Die fünf größten Irrtümer über den Zentralrat der Muslime

Über den Zentralrat der Muslime gibt es eine Reihe weit verbreiteter, aber dennoch falscher Annahmen. Dies ist neben allgemeinen Fehleinschätzungen aus Unkenntnis auch auf die Selbstdarstellung des Dachverbandes zurückzuführen.

Der Sitz von ZMD und ATIB in Köln (Bild: Sigrid Herrmann-Marschall)

Der Zentralrat der Muslime (ZMD) wird von nicht wenigen Politikern und Journalisten für ein Vertretungsorgan aller Muslime in Deutschland gehalten. Der gegenwärtige ZMD-Vorsitzende, Aiman Mazyek, ist medial nahezu omnipräsent, wann immer es in der Gesellschaft um islamische Themen geht. Diese Präsenz ist nicht nur das Ergebnis wirklich fleißiger Lobby-Arbeit, sondern auch die Folge einiger weit verbreiteter Irrtümer. Diese Irrtümer werden, da sie sich positiv auf die allgemeine Wahrnehmung des ZMD als Interessenvertretung auswirken, nicht nur nicht korrigiert, sondern nach Kräften aufrechterhalten.

Irrtümer brauchen aber immer zwei Seiten. Eine Seite, die sie interessengeleitet erzeugt oder aufrechterhält. Und eine, die den Irrtum entweder naiv als bare Münze nimmt oder zumindest fahrlässig wegschaut, obwohl man die falsche Annahme eigentlich schnell aufklären könnte. Das ist teilweise in dem Unwillen begründet, sich mit komplexen (Reiz-) Themen genauer auseinanderzusetzen. Teilweise liegt es aber auch an der ideologischen Sicht identitätspolitischer Ansätze, Minderheitenselbstorganisationen dürften in ihrer Selbstdarstellung nicht hinterfragt und müssten in ihrer Fremdwahrnehmung unterstützt werden. Nicht zuletzt liegt es aber auch am Marketing des ZMD, das den Verband größer und moderater erscheinen lässt, als er ist.

Zu einer wirklichkeitsnahen Einschätzung gelangt man allerdings nur durch einige Fakten zum ZMD, die dieser selber nicht liefert. Im Folgenden werden die Irrtümer behandelt, die sich bislang am hartnäckigsten gehalten haben.

1. Der ZMD vertritt alle Muslime in Deutschland

Der sunnitisch dominierte ZMD vertritt trotz seines Eigenanspruchs, für viele, wenn nicht gar alle Muslime in Deutschland zu sprechen, nur einen winzigen Bruchteil davon. Hier kann in Ermangelung offizieller Zahlen nur auf Presseberichte der letzten Jahre zurückgegriffen werden, in denen für den ZMD Zahlen von 15.000 bis 20.000 Personen angegeben waren – und das bei insgesamt weit über vier Millionen in Deutschland lebenden Muslimen.

Während behauptet wird, man stünde als Person für ein großes Kollektiv („die Muslime“), wird tatsächlich nur für eine kleine Gruppe, nämlich allenfalls die eigenen Mitglieder, Vertretungsmacht ausgeübt. Die Selbstdarstellung des ZMD wird von der Politik aber gerne aufgenommen, weil Politiker Muslime als Wähler haben wollen. Dass viele Muslime aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit jedoch gar nicht wählen können oder so manche aus Ablehnung der – jenseits der Funktionärsbekundungen – erkennbaren Säkularität der Parteien nicht wählen wollen, wird nicht ausreichend erfasst oder in Instrumentalisierungsabsicht übergangen.

2. Der ZMD steht in der Mitte

Das professionelle Auftreten des Verbandes ist geprägt von vorsichtigen Äußerungen zur Öffentlichkeit hin. Auch in der Kleidung wird – jenseits des Kopftuchs der Vorstandsfrauen – Wert auf mitteleuropäisches Auftreten gelegt. Rein äußerlich wird damit zur Gesellschaft hin Anpassung signalisiert.

