklärt werden sollten. Auch stellt sich die Frage nach der Verantwortung für einzelne Projekte. Wer etwa hat im MKFFI Projekte mit und für die „ZMD Akademie“ initiiert, überprüft und abgesegnet? Wenn nicht einmal die Darstellungen für das Parlament, das ja auch die Kosten genehmigen muss, aktuell und präzise gehalten werden, steht die Möglichkeit im Raum, dass man es bewusst unklar lassen möchte. Oder selber den Überblick verloren hat, was alles gefördert wird. Beides wäre nicht sehr vertrauenerweckend.

Und dass bei Präventions-Projekten des Landes NRW im Bereich Salafismus ein gesundes Misstrauen geboten ist, hat spätestens die bereits erwähnte Sachverständigen-Anhörung zu „Wegweiser“ im Januar 2018 im Düsseldorfer Landtag deutlich aufgezeigt. Denn bei dieser Anhörung wurden die Mitglieder des Innenausschusses in zwei Fällen über die geladenen Sachverständigen getäuscht. Konkret wurde bei beiden Personen verschwiegen, dass sie zum damaligen Zeitpunkt für Wegweiser-Beratungsstellen tätig waren. Stattdessen wurden sie den Ausschuss-Mitgliedern in der Verteilerliste des Landtages in anderen Funktionen und Eigenschaften vorgestellt.

Auch wenn sich eine der beiden Personen dann in der Anhörung selbst verplappert hat, ändert dies nichts daran, dass den Ausschuss-Mitgliedern damit faktisch eine Komödie präsentiert wurde, bei der sich „Wegweiser“ in Wahrheit selber begutachten konnte. Denn beide „Sachverständigen“ waren dann erwartungsgemäß voll des Lobes über das Programm, für das sie damals selbst tätig waren. Damit so etwas nicht noch einmal passieren kann, wäre es schon wünschenswert, wenn klargestellt wird, wer nunmehr die schon vor Jahren angekündigte Evaluierung dieses Programms durchführt und wer sie finanziert. Dasselbe gilt für die Evaluierung des Aussteigerprogramm Islamismus (API), die in diesem Kontext ebenfalls angekündigt wurde.

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