Seit dem Frühjahr ist Mohamed El Kaada neuer Sprecher des Koordinationsrats der Muslime (KRM), dem größten Zusammenschluss islamischer Verbände in Deutschland. Trotz mangelnder Transparenz sowie der Beteiligung als extremistisch eingestufter Organisationen wird der KRM von der Politik hofiert. El Kaada selbst ist auch Vorstandsmitglied eines marokkanischen Kulturvereins in Gelsenkirchen. Auf seiner spärlich frequentierten Facebook-Seite finden sich „israelkritische“ Haltungen ebenso wie gänzlich unkritische Haltungen zur Muslimbruderschaft.

Die größte islamische Organisation in Deutschland ist der Koordinationsrat der Muslime (KRM). Der KRM wurde 2007 in Köln als Arbeitsplattform der vier größten islamischen Organisationen in Deutschland im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz gegründet. Gründungsmitglieder waren die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZDM), der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD) sowie der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). 2019 traten mit dem Zentralrat der Marokkaner in Deutschland (ZRMD) und der Union der islamisch-albanischen Zentren in Deutschland (UIAZD) zwei weitere Dachverbände dem KRM bei. Zu der 2019 offenbar anvisierten Mitgliedschaft der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken (IGBD) kam es jedoch bislang nicht. Zumindest wird die IGBD auf der Internet-Seite des KRM bis heute nicht als Mitglied genannt.
Damit sind die deutschen Moschee-Gemeinden über ihre Dachorganisationen überwiegend im KRM vertreten. Da aber ein großer Teil der deutschen Muslime überhaupt keiner Moschee-Gemeinde angehört, ist umstritten, wie viele der hier lebenden Muslime tatsächlich vom KRM vertreten werden oder sich vertreten fühlen. In der vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebenen Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“ wurde der Bekanntheitsgrad des KRM gar nicht erst erforscht. Hinzu kommt, dass kein einziges KRM-Mitglied bislang als Religionsgemeinschaft formell anerkannt wurde.
Dennoch wird der KRM nicht müde, über seinen jeweiligen Sprecher Teilhabe und weiteres politisches Entgegenkommen zu fordern. Gleichzeitig ist seine Binnenstruktur aber bis heute formal eher ungeregelt: Es gibt lediglich eine grundlegende Vereinbarung in Form einer Geschäftsordnung, eine festere rechtliche Struktur wie ein Verein wurde jedoch bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht gegründet.
Zugehörigkeit des neuen Sprechers verschwiegen
Seit diesem Frühjahr fungiert Mohamed El Kaada als Sprecher des KRM. Entsendet wurde El Kaada vom ZRMD. Dies wurde jedoch bei seinem Amtsantritt der Öffentlichkeit verschwiegen. Selbst die Neubesetzung des Sprecherpostens wurde in den Pressemitteilungen des KRM eher beiläufig erwähnt. Dies könnte den Grund haben, dass die Struktur dieses Zentralrats so unklar und intransparent erscheint, dass dies nur noch als Geheimniskrämerei verstanden werden kann. Das beginnt damit, dass im Internet keine eigene Seite des ZRMD zu finden ist.
Auskünfte zum ZRMD finden sich nur auf Internet-Seiten von Organisationen, bei denen er mitwirkt, also beim KRM oder dem „Islamischen Kompetenzzentrum für Wohlfahrtswesen“. Damit lässt sich aber nicht einmal der Sitz des ZRMD zweifelsfrei klären, denn dieser wird zwar übereinstimmend mit Frankfurt am Main angegeben – als Kontaktadresse wird jedoch einmal eine in Dortmund sowie einmal eine in Lüdenscheid angegeben.
Verwirrspiel um ZRMD-Vereine?
Noch verwirrender wird es beim Blick in die Vereinsregister: Im Frankfurter Register fand sich mit Stand 22. August kein Zentralrat der Marokkaner. Es sind nicht einmal Hinweise zu finden, dass der Sitz des ZRMD jemals in Frankfurt war. Stattdessen finden sich ZRMD-Vereine in Vereinsregistern anderer Städte, so etwa ein 2005 gegründeter Verein in Düsseldorf und ein 2008 gegründeter Verein in Offenbach. Der Düsseldorfer Verein wurde Anfang letzten Jahres formell aufgelöst, ist aber noch nicht gelöscht. Zusätzlich existiert ein eingetragener „Zentralrat der Marokkaner in Deutschland-Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.“, ebenfalls mit Sitz in Düsseldorf.
