Wuppertal: Außenstellen der Muslimbruderschaft mit direkten Linien nach Qatar?

Seit Jahren ist bekannt, dass es in Wuppertal verschiedene Organisationen gibt, die nachweisliche Bezüge zum Spektrum der Muslimbruderschaft haben. Wie ausgeprägt auch direkte Bezüge in das Emirat Qatar sind, war bislang jedoch nicht bekannt. Beunruhigend stimmt, dass die lokale Politik dem Netzwerk gewogen ist.

Über die Aktivitäten in der Wuppertaler Abu-Bakr-Moschee wurde hier schon mehrfach berichtet (etwa hier und hier). Trägerverein der Moschee ist die laut Vereinsregister 1979 gegründete Islamische Gemeinde Wuppertal. 2005, beim Übertrag in das elektronische Vereinsregister, war Dr. Mahmoud Abodahab als Vorstand des Vereins eingetragen. Kurz darauf wurde er darin von Ahmed Bouaissa abgelöst. Danach hatte Abodahab keine eingetragene Funktion mehr in diesem Verein. Stattdessen gründete er ein Jahr später, also 2006, einen weiteren Trägerverein für eine Gebetsstätte in Wuppertal. Abodahab ist immer noch Vorsitzender des Vereins „Verein des Islam und Frieden“. Dieser unterhält die Assalam-Moschee, in der Abodahab als Imam wirkt.

Auch diese Moschee ist Teil dieses Netzwerks. So wird etwa auf der Facebook-Seite der Assalam-Moschee ein gemeinsamer Auftritt Abodahabs mit Ahmad Al-Khalifa im Mai dieses Jahres verbreitet. Über Jahre hinweg befand sich auf der Seite des Islamischen Zentrums München (IZM) ein Verweis auf die Wuppertaler Moschee. Der Ägypter Al-Khalifa ist ein wichtiger Funktionär in Deutschland und seit Jahrzehnten an das IZM, vormals auch an das in Aachen, angebunden. Al-Khalifa ist darüber hinaus ein bundesweit auftretender Referent in Moscheen, die der Bewegung nahestehen. Erst vor wenigen Wochen war bei einer Feierstunde zu seinen Ehren eine ganze Riege der wichtigsten Funktionäre europäischer Muslimbrudergremien und -einrichtungen zugegen.

Fragwürdige Selbstdarstellung

Mohamed Abodahab, ein Sohn von Mahmoud Abodahab, kandidierte erfolgreich auf dem Ticket der SPD für den Integrationsrat, der in Wuppertal seit 2020 als Integrationsausschuss bezeichnet wird. Außerdem wirkte er in der „Interessenvertretung der Wuppertaler Moscheen“, die auf ihrer Facebook-Seite angibt, 16 islamische Vereinigungen in der Stadt zu vertreten. Eine ältere Angabe der Stadt listet elf Mitgliedsvereine auf, darunter auch die Grauen Wölfe.

Das Metier von Mohamed Abodahab ist die Öffentlichkeitsarbeit. „Seit 1995 ist Abodahab Mitglied und seit 2006 Vorstandsmitglied der Islamischen Gemeinde Wuppertal. […] Seit 2006 ist er Vorstandsmitglied des Vereins des Islam und Frieden e.V.“, berichtet eine Lokalzeitung 2020 anlässlich seiner Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz. Sieben Jahre zuvor wurde er noch von der Westdeutschen Zeitung kritisch zu Ausreisen junger Wuppertaler zu al-Qaida und eines Auftritts eines radikalen Predigers in der Abu-Bakr-Moschee befragt. Bei seinen Antworten gab Mohamed Abodahab weder an, dass er selber im Vorstand der Abu-Bakr-Moschee war noch dass sein Vater ein Imam des Vereins war, für den er damals öffentlich auftrat. Und auch seine Ausweichbewegungen, als es um Salafisten und andere Moschee-Vereine ging, zeigten den geübten Medienmann.

Das „stärkste Stück“ war jedoch seine Aussage, sie (gemeint sind die Wuppertaler Moscheen, Anm. d. Autorin) akzeptierten keine radikalen Prediger. Das erscheint als Lippenbekenntnis. Zu diesem Zeitpunkt, schon seit 2006 und bis zu seinem Tod im Januar 2022 war Youssef El-Ouaamari im Vorstand des Trägervereins der Abu-Bakr-Moschee und wirkte dort auch als Imam. El-Ouaamari wurde auf seiner Beerdigung nicht nur von Aiman Mazyek gewürdigt, sondern auch der Generalsekretär der International Union of Muslim Scholars (IUMS), Ali al-Qaradaghi drückte im Internet sein Beileid aus. Der qatarische Staatsbürger widmete ihm einen Nachruf auf der Seite der IUMS und einen auf seiner eigenen Facebook-Seite. Diese Ehre erfahren üblicherweise nur Mitglieder der IUMS oder ihr sehr nahestehende Gelehrte.

