Wie sich ein Islamist als Modernisierer verkauft – und hiesige Akteure mitmachen
Vor einigen Tagen war der tunesische Politiker Rachid al-Ghannouchi in München bei der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) zu Gast, wie Benjamin Idriz mitteilt:
Da der Beitrag nicht mehr öffentlich verfügbar ist, hier das Belegbild:

Quelle: Account https://www.facebo ok.com/benjamin.idriz , Abruf 25.02.2019, Belegbild
Der Münchner Imam Dr. Benjamin Idriz selber ist hinsichtlich seiner Betätigungen und Kontakte dem Aktionsgeflecht der deutschen Muslimbruderschaft zuzuordnen.
Al-Ghannouchi hat als politischer Akteur in Tunesien sicher seine Bedeutung:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rached_al-Ghannouchi
Eine andere Sache ist jedoch, wie man ihn in Deutschland einführt und darstellt.
In dem unten verlinkten Artikel der Zeitung DIE WELT sind all jene problematischen Einbindungen, die berechtigt früher zu einer kritischeren Bewertung auch durch die Presse führten, außen vor gelassen. Bis auf jene, die aus der Mitte der 90er-Jahre stammen und deren Anlass nunmehr tatsächlich entfallen ist:
„Es gab eine Zeit, da konnten Rachid Ghannouchis Deutschlandbesuche in einer hektischen Fahrt auf der Autobahn Richtung belgische Grenze enden, im Nacken mehrere Helikopter der Bundespolizei.
Das war 1996, und eigentlich hatte Ghannouchi in Fulda vor tunesischen Landsleuten über sein Lebensthema sprechen wollen, Politik und Islam. Der autokratische Herrschaftsapparat seiner Heimat hatte jedoch ein Problem damit und kurzerhand einen Haftbefehl über Interpol herausgegeben, den die deutschen Beamten ordnungsgemäß befolgten.
Die Zeiten haben sich geändert.“
Weiter heißt es in der WELT:
„Rachid Ghannouchi, 77 Jahre, möchte der Mann sein, der die Islamisten die Demokratie gelehrt hat. Er ist Chef der tunesischen Ennahda-Partei, und bisher ist kaum jemand so weit gekommen wie er mit dem Versuch, die Religion mit dem Volk und einem modernen Staat zu versöhnen.“
Das ist eine entweder überaus ambitionierte oder kenntnislose Einstufung der WELT-Autoren. Das mag vielleicht die Eigendarstellung von al-Ghannouchi sein. Realitätsnah muss sie deshalb nicht sein. Es wirkt, als ob die schreibende Zunft in diesem Fall nicht mal eine googelnde war. Wie kann man seinen Lesern die aktuellen Einbindungen vorenthalten? Weiß man sie nicht, schaut man nicht nach, wem man zuhört, wen man beschreibt?
Auch auf Seite der Stiftung muss man fragen, in welchem Kontext die Einladung erfolgte. Auf Anfrage heißt es aus der Stiftung, es habe sich um ein „Hintergrundgespräch“ gehandelt.
Die Hanns-Seidel-Stiftung ist CSU-nah, hier eine Selbstbeschreibung:
https://www.facebook.com/pg/HannsSeidelStiftung/about/?ref=page_internal
Die HSS bestätigte telefonisch neben dem Termin auch das Foto. Dies sei anläßlich des Hintegrundgesprächs, wie es die HSS mit verschiedensten Akteuren immer wieder führe, in der Stiftung aufgenommen worden. Nun könnte man meinen, dass die HSS schon weiß, was sie tut.
