ZMD: Neuer Vorstand, alte Bekannte

Nach sechs Jahren, in denen keine Vorstandswahlen öffentlich wurden, hat der Zentralrat der Muslime am Montag bekannt gegeben, dass es durch Wahlen anlässlich einer Vollversammlung am Sonntag Veränderungen im Vorstand gegeben habe. Personell trifft das zu. Mit der Benennung von hochrangigen Funktionären der ATIB und eines mittlerweile aufgelösten hessischen Verbandes erscheint die Neuwahl jedoch nicht mehr als ein Täuschungsmanöver.

Noch vor Jahren residierte der ZMD in Köln im selben Gebäude wie die ATIB. Inzwischen gibt er als Adresse nur noch ein Postfach sowie eine Packstation an (Bild: Sigrid Herrmann-Marschall)

Der Zentralrat der Muslime (ZMD) hatte zuletzt Vorstandswahlen 2016 öffentlich gemacht. In den sechs Jahren war der Verband trotz Erfolgen bei Politikern zunehmender öffentlicher Kritik auch breiterer Kreise ausgesetzt. Diese Kritik führte zum Ausschluss der „Deutschen Muslimischen Gemeinschaft“ (DMG, früher Islamische Gemeinschaft in Deutschland, IGD) im Januar. Frühere Debatten drehten sich um einen türkischen Mitgliedsverband, der den Grauen Wölfen zugerechnet wird (ATIB), und einen angeschlossenen Dachverband in Hessen, der wegen seiner engen Verbindungen zur Muslimbruderschaft und Salafisten ins Visier der Verfassungsschützer geriet, der ehemalige Deutsch-Islamische Vereinsverband Rhein-Main (DIV).

Nachrichten über die Neuwahl werden international wahrgenommen

In der Zwischenzeit sind Nachrichten über Veränderungen auch in andere Länder gelangt.
So kursieren derzeit in ausländischen Medien allerlei Missverständnisse zu der Versammlung. In ägyptischen Medien etwa wird kolportiert, bei der jüngsten Wahl seien Organisationen, in denen Ibrahim El-Zayat, der frühere Vorsitzende der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD, jetzt Deutsche Muslimische Gemeinschaft, DMG), eine Rolle spielt, ausgeschlossen worden. Auch habe er seinen Posten als „Generalsekretär“ eingebüßt. El-Zayat war jedoch nie Generalsekretär des ZMD, sondern nur des Vorläuferzusammenschlusses. Über einen Ausschluss von Organisationen jenseits des Dachverbandes DMG im Januar ist nichts öffentlich bekannt geworden. In den dürren Erläuterungen, die der ZMD im Januar veröffentlichte, ist nur von der DMG und von „Mitgliedern auf Landesebene“ die Rede. Nun hatte die DMG keine öffentlich bekannten Länderstrukturen. Es könnten allerdings auch bei etwas sprachlicher Unschärfe die Landesverbände des ZMD gemeint gewesen sein und ein Ausschluss der DMG aus diesen Strukturen. Da gibt es also eine Menge Interpretationsspielraum. Genauer wurde es nicht. Das ist der Nachteil von Geheimniskrämerei.

Von der Startseite des Zentralrats jedenfalls ist der Punkt „Landesverbände“ verschwunden. Die „Landesverbände“ sind aber noch über diesen Link abrufbar.

Öffentliche Kritik mit zweifelhafter Wirkung

Wenn es öffentliche Wahrnehmung von Mitgliedern des ZMD und Kritik gibt, verfolgt der ZMD seit Jahren die immer gleiche Strategie. Erst wird geleugnet, dann wird versucht, die Kritiker in eine rechtsextreme Ecke zu schieben, zur Not unter Beihilfe nahe stehender Medien. Ist die Kritik damit nicht aus der Welt zu schaffen, wird es erst mit weiterem Aussitzen versucht: Der ZMD-Vorsitzende hat in der Vergangenheit wiederholt zugesichert, die „Vorwürfe zu prüfen“. So wollte der ZMD 2016 nach kritischen Presseberichten zu seinem Mitglied „Deutsch-Islamischer Vereinsverband Rhein-Main“ den Vorhalten nachgehen. Dessen Förderung durch das Bundesfamilienministerium endete zuvor abrupt, als bekannt wurde, dass Verband und Teile des Vorstandes vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Der Verband wechselte nachfolgend erst seinen Vorstand und löste sich in der Zeit danach ganz auf. Auch bei ATIB und DMG wollte der ZMD die öffentliche Kritik „prüfen“. Bei der DMG führte dies, als die Kritik nicht verstummte, im Januar zum Ausschluss. ATIB und Funktionäre des aufgelösten DIV scheinen für den ZMD jedoch unentbehrlich.