Die ebenfalls in Qatar beheimatete IUMS gilt in vielen Ländern als Terror-Unterstützerin, in den Vereinigten Arabischen Emiraten sogar als Terror-Organisation. Eines ihrer Mitglieder ist der Chef der Terror-Organisation Hamas. Eine Organisation also, die ebenso international bekannt wie problematisch ist. Es ist kaum vorstellbar, dass El-Ouaamaris Bezug im Moscheevorstand nicht bekannt war. Immerhin hat al-Qaradaghi die Abu-Bakr-Moschee ja auch mindestens zwei Mal besucht. Das kam sicher nicht von ungefähr und auch das ist vom Vorstand zu verantworten.

Verbindungen in CDU-Kreise und zum ZMD

Ebenfalls im Vorstand des Trägervereins der Abu-Bakr-Moschee ist seit 2009 Samir Bouaissa, der wohl mit dem bereits erwähnten Ahmed Bouaissa verwandt ist. Damit hat er nicht nur die Weiterbeschäftigung von Youssef El-Ouaamari mitzuverantworten, sondern auch die Auftritte problematischer Referenten seitdem. Zumeist handelte es sich dabei um bekannte Personen aus dem Spektrum der Muslimbruderschaft, national wie international. Samir Bouaissa ist in der Wuppertaler Lokalpolitik und auch gewerkschaftlich vernetzt. 2020 kandidierte er bei der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl für die CDU. Im August wurde er zum neuen Vorsitzenden des CDU-Stadtbezirksverbandes Vohwinkel gewählt.

Außerdem ist Samir Bouaissa seit der Gründung des Landesverbandes NRW des Zentralrats der Muslime im Jahr 2014 dessen Vorsitzender. Damit vertritt er nicht nur muslimbrudernahe Einrichtungen, sondern auch Gemeinden aus dem Spektrum der türkisch-nationalistischen Grauen Wölfe. Dieser Vorsitz brachte ihm auch schnell die Aufmerksamkeit und Nähe prominenter Politiker: Bei der Gründungsversammlung, die bezeichnenderweise in der Abu-Bakr-Moschee stattgefunden hat, war nicht wenig politische Prominenz vor Ort, darunter etwa der damalige Staatssekretär Thorsten Klute (SPD), die heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler und der FDP-Politiker Joachim Stamp sowie die damalige Wuppertaler Oberbürgermeisterin. Die Landes- und Kommunalpolitiker hatten offensichtlich keinerlei Bedenken, sich mit Muslimbrüdern und Grauen Wölfen zu zeigen.

Zwei Facebook-Seiten, zwei Gesichter?

Neben der Abu-Bakr-Moschee und der Assalam-Moschee gibt es in Wuppertal aber auch noch weitere Einrichtungen, die einen Einfluss der Muslimbruderschaft zeigen. Von 2015 bis 2019 bestand ein „Bildungszentrum für internationale Menschenrechte Deutschland GmbH“. Dessen Geschäftsführer waren Alaa Eldin Al-Rashi und Ibrahim Adab Al-Hemesh. Al-Rashi gibt auf seiner wenig frequentierten deutschen Facebook-Seite an, in Novi Pazar (Serbien) studiert zu haben. Dort ist eine wichtige Studieneinrichtung der Muslimbruderschaft, deren Abschlüsse weder in Deutschland noch in Serbien anerkannt werden.

Deutlich frequentierter hingegen ist seine arabischsprachige Facebook-Seite; dort hat Al-Rashi mehr als 22.000 Follower. In der Foto-Ansicht dieser Seite finden sich auch viele Bilder, die ihn mit wichtigen Vertretern der Muslimbruderschaft zeigen, darunter viele Muslimbrüder aus Qatar und Syrien. Seine tiefe Verehrung für Issam El-Attar bis hin zu persönlichen Besuchen ist dort über Jahre dokumentiert. Bereits tote Muslimbrüder preist er auf dieser Seite als Märtyrer und Vorbilder. Ein 2012 von ihm dort veröffentlichtes Bild zeigt ihn gar mit dem kürzlich verstorbenen Yusuf al-Qaradawi. Der ebenfalls in Qatar beheimatete al-Qaradawi galt zu seinen Lebzeiten als Hassprediger sowie wichtigster Vordenker der Muslimbruderschaft.

