Menschen sind soziale Wesen und meist nicht gerne alleine. Gruppenbildung und Zugehörigkeit zu einer Gruppe sind uns wesenseigen. Gruppen haben Normen, anhand derer die Zugehörigkeit mehr oder weniger genau bestimmt wird. Weichen Menschen von einer Gruppennorm in erheblichem Maße ab in einem für sie oder die Gruppe bedeutsamen Merkmal, suchen sie sich oft eine Gruppe, in der sie mit diesem Merkmal eher hineinpassen. Das gilt auch für Verhaltensnormen. Es gibt in verschiedenen Menschengruppen einen Grundkodex, der von den meisten Gruppenmitgliedern verinnerlicht ist oder doch zumindest mitgetragen wird. Auch bei eher seltenen Merkmalen bietet sich heute über das Internet die Möglichkeit Menschen gleicher Ausrichtung oder Haltung aufzufinden. So findet der Orthorektiker oft die vegane Szene oder gar die Rohköstler nach Konz, der Verklemmte eine sexual-restriktive Religion oder Sekte und der Mordlustige findet derzeit die IS-Ideologie. Letztere wird auch von Personen mit bestimmten abweichenden Sexualvorstellungen präferiert.
Bild von AP über obigen link
Ein sehr lebendiges Beispiel für diese These ist die aktuelle Meldung, wonach der Kino-Attentäter von Colorado nunmehr Islamist sei:
Bei stark abweichendem Verhalten von der Gruppennorm sind Menschen Einzelgänger, weil sie den anderen Menschen seltsam, verschroben und manchmal auch beängstigend vorkommen. Niemand, der z.B. extreme Aggressionen hat und diese auch artikuliert, findet in friedlichen Gesellschaften einen Rahmen, in dem diese Gefühle noch als sozial angemessen gelten. Das Ausagieren dieser Gefühle ist allenfalls im Leistungs- und Kampfsport möglich. In Kriegsszenarien hingegen können diese Aggressionen, die bis zur Mordlust gehen können, voll ausgelebt werden.
Dieses Detail der Meldung verwundert somit nicht:
‚He has brainwashed himself into believing he was on his own personal jihad and that his victims were infidels,‘ a prison source told the National Enquirer.“
Er hat sich einen sozialen Rahmen gesucht, in dem seine Morde gerechtfertigt sind. Wenn er das SO, also als Tötung von Ungläubigen in der jihadistischen Community verbreitete, könnte er mit dem einen oder anderen Zuspruch rechnen. Auch der aktuelle Mord an 4 Marinesoldaten wird in der Szene heftig gefeiert. Der Kino-Attentäter hat für seine frei flottierende Mordlust somit einen sozialen Rahmen gefunden, in dem seine Taten für akzeptabel gelten. Er selbst ist sozusagen bei der Mordlust stehengeblieben, hat aber das Koordinatensystem geändert. Das alles, um nicht nur vor den neuen Gesinnungsgenossen, sondern vor allem auch vor sich selbst gut dazustehen: Schuld, Reue hieße Beschädigung des Ich bei einer solchen Tat. Er vermeidet diese Selbstbeschädigung durch die Umdeutung.
Der junge Mann in diesem aktuellen Beitrag von Panorama zeigt den oben erwähnten anderen Aspekt:
http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2015/Ein-Sommer-im-Dschihad,dschihad178.html
Er wünscht sich vier Frauen* und hält dies für einen normalen und vor allem akzeptablen Wunsch für einen Mann (die ganzen anderen bizarren Luxuswünsche einmal beiseite gelassen). Der junge Mann kann nicht nur nicht rechnen, er könnte ja auch zu den drei Männern gehören, die in diesem Modell nie eine Frau auch nur von nahem sehen – oder halt sterben, sondern verkennt auch, dass man in diesem Modell für alle Frauen gleichermaßen sorgen muss. Das kann in einer bitterarmen Gesellschaft schon bei einer Frau eine Herausforderung sein (ein Grund, warum viele junge Ägypter nicht heiraten können). Das funktioniert nur, wenn man Männer von der Heirat und damit Fortpflanzung ausschließt. Sozial oder gegenseitig durch Kampf. Es sagt auch etwas über das Frauenbild dieses jungen Deutsch-Tunesiers aus, der immerhin in der SPD gewesen sein soll. Erstaunlich, wie wenig man mittlerweile zu den Werten der SPD stehen muss und trotzdem Mitglied sein kann.
Das Äußern dieses Wunsches, nämlich gleich vier Frauen haben zu wollen, ist in der mitteleuropäischen Gesellschaft eher selten. Männer, die so etwas offen und ernsthaft von sich geben, werden als Mitteleuropäer sozial geächtet. Sogar in der SPD, in der sehr viel Verständnis für nicht nur politisch abweichende Normen mittlerweile vorliegt, wäre er wahrscheinlich mit einem solchen Wunsch geteert und gefedert worden verbal. Zumindest als SPD-Mitglied. Käme das von einer außenstehenden Person aus außereuropäischen Kulturkreisen wäre man auch da noch tolerant. Der junge Mann zog also aus, um „sein Glück“ zu machen. Dafür, für vier Frauen und Autos, nahm er in Kauf zu töten oder getötet zu werden. Der eine Wunsch ist hier inadäquat, der andere nur mit Glück oder Leistung zu erzielen. Er hat sich für seine Wünsche demnach die passende Gruppe gesucht. Sozialer Rahmen gefunden: Passt.
Menschen wie diese beiden gibt es nicht wenige. Nicht immer führt die Mordlust zu Mord und nicht immer führt der Wunsch nach vier Frauen und sogar dessen Erfüllung zu Glück.
Aber mit der realen Welt haben die Propagandavideos des IS nur das grausame Ergebnis gemein. Alles andere ist Spiel mit Phantasien und Wünschen. Wünsche und Phantasien haben Menschen immer und insbesondere sexuell dauerfrustrierte männliche Jugendliche sind durch den Jungfrauen-Bonus anzuregen. Wie das wirken kann, zeigt das Panorama-Video eindrucksvoll.
Das ist auch etwas, was wir als Gesellschaft tun können: Die Superaggressiven frühzeitiger erkennen und bei bestimmten Bevölkerungsgruppen dabei mithelfen, dass eine Lockerung der religiösen Vorgaben zu Sexualität eintreten. Das könnte dafür sorgen, dass mehr Jugendliche in diesem unserem gemeinsamen Rahmen bleiben. Damit wäre allen gedient.
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* Der junge Mann ist im Übrigen schlecht informiert: Er kann auch noch Sklavinnen halten und Kriegsbeute machen. In Frankfurt auf der Zeil ist man da besser informiert, wie ich einmalbei einem zufällig gehörten Gespräch zweier 15 jähriger mitbekam. Man unterhielt sich sehr angeregt über die zu erwartende Kriegsbeute…