Die Rolle der Jugend

Über Jugendansprache durch fundamentalistische Akteure, mit dem Beispiel Gießen

Identitätsfindung und -bildung in der Kinder– und Jugendzeit ist nicht immer einfach. Eigentlich sollte sie sogar nicht ganz leicht sein, denn nur das Kennenlernen und die Auseinandersetzung mit verschiedenen Möglichkeiten, mit Irrtümern und Neigungen, machen zum erwachsenen Individuum durch die eigene Wahl. Ganz frei ist diese Wahl jedoch nicht. In der Jugendzeit sind einige Gruppen, denen man angehört, relativ frei ausgesucht, andere sind vorgegeben. Neben der Klassengemeinschaft in der Schule, bestehen außerhalb dieser Zeit Wahlmöglichkeiten, sofern es lokal z.B. durch Jugendarbeit Angebote gibt. Die allgemeine Jugendarbeit war jedoch in etlichen Jahren zurückgefahren worden. Erst mit der Herausforderung durch die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher wurden wieder mehr Mittel aufgebracht. In einem zurückliegenden HR-Interview wünschte sich Aiman Mayzek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, einmal Mittel für die Professionalisierung der Jugendarbeit in den Moscheen. Der Ruf verhallte nicht ungehört, wenn auch Wege beschritten wurden, die man durchaus hinterfragen kann.

Die Jugendarbeit ist den Organisationen aus dem fundamentalistischen Spektrum besonders wichtig, da in der Jugend Freundschaften oft fürs Leben geschlossen werden und Jugendliche natürlich noch in der Weisungsbefugnis ihrer Eltern stehen. Trennt man zu dieser Zeit ab, bleibt dies im sozialen Nahbereich oft für das ganze Leben so. Beeinflusst man die Identitätsbildung, nimmt man auf die Wahrnehmung der eigenen Person in Relation zu anderen Menschen Einfluss. Die abgetrennte Jugendarbeit hat ein oft stark segregatives und identitäres Moment, das prägt: Man geht zwar seinen beruflichen Weg in der Mehrheitsgesellschaft. bleibt dieser aber sozial eher fern. Bei fundamentalistischen und islamistischen Bewegungen hat das System: Man soll sich in seinem Gemeinschaftsgefühl vor allem auf die „eigene Gruppe“ beziehen. Da nicht wenige konservative Vereine primär an der Herkunftskultur ausgerichtet sind, versucht man, die „eigenen“ Jugendlichen auch bei der eigenen Strömung zu behalten, was alleine durch die Sprache, die neben deutsch beherrscht wird, vermittelt wird. Das funktioniert aber auch über die Vermittlung segregativ-identitärer Haltungen, die ein oftmals bereits durch Eltern vermitteltes „othering“, also die Überbetonung der eigenen Gruppenzugehörigkeit, angelegt ist (s. dazu Beitrag: „Ich, du, der andere“ auf diesem blog).

Einige allgemeine Betrachtungen dazu:

https://vunv1863.wordpress.com/2017/08/16/integration-bunt-ist-es-nur-von-weitem/

Auf die „Notwendigkeit“ der Identitätserhaltung (gemeint ist hier die islamische) wies im Jahr 2006 bereits die IGMG hin:

https://www.igmg.org/hutba-unsere-islamische-identita%C2%A4t-bewahren/

Ist eine Gesellschaft multikulturell angelegt, bestehen besondere Interessen, primär die Identität der Herkunftskultur zu erhalten. Bei Konkurrenz der Interessengruppen werden mitgliederstärkere mehr Gehör finden; individualistische Ansätze werden gegen kollektivistische Optionen zurücktreten. Sind die religiösen Gruppen politisch aktiv, besteht die optimale Strategie für Individuen darin, sich einer möglichst großen Gruppe anzuschließen (oder diese zu schaffen, z.B. auch durch Dachverbände), für die Verbände, möglichst groß zu erscheinen. Das Interesse der Verbände ist segregative, nicht integrative Jugendarbeit, weil das den Selbsterhalt und der Ausweitung des politischen Einflusses verspricht. Es besteht weiterhin Interesse, diese segregative Jugendarbeit nicht als segregativ erscheinen zu lassen, sondern sie im Gegenteil als Integrationsmaßnahme darzustellen. Bewerkstelligt wird das u.a. durch die Behauptung, religiöse Bildung immunisiere gegen „Radikalität“. Mit diesem Kniff wird dann auch religiöse Verbandsarbeit, die eigentlich in manchen Programmen nicht gefördert werden soll, förderfähig.