Vollversammlung scheint dünn besucht

Auf dem kleinen und unscharfen Foto der „Vollversammlung“, das der ZMD veröffentlichte, sind 14 Personen zu erkennen, von denen einige dem nun neu gewählten Vorstand angehören. Neben dem Banner des ZMD ist auf diesem Gruppenbild das Banner der ATIB zu sehen, das in einem weiteren veröffentlichen Bild, das den Vorsitzenden vergrößert zeigt, nicht mehr erfasst ist.

Der nur in Teilen erneuerte Vorstand besteht nach Angaben des ZMD nunmehr aus dem wiedergewählten Vorsitzenden Aiman Mazyek, dem wieder in der Funktion bestätigten Generalsekretär Abdassamad El Yazidi, den neuen Stellvertretern Özlem Basöz und Daniel Abdin, dem neu gewählten Schatzmeister Mohamed Abuelqomsan. Neu im Vorstand sind auch die Beisitzer Samir Bouaissa und Abdelkarim Ahroba. Die ehemaligen Stellvertreter Nurhan Soykan und Mohammed Khallouk fungieren nun ebenfalls als Beisitzer.

Aiman Mazyek wiederholte erst vor kurzem wieder die Angabe, hinter dem ZMD stünden „300 Gemeinden“. Wenn man die ATIB mit 140 Gemeinden ansetzte, den – aufgelösten – DIV mit etwa 50 Vereinen zählt und beim IZA vielleicht bundesweit 40 von ihm beeinflusste Gemeinden annimmt, wird klar, dass Mazyek wohl auch noch die von der DMG beeinflussten Gemeinden mitdenkt. Sonst kommt man schwerlich auf diese Zahlen. Derlei Spekulationen wären natürlich vermeidbar, würde der ZMD endlich transparent in die Öffentlichkeit gehen.

Welche Mitgliedsorganisationen und –Gemeinden konkret vom ZMD vertreten werden, bleibt also im Einzelnen oft unklar. Etwas klarer sind die Bezüge des Vorstandes.

Vorstandsmitglieder gehörten problematischen Strukturen an

Der Vorsitzende Aiman Mazyek gehört zum Islamischen Zentrum Aachen (IZA). Dies hatte lange Jahre einen Vertreter beim „European Council for Fatwa and Research“, einer Organisation, die von Yusuf al Qaradawi gegründet und bis 2018 geleitet wurde. Das IZA hat nach meiner Meinung nach wie vor einen von der DMG unabhängigen Zugang zur internationalen Muslimbruderschaft, das heißt zu von ihr dominierten Gremien. Das zeigt sich unter anderem in der Mitarbeit bei Vereinbarungen auf internationaler Ebene. Das IZA wurde früher in Verfassungsschutzberichten genannt, seit einigen Jahren ist das nicht mehr der Fall. Jedoch bedeutet eine Nichtbenennung nicht zwangsläufig, dass eine Einrichtung nicht mehr beobachtet wird, nur ist die Schwelle für einen Benennung – entweder singulär und politisch gewollt – angehoben worden oder vorher relevante extremistische Einflüsse haben sich abgeschwächt, so dass eine Benennung eventuell vor Verwaltungsgerichten keinen Bestand mehr hätte. Oder zumindest die Furcht davor besteht.

Die neue Stellvertreterin Aiman Mazyeks, Özlem Basöz, ist nicht nur Generalsekretärin der ATIB, sondern auch stellvertretende Vorsitzende des Integrationsrats in Hagen. Daniel Abdin ist nicht nur Vorsitzender des – ehemaligen? – Landesverbandes Hamburg, sondern vielfach über Projekte mit dem ZMD verbunden und auch Partner der Stadt Hamburg. Die Hamburger Al Nour Moschee, deren Trägerverein er vorsteht, bekam Mittel für den Umbau aus Kuwait, wahrscheinlich vom dortigen Zakat House. Im Hamburger Verfassungsschutzbericht werden praktischerweise die Muslimbrüder gänzlich ausgelassen – gerade so, als gäbe es in HH keine derartigen Strukturen. Generalsekretär El Yazidi war von 2010 bis 2013 Vorsitzender des oben erwähnten Deutsch-Islamischen Vereinsverbandes und erfüllte danach für den Verband „besondere Aufgaben“. Dem Landesverband Hessen des ZMD stand er von der Gründung 2014 bis 2017 vor. Die Beendigung dieser Betätigungen kann im Zusammenhang mit der öffentlichen Kritik 2016 gesehen werden. Wegen Bezügen zur Muslimbruderschaft beendete auch das hessische Justizministerium seine Tätigkeit als Gefängnisimam. Mohammed Khallouk war ebenfalls verantwortlicher Vorstand des DIV von 2013 bis 2017 und in der Hochphase der Kritik auch Pressesprecher des DIV. Nach einem kleinen Lehrauftrag 2014/2015 in Katar, wo er nach eigenen Angaben am „College of Sharia and Islamic Studies der Qatar University“ in Doha tätig war, führte er auch in Deutschland einen Professorentitel ohne Zusatz, was so rechtlich nicht statthaft ist. In den letzten Jahren macht er das ganz überwiegend nun nicht mehr. Ahroba war zur gleichen Zeit, also 2013 bis 2017, Vorstandsvorsitzender des DIV. Ahroba gibt über sich selber an, für die Commerzbank tätig zu sein. In der Stellungnahme des hessischen Verfassungsschutzes wurde 2016 explizit darauf hingewiesen, dass nicht nur die Organisation, sondern auch einige Vorstandsmitglieder beobachtet werden. Welche das sind, wurde nicht öffentlich bekannt.