Auch wenn an diesem Punkt Anlass zur Annahme besteht, dass das in der Regel der Fall ist, so wäre doch wünschenswert, dass man Vorkehrungen getroffen hätte, dass genau die Instrumentalisierung dieses Gesprächs nicht stattfinden kann. Dass also von keinem der beteiligten Gesprächspartner der Eindruck erweckt werden kann, die Hanns-Seidel-Stiftung sehe Rachid al-Ghannouchi und auch den Herrn Idriz unkritisch. Al-Ghannouchi traf bei seinem Deutschland-Besuch weitere Akteure, wie auf der Foto-Seite seines Facebook-Accounts dokumentiert ist:
https://www.facebook.com/pg/rached.ghannoushi/photos/?ref=page_internal
Die HSS steht also nicht alleine, auch andere Akteure scheinen gute Mine gemacht zu haben. Denn an al-Ghannouchi kann man nicht nur die immer wieder einmal aufleuchtende Ablehnung von Juden und Israel kritisieren:
„Während des Krieges zwischen der Hamas und Israel im Juli 2014 rief Ghannouchi, der Gründer der Ennahda, internationale Organisationen und ‚Unterstützer der Gerechtigkeit und Fairness in der Welt’ dazu auf, die Hamas zu unterstützen. […]Im Jahr 1990 propagierte Ghannouchi auf einer Konferenz in Teheran die ‚Vernichtung der Juden’. Zudem berief er sich auf Ayatollah Khameneis ‚Aufruf zum Dschihad’ gegen Amerika, den ‚großen Satan’. ‚Die Verbündeten des Zionismus sind die Verbündeten Satans’, erklärte er. Die Obama-Administration hob im Herbst 2011 das US-amerikanische Einreiseverbot gegen Ghannouchi auf, obwohl es reichlich Beweise dafür gab, dass er weiterhin den Terrorismus unterstützt.“
https://www.mena-watch.com/tunesische-ennahda-partei-hat-vernichtung-israels-zum-ziel/
Arabisch Sprechenden sei auch dieses Video empfohlen, in dem sich Ghannouchi zu Israel äußert:
Weiterhin, ein Eindruck:
„Mr. Ghannouchi gave a 2011 Arabic-language interview in which he predicts the end of Israel, a viewpoint which is not surprising given that he has had a long history of ties to Palestinian extremism and calls for terrorism.“
https://www.globalmbwatch.com/rachid-ghannouchi/
Eine Haltung, die sich in ähnlicher Weise über 21 Jahre hielt, wird eher seltener plötzlich abgelegt. Wahrscheinlicher ist, dass sie weiterhin besteht und nur das Marketing verbessert wurde. Ein öffentliches Gesicht und vor allem hin zu europäischen Gesprächspartnern, ein anderes anderorts zur eigenen Anhängerschaft und in einschlägigen Gremien.
Der Fehler, dass derart eine Person mit islamistischen Zielen nolens volens hoffähig gemacht wird, ist also auch anderen passiert, siehe etwa die Bewertung auf Partei-Seite oder auch den WELT-Artikel. Auch wurde oftmals seine Doppelstrategie nicht ausreichend wahrgenommen. Al Ghannouchi wurde so etwa 2014 mit dem Ibn-Rushd-Preis (!) ausgezeichnet:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ibn-Ruschd-Preis
Der Preis wird von einem gleichnamigen Verein vergeben, der seinen Sitz in Berlin hat: dem „Ibn Rushd Fund for Freedom of Thought e.V.“. Warum nun al-Ghannouchi ausgezeichnet wurde, mag unter anderem daran liegen, was er nunmehr öffentlich erzählt. Hier anlässlich der Preisverleihung:
Das ist ja im Groben durchaus gefällig. Es gibt von ihm jedoch allerlei weitere Stellungnahmen.
Al-Ghannouchi bekundete 2019:
„Sein Projekt sei die „Muslimdemokratie“, sagt Ghannouchi. „Wie die CDU“, erklärt er, „nur eben muslimisch.“
Hingegen 2014:
„Ghannouchi: Unsere Vision ähnelt der sozialdemokratischen.“
Je nach Publikum scheint er jeweils das zu erzählen, was nach seiner Vermutung wohl gerne gehört wird, und für seine Sicht, seine Partei und seine Strömung nützlich erscheint.
Jenseits der Marketing-Bemühungen wird er jedoch nach wie vor als Mitglied im European Council for Fatwa ad Research (ECFR), einem Gremium der Muslimbruderschaft, auf deren Seite geführt:
https://www.e-cfr.org/members/page/2/
Auf der deutschen Seite zu den Mitgliedern, die sich bei dem deutschen Ableger Fatwa-Ausschuss Deutschland vorfindet, ist er hingegen nicht gelistet:
https://fatwarat.de/mitglieder-council/
Das mag ein Fehler sein; letztlich ist die ECFR-Seite ausschlaggebend, nach der er weiterhin Mitglied des Rates ist. Auch bei der „International Union of Muslim Scholars“ (IUMS), einem weiteren problematischen Gremium, war er als Mitglied des „Boards of Trustees“ geführt:
http://www.iumsonline.org/en/ContentDetails.aspx?ID=6048
Auf der persönlichen Seite Ghannouchis beim IUMS wurde er als Mitglied des „International Guidance Bureau“ der Muslimbruderschaft bezeichnet:
Wofür al-Ghannouchi mit seiner Partei tatsächlich steht, zeigt sich auch im politischen Handeln, ein aktuelles Beispiel:
„Essebsi bestätigte sogar ein Gesetz, das Männern und Frauen gleiche Erbschaftsrechte überträgt – eine Maßnahme, die von vielen säkular ausgerichteten Tunesiern begrüßt und von der internationalen Gemeinschaft gelobt, von Ennahdas konservativer Basis jedoch strikt abgelehnt wird.“
https://de.qantara.de/inhalt/innenpolitischer-machtkampf-in-tunesien-eine-fragile-demokratie
[Die Zusammenfassung ist in Gänze lesenswert.]