Organisationen wie die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) oder Milli Görüs (IGMG) machen neben der Jugendarbeit in den Einrichtungen oftmals sogenannte Jugendcamps, die für kleines Geld Jugendlichen eine Freizeitgestaltung ermöglichen. Die Jugendlichen sollen Gemeinschaft erleben, die auf die Herkunftskultur oder – umfassender – auf eine „islamische Identität“ gerichtet ist. Richtet sich das Angebot an alle Jugendlichen muslimischer Eltern, sind die Angebote oft in deutscher Sprache, neben die aber auch das Arabische als verbindende Ritualsprache tritt.

Für solche Zwecke wurde – zumindest ist das in diesem Fall nachweisbar – von muslimbrudernahen Akteuren sogar die Bildungsstätte in Arnsberg erworben. Auch die Bad Orber „Wegscheide“ wurde oft genutzt. Inhalte sind häufig neben der primär religiösen Unterweisungen identitäre Vorstellungen, die auf eine Orientierung an und Priorisierung einer „islamische Identität“* abzielen. Auch Angebote, die „Islamophobie“ nicht dort angehen, wo es eigentlich, folgt man dem Ansatz, und unterscheidet nicht zwischen Ideologiekritik und antimuslimischem Rassismus, sinnvoll wäre, nämlich von Akteuren der Mehrheitsgesellschaft für Akteure der Mehrheitsgesellschaft, verfolgen den Zweck der Identitätsbildung und -befestigung. Eine Gruppe muslimischer Jugendlicher lernt bei solchen Angeboten, die „muslimische Identität“ zu entwickeln, zu vertreten und positiv darzustellen. Kritisches Hinterfragen der „muslimischen Identität“ wird man vergeblich suchen, werden diese Angebote doch meist von Gruppierungen gemacht, bei deren Akteuren mindestens der politische Islam im Hintergrund steht. Auch dafür werden nebenbei Fördergelder vergeben.

Die muslimische Jugendarbeit ist – je nach Akteur – differenziert zu betrachten. Bei Strukturen, bei denen man vermuten kann, dass es nicht nur um schlichtes „Kümmern“ um die „eigenen Jugendlichen“ geht, sondern man durchaus auch identitär normieren und schulen möchte, ist Vorsicht angebracht. Erst recht nicht sollte man da unbesehen fördern, will man nicht das genaue Gegenteil des Gewollten voran bringen.

Die Verbände haben oftmals ihre eigene Jugendarbeit, die auf die Jugendlichen der eigenen Mitglieder gerichtet ist. So „bunt“ im Sinne von Wahlfreiheit, wie sich das mancher Aussenstehende vorstellt, ist das also nicht. Wegen des Beispiels Gießen und wegen des aktuellen Bezugs sei hier einmal auf Beispiele aus der Jugendarbeit der in Gießen relevanten Akteure beschränkt.

Die Muslimbruderschaft geht allgemein – neben eigenen speziellen Angeboten über ihre Unterorganisationen – einen strömungsübergreifenden Weg, sofern dieser durch lokale Besonderheiten gangbar ist. Als panislamistische Bewegung mit Führungsanspruch bieten sich ihr besondere Chancen, die lokal unterschiedlich umgesetzt werden.

