Pyrrhussieg für die Verbände

Bundesverwaltungsgericht erlegt OVG Münster erneute Befassung auf

Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.12.2018 muss sich das OVG Münster erneut mit der Klärung der Sachlage befassen, ob der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und der Islamrat Deutschland Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes darstellen. Grund des Klärungsbedarfs waren die Gestaltungsmöglichkeiten der klagenden Verbände bezüglich des islamischen Religionsunterrichts in NRW. Die DITIB als größter Verband hatte diesen Rechtsstreit nicht betrieben bzw. sich ihm nicht angeschlossen. In den Vorinstanzen war dies verneint worden. Aus der Pressemitteilung:

Eigenschaft islamischer Dachverbände als Religionsgemeinschaft bedarf weiterer Aufklärung

Die Kläger sind islamische Dachverbände in der Rechtsform des eingetragenen Vereins. Ihre Mitglieder sind Moscheegemeinden sowie islamische Verbände und Vereine. Ihre Klagen mit dem Ziel, das Land Nordrhein-Westfalen zu verpflichten, an den öffentlichen Schulen islamischen Religionsunterricht einzurichten, sind in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen sind die Kläger keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes, weil sie keine Lehrautorität in religiösen Fragen wahrnähmen. Lehrmeinungen des Gelehrtenrats des Klägers zu 1. hätten nur empfehlenden Charakter. Beide Kläger äußerten sich nicht in zentralen Konfliktfragen des Islam in Deutschland wie dem Verhältnis von Grundgesetz und Scharia, der Stellung der Frauen und der religiösen Toleranz.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerden hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache erneut an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil das Oberverwaltungsgericht die verwaltungsprozessrechtliche Bindung an die tragenden rechtlichen Erwägungen des ersten in dieser Sache ergangenen Revisionsurteils des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2005 nicht hinreichend beachtet hat (BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2005 – 6 C 2.04 – BVerwGE 123, 49).

https://www.bverwg.de/pm/2018/92

Hier die entsprechende Entscheidung von 2005 im Volltext:

https://www.bverwg.de/230205U6C2.04.0

ZMD und Islamrat werteten ihren Gang an das BVerwG jedoch als Sieg:

ZMD und Islamrat begrüßten die Entscheidung des BVerwG. „Es ist an der Zeit, dass die Politik die Entscheidung für einen verfassungskonformen islamischen Religionsunterricht trifft und diese nicht den Gerichten überlässt“, sagte der ZMD-Landesvorsitzende Samir Bouiss in einer Mitteilung. Der Vorsitzende des Islamrats, Burhan Kesici, betonte: „Muslimischen Eltern und ihre Kindern ist es wichtig, dass der Religionsunterricht von islamischen Religionsgemeinschaften verantwortet wird.

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverwg-az6b9418-religionsunterricht-nrw-zentralrat-muslime-islamrat-religionsgemeinschaften/

Das kann man so sehen, wenn man Teilaspekte schon aus der Pressemitteilung nicht weiter zentriert.

Die Herren Bouaissa und Kesici scheinen nicht durchdrungen zu haben, dass sie ohne Religinsgemeinschschaft i.S.d. GG zu sein, im Grunde keinen Rechtsanspruch auf den Religionsunterricht nach GG haben. Es ist also nicht Aufgabe der Politik, es für die Verbände passend zu machen, sondern die Verbände müssen sich an die Regularien anpassen, die für alle gelten. Dazu müssen sie erst einmal Religionsgemeinschaften sein. Das waren sie nach Sicht des OVG Münster nicht. In der Pressemitteilung wird das weiter ausgeführt:

Religionsgemeinschaften haben nach Art. 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 des Grundgesetzes einen Anspruch darauf, dass der Schulträger nach ihren Glaubensgrundsätzen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen einrichtet. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem ersten Revisionsurteil entschieden, dass Dachverbände wie die Kläger Religionsgemeinschaften sind, wenn sie u.a. über Kompetenz und Autorität in Fragen der religiösen Lehre verfügen. Dies betrifft die Glaubensinhalte des religiösen Bekenntnisses, die sich daraus ergebenden Verhaltensanforderungen für die religiös Verantwortlichen und die Gläubigen sowie die Ausübung des Kults. Lehrautorität setzt voraus, dass sie mit einer gewissen Kontinuität ausgeübt wird, und die Lehrmeinungen Gewicht haben, sodass sich die religiös Verantwortlichen und Gläubigen daran orientieren. Ein verbindliches Lehramt ist nicht erforderlich; dessen Einrichtung hängt vom Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft ab.

