Letzte Woche wurde in Stuttgart der baden-württembergische Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021 vorgestellt. Das islamistische Personenpotential lag im Berichtszeitraum bei insgesamt rund 4.230 Personen und ist damit seit 2019 relativ konstant geblieben. Lediglich bei den Salafisten gab es eine leichte Steigerung entgegen dem Bundestrend.
Gemeinsam mit der Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz, Beate Bude, stellte Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) vergangene Woche in Stuttgart den baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021 vor. Bei der Vorstellung fiel auf, dass Innenminister Strobl den Fachbereich Islamismus wieder auf den Jihadismus verengte. Verfassungsschutz-Präsidentin Bube hingegen sprach von den Bemühungen ihrer Behörde, „entsprechende Strukturen und Gruppierungen aufzuklären“. Explizite Warnungen vor dem legalistischen Islamismus, wie sie noch vor Jahren zum Standard-Repertoire von Verfassungsschutz-Chefs gehörten, sind inzwischen bei der Vorstellung solcher Berichte nicht mehr zu vernehmen.
Hingewiesen wird im Bericht auch wieder auf „Konex“, das baden-württembergische Kompetenzzentrum gegen Extremismus. „Konex“ bietet Ausstiegshilfen für rechte, linke, islamistische sowie Extremisten mit Auslandsbezug. Ob und in welchem Umfang das allerdings tatsächlich angenommen wird, ist dem Bericht nicht zu entnehmen. Auch sonst scheint es da recht wenig Rückmeldung zu geben, was im Sinne einer Anpassung der Maßnahmen an die jeweilige Zielgruppe nützlich wäre. Aussteigerprogramme sind ja kein Selbstzweck, sondern müssen Angebote machen, die die Zielgruppe erreichen und letztlich auch wirken.
Das islamistische Personenpotential lag im Berichtszeitraum in Baden-Württemberg insgesamt bei 4.230 Personen und ist damit seit 2019 relativ konstant geblieben. Bei den Salafisten hat es mit 1.350 Personen gegenüber 1.300 im Vorjahr eine leichte Steigerung gegen den Bundestrend gegeben. Der Verfassungsschutz weist dabei auch auf eine Ausweitung von „Eltern-Kind-Angeboten“ hin. Auch würde trotz wechselnder Verbreitungswege die Propaganda der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) weiterhin ihre Anhänger finden. Perspektivisch gehen die Stuttgarter davon aus, dass diese Propaganda über Jahrzehnte bestehen bleiben wird und immer wieder Wirkung entfalten kann.
Namentlich benannt sind – wie seit Jahren – Neil bin Radhan und Amen Dali. Bin Radhan ist weiterhin mit seinem Verlag und Bildungsangeboten aktiv. Dali wird neben seinem YouTube-Kanal auch mit seiner Predigertätigkeit in der Frankfurter Bilal-Moschee benannt. Die transnationale Dawah-Trainingsorganisation IMAN aus Österreich, aber auch ihre britische Mutterorganisation Islamic Education and Research Academy (IERA) werden ebenfalls als Beispiel salafistischer Agitation aufgeführt. Auf das salafistische Bildungsangebot „Islamic Tutors“ wird unter anderem mit Bezugnahme auf den salafistischen Predigernachwuchs Karim Fares hingewiesen. Dessen Vater ist der im Raum Stuttgart relevante und aktive Hussein Fares. Die Organisation, die unter anderem aus Studenten und Ehemaligen der extremen Medina-Universität besteht, hat ihren Sitz im niedersächsischen Oldenburg. Im niedersächsischen Verfassungsschutzbericht sucht man die Gruppe allerdings vergeblich. Warum der örtlich zuständige Verfassungsschutz die Gruppe nicht erwähnt, bleibt das Geheimnis der Niedersachsen. Dasselbe gilt leider auch für andere in Niedersachsen beheimatete Organisationen und Akteure, die andernorts und überregional für Aufmerksamkeit sorgen, aber im dortigen Verfassungsschutzbericht nicht erwähnt werden.