In Gießen bzw. Hessen gibt es mit der „Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen“ (IRH) seit vielen Jahren ein Bündnis, dessen Verantwortliche v.a. in Gießen aktiv sind:

„IRH – Vorstand September 2013

Vorsitzender Ramazan Kuruyüz
Stellvertretender Vorsitzender Ünal Kaymakçı
Stellvertretender Vorsitzender Nevzat Bölge
Generalsekretär Dr. Diaa Rashid
Kassenführer Dr. Abul B.M. Amanullah
Schriftführer Dr. Mahmut Ay
Beisitzer Dawood Nazirizade“

http://www.irh-info.de/index.php?kon=profil&kpf=profv&zeige=vorstand

Die IRH stand etliche Jahre unter Beobachtung des hessischen Verfassungsschutzes. Die Gründung geht maßgeblich auf den damals noch stärker in Frankfurt aktiven Dr. Amir Zaidan zurück. Zaidan stellt nach wie vor eine wichtige Größe im Netzwerk der Muslimbruderschaft dar, wenn auch seit einigen Jahren von Wien aus.** Aktuell ist in Deutschland sein Sohn Taha Zaidan in gleicher Weise sehr aktiv (s. Beiträge auf diesem blog). Der Herr Kuryüz ist in der Buchara-Gemeinde in Gießen aktiv.

Er sprach auf dem diesjährigen „Stadtiftar“, also einem öffentlichen Fastenbrechen, für alle muslimischen Gemeinden in Gießen. Bei dieser Rede kam auch zur Sprache, dass es seit einigen Wochen Debatten zur Rolle der Islamischen Gemeinde Gießen (IGG) und ihren (nunmehr wohl nicht mehr angetretenen) Vorsitzenden Dr. Diaa Rashid und seinen Vorgänger gab. Kuruyüz verteidigte Rashid vehement. Bei der IGG waren seit einiger Zeit problematische Betätigungen auch zuordnungsfähig geworden (s. Gießener Allgemeine ab dem 22.02.2018 und Folgeartikel):

Posted by IRH – Islamische Religionsgemeinschaft Hessen on Tuesday, June 5, 2018

 

Aber auch sonst machen die Gießener Gemeinden einiges gemeinsam.
Es gibt weitere gemeinsame Auftritte einiger Gießener Gemeinden zur Mehrheitsgesellschaft hin:

 

Bildzusatz durch die IGMG Jugend Gießen: „Mit IGG Deutschland und Ditib Jugend Giessen

In der Jugendarbeit nun stellen sich seit einiger Zeit Aktivitäten dar, die bei verschiedenen Einrichtungen gleichermaßen vorzufinden sind.*** So gibt es Referenten wie den Herrn Mouhsine Chtaiti, der in der Rhein-Main-Region vor allem in Einrichtungen geladen wird, die der Muslimbruderschaft zuzuordnen sind. Hier ein Vortrag für Jugendliche in der T.U.N. Moschee Frankfurt (als Beispiel für Inhalte, wie sie dann auch andernorts sicher vertreten werden):

 

Da kommen dann so Inhalte wie „nur wer glaubt, kommt ins Paradies“ [=> Hölle für alle anderen ungeachtet der Taten, SHM], „die Gläubigen müssen einander lieben“ [=> nicht die Menschen allgemein, SHM], „wer nicht mehr glaubt, ist in der Dunkelheit“ [=> die Nichtgläubigen sind im Zustand geistiger Finsternis, SHM]. Was das für die Sicht auf anders oder gar nicht Glaubende bedeutet, kann sich jeder ausrechnen. Einem vom Elternhaus vorgegebenen othering wirkt das sicher nicht entgegen, sondern bringt es zu voller Blüte.

Oder hier (wahrscheinlich in der Abu Bakr Moschee Frankurt): Man soll den Propheten mehr lieben als sich selbst und alle Menschen:

Man ahnt: Sicherlich ist damit verbunden, dass man auch dem Religionsgründer mehr gehorchen muss als allen Menschen – oder dem eigenen Gewissen.

Der Herr Chtaiti ist auch immer wieder in Gießen, in der DITIB-Moschee: Weiterlesen