Das ist jedoch unabhängig von den vertretenen Inhalten und Mitgliedern. Zwar wird häufig betont, man sei in der Mitte zwischen den Extremen und habe mit Extremismus nichts zu tun. Dabei wird eine Doppeldeutigkeit von Mitte und Extremismus benutzt. „Mitte“ wird in der Mehrheitsgesellschaft als Haltung verstanden, die politischen Extremen rechts wie links eine Absage erteilt. Religiös die Mitte zu vertreten heißt jedoch in anderem Kontext, weder zu viel noch zu wenig religiös zu sein. Etwa nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel zu beten. Nach diesem Verständnis ist jene Person, die genau die fünf Pflichtgebete am Tag absolviert, eine Person, die Religion nicht extrem auslebt, weil sie Religion weder vernachlässigt noch übertreibt. Es ist also die Mitte in der Religion gemeint, nicht die der Mehrheitsgesellschaft, weil alles auf den anderen, den religiösen Bezugsrahmen ausgerichtet werden kann.

In Relation zur Mehrheitsgesellschaft sieht das jedoch ganz anders aus; hier spricht die Sichtung der ZMD-Mitgliedsorganisationen eine andere Sprache. Denn nicht wenige der im ZMD organisierten Vereine oder Verbände wurden oder werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Derzeit betrifft das die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) wegen ihrer Bezüge zur Muslimbruderschaft sowie die Avrupa Türk-Islam Birligi (ATIB), die vom Verfassungsschutz den völkisch-nationalistischen Grauen Wölfen zugeordnet wird.

Die Unterschiedlichkeit der Sichtweisen resultiert daraus, dass der Verfassungsschutz nicht mit anderen Muslimen und auch nicht in der Religiosität vergleicht, sondern die Haltung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die Bestrebungen, diese abzuschaffen, beurteilt. Das Ziel, diese abschaffen zu wollen, wird, etwa von Mitgliedsorganisationen des ZMD, „natürlich“ nicht deutlich gemacht. Gegen die begründete Sicht des Verfassungsschutzes wird einfach die Selbstdarstellung gesetzt und darauf vertraut, dass Journalisten und Politiker diese lieber aufgreifen als die Sicht der Verfassungsschützer.

3. Der ZMD ist moderat, weil er viele Dialogveranstaltungen macht

Seit vielen Jahren präsentiert sich der ZMD mit Vertretern der Kirchen in Dialogveranstaltungen. Hinreichende Beispiele aus den Kommunen zeigen jedoch auf, dass dabei weniger die Haltung der konkret vor Ort teilnehmenden muslimischen Vertreter zur Verfassung thematisiert, sondern eher eine gemeinsame Basis mit den Kirchenfunktionären gesucht wird, die ein strategisches Agieren als Interessenvertretung gegen die überwiegend säkulare Mehrheitsgesellschaft erlaubt.

Auch die Aktivitäten des ZMD zur Politik hin sind davon geprägt, tatsächliche Haltungen nicht deutlich zu machen, sondern lediglich einen haltungsunabhängigen Partizipations- und Teilhabeanspruch zu formulieren. Allen Parteien gegenüber, wobei die in den Parteien Aktiven nicht selten ein auffallendes Desinteresse an den meisten anderen Politikfeldern haben. Die Selbstdarstellung als gemäßigt wird hingegen kaum hinterfragt. Gründe sind Unkenntnis und auch die Furcht, man könnte – so ist vielfach zu hören – eines „Generalverdachts“ bezichtigt werden. Weil man diese Furcht der Politiker kennt, wird sie gerne benutzt. Immer wenn einzelne Akteure oder Mitgliedsverbände wegen Verfassungsfeindlichkeit in die Kritik geraten, geben sich Funktionäre ahnungslos, aber überaus kooperativ: Man kündigt die „Prüfung“ des Sachverhalts an. Das war es dann, bis sich der Rauch wieder verzogen hat. Und dann wird genauso weitergemacht wie vorher.