Ähnlich verwirrend sind die Angaben zum fast mysteriös anmutenden Landesverband Hessen des ZRMD: Dieser Landesverband hat zwar eine Facebook-Seite, auf der seine Gründung angekündigt wurde. Im April 2021 wurde dort eine Pressemitteilung zur erfolgten Gründung veröffentlicht. Darin wurden zwar die Vorstandsmitglieder namentlich sowie mit ihrem Wohnort benannt. Dazu, welche Gemeinden sie vertreten, wurde jedoch nichts mitgeteilt. Stattdessen wurde in der Mitteilung darauf verwiesen, dass dem ZRMD bundesweit 80 Vereine angegliedert seien, bei denen es sich überwiegend um Moschee-Gemeinden handelt. Aber auch hier blieb im Dunkeln, um welche Gemeinden es sich konkret handelt. Hinzu kommt, dass dieser Landesverband, dessen Facebook-Seite nach seiner Gründung schnell wieder in Dämmerzustand verfiel, auch anderthalb Jahre später noch immer in keinem Vereinsregister aufzufinden war. Die Verwirrung komplett macht dann eine weitere Facebook-Seite namens „ZRMD Hessen“, auf der sich mehr Aktivitäten finden.
Spuren führen zu beobachtetem und aufgelöstem Verband
All das führt unweigerlich zu der Frage, warum ein Verband hinsichtlich seiner Untergliederungen ebenso eine – für Außenstehende – chaotisch anmutende Intransparenz praktiziert wie hinsichtlich seiner Mitglieder. Ein möglicher Grund könnte sein, dass nicht wenige marokkanischstämmige Gemeinden aus verschiedenen Gründen vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ein anderer möglicher Grund könnten Schnittmengen zum ehemaligen Deutsch-Islamischen Vereinsverband Rhein-Main (DIV) sein. Der DIV geriet wegen Bezügen zur Muslimbruderschaft und zu Salafisten in öffentlichen Misskredit sowie die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Daraufhin löste sich der Verband 2019 selber auf.
So wurde in der bereits erwähnten Pressemitteilung zum Vorstand des angeblich gegründeten ZRMD-Landesverbandes Hessen als erster Name der von Rachid Al Berdahi aufgeführt. Al Berdahi fungiert nicht nur als Vorstand der Frankfurter Hassan-Moschee. Er gehörte auch zum letzten Vorstand des DIV.
Aber Al Berdahi ist nicht das einzige Beispiel dieser Art: In dieser Pressemitteilung werden insgesamt sieben Personen genannt, die gleichzeitig auch in Vorständen entsprechend auffällig gewordener Moschee-Vereine amtieren. Die Vereine mögen zwar in der Pressemitteilung nicht genannt worden sein, mit Hilfe von der Autorin gesicherter Vereinsregisterauszüge sowie YouTube-Videos lassen sich diese Verknüpfungen jedoch leicht belegen. Und weit mehr als die Hälfte dieser als nicht unproblematisch einzustufender Moschee-Vereine waren wiederum Mitglieder des DIV. Das führt zu der Frage, ob der neue Landesverband des ZRMD in Hessen nicht als Nachfolgeorganisation des DIV zu bewerten ist. Diese Frage zu beantworten obliegt jedoch den Innen- und Verfassungsschutzbehörden.
Bei Politikern dennoch beliebt
All das hält prominente deutsche Politiker aber nicht davon ab, mit dem neuen KRM-Sprecher zu posieren. So finden sich im Netz Bilder von Mohamed El Kaada mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) oder mit dem nordrhein-westfälischen Landtagspräsidenten André Kuper (CDU). Der Bundespräsident ließ sich gleich mehrfach bei unterschiedlichen Anlässen mit El Kaada ablichten. Auf einem am 5. September auf der Facebook-Seite des KRM veröffentlichten Bild posiert gar Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) mit El Kaada. „Heute nahmen wir an der Eröffnungsveranstaltung der 20. Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen im Auswärtiges Amt teil“, erläuterte der KRM das Zusammentreffen.