Zu den Strukturen, die der Muslimbruderschaft zugeordnet werden, heißt es im Bericht: „In Baden-Württemberg gehören zu den Muslimbruder-nahen lokalen Vereinen unter anderem der Verein für Dialog und Völkerverständigung in Karlsruhe e.V. (VDV) mit seiner Annur-Moschee, die von der tunesischen ,an-Nahda‘ (,Wiedererwachen‘) geprägt ist. Ebenso der Verein für Integration und Völkerverständigung Baden-Württemberg e.V. (VIV), ebenfalls in Karlsruhe angesiedelt, jedoch mit der Takwa-Moschee in Rastatt. Dieser ist wiederum ein Ableger der Muslimbruder-nahen Sächsischen Begegnungsstätte gUG (SBS) des Muslimbruders Saad Elgazar. Im Islamischen Zentrum Stuttgart e.V. (IZS) mit seiner Omar Ben Al Khattab-Moschee mischen sich Muslimbrüder und Salafisten, was die ideologischen Schnittmengen zwischen den beiden islamistischen Strömungen verdeutlicht.“
An der Karlsruher Annur-Moschee ist seit Jahren Samir Falah aktiv. Der ehemalige Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD), die sich vor einiger Zeit in Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) umbenannte, ist seit Jahren an der Spitze der FIOE. Auch diese Organisation hat sich umbenannt. Falah wohnt grenznah in Frankreich.
Am Islamischen Zentrum Stuttgart (IZS) wirkt seit Jahren Fathy Eid. Eid kooperierte mit Neil bin Radhan im Hohen Rat der Gelehrten und Imame in Deutschland (HRIGD), nachdem er eine Zeit lang Vorsitzender des muslimbrudernahen Rats der Imame und Gelehrten in Deutschland (RIGD) war. In gewisser Weise war der HRIGD als Konkurrenzgremium zum RIGD gedacht. Der Verein wurde zwar 2015 aufgelöst, wohl auch, um damit einem von politischer Seite angedachten Verbot zuvorzukommen, aus dem Vereinsregister ist er allerdings immer noch nicht gelöscht. Obwohl sich das IZS von der Muslimbruderschaft in Gestalt der DMG entfernt haben soll, stand noch im Frühjahr 2018 am Klingelschild der Adresse Waiblinger Str. 30 „Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V.“. Eid ist nicht nur international vernetzt, sondern ist auch Mentor des Imams einer radikalen Moschee im saarländischen Sulzbach, wie auch der baden-württembergische Verfassungsschutz in einer Zusammenschau seiner Aktivitäten feststellt.
Die Anhängerschaft des Milli-Görüs-Spektrums ist mit 2.260 in Baden-Württemberg gleich geblieben. Im Bericht wird drauf hingewiesen, dass die antisemitischen Weltsichten Erbakans nach wie vor prägend sind: „Hieran zeigt sich die profunde Überzeugung Erbakans in Hinblick auf seine antisemitische Weltsicht. Eine Aufarbeitung dieses Erbes in der IGMG im Sinne einer klaren Distanzierung von diesen Positionen ist bis heute nicht erfolgt.“ Dass die Ziele der IGMG über eine reine Religionsausübung im Sinne des Grundgesetzes hinausgehen, wird am Selbstverständnis deutlich: „Die IGMG definiert sich selbst als Religionsgemeinschaft mit dem Ziel der ,Vermittlung und Pflege des islamischen Glaubens, seiner Verwirklichung in allen sozialen Bezügen und der Erfüllung der koranischen Gebote‘. Den Islam zu leben bedeutet nach ihrer Lesart, ,unabhängig von geographischen Grenzen und traditionellen Kulturräumen das Leben in allen Belangen an den Maßstäben des Korans und der Sunna des Propheten auszurichten‘. Die Organisation versteht sich damit als ,Gemeinschaft, die der umfassenden Religionsverwirklichung dient‘.“ Auch die Repräsentation in Gremien und Strukturen der Muslimbruderschaft, teilweise über Einzelpersonen vermittelt, sowie in das Spektrum der Grauen Wölfe und zur DITIB werden vermerkt.