Integration: Bunt ist es nur von weitem

Einige Worte über „bunt“ als Wahrnehmung und Narrativ im Integrationsbereich

Beim Gang über die vielen „interkulturellen“ Feste kann man sich dem ersten Eindruck kaum entziehen: Es ist schön und es ist bunt. Oft gibt es Tanzaufführungen und verschiedene andere kulturelle Darbietungen. Verlockende Düfte ziehen durch die Gegend, locken unterschiedliche Besuchermengen an zu Ständen und Zelten. Es wird geredet und gekocht und geschmort und gespeist. Essen, gemeinsames Essen in der Gruppe, ist auch Kultur, und interkultureller Austausch geht auch durch Mund und den Magen, könnte man meinen. Das ist schön.

Neben den zwei interkulturellen Wochen gibt es jedoch 50 Wochen, an denen man sich nach Herkunft und Religion oft genug separiert. Neben dem Tag der offenen Moschee gibt es 364 Tage, an denen das normale Leben stattfindet. Die nationalen Hintergründe spielen in der Mehrheitsgesellschaft eine zunehmend geringere Rolle, was lange gedauert hat, ein Prozess (mit Rückschlägen) und an vielen Stellen noch verbesserungswürdig ist. Man sollte dies jedoch nicht projizieren, denn das sind Haltungen, die mitnichten allerorts geteilt werden.

Da ist also die Festtagsstimmung, man präsentiert sich. Ja, das wirkt auf den schlendernden Besucher solcher Feste vielfältig und bunt. Das aber ist nur der Eindruck von weitem, die Sicht eines Gastes, wie im Urlaub. Einzelne Gruppen, einzelne Menschen sind nicht „bunt“. Sie kommen aus allen möglichen Ländern, sind mal kürzer oder länger hier. Kamen wegen Arbeit, Studium, der Liebe halber oder waren auf der Flucht. Sie sind als Individuum wahrzunehmen mit ihrer individuellen Sozialisation. Sie sind, wie sie sind, oft noch mit ihrem ganzen kulturellen Gepäck der Herkunftskultur, die mal weiter, mal näher zur europäischen zu verorten ist. Geht man mit der groben Wahrnehmung, auch Individuen seien „bunt“, in Gespräche, tendiert man dazu, nicht zuzuhören. „Bunt“ ist eine infantile Wahrnehmung, die Oberfläche mehr als Tiefe wertet. Was wäre denn das Gegenteil? Wer könnte alles „bunt“ sein? Das Vorurteil, auch Individuen seien „bunt“, verhindert genaues Beschäftigen mit eben diesem Individuum und seinem kulturellen Gepäck, seinen konkreten Haltungen. Das ist von manchen gewünscht. Man will sich eher nicht mit dem Individuum beschäftigen, weil das statt grober Vormeinung Beschäftigung heißt und Zuhören, ernsthafte und genaue Wahrnehmung. Manch einer beschäftigt sich jedoch lieber nur mit der Oberfläche. Es ist ein wenig wie die Frühlingsstimmung von Männern, die draußen im Cafè sitzen und die schlendernden oder vorbei eilenden Frauen betrachten: Ja, es ist Frühling, man riecht förmlich die laue Luft, man sieht vielleicht einen Rock und Beine, aber alles bleibt im Moment dieser Wahrnehmung. Man freut sich am Frühling, an den Frauen als solchen und am Unterschied, vor allem aber auch an sich selbst und am Leben an sich. Man freut sich also mehr am eigenen Gefühl als an der Umsetzung oder gar Verbindlichkeit.

Um Eigen- und Fremdsicht jedoch, ja, zu normalisieren, ist mehr nötig als Oberfläche. Das heißt aus der unverbindlichen und oberflächlichen Wahrnehmung zu gehen, sich weniger mit Projektionen abzugeben und zu realisieren, wie der andere Mensch wirklich ist. Denn nur, wenn wir andere Haltungen wirklich erfahren und wahrnehmen, können wir über sie diskutieren. Denn das bleibt keinem erspart, wenn wir die Gesellschaft gemeinsam gestalten wollen, also offene Gesellschaft wirklich leben wollen: der ernsthafte, wertschätzende aber auch kritische Austausch.

