Weitere muslimbrudernahe Organisation gegründet

Die Gruppe der europäischen Organisationen, die der Muslimbruderschaft nahestehen oder von ihren Akteuren dominiert werden, ist um ein Mitglied reicher: Vor einiger Zeit wurde der „Europäische Rat für den Heiligen Koran“ (European Council of the Holy Quran, ECHQ) gegründet. Trotz einiger neuer Gesichter scheinen Gründung und Leitung auf einschlägig bekannte Akteure zurückzugehen. Ein Teil von ihnen kommt aus Deutschland oder hat hier gelebt.

Belegbild von der Gründungsveranstaltung des European Council of the Holy Quran, veröffentlicht am 15.05.2022 auf der Facebook-Seite des Council of European Muslims, abgerufen am 31.03.2023

Viele Jahre lang wirkte die muslimbrudernahe Federation of Islamic Organizations in Europe (FIOE) auf europäischer Ebene und initiierte in dieser Zeit etliche Ausgründungen und neue Organisationen. Formal voneinander getrennt wiesen diese Gremien, Ausschüsse und Räte oftmals personelle Überschneidungen auf. Anfang 2020 benannte sich die FIOE in Council of European Muslims (CEM) um. Damit folgte es einer Strategie, die Organisationen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft seit einigen Jahren verfolgen: Erkenntnisse, etwa die von Verfassungsschutzbehörden, über Binnenstruktur, Aktivitäten und Bezüge der Organisationen sollen durch einen Namenswechsel oder die Verlagerung des offiziellen Wirkungsorts erschwert werden.

Seit 2018 ist Samir Falah, der frühere Vorsitzende der Deutschen Muslimischen Gemeinschaft (DMG), Präsident des CEM. Die DMG wiederum war unter ihrem früheren Namen Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) langjährig bekannt. Die IGD wurde in vielen Verfassungsschutzberichten als Struktur gesehen, in der sich Muslimbrüder organisieren. Allerdings hat die Namensänderung nichts an dieser Einschätzung geändert; die DMG taucht auch weiterhin regelmäßig in Verfassungsschutzberichten auf. Eine Klage gegen diese Erwähnung wurde 2021 wieder zurückgezogen. Der derzeitige Vorsitzende der DMG ist Khallad Swaid. Falah übte das Amt von 2010 bis 2018 als Nachfolger von Ibrahim El-Zayat aus.

Eine der Gründungen aus dem Umfeld der FIOE Ist das European Council for Fatwa and Research (ECFR). Das Gremium, das bis 2018 langjährig unter der Leitung von Yusuf al-Qaradawi stand, einem wichtigen Vordenker der Muslimbruderschaft, verfügt seit 2016 auch über eine explizit deutsche Struktur, den Fatwa-Ausschuss Deutschland (FAD). Seit der Gründung des European Council of Imams, einer Struktur mit einem starken Anteil von Imamen aus Deutschland, tritt das ECFR mehr im Hintergrund auf. Laut der Internet-Seite des FAD ist Khaled Hanafy, der auch im ECFR langjährige Funktionen innehatte, dessen derzeitiger Vorsitzender. Hanafy ist auch der Dekan der deutschen Dependance eines muslimbrudernahen Netzwerks, dem Europäischen Institut für Humanwissenschaften (EIHW) mit Sitz in Frankfurt. Darüber hinaus war er von 2009 bis 2017 Vorsitzender des Rates der Imame und Gelehrten in Deutschland (RIGD). Beide Organisationen werden in den Verfassungsschutzberichten aufgeführt.

2017 wurde er als RIGD-Vorsitzender von Taha Amer abgelöst. Im Vereinsregister war für Amer ebenso wie für Hanafy Frankfurt am Main als Wohnsitz angegeben. Beide haben Funktionen beim EIHW. Welche Aufgabe Taha Amer im europäischen Verband einnimmt, ist jedoch unklar. Auf entsprechenden Gruppenbildern ist er jedoch häufig dabei. Zusammen mit anderen Funktionsträgern veröffentlichte Amer bis vor kurzem auch auf der derzeit nicht aufrufbaren Internet-Seite „the statement.eu“. Auf dieser Seite war auch der Bochumer Imam Hedi Brik mit sehr vielen Beiträgen präsent. Brik fiel auch als Imam des Islamischen Kulturverein Bochum (IKV) auf, der im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht für 2020 erwähnt wurde.