Medienbüro des IUMS-Generalsekretärs in Wuppertal

Quelle: Belegbild Facebook-Seite von al-Qaradaghi, Abruf 15.12.2022

Seit 2017 ist im Wuppertaler Handelsregister eine „LM Lehrcenter für Menschenrechte UG“ eingetragen. Geschäftsführer dieser Unternehmergesellschaft ist wiederum Alaa Eldin Al-Rashi. Und dieses „Lehrcenter“ wirkt nun als Medienbüro für Ali al-Qaradaghi. Das belegen etliche Videos mit dem fanatischen Prediger, die mit dem Logo des Lehrcenters versehen sind. Wie eng die Beziehung al-Qaradaghis zu dem Wuppertaler „Lehrcenter“ ist, zeigt sich auch daran, wie er auf Facebook eines seiner Bücher anbietet. Als Konto für die Überweisung des Käufers gibt er keines seiner Konten an, auch kein Konto in Qatar – sondern das in Deutschland geführte Konto des „Lehrcenters“ (siehe Bild links). Andere Möglichkeiten, sein Buch zu bestellen, waren im Internet nicht zu finden. Gleiches gilt für derzeit laufende Fern-Kurse al-Qaradaghis; die Kursgebühr von 150 US-Dollar muss auf demselben Wege beglichen werden.

Eine Firma in Wuppertal, die nicht nur eng mit Ali al-Qaradaghi verbunden ist, sondern auch noch einzelne seiner Produkte exklusiv anbietet? Der Qatarer ist nicht nur Generalsekretär der IUMS. Nach Angaben der Qatar First Bank, die ihren Namen kürzlich in „Lesha Bank“ änderte, ist er auch Vorsitzender ihres Scharia-Aufsichtsrates. Darüber hinaus ist er Mitglied einer ganzen Reihe von islamischen und islamistischen Organisationen, etwa dem European Council for Fatwa and Research (ECFR). Auch der europäische Rat für „Fatwa und Forschung“ wird von den Verfassungsschutzbehörden der Muslimbruderschaft zugerechnet.

Damit ist er in der Gesamtbetrachtung nicht einfach irgendein Gelehrter, sondern eine der wichtigsten lebenden Personen in jenem Geflecht, das das Emirat Qatar und die international organisierte Muslimbruderschaft miteinander verbindet. Dabei vertritt er stark anti-westliche Haltungen und befürwortet Jihad sowie Märtyrertum. Seine Feindseligkeit gegenüber Israel wird etwa auf den von der IUMS organisierten „Palästina-Konferenzen“ deutlich, auf denen er auch auftritt. Hier muss die Frage erlaubt sein, warum eine derart zentrale Person dieses Spektrums ausgerechnet einem „Lehrcenter“ in Deutschland nahesteht und dieses auch selbst auf Facebook als (s)ein Medienbüro bezeichnet. Und warum das ausgerechnet in Wuppertal angesiedelt wurde. Die enge persönliche Beziehung beider Männer, die auf Bildern privater Besuche erkennbar ist, reicht als alleinige Erklärung dafür nicht.

Tarnverein für die lokale Politik?

Aber das „Lehrcenter“ ist nicht die einzige Organisation, die an dieser Adresse in Wuppertal gemeldet ist. An derselben Adresse residiert auch der 2017 gegründete Damaszener Verein, als dessen Vorsitzender Alaa Eldin Al-Rashi fungiert. Zu diesem Verein gehört auch die al-Sham-Moschee. Im Gegensatz zur arabischsprachigen Facebook-Seite Al-Rashis, die sich offensichtlich an die eigenen Glaubensbrüder wendet, richtet sich der deutschsprachige Facebook-Auftritt des Damaszener Vereins dem Anschein nach vor allem an das deutsche Publikum, insbesondere natürlich das aus Wuppertal.

Und bei diesem Facebook-Auftritt findet sich auch alles, was das deutsche Publikum gerne sieht und liest: deutsche Sprache, lachende Kinder und Preise für verdiente Menschen. Ein „Humanitätspreis“, der vom Damaszener Verein „in Kooperation mit dem LM Lehrcenter“ vergeben wird, geht 2018 an einen Mitarbeiter des Roten Kreuzes. Die Rede dazu hält der Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh. 2019 geht dieser Preis dann direkt an den SPD-Abgeordneten. Anlässlich dieser Verleihung nennt Lindh die verleihenden Personen gar seine „syrische Familie“. Dass auf den Fotos der Preisverleihung immer nur die Männer zu sehen sind, fällt ihm dabei anscheinend nicht auf.