Will die Stiftung, wollen die WELT-Autoren jemanden, der trotz aller Lippenbekenntnisse letztlich auf eine islamische Gesellschaft, ein Kalifat abzielt, tatsächlich als nicht kritisch eingeordneten Modernisierer sehen und nach außen darstellen? Die Partei al-Ghannouchis will letztlich auf ein Wiedererstarken der „islamischen Werte“ hinaus – mit der Scharia als Richtschnur. Dass er trotzdem – der Doppelstrategie sei Dank – in Deutschland als Reformierer dargestellt und beachtet wird, ist insofern einigermaßen abstrus. Will man mitmachen bei diesem Doppelspiel? Die Unterstützung aus und in Deutschland findet sogar in einer aktuellen Stellungnahme der Ennahda Widerhall:
Stellungnahme Ennahda vom 28.02.2019
Darin in der google-Übersetzung:
„[Das „Exekutivbüro der Renaissance-Bewegung“, der Ennahda, SHM] stellt mit Genugtuung fest, dass das demokratische Experiment in Tunesien, das während des Besuchs des Präsidenten der Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland aus zahlreichen befreundeten und brüderlichen Ländern hervorgegangen ist und mit einer Reihe hochrangiger Beamter zusammentritt, nach wie vor große Unterstützung gefunden hat, die sich in Tunesien für seine Erfahrung und ihre Anerkennung ausgesprochen hat Stärkung des nationalen Geistes unserer Gemeinschaft im Ausland, insbesondere der jungen Menschen, die Tunesien würdigen und alle Initiativen zur Unterstützung der Wirtschaft und des Entwicklungspotenzials unterstützen.“
Dass man sich seitens der Ennahda-Führung über die schönen Gespräche in Deutschland freut, ist nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar ist hierzulande jedoch, dass man mitmacht beim Doppelspiel.
Aus einem WELT-Artikel 2012:
„Wer schreibt, dass Ennahda zum Netzwerk der Muslimbrüder gehöre, bekommt Post vom Ennahda-Anwalt. Diese Erfahrung mussten schon deutsche Zeitungen machen, aber auch die BBC und der „Economist“. „Glücklicherweise ist die Justiz in Europa unabhängig. Wir konnten uns immer einigen, entweder durch ein Urteil oder einen Vergleich“, sagt Ghannouchi. „Am Ende stand jedes Mal eine Entschuldigung.“
Das muss man gar nicht schreiben. Denn nach Repräsentanz und Akzeptanz, wonach man aus einer Mitarbeit in Gremien und der Wahrnehmung der anderen Mitglieder, der Beteiligte sei „einer von ihnen“, kann man al-Ghannouchi problemlos zuordnen: Er wird von den anderen Mitgliedern des ECFR, des IUMS usw. als einer der ihren gesehen.* Oder anders und etwas überspitzt formuliert: Alice Schwarzer könnte im ECFR aus mehreren Gründen kein Mitglied sein, al-Ghannouchi hingegen ist mittendrin statt nur dabei. Einer, der gegen Israel auch immer wieder als jemand auffällt, der die Vernichtung Israels herbeizusehnen scheint. Und die „Maßnahmen“ von Organisationen wie der Hamas mindestens billigt, in etlichen Zitaten sogar ausdrücklich gut heißt und als eine Art Verteidigung gegen Besatzung zu relativieren scheint.