Auch einer Religionsgemeinschaft steht der Anspruch nach Art. 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 des Grundgesetzes nur zu, wenn sie Gewähr bietet, die Verfassungsordnung des Grundgesetzes, insbesondere die Grundrechte und die freiheitliche Verfassung des Staatskirchenrechts, zu respektieren.

Das Oberverwaltungsgericht hat diese bindenden Maßgaben nicht beachtet, weil es die Eigenschaft als Religionsgemeinschaft von einem verbindlichen Lehramt in religiösen Fragen und der Abgabe von Stellungnahmen in Fragen des Verhältnisses von Staat und Religion abhängig gemacht hat. Der zweite Gesichtspunkt betrifft die Respektierung der Verfassungsordnung durch eine bestehende Religionsgemeinschaft. Das Oberverwaltungsgericht wird die Tätigkeit der Kläger in Fragen der religiösen Lehre und deren Bedeutung für religiös Verantwortliche und Gläubige weiter aufzuklären haben. Stellt es fest, dass die Kläger über Lehrautorität verfügen und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Religionsgemeinschaft erfüllt sind, wird es der Frage der Respektierung der Verfassungsordnung nachzugehen haben.

https://www.bverwg.de/pm/2018/92

Ausführlicher noch legen Herr Kesici und hier auch Herr Mazyek hier ihre Sichten dar:

Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrates, erklärte hierzu: „Die obersten Verwaltungsrichter haben über die Nichtzulassungsbeschwerde des Islamrats und des ZMD hinaus gleich auch das Urteil des Nordrhein-Westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) mitkassiert. Das OVG hat seine Auffassung entscheidungstragend auf unzulässige Gesichtspunkte gestützt.[…] Der Beschluss sein auch „eine Ansage an die Politik, ihre bisherige Haltung auf den Prüfstand zu stellen“.[…]

Für Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des ZMD, zeige das Urteil die Mängel in der Entscheidungsfindung der vorangegangenen Instanz (dem OVG Münster).

https://www.islamische-zeitung.de/muslime-begruessen-urteil-des-bundesverwaltungsgerichts/

Die Mängel der Entscheidung der Vorinstanz sind weniger die, die Mazyek herausstreicht.

Betrachtet man das Urteil aus dem Jahr 2005, so wird schon aus den damals formulierten Leitsätzen ersichtlich, dass auch die Rückverweisung letztlich wieder keinen Erfolg in der Sache ergeben wird. Aus den Leitsätzen:

4. Eine Dachverbandsorganisation ist keine Religionsgemeinschaft, wenn der Dachverband durch Mitgliedsvereine geprägt wird, die religiöse Aufgaben nicht oder nur partiell erfüllen.

5. Eine Religionsgemeinschaft scheidet als Partnerin eines vom Staat veranstalteten Religionsunterrichts aus, wenn sie nicht Gewähr dafür bietet, dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet.

In der ausführlichen Begründung wird betont, dass beide klagende Parteien Mitglieder haben, die nicht als Religionsgemeinschaften zu sehen sind, auch wenn sie religiös konnotiert auftreten, Das BVerwG führt dazu konkret aus:

Es kann beim bisherigen Erkenntnisstand nicht ausgeschlossen werden, dass andere, auf beruflicher, sozialer, kultureller, wissenschaftlicher oder sonstiger fachlicher Grundlage bestehende Mitgliedsverbände bei beiden Klägern ein Übergewicht haben, so dass der Charakter der Gesamtorganisationen als Religionsgemeinschaft verloren geht. Als derartige „Fachverbände“ mit dem Status eines ordentlichen Mitglieds kommen beim Kläger zu 1 allein aufgrund ihrer Namensgebung und vorbehaltlich weiterer Prüfung in Betracht: Islamische Arbeitsgemeinschaft für Sozial- und Erziehungsberufe e.V., Islamisches Bildungswerk e.V., Muslimische Studentenvereinigung in Deutschland e.V., Union der in Europäischen Ländern Arbeitenden Muslime e.V., Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa e.V., Union muslimischer Studenten Organisation in Europa e.V. Beim Kläger zu 2 können dies – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – etwa sein: Verband Islamischer Jugendzentren, Bund Moslemischer Pfadfinder Deutschlands, Moslemisches Sozialwerk in Europa (Moslemische Kollegenschaft im DGB), Muslimischer Sozialbund e.V., Ehsan Hilfsorganisation, Weimar Institut e.V., Deutsch-Afrikanische Transfer-Agency, Islam-Info e.V., Islamisch-Pädagogisches Institut, Islamisches Informations-Kulturzentrum e.V.