Aber es gibt noch mehr „Preise“ der beiden Organisationen. Ein „Friedenspreis 2019“ etwa ging unter anderem an Amir Zaidan. Dem syrischstämmigen Zaidan wird seit vielen Jahren die Zugehörigkeit zur Muslimbruderschaft vorgeworfen. Er selbst bestreitet diese jedoch. Vor Gericht konnte er sich damit aber bislang nicht durchsetzen: 2004 klagte er auf Löschung seiner Daten beim Hessischen Verfassungsschutz und damit auf die Beendigung seiner Beobachtung. Dabei wurde ihm jedoch eigene Aussagen aus seinem Asylverfahren vorgehalten: „Ich bin offiziell kein Mitglied, aber ich vertrete das Gedankengut der Moslembruderschaft. […] Ich bin kein Moslembruder, aber ich habe viele enge Kontakte zu Moslembrüdern sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern und zwar insbesondere Kontakte zu führenden Leuten der Moslembruderschaft.“ Im Ergebnis wurde seine Klage 2005 abgewiesen. Zuletzt wurde er jedoch in Österreich selbst verklagt, weil er andere der Zugehörigkeit zur Muslimbruderschaft bezichtigte. Hier entschied das Gericht im Juli in erster Instanz zu seinen Ungunsten.

Professionelles Promotion-Video

Belegbild, Quelle: Facebook-Seite Omar M., Abruf 14.12.2022

In einem Promotion-Video des Damaszener Vereins werden fröhliche Kinder gezeigt, die zum Verein gehen. Hier fällt auf, dass ein relativ junger, wohl eher kleiner Verein einen professionell produzierten Imagefilm finanzieren kann, der üblicherweise einen mittleren vierstelligen Euro-Betrag kostet. In diesem Video äußern sich zwei junge Leute zum Verein, die auch namentlich benannt werden. Die junge Frau heißt Lin Al-Rashi und ist stellvertretende Vorsitzende des Damaszener Vereins. Sie trägt ein eng gebundenes Kopftuch und fordert Respekt für ihre Religion ein. Bei dem jungen Mann ist nicht zu erkennen, ob er dem Verein angehört. Wesentlich aussagekräftiger ist da aber schon seine Facebook-Seite: Dort gibt er sich als Fan von allerlei Muslimbrüdern bis hin zu Mohammed Qutb zu erkennen. Auch der Aachener Issam El-Attar wurde jahrelang von ihm verehrt. Garniert ist dieser Facebook-Auftritt mit einer Karikatur, in der der islamistische Terror als von den USA und Israel gesteuert gezeigt wird (siehe Bild oben). Derartige anti-westliche und anti-israelische und damit auch antisemitische Verschwörungstheorien gibt es natürlich auch abseits der Muslimbruderschaft, etwa im Rechts- und Linksextremismus. Sie sind aber auch bezeichnend für das verschwörungstheoretische Gedankengut vieler Muslimbrüder.

Dass der Damaszener Verein auch eine Gebetsstätte unterhält, in der auch Al-Rashi selbst predigt, fällt hingegen weniger auf. Der Verein will wohl eher säkular wirken. Im Promotion-Video sind jedoch auch betende Kinder zu sehen. Laut seinen Selbstdarstellungen erfüllt der Verein aber nicht nur kulturelle, sondern auch religiös-identitäre Funktionen. Kinder und Jugendliche sollen also gebunden werden. Damit aber geraten jene, die sich weiter interessieren, an das angeschlossene „Lehrcenter“ mit Medienbüro. Und natürlich ist der Damaszener Verein auch eine perfekte Tarnung: Wer würde schon hinter einem harmlos auftretenden „Kulturverein“ so etwas vermuten? Die Wuppertaler Lokalpolitik sicher nicht. Helge Lindh und auch der damalige SPD-Oberbürgermeister Andreas Mucke standen 2019 für Fotos mit Al-Rashi und Abodahab zur Verfügung.

Alles nur Zufall?

Was in Wuppertal als integrative Leistung bezeichnet und gewürdigt wird, mit Auszeichnungen bis hin zum Bundesverdienstkreuz, hat, wie dieses Netzwerk zeigt, nicht immer mit Integration zu tun. Sondern mit politischen Aktivitäten und einer identitären Rückbesinnung, die einer tatsächlichen, also einer auch sozialen Integration eher im Wege steht. Und das vor allem mit Interessenvertretern, also mit Lobbyisten, die die lokale Politik und die lokalen Medien über ihre tatsächlichen Bezüge immer wieder im Unklaren lassen. Diese Bezüge führen schon seit Jahren in das nationale und internationale Spektrum der Muslimbruderschaft – oder eben nach Qatar. Also in jenes umstrittene Wüsten-Emirat, das sich in den letzten Jahrzehnten mit viel Geld zum neuen Zentrum der Muslimbruderschaft entwickelt hat. Ein Zufall dürfte das alles kaum sein.