Geht man von der infantilisierenden Zuschreibung „bunt“ – man fühlt sich im Integrationsbereich manchmal wie im Waldorf-Kindergarten – weg, geht es nämlich oft überaus monochrom zu. Um das zu erkennen, muss man weg von der Oberfläche, muss ernsthaft zuhören, was an Einstellungen vorliegt und mitgebracht wird. Das ist anstrengend und es kann auch dazu führen, dass man Dinge sieht, die nicht nur fremd erscheinen, sondern auch verstörend sind, weil sie weitab der eigenen Wahrnehmung und auch Haltung sind. Es ist jedoch unumgänglich – will man wirklich auf der berühmten Augenhöhe agieren – sich dieser Mühe zu unterziehen. Für beide Seiten kann das Dissens heißen, es kann heißen, dass man eben nicht übereinkommt an bestimmten Punkten. Diesen Dissens festzustellen und ggf. auszuhalten, bringt aber voran, während die bunte, aber grobe Wahrnehmung kaum über die Grundstimmung hinausbringt. Klar faschistoide Haltungen zum Beispiel werden durch ein wenig „bunte“ Außenwahrnehmung nicht besser, wenn sie auch bei Oberflächenwahrnehmung oft nicht abgefragt werden bzw. so nicht zutage treten. Die oberflächliche Wahrnehmung führt nur dazu, dass das Unschöne und eben nicht Verbindende nicht gesehen und demzufolge auch nicht gegengewirkt oder ausdiskutiert werden kann. Die oberflächliche Wahrnehmung hat einen Vorteil für die Betreffenden: Sie können selber unverbindlich bleiben, müssen ihren eigenen Standpunkt nicht definieren. Wer erfolgreich vermitteln kann, dass es einen Dissens, ein Problem nicht gibt, kann schwerlich zu einer Lösung befragt und zur Verantwortung gezogen werden.

Man müsste z.B. darüber reden, was man unter gelungener Integration versteht. Genügt es, nicht aufzufallen, nicht straffällig zu werden, für sich selbst zu sorgen? Genügt es, grob zu funktionieren in den Bereichen, in denen Berührungspunkte gegeben sind? Auch hier wird mit viel oberflächlicher Wahrnehmung und Projektionen gearbeitet: Wer beispielsweise im beruflichen Bereich leidlich so funktioniert wie erwartet und üblich, kann dennoch in allen anderen Lebensbereichen ein völlig von der Mehrheitsgesellschaft isoliertes Leben führen. Das steht an sich frei, ist aber wohl nicht das, was man eigentlich mit Integration meint. Das geht, sobald hinsichtlich der übrigen Bereiche genügend Gleichgesinnte vorhanden sind, die in diesen Bereichen nach abweichenden, aber jeweils gemeinsamen Kriterien selektieren, bis hin zur Gegengesellschaft. Beispielhaft einmal: Wenn üblicherweise der Arzt oder Anwalt gewählt wird, von dem gute Berichte vorliegen, verändert es den Wettbewerb, wenn die Herkunft für den Auswählenden eine Rolle spielt. Wenn also nicht mehr danach gewählt wird, ob der Arzt fachlich gut beleumdet ist, sondern ob er der eigenen Community entstammt, weil man imaginiert, dass dieser einen besser als den Schnitt seiner Patienten behandeln würde, oder der Anwalt, weil man glaubt, dass dieser einen nachdrücklicher vertrete. Das mag noch gut gehen, wenn daraus keine Pflicht wird. Also die eigene soziale Gruppe erwartet, dass man als Türkischstämmiger zum türkischstämmigen Arzt geht, als Marokkanischstämmiger zum marokkanischstämmigen Anwalt. Als diese Angebote noch weniger vorlagen, bestand dort geringe Wahl. Da die Wahl jetzt besteht, kann dieses Denken greifen, kann kollektivistisch agiert und dann auch eingefordert werden: „Warum gehst du nicht zu einem „von uns“, der Arzt ist?“, „Warum gehst du zu einem nichtmuslimischen Anwalt?“ (jetzt einmal Sprachgründe außen vor). Auswahlkriterien, die in der Mehrheitsgesellschaft (mittlerweile, glücklicherweise) ganz undenkbar sind, werden andernorts von manchen als Normalität gelebt. Es mag manchmal dazu dienen, kulturelle und sprachliche Missverständnisse zu vermeiden. Dies ist aber z.B. beim Anwalt eher nicht zu befürchten. Das erscheint als sich selbst verstänkernder Prozess bei hinreichender lokaler Ansiedlung.

Ganz deutlich wird es dann im sozialen Nahbereich, wo eigentlich Wahlfreiheit herrscht hierzulande. Während man im beruflichen Bereich oft, aber nicht immer mit Personen der Mehrheitsgesellschaft zu tun haben muss, wird dort oftmals traditioneller vorgegangen, vor allem abseits der Bildungsschicht.