Gründung in Sarajevo

Bei der Gründung des „Europäischen Rats für den Heiligen Koran“ in Sarajevo (Bosnien und Herzegowina) waren Falah, Hanafy und Amer wieder mit von der Partie, wie auf einem Foto, dass Falah auf seiner Facebook-Seite verbreitete, ersichtlich ist. Auch hier gibt es einen deutschen Ableger, der aber zeitlich eher ein Vorläufer war: der Deutsche Bund für den Edlen Koran (DBEK). Das ECHQ verweist auf seiner Facebook-Seite auf Veranstaltungen des DBEK und auch dort finden sich wieder bekannte Teilnehmer. Bei einer zweitägigen Veranstaltung im letzten Oktober in Berlin, einem „Koran-Forum“, trat neben Hanafy auch der Berliner Imam Mohamed Shehatta auf. Shehatta ist ein Imam des IZDB, des Interkulturellen Zentrums für Dialog und Bildung e.V. Das IZDB zählte, als der Berliner Verfassungsschutz noch Moscheen aus dem Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft namentlich benannte, zu einer von vier Organisationen aus diesem Spektrum. Die Veranstaltung fand in eben jenem IZDB und der Teiba-Moschee statt. Auch die Teiba-Moschee zählt zu den vier Einrichtungen, die früher benannt wurden. Seither hat sich wenig an Ausrichtung, Einbindungen und öffentlich sichtbaren Aktivitäten geändert. Im Gegenteil haben sich die Strukturen verfestigt und wurden ausgebaut. Weitere Organisationen sind assoziiert. Das Veranstaltungsplakat des Koran-Forums im Oktober weist den DBEK als Veranstalter aus.

Der DBEK, der seit Gründung von Taha Ali Zeidan und Mounib Doukali geleitet wurde, hat seit Dezember eine neue Spitze. Angetreten sind als Vorstände nunmehr der Frankfurter Mikel Lämmle und Meyadah Bkcireh. Lämmles Facebook-Freundschaften sind reichlich durchzogen mit eben jenen einschlägig bekannten Muslimbruderfunktionären und -aktivisten. Verwundern muss das nicht, gibt Lämmle doch als seine Studieneinrichtung auf seiner Facebook-Seite das IESH an – das lange bestehende französische Gegenstück zum EIHW. Auf seiner YouTube-Seite gibt es befremdlich anmutende Videos von Kindern, die – noch ganz klein – den Koran lernen müssen. Die Videos sind Jahre alt und tragen noch das Logo der IGD. Als Berufsbezeichnung auf einem LinkedIn-Profil, das seinen Namen trägt, ist „lehrar“ (Schreibweise wie im Original) angegeben. Bkcireh wiederum ist Vorsitzende eines noch recht jungen Vereins in der Nähe von Stuttgart, der sich „Sprösslinge e.V.“ nennt. Der Verein führte zuletzt ein Projekt mit dem „IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit“ durch, das dem „Empowerment“ von Frauen dienen sollte. Das Projekt war auf ein Jahr angelegt und lief zum Ende 2022 aus. Es waren allerdings, da von der Stadt Stuttgart pro Projekt nur 1.000 bis 10.000 Euro vorgesehen waren, allenfalls überschaubare Summen, die abgerufen werden konnten. Bedenklich stimmt allerdings, dass der Verein so mit geflüchteten Frauen in Kontakt kam. Weitere Vereins-Betätigungen fielen bislang nicht auf.

Bei der europäischen Gründung sind zur Zeit die konkreten Verantwortungsstrukturen noch intransparent. Neben Hanafy, Amer und Falah sind auf den Bildern der Präsident des European Council of Imams, Kamal Amara, und Hussein Kavazovic, Mufti von Bosnien und Herzegowina zu sehen. Als Präsident des ECHQ wird Ahmed al-Sunami (verschiedene Schreibweisen) genannt, Imam einer Moschee im beschaulichen italienischen Ort Cinisello Balsamo, aber auch im Rest von Europa unterwegs, wenn es um den Koran geht. Auch er war für das bereits erwähnte Koran-Forum angekündigt und hat auch teilgenommen, wie sich aus Videos der Veranstaltung ergibt. Der in Deutschland wenig bekannte al-Sunami ist in der Türkei allerdings prominenter: Es existieren Bilder, auf denen eine Preisverleihung im Jahr 2019 durch den Präsidenten der Diyanet, Ali Erbas, zu sehen ist. Die Veranstaltung, auf der die Auszeichnung stattfand, wurde durch weitere Prominenz aufgewertet: Das Gruppenbild zeigt den türkischen Präsidenten Recep Tayyib Erdogan.