Scharia-Polizei: Landgericht prüft wieder nur oberflächlich

Der Auflage des BGH, eine mögliche einschüchternde Wirkung der „Scharia-Polizei“ auf junge Muslime zu prüfen, wurde der erneute Prozess vor dem Wuppertaler Landgericht bislang nur wenig gerecht. Damit steht die Frage im Raum, ob sich die selbsternannten Scharia-Polizisten Hoffnungen auf einen erneuten Freispruch machen können. Ein Urteil bereits am Montag erscheint nach dem bisherigen Verlauf nicht ausgeschlossen.

Vor dem Landgericht (Bild: Sigrid Herrmann-Marschall)

Am vergangenen Montag begann vor dem Landgericht Wuppertal erneut der Prozess um die „Scharia-Polizei“. Die selbsternannte Polizeitruppe sorgte im September 2014 für bundesweite Schlagzeilen und Empörung. Männer um den ehemaligen Mönchengladbacher Salafisten-Chef Sven Lau führten Streifengänge in Wuppertal-Elberfeld durch, um insbesondere muslimische Personen vor Diskotheken oder Spielhallen von einem „gottgefälligen“ Leben zu überzeugen und sie „aus den Häusern des Teufels zu bekommen“. Bei ihren Patrouillen waren sie mit Warnwesten bekleidet, die die Aufschrift „Shariah Police“ trugen.

Schon in der Vergangenheit war die juristische Aufarbeitung ein wenig konfus: Das Landgericht Wuppertal wies die Anklage im Dezember 2015 mit der Begründung zurück, das Uniformverbot gelte nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes nur für solche Kleidungsstücke, „die mit Uniformen oder Uniformteilen gleich seien“. Von den Westen der Salafisten seien jedoch „keinerlei einschüchternde oder bedrohliche Effekte ausgegangen“. Auch habe der Schriftzug „keine Assoziation zu realen polizeilichen Kleidungstücken geweckt“.

Erst eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Düsseldorf führte dazu, dass die Anklage zugelassen und vor einer Großen Strafkammer des Wuppertaler Landgerichts verhandelt werden musste. Das Verfahren gegen Sven Lau wurde jedoch wegen seiner Terror-Anklage, bei der ein höheres Strafmaß zu erwarten war, abgetrennt und dann eingestellt. Im November 2016 wurden die übrigen sieben „Scharia-Polizisten“ vom Landgericht freigesprochen.

Endgültig zur Blamage für die Wuppertaler Justiz geriet das Verfahren im Januar 2018, als der Bundesgerichtshof (BGH) die Freisprüche wieder aufhob und entschied, dass sich die Scharia-Polizisten vor einer anderen Strafkammer erneut verantworten müssen. Das Landgericht habe „außer Betracht gelassen, dass sich die Aktion an junge Muslime richtete, die davon abgehalten werden sollten, Spielhallen, Bordelle oder Gaststätten aufzusuchen und Alkohol zu konsumieren, und statt dessen zu einem Lebensstil nach den Vorstellungen des Korans sowie zum Besuch der Moschee bewegt werden sollten. Wie die Aktion gerade auf diese Zielgruppe wirken konnte, insbesondere welche Assoziationen bei jungen Muslimen durch das Auftreten einer Gruppe von Männern unter dem gemeinsamen Kennzeichen ‚Sharia Police‘ geweckt werden konnten, ist indes entscheidend dafür, ob dem Tatgeschehen die Eignung zukam, militant und einschüchternd zu wirken“, begründete der 3. Strafsenat des BGH seine Entscheidung unter anderem.*

Angeklagte präsentieren sich entspannt

Kevin S. im Gespräch mit seinem Anwalt. Ebenso wie Sven Lau erschien auch S. mit Salafisten-Bart vor Gericht (Bild: Sigrid Herrmann-Marschall)

Der neue Prozess begann am Montagvormittag vor der 6. Großen Strafkammer des Wuppertaler Landgerichts. Als die sieben übrig gebliebenen Scharia-Polizisten den Sitzungssaal betraten, verhüllten sie ihre Gesichter durch Kapuzen oder Aktenordner. Erst nachdem die Pressefotografen ihre Arbeit beenden mussten, entblößten die inzwischen 30 bis 37 Jahre alten Männer ihre Gesichter. Anzeichen von Nervosität oder gar Angst vor einer Verurteilung waren bei den Angeklagten jedoch nicht zu erkennen. Insbesondere Kevin S. lachte mehrfach gut gelaunt. Auch sein Verteidiger gab sich optimistisch und verwies vor Journalisten darauf, im ersten Verfahren habe ein Zeuge ausgesagt, der Auftritt der Scharia-Polizei hätte den Charakter eines „Junggesellenabschieds“ gehabt.

Anders äußerte sich Oberstaatsanwalt Hans-Joachim Kiskel, der bei der Verlesung der Anklage darauf verwies, dass die Angeklagten zur Tatzeit der Salafisten-Szene angehörten. Diese wolle die Bundesrepublik Deutschland sowie das geltende Rechtssystem abschaffen und durch die Scharia ersetzen.