Die Personen haften nicht selten jenseits der mal stärkeren, mal schwächeren beruflichen Einbindung sehr in eigenen Kreisen (das gilt genauso für Autochthone). Privat blickt man kaum über den Tellerrand. Das ist auch in den sozialen Netzwerken sichtbar. In den privaten Facebook-Profilen der Personen kann man häufig ablesen, wie stark die eigentliche Abschottung ist (nur als ein Indiz, versteht sich). Bei integrierten Personen geht es da tatsächlich gemischt zu: Viele Nationalitäten, alle möglichen sonstigen Identitätsaspekte sind vertreten. Bunt geht es meist auch zu bei jenen, die beruflich als Funktionäre von z.B. Migrantenorganisationen agieren. Man vernetzt sich, jenseits dieser beruflichen Einbindung bleibt es im privaten aber durchaus auch schon mal eher monochrom. Diese beruflichen Kontakte befestigen den Eindruck von Akteuren der Mehrheitsgesellschaft in eben diesem Integrationsbereich, alles sei so schön bunt: Ihr Ausschnitt der Realität mag bunt sein, ob das repräsentativ ist, ist eine andere Frage.

Nimmt man die beruflich erscheinenden Kontakte aber hinweg, zeigt sich ein anderes Bild.

Bei abgeschotteten Personen sind vor allem oder gar ausschließlich Personen der eigenen Herkunft, der eigenen Sprache und zunehmend auch nur der eigenen Religion vertreten. Die Sprache im Privaten ist die Sprache des Herkunftslandes. Die Neigung, eine Person der Herkunftskultur zu ehelichen, überwiegt. Die Verwandschaft bleibt so einheitlich.

Bei der genaueren Untersuchung interethnischer und -religiöser Beziehungen zeigt sich, dass – entgegen theoretischen Annahmen – interethnisches Heiraten in der zweiten Generation nicht generell häufiger vorkommt, obwohl die zweite Generation deutlich positiver gegenüber Ehen zwischen Muslimen und NichtMuslimen eingestellt ist als die erste Generation der Muslime. Die Heiratsmuster der zweiten Generation unterscheiden sich jedoch nicht signifikant von denen der ersten Generation, wenn Bildungsunterschiede berücksichtigt werden. Wodurch lässt sich erklären, dass die Heiratsmuster stabil bleiben? Elterliche Präferenzen für einen bestimmten Heiratspartner spielen eine wichtige Rolle für die soziale Integration, unabhängig vom Alter der Kinder. Die Einflüsse ethnischer Gemeinschaften und elterlicher Sozialisationsziele gehen dabei Hand in
Hand.

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Je größer die „eigene“ Community in einer Region, desto stärker werden auch die sozialen Bedürfnisse nur in der Herkunftscommunity abgedeckt. Identitär geht es nicht nur bei deutschen Rechten zu. Undenkbar für viele, dass der Schwiegersohn, die Schwiegertochter nicht der eigenen sozialen Gruppe angehören könnte, nicht nur hinsichtlich der gesellschaftlichen Schicht (unbenommen: natürlich gibt es das auch in der sog. Mehrheitsgesellschaft, dass die Wahl des Kindes abgelehnt wird; da wird es jedoch, wird es bekannt, meist sozial geächtet und das Selbstbestimmungsrecht des erwachsenen Kindes höher gesetzt), sondern auch anhand anderer Merkmale. Da werden nicht nur autochthone Deutsche sozial in der Community im Grunde abgelehnt, bei verschiedenen religiösen Gruppen trifft das jeweils den nicht Zugehörenden. Manch türkisches Paar will für das Kind z.B. keinen marokkanischstämmigen Ehepartner, das marokkanische Paar für den Nachwuchs z.B. keinen pakistanischstämmige Person usw. Bei Töchtern ist man da noch mal strenger in der Regel und beansprucht als Familie, als Familienverband oft mehr Mitspracherechte. Zur Not oder auch vereinbart über lange Jahre wird jemand aus der Herkunftsregion oder sogar aus der Verwandschaft geholt (mit den bekannten Folgen, siehe „Blindflug ins Unglück“ auf diesem blog). Ein sich verselbständigender Prozeß, der von interessierten Gruppen auch noch vorangetrieben wird. Es gibt religiöse Gruppierungen, die innerhalb vermitteln.

