Aus dem sogenannten Islamischen Staat einen echten machen – kann das funktionieren? Diese Frage stellten die Deutsche Friedensgesellschaft und Pax Christi bei einer Veranstaltung im Frankfurter „Haus am Dom“. Das Interesse war nicht nur wegen der Pariser Attentate enorm, die kleine Giebelsaal nebst Empore brechend voll, Menschen sassen auf dem Boden.
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Die Erwartungen wurden gleich zu Beginn das erste Mal enttäuscht: Die Hauptrednerin des Abends, Loretta Napoleoni, hatte den Freitag zuvor abgesagt. Zu stressig sei die Deutschlandtournee dann doch und die Medienaufmerksamkeit zu gering trotz Nachfragen von einigen Medienvertretern. Andreas Zumach, der eigentlich die Gegenrede hätte halten sollen, musste so die Standpunkte aus Napoleonis Buch kurz referieren und flocht eigene Sichten gleich mit ein.
Napoleonis Buch „Die Rückkehr des Kalifats: Der Islamische Staat und die Neuordnung des Nahen Ostens“ beginne nach dem Tod Mohammeds und spanne den Bogen bis hin zum September letzten Jahres.
Zunächst versuchte Zumach das nach seiner Sicht unvollständige Bild vom IS in den europäischen Medien zu korrigieren. Das sei meist schlecht recherchiert, meinte er, und verwies auf wieder aufgebaute Infrastruktur und die oftmals wiederhergestellte Versorgung der Bevölkerung. Die wiederaufgebaute Bäckerei fand ebenso würdigende Erwähnung wie die Medikamentenversorgung, die „besser als sonst in der Region“ sei. Menschen würden mehrheitlich vor Assads Fassbomben fliehen, viele Sunniten zögen die relative Ordnung nach dem Sieg des IS dem vorherigen Zustand vor.
Man habe also ein komplexes Staatswesen aufgebaut, bei dem man darüber nachdenken könne, ob man es nun in die internationale Staatengemeinschaft nehmen könne. Dadurch könne man es dazu bringen (wörtlich war von Zwang die Rede), Völkerrecht anzuerkennen. Die Binnenstruktur bestünde, erklärte Zumach, in der Führungsebene aus 27 Männern, von denen mindestens ein Drittel aus kriegserprobten Personen bestünde. Darunter gäbe es 4 Departments, Waffenbeschaffung, Finanzierung, Medien und Rekrutierung.
Im Grunde ist nach Zumach der Westen schuld an IS. Die Kolonisierung, der Abzug der Kolonialherren, all das habe die Region destabilisiert. So lange hinsichtlich Israel „Doppelmoral herrsche“, werde es darüber hinaus keinen Frieden in der Region geben. Einen Zuhörer hielt es nicht mehr auf dem Stuhl: „Hier werden Nazis verteidigt!“ Er wurde des Raumes verwiesen. Auch habe der Westen seine Demokratien nur wegen des Umstandes aufbauen können, dass die Ressourcen hier mehr verteilt würden, jeder habe hier ein Dach über dem Kopf.
Zumach wunderte sich öffentlich, dass der IS noch keine Gebietsansprüche angemeldet habe. Immer in der Vergangenheit hätten Terrorgruppen auch Forderungen gestellt. Das sein nun anders. Da war wohl entgangen, dass das Khalifat die Weltherrschaft will.
Den Einsatz von Militär hält Zumach für aussichtslos; auch reiße sich niemand darum, Bodentruppen zu entsenden. Er hingegen möchte diesen „Konflikt austrocknen“, das sei der einzig mögliche Weg. Dazu müsse die Bombardierung eingestellt werden und die Waffenlieferungen an alle Unterstützerstaten. Dann könne man mit dem IS an den Verhandlungstisch, könne „mit viel Geld“ Bildung etc. bieten. Zumach ist wohl entgangen, dass die Führungsriege aus durchaus formal gebildeten Personen besteht und man keine Bildung westlichen Zuschnitts will.
In diesen Betrachtungen hatten demnach der Totalitarismus und die religiöse Verblendung wenig Raum. Alles war irgendwie politisch oder ressourcenbedingt, so das der religiöse Fanatismus kaum noch eine Rolle spielte. Eine religiöse Agenda wurde nicht aufgegriffen. Die Möglichkeit, dass nach einer Phase der Konsolidierung mit Verhandlungen das Spiel von neuem beginne, wurde nicht erwogen.
Ein irritierender Abend. Zumachs „Strategie“ besteht zusammengefasst schlicht in: „Da müssen halt die Kämpfe aufhören“ plus Sanktionen. Mit westlicher Vorleistung. Play it again, Sam.
So blieben trotz reger Zuschauerbeteiliguung viele Fragen offen.
Schade, dass Frau Napoleni nicht anwesend war. Ich hätte ihr – bei einem „Staat“, der Entwicklungshelfer und Journalisten köpft – gerne mal die Frage gestellt, ob sie sich bereit erklärt, als Diplomatin da den ersten Schritt zu tun und persönlich zu verhandeln. Es könnte ja sein, dass dem „Verhandlungspartner“ die gegnerischen Angebote nicht gefallen. Es wäre nicht das erste mal in der Geschichte, dass es dann den Boten träfe.