Welche der in der Entscheidung von 2005 aufgeführten Mitglieder auch aktuell noch Mitglieder sind, ist leider nicht (mehr) öffentlich einsehbar. Sind diese Mitglieder noch Mitglieder, wird das OVG Münster nunmehr abzuwägen haben, ob deren Einfluß in den klagenden Organisationen überwiegt oder auch nur einen prägenden Charakter hat.*

Zur Verfassungstreue:

d) Es genügt nicht, dass der Staat die eingereichten Lehrpläne auf die Einhaltung der vorgenannten Grundsätze und die einzusetzenden Lehrkräfte auf ihre Verfassungstreue hin überprüft. Der dadurch erreichte Schutz der betroffenen Verfassungsgüter ist nicht in gleicher Weise effektiv. Beide Instrumente schließen nicht aus, dass der Einfluss einer Religionsgemeinschaft, gegen welche die fraglichen Bedenken bestehen, im Religionsunterricht dennoch zur Geltung kommt. Der Schutz der Schulkinder vor der Beeinflussung durch Religionsgemeinschaften, die in Bezug auf die Einhaltung tragender Verfassungsprinzipien Bedenken begegnen, ist ein so hohes Gut, dass dem Staat die Zusammenarbeit gar nicht erst angesonnen werden kann.
e) Das Oberverwaltungsgericht hat die Eignung der Kläger unter den vorgenannten Gesichtspunkten – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – nicht geprüft. Die Beklagte hat Bedenken gegen die Verfassungstreue der Kläger geltend gemacht und zwar in Bezug auf den Kläger zu 2 wegen der ihm angehörenden Islamischen Gemeinschaft M. G., in Bezug auf den Kläger zu 1 wegen einiger Mitgliedsvereine, die der Muslimbruderschaft nahe stehen sollen, und hat insofern auf die Verfassungsschutzberichte verwiesen. Dieser Einwand greift durch, wenn die genannten Mitgliedsverbände auf die Kläger einen wesentlichen Einfluss ausüben und unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe Bedenken begegnen.

Auch damals wurde schon dieser wesentliche Punkt auch nach Sicht des BVerwG nicht hinreichend betrachtet, zumindest nicht mit der Sorgfalt, wie es in einer OVG-Entscheidung geboten erscheint. Die befassten Richter werden nunmehr nicht umhin können, dort näher in die Sachverhaltsprüfung zu gehen. Die Referenz bei diesen Betrachtungen sind die Stellungnahmen des Verfassungsschutzes, weder Eigenbehauptungen (auf deren mangelnde Relevanz wird im Urteil verwiesen) noch die von Testimonials sind dort von Gewicht.

Insofern ist die Herangehensweise der Verbände weder zielführend noch nachvollziehbar. Zum ersten sollte man sich von seinen Rechtsbeiständen eingehend die Trennung von Legislative und Judikative erläutern lassen, wenn man bei Entscheidungen der Judikative die Politik zu Hilfe ruft. An einer Sonderregelung besteht weder Bedarf noch ist ersichtlich, warum das Recht ausgerechnet an Stellen angepasst werden sollte, wo die Verbände durchaus leicht erfüllbare Kriterien nicht nachkommen (z.B. hinsichtlich der Mitglieder, wenn man auch an die eigene Satzung gebunden ist). Zum anderen sollte man die Urteilsbegründungen auch unter dem Gesichtspunkt selbstkritisch lesen, was man selber zu mangelnder Organisation und fragwürdiger Verfassungstreue beiträgt. Mitglieder, die den Interessen des Gesamtverbandes entgegenstehen (man hatte Jahre Zeit, um das zu klären), im Verband belassen, Mitglieder öffentlich unsichtbar machen oder sich als Struktur umbenennen – das sind Manöver, die allenfalls bei journalistischer (Erst-)betrachtung erfolgreich sein mögen. Richter aber, die gründlich vorgehen, kann man mit derlei Mätzchen nicht täuschen. Und das ist auch gut so.

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Aus meiner Sicht haben die dort benannten Organisationen keinen prägenden Einfluß auf den Gesamtverband.

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2 Gedanken zu „Pyrrhussieg für die Verbände

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