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Je stärker die Gruppe auf den Einzelnen einwirkt, je mehr man sich auf ein Merkmal einigt, desto schwieriger wird es für das Individuum, diese Beeinflussungsversuche auszuhalten. Schon so etwas Banales wie das Essen wirkt da hinein. Unter der Vorgabe, dies sei integrativ, wird auf vielfältige Speisevorgaben von Eltern Rücksicht genommen. Als vor vielen Jahren das noch nicht zur Verfügung stand, war das wenig Thema. De facto heißt das, dass schon das Essen einer gemeinsamen Speise von manchen als zu viel der Gemeinsamkeit mit allen erachtet wird, weil die religiösen Regeln über die sozialen gestellt werden. Im Grunde ist das in der Wirkung – obwohl es als Integration verstanden wird – segregativ. Um das Bild vom Eingang aufzunehmen:
Während der autochthone atheistische Schlenderer auf einem solchen Fest an einem Stand einer Buddhistengruppe ein Schweinefleischgericht isst, dann bei dem türkischen Kulturverein der örtlichen sunnitischen Moschee etwas vom Rind nachlegt und anschließend bei einem deutschen Integrationsverein noch vielleicht ein Bierchen trinkt, ist das den genannten Anbietern kaum möglich. Der Hindu am türkischen Stand, Fladenbrot mit Kalb verspeisend, würde von seiner Community kritisch beäugt und der Sunnite beim Bier? Das gäbe Anlass für strafende Blicke und Getuschel von den Strengeren seiner Community, obwohl das nur persönliche, d.h. individuelle „Sünden“ wären. Dieser kollektivistische Ansatz, diese soziale Eigenkontrolle im Bemühen, die Identität zu wahren, setzt darauf, dass man schon dort kaum frei ist.

Ungeachtet dessen werden alle möglichen Betätigungen von Akteuren mit Migrationshintergrund als integrativ definiert, auch wenn sie es faktisch nicht sind, sondern nur auf Teilhabe abzielen: Teilhabe am öffentlichen Raum, Teilhabe an der politischen Macht, Teilhabe an öffentlichen Mitteln. Die sich verstärkenden und zunehmend auch öffentlich geförderten Bemühungen werden jedoch gesamtgesellschaftlich nicht weiterführen, wenn dort nicht differenziert wird zwischen identitärem Lobbyismus und echtem Wunsch nach Teilhabe durch freiheitlich gesonnene und agierende Organisationen.

Gesonderte Kindergärten, Schulen und Pflegeeinrichtungen mögen zwar einem kurzfristigen Bedürfnis entgegenkommen. Sie zementieren aber Parallelgesellschaften, die leicht Gegengesellschaft werden können oder schon ihr Symptom sind. Berührungspunkte, Begegnungsmöglichkeiten werden so vermindert. Die parallelen Angebote schaffen den sozialen Druck, diese wahrzunehmen, weil man untereinander oftmals noch stärker interagiert. „Warum gehst du nicht zu meinem Cousin, der ist auch Arzt?“

Am eindrücklichsten ist das im persönlichen Bereich, wenn man die Organisationen betrachtet. Beispielhaft seien die Jugendfreizeiten der verschiedenen islamischen Verbände genannt. Während bei einer städtisch oder z.B. katholisch organisierten Jugendfreizeit jeder mitmachen und jeder mitkommen kann, werden die Teilnehmer solcher Events ausgewählt. Man bleibt unter sich. Junge Atheisten, Katholiken oder Hindus – das dürfte da Fehlanzeige sein. Da trifft man nur auf seinesgleichen – Regelverstöße, wie sie jugendtypisch sind, wird es da dank straffen Regiments nicht geben. Ein Ahmadiyya-Jugendlicher geht zur Ahmadiyya-Jugendbetreuung. Die afghanischen Hindus gehen zu den afghanischen Hindus. Wegen Glaubensunterschieden gehen die indischen Hindus zu den indischen Hindus. Die bengalischen Hindus gehen zu den bengalischen Hindus. Die tamilischen Hindus gehen zu den tamilischen Hindus (bei Hindus gibt es noch einmal viele, viele Untergruppen, die nur untereinander heiraten dürfen und auch gemeinsam essen dürfen):

http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/hinduisten-in-frankfurt-vom-hindukusch-in-die-milchfabrik-12789261-p2.html

Die türkischen Jugendlichen gehen in die DTIB, die ATIB oder noch andere Vereine, die von Türkischstämmigen gegründet wurden, oft in die gleichen Einrichtungen, die schon von den Eltern aufgesucht wurden. Die alevitischen Jugendlichen gehen in die alevtischen Vereine. Usw.
Die Wahl der Partner war schon betrachtet worden. Jugendarbeit an religiöse Gruppen zu delegieren, fördert also Segregation, denn diese Angebote sind segregativ und allenfalls als Missionsgelegenheit wird es mal offener gehandhabt.