Schatzmeister Abuelqomsan gehört in Bayern der Partei „Die Grünen“ an und war erst Landesbeauftragter des ZMD, danach Vorsitzender des Landesverbandes. Seine Sympathien gelten den „Palästinensern“ und daher findet sich auf seinem Facebook-Profil viel „Israelkritisches“, aber auch Inhalt oder Hinweis auf Ali Al-Qaradaghi, einem prominenten islamistischen Funktionär und Generalsekretär der als muslimbruderdominiert geltenden International Union of Muslim Scholars (IUMS). Abuelqomsan war von 2006 bis 2008 und noch mal von 2009 bis 2013 erster Vorsitzender der Islamischen Gemeinde Erlangen. Seine Sichten finden sich in der letzten Zeit vor allem in einer Art Vorträgen beim Freien Radio Stuttgart und dort dem „Radio Fayruz“. Neben Backrezepten, also Beiträgen für „die Frau“, finden sich auf dem Kanal immer wieder Beiträge von Funktionären der Muslimbruderschaft wie Ahmad Al Khalifa oder Taha Amer. Oder von El Yazidi.

Bei der früheren Stellvertreterin Mazyeks und ehemaligen Generalsekretärin des ZMD, Nurhan Soykan, wird im ZMD-Lebenslauf das „Aktionsbündnis Muslimischer Frauen in Deutschland e.V.“ angegeben. Mitglied im Zentralrat war diese Organisation nach letztem Kenntnisstand allerdings nicht. Es stellte sich daher die Frage, welches Mitglied sie entsandt haben könnte, auch wenn der ZMD stellenweise darauf abstellte, dass sie keinem Verband angehöre. Im Rahmen einer öffentlich geführten Kontroverse um eine Berufung als Beraterin ins Auswärtige Amt stand allerdings vor einiger Zeit durch Presseartikel der Vorwurf im Raum, sie sei der ATIB zuzuordnen. Einen Fortschritt hinsichtlich der Transparenz könnte man auf negative Weise allerdings darin sehen, dass die neue Stellvertretung Mazyeks nunmehr offen und leicht zugänglich der ATIB zuzuordnen ist.

Und Samir Bouaissa? Der NRW-Landesvorsitzende des ZMD vertritt die Abu-Bakr-Gemeinde in Wuppertal. Neben dort umgesetzten Projekten des ZMD mit höchst fragwürdigen Akteuren wie Abdurrahman Reidegeld war auch der Anfang des Jahres verstorbene dortige Imam Youssef El Ouamari bemerkenswert. So bemerkenswert, dass nach seinem Ableben nicht nur Aiman Mazyek kondolierte und auf der Trauerfeier sprach, sondern sogar Al Qaradaghi einen kurzen Nachruf abfasste.

ZMD politisch Scheinriese

Nach außen hin versucht der ZMD also, kritischen Debatten zu entgehen. Doch der von syrischen Akteuren mit Kontakten zur Muslimbruderschaft dominierte Verband hat mit der Neuwahl von ATIB- und gleich drei ehemaligen DIV-Funktionären nicht mehr als Kosmetik betrieben.

Wenn man das Foto der dürftigen Vollversammlung sieht, stellt sich schon die Frage, wie viele Gemeinden und Verbände der ZMD vertritt, die nicht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen. Diese Frage stellt sich erst recht, wenn man das Ergebnis der Vorstandswahlen betrachtet, denn da wurden problematische Akteure gegen problematische Funktionäre getaucht und ein wenig das Bäumchen gewechselt. An der Dominanz von muslimbrudernahen Akteuren und starken Einflüssen türkisch-nationaler Islamisten hat sich aber nichts geändert. Es ist alter Wein in alten Schläuchen.