„Die Demokratisierung des Islamismus ist aber offenkundig noch nicht abgeschlossen.“
schreiben die WELT-Autoren. Offenkundig wird da etwas erheblich missverstanden. Islamismus bliebe Islamismus, auch wenn er sich zunächst „demokratisierte“. Denn mittelfristig Wahlen gewinnen wollen mit Lippenbekenntnissen, ist nun nicht ungewöhnlich für muslimbrudernahe Organisationen. Das langfristige Ziel bleibt nämlich. Dann ist der Islam die Lösung. Mit Lippenbekenntnissen maximale Beinfreiheit zu erzielen in (westlichen) Demokratien ist nachgerade Taktik legalistischer Organisationen: Man nutzt die Möglichkeiten in demokratischen Systemen, um die Demokratie letztlich abzuschaffen. Wer da Schwadronieren über die angebliche Ähnlichkeit zwischen al-Ghannouchis Zielen und denen von SPD oder der CDU durchgehen lässt, drückt sich um die Gretchenfrage bei Islamisten herum. Nämlich die, wer letztlich der Souverän sein soll. Da gibt es keinen Konsens, und das muss man klar sehen.
Ein solches Doppelspiel sollten hiesige Akteure also weder hinnehmen noch ihrerseits als Chance begreifen, Fundamentalisten in das Terrain bis zur roten Linie zurückzuholen. Da werden Wucht, Langfristigkeit und Macht einer fundamentalistischen Ideologie massiv verkannt. Es wird auch verkannt, dass solche Akteure keine Mitstreiter im Kampf gegen Extremismus sein können. Sie liefern die ideologische Basis, an der dann nur noch ein, zwei Umdrehungen an der Schraube fehlen, bis es in Gewalt mündet. Es sei daran erinnert, dass aus Tunesien besonders viele IS-Anhänger den Weg zum selbsternannten Kalifat fanden. Da war der Jihad ihr Weg.**
Das Mitmachen beim Doppelspiel kann also nur verloren gehen. Und sei es nur, dass man der Eigendarstellung nicht öffentlich widerspricht oder nicht ausreichend für Dritte (Medien!) einordnet. Die Gewinneroption beim Doppelspiel ist, nicht mitzumachen und Islamisten stets als solche zu bezeichnen.
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Neuerdings wird bei einer derartigen und statthaften Wahrnehmung der (Eigen-) Zuordnung gerne abgelenkt, indem man die Vokabel der „Kontaktschuld“ anführt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kontaktschuld
Gerne wird dies von Islamisten benutzt, die andere Islamisten in Schutz nehmen wollen.
Das ist natürlich eine absichtliche Irreführung: Wenn das verantwortliche Mitglied einer Strömung, gar eines Gremiums mit dessen grundlegender Ideologie und Vorgaben nichts mehr zu tun habe, so führt das ins völlige Chaos und in die Beliebigkeit. Dann hat nichts mehr mit nichts zu tun. Höcke nicht mehr mit der AfD oder Mazyek nichts mehr mit dem Zentralrat der Muslime. Dann zählt nur der Augenblick, die jeweilige im jeweiligen Kontext vorgebrachte Eigenzuschreibung. Dann kann man auch heute Islamist sein, morgen Demokrat „westlichen“ Zuschnitts und übermorgen wieder seine – islamistischen – Ziele verfolgen.
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Das Motto der Muslimbruderschaft:
„An dem Slogan der MB – „Gott ist unser Ziel, der Gesandte unser Vorbild, der Koran unsere Verfassung, Jihad unser Weg, der Tod auf dem Weg Gottes unser höchstes Trachten“ – hat sich seit ihrer Gründung ebenfalls nichts geändert.“
https://www.kas.de/web/islamismus/die-muslimbruderschaft
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Unterstützungsmöglichkeiten für diesen Blog:
https://vunv1863.wordpress.com/2018/11/29/in-eigener-sache-2/
Update 12.03.2019, 13 Uhr:
Die Hanns-Seidel-Stiftung erläutert zum Besuch von Rachid Ghanouchi bei der HSS:
„Die Hanns-Seidel-Stiftung ist im Rahmen ihrer internationalen Arbeit weltweit in über 60 Ländern tätig. Dazu gehört in den jeweiligen Ländern auch der Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen. Die
Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) arbeitet in Tunesien mit allen politischen Parteien zum Zwecke der Demokratieförderung zusammen, auch mit Ennahda, deren Vorsitzender Rachid al-Ghannouchi ist. Er befand sich im Februar auf einer selbst organisierten Deutschlandreise. Neben einer Reihe von
offiziellen Stellen der Bundesrepublik Deutschland in Berlin besuchte Herr Ghannouchi in München auch die HSS zu einem Hintergrundgespräch. Thema: Die Rolle des Politischen Islam in der aktuellen Transformation Tunesiens. Die Teilnehmer dieses vertraulichen Hintergrundgesprächs kamen aus verschiedenen Parteien, der Wissenschaft, den Kirchen und dem NGO Bereich.“
Quelle: email der HSS-Pressestelle vom 12.03.2019