Es ist also oft nach Religion und Herkunftsregion unterteilt, Wechsel gibt es kaum. Und auch darüber, ob das alles freiwillig ist und selbstgewählt, ob der türkische Jugendliche bei den Ahmadiyya willkommen wäre, der junge Sikh ohne Konversionswunsch bei einer muslimischen Jugendfreizeit, darüber kann man berechtigt Zweifel haben. Auf Funktionärsebene ist das kein Problem – da trifft man sich, um gemeinsame Interessen zu finden und zu artikulieren – gegenüber der Mehrheitsgesellschaft und da im Verbund wegen der Interessenvertretung mit anderen Glaubensrichtungen gegen die eher wenig religiöse Mehrheitsgesellschaft.

Was das für die Betroffenen selber heißen mag, kann man im Einzelfall erfahren, wenn man genau zuhört. Die sehr unbunte Einschränkung vor allem von Mädchen ist zwar bekannt, lockt aber Feministinnen in diesem Kontext kaum auf den Plan. Auch herbste Einschränkungen und Ungleichbehandlungen unter Preisgabe des persönlichen Glückes werden in diesem Kontext kaum thematisiert. Das Schweigen der Feministinnen ist da beredt und man fragt sich manchmal, ob man die Haltung nur nach außen trägt, um selber Vorteile (z.B. im Positionskampf mit Männern) zu haben oder ob das wirklich innere Einstellung ist. Geschlechtertrennung, Zwang von Mädchen unter das Kopftuch – all das wird kaum oder zu leise thematisiert. Manche Vereine wollen z.B. – noch mal eine Unterteilung unter sich – sogar bei den Interkulturellen Festen getrennte Männer- und Frauen-Stände. Sogar dort, wo Offenheit zur Gesellschaft zelebriert wird, ist nicht mal Offenheit dafür da, einmal an einem Tag die Sache mit der Geschlechtertrennung aufzuheben. Sicher wird das als besonders „bunt“ verkauft werden – wie viel Wahlmöglichkeiten die Vereinsmitglieder oder die mitgebrachten Kinder wohl haben mögen?

Auch klar Segregatives wird mittlerweile als Integration verkauft. Umschifft wird das z.T. durch den Begriff der „Teilhabe“, die da unproblematischer ist, weil sich Teilhabe auf die Mehrheitsgesellschaft richtet und weniger mit den eigenen Haltungen zu tun hat. Sich integrieren erfordert Eigenleistung, Teilhabe eher nur das Wollen an die Fleischtöpfe der Macht und öffentlicher Gelder.

Bunt ist das alles also oft nicht. Zumindest nicht für das Individuum, denn seine Wahlfreiheit ist nicht wie die bei den interkulturellen Wochen zwischen Couscous und Biryani. Seine Wahlfreiheit wird durch soziale Kontrolle und ggf. sozialen Druck eingeschränkt. Sich dem zu entziehen erfordert Stärke, denn die bei Insubordination folgende soziale Ächtung ist nicht leicht zu ertragen. Die Zuschreibung, man verhalte sich „wie Deutsche“, die manchmal durchaus abwertend gemeint ist, meist aber einer Angst vor Identitätsverlust entspringt, macht es nicht leichter. Junge Menschen sind so mit mehrlei Zuschreibungen konfrontiert: Von der Mehrheitsgesellschaft nicht selten nicht voll akzeptiert, werden sie in der „eigenen“ Community auch nicht voll akzeptiert, wenn sie eigene Wege gehen wollen. Der gerade noch akzeptierte Mittelweg (der keiner ist), besteht dann oft darin, dass man im beruflichen Bereich zwar die Bildungsangebote wahrnimmt, aber im sozialen Feld sich dem Kollektiv beugt.

Im Integrationsbereich wird Folklore nicht selten für die Realität gehalten und auch so vertreten. Dass es für das Individuum meist wesentlich monochromer zugeht, wird oft ausgeblendet, weil man vor lauter Folklore nicht richtig zuhört oder zuhören will. Folklore ist nämlich schön und gut. Bunt. Unterhaltsam. Die Realität ist oft anders. Zeit, wirklich zuzuhören und vor allem hinzusehen.

Ein Gedanke zu „Integration: Bunt ist es nur von weitem

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