Nachdem alle Angeklagten die Einlassung zur Sache verweigerten, begann die Beweisaufnahme am Montag mit dem Abspielen eines Videos, das von Teilnehmern der Scharia-Polizei 2014 selbst produziert wurde. In dem mehr als 40-minütigen Video stellte Sven Lau die Scharia-Polizei während eines „Streifengangs“ vor: „Unser Ziel ist Allahs Wohlgefallen“, sagte er. „Und dass wir diese Geschwister für den Islam zurückgewinnen.“ Auch sprach er davon, dass „die Scharia mehr beinhaltet als nur Handabhacken und Steinigung“. Damit war jedoch die Verantwortung für vom Weg abgekommene oder in Not geratene Muslime gemeint.

Sven Laus Zeugenaussage von Medien als Entlastung gewertet

Als der Initiator der Scharia-Polizei am Freitag als Zeuge vernommen wurde, geriet dies zum Medienspektakel. Zusammen mit seinem Anwalt Mutlu Günal betrat Sven Lau das Gericht durch Weiterlesen

Sven Lau zum Prozess um „Scharia-Polizei“ freigelassen?

Nur wenige Tage vor der Wiederauflage des Prozess um die Wuppertaler „Scharia-Polizei“ wird Sven Lau aus der Haft entlassen. Das Gericht begründet das damit, der ehemalige Mönchengladbacher Salafisten-Chef habe sich vom islamistischen Gedankengut distanziert und befinde sich jetzt in einem Aussteigerprogramm.

Sven Lau posiert mit Glaubensbrüdern sowie einer AK-47 Kalaschnikow auf einem Panzer. Das beim Prozess gegen ihn als Beweisstück genutzte Bild soll Ende Oktober 2013 in Syrien entstanden sein.

Der 38-jährige Salafisten-Prediger Sven Lau wird „unter strengen Auflagen zur Bewährung“ vorzeitig aus der Haft entlassen. Das teilte das Oberlandesgericht Düsseldorf am Donnerstag mit. Lau war am 26. Juli 2017 durch den Fünften Senat des Oberlandesgerichts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden, weil er die ausländische terroristische Vereinigung „JAMWA“ in vier Fällen unterstützt hatte. Von dieser Haftstrafe hat er inzwischen zwei Drittel verbüßt, wobei die Untersuchungshaft angerechnet wurde.

Der Senat hat vor seiner Entscheidung unter anderem Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt sowie des Aussteigerprogramms für Islamisten eingeholt, einen renommierten Sachverständigen zu Rate gezogen und den Generalbundesanwalt Stellung nehmen lassen. Danach ist davon auszugehen, dass Sven L. nach der mehrjährigen Haft künftig keine Straftaten mehr begehen wird. Von seiner ursprünglichen radikal-islamischen Haltung hat er sich deutlich distanziert. Die Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. In diesen fünf Jahren muss Sven L. strenge Auflagen erfüllen. Diese Auflagen reichen von der Bestimmung des Wohnsitzes über Kontakt- und Aufenthaltsverbote über die Fortführung seiner Teilnahme an dem bereits begonnenen Aussteigerprogramm für Islamisten bis hin zur engen Kontakthaltung zu seinem Bewährungshelfer„, hieß es in der Mitteilung des Oberlandesgerichts. Der Beschluss ist bereits rechtskräftig, da die Bundesanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichtet hat.

Weitere Informationen gab es dazu am Donnerstag nicht. Am Freitag berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger in einem Bezahlartikel, dass Sven Lau an 39 Sitzungen eines Aussteigerprogramms für Salafisten mit einer Gesamtdauer von 140 Stunden teilgenommen habe. Unter anderem deshalb sowie aufgrund von Gesprächen mit ihm seien befragte Gutachter zu dem Ergebnis gekommen, dass er dem radikalen Salafismus glaubhaft abgeschworen habe.

https://www.ksta.de/politik/frueherer-salafist-sven-lau-die-wandlung-des-einstigen–staatsfeindes-nummer-1–32553966

Mit martialischen öffentlichen Gebeten in die Schlagzeilen

Sven Lau geriet 2010 erstmals in die Schlagzeilen, als er zusammen mit Pierre Vogel und Muhamed Ciftci das Führungs-Trio des Mönchengladbacher Salafisten-Vereins Einladung zum Paradies (EZP) bildete. Auf die martialischen öffentlichen Gebete der EZP-Salafisten reagierte die Stadt Mönchengladbach eher passiv und erlaubte die Vorgänge mit Verweis auf das Grundrecht der Religionsausübung. Die Empörung der Anwohner darüber führte zur Gründung einer Bürgerinitiative. Bevor EZP verboten werden konnte, löste sich die Gruppierung wieder auf. Zu diesem Prozess mögen die regelmäßige Proteste der Bürgerinitiative beigetragen haben.

Von der Mönchengladbacher Justiz wurde Lau in dieser Zeit wiederholt milde behandelt: Obwohl er Weiterlesen