Doch welchen Islam vertritt der Funktionär El Kaada jenseits von Fototerminen mit deutschen Politikern? Laut Vereinsregister ist er seit Januar 2019 eines von zwei nicht näher bezeichneten Vorstandsmitgliedern des Vereins Marokkanische Gemeinschaft Gelsenkirchen-Buer. Dabei handelt es sich um einen Moschee-Verein, der sich der Mehrheitsgesellschaft gegenüber eher bedeckt hält.
Wer jedoch auf die Facebook-Seite des Vereins schaut, der sieht schnell, dass El Kaada schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt eine Spendenaktion mitverantwortet hat. Und die galt mit dem „Centro islamico di Milano sesto“ einem großen Moschee-Verein in Italien. Dabei handelt es sich um einen Verein, den man in Deutschland eigentlich nur kennt, wenn man sich beruflich mit der Muslimbruderschaft beschäftigt. Oder wenn sich selbst in deren Umfeld bewegt. Der normale im Ruhrgebiet wohnende Gläubige, der nichts mit der Muslimbruderschaft zu tun oder im Sinn hat, dürfte mit dem Namen dieses Moschee-Vereins jedenfalls nichts anzufangen wissen. Und damit auch nicht wissen, warum er gerade diesem Verein etwas spenden soll. Was ja auch in diesem Aufruf weder begründet noch erklärt wird.
Ein Problem mit Israel, aber keines mit der Muslimbruderschaft?
Wie bei vielen politisch oder religiös aktiven Menschen, ist es auch bei Mohamed El Kaada die von ihm verantwortete Facebook-Seite, die Aufschluss über seine Grundhaltungen ergibt. Und dort fällt sofort auf, dass El Kaada seiner Betroffenheit zum Tode des ehemaligen ägyptischen Staatspräsidenten Mohammed Mursis dadurch Ausdruck verliehen hat, indem er dessen Bild postete. Jetzt mag der eine oder anderen entgegnen, dass es beim Tod eines Menschen, ganz besonders eines Ex-Präsidenten, erst einmal normal ist, Betroffenheit zu artikulieren. Nur war Mursi nicht Queen Elisabeth. Sondern zum damaligen Zeitpunkt einer der weltweit bekanntesten – und einflussreichsten – Muslimbrüder.
Im Juli dieses Jahres dokumentierte El Kaada auf seiner Facebook-Seite seinen Besuch einer Großmoschee an der Côte d’Azur. Diese befindet sich an einem kleinen Ort mit gerade mal rund 65.000 Einwohnern, etwa 1.200 Kilometer von Gelsenkirchen entfernt. Was unweigerlich zu der Frage führt, warum ihm ausgerechnet diese Moschee an diesem südfranzösischen Ort so wichtig war oder ist. Fakt ist jedenfalls, dass diese Moschee mit dem bereits erwähnten italienischen Moschee-Verein gemein hat, dass sie Personen, die sich mit dem Netzwerk der europäischen Muslimbruder-Szene beschäftigen, bestens bekannt ist.
Weiter findet sich auf seiner Facebook-Seite eine von ihm geteilte Veröffentlichung des „European Council of Imams“, die mit dem Abbild Taha Amers versehen ist. In einem anderen Beitrag wirbt er sogar um finanzielle Unterstützung für dieses problematische Gremium. Und damit lenkt er die Aufmerksamkeit erneut auf Personen und Organisationen, die der „normale“ Gläubige im Regelfall gar nicht kennt. Die aber für all jene, die sich mit der Muslimbruderschaft beschäftigen, alte Bekannte sind. Gut dazu passt dann natürlich auch das eine oder andere „israelkritische“ Posting, das man findet, wenn man sich die Mühe macht, weiter in seine Vergangenheit zu scrollen.
Als Fazit bleibt der Eindruck, dass der simple Aufruf von El Kaadas öffentlich einsehbaren Facebook-Seite oder der seines Gelsenkirchener Moschee-Vereins bereits genügt, um sofort zu sehen, dass man es hier mit Leuten zu tun hat, die – um das einmal so vorsichtig wie nur möglich zu formulieren – mit der Muslimbruderschaft zumindest kein Problem haben. Und schon allein das sollte Politikern, die zusammen mit dem neuen KRM-Sprecher für Fotos posieren, eigentlich zu denken geben. Denn für den Verfassungsschutz ist und bleibt die Muslimbruderschaft ein sehr großes Problem.