Diese langjährig zu beobachtende Entwicklung führte dazu, dass seit Jahren auch vom Verfassungsschutz als problematisch eingestufte ZMD-Mitgliedsvereine Partner solcher Dialogveranstaltungen sind. Bei Kritik seitens des Verfassungsschutzes springen sofort die nunmehr gewonnen Mitstreiter aus Kirchen und Politik in die Bresche. Mit den genannten Fürsprechern und Leumundszeugen, die wiederum ihre eigene Instrumentalisierungsabsicht zur Öffentlichkeit hin nicht deutlich machen, wird ein Trugbild von bürgerlicher und politischer Mitte erzeugt.

Auch darf nicht vergessen werden, dass beim ZMD nach wie vor an der Islamischen Charta festgehalten wird. Nach wie vor werden Kontakte zu Fundamentalisten gepflegt oder diese bei Aktivitäten der Mitgliedsvereine eingebunden. Bei öffentlicher Kritik wird ein wenig Nachdenklichkeit und Kooperation simuliert, ansonsten aber der Kurs beibehalten. Alternativ wird trotzig verkündet, der Referent XY oder der Verein XYZ seien doch „ganz friedlich“, „schon lange bekannt“ oder „im Dialog aktiv“. Aktuelle Beispiele sind die „ruhende“ Mitgliedschaft der DMG oder die „Prüfung“ der gegen die ATIB erhobenen Vorwürfe. Damit wird gegenüber der Öffentlichkeit Zeit gewonnen. Im Vorstand des ZMD sind die Vertreter solcher umstrittenen Mitglieder jedoch unverändert aktiv, was nicht auf tatsächliche selbstkritische Auseinandersetzungen schließen lässt.

4. Der ZMD ist transparent

Wie viele Mitgliedsvereine der ZMD derzeit hat, ist unbekannt. Etwa seit den Vorgängen um den ursprünglich mit öffentlichen Mitteln geförderten, dann in die Beobachtung des Verfassungsschutzes gekommenen und später aufgelösten Deutsch-Islamischen Vereinsverband Rhein-Main (DIV) gibt es keine Aktualisierung der ZMD-Mitgliedsliste mehr. Begründet wird das mit Sicherheitsbedenken, wobei unbeantwortet bleibt, worin genau nun das gesteigerte Risiko für einen islamischen Verein bestehen soll, wenn seine Mitgliedschaft im ZMD bekannt wäre. Die Vereine sind überwiegend auch andernorts verzeichnet.

Vielmehr scheint das Risiko für den ZMD darin zu bestehen, dass allzu viel von seiner Binnenstruktur sowie den Organisationen, ihren Akteuren und Betätigungen bekannt wird. Da letzteres oftmals nicht dem von ZMD selbst gezeichneten Image entspricht, besteht das Risiko, dass die von einzelnen seiner Mitglieder verfolgten Ziele dann doch deutlich werden.

5. Der ZMD ist eine Religionsgemeinschaft

Der ZMD sieht sich selbst als Religionsgemeinschaft und tritt auch so auf. Ebenso fordert er, die den Religionsgemeinschaften im Grundgesetz sowie untergeordneten Gesetzen eingeräumten Rechte beanspruchen zu können. Dieses Ziel verfolgt er auch auf juristischem Weg. Um diese besonderen Rechte beanspruchen zu können, muss eine Organisation aber auch die juristisch klar definierten Merkmale einer Religionsgemeinschaft aufweisen. Dazu gehört unter anderem, dass ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder darauf schließen lässt, dass die Religionsgemeinschaft auch in Zukunft dauerhaft bestehen wird. Die Selbstbeschreibung der Organisation reicht an dieser Stelle nicht.

Auch die Tatsache, dass dies so manchem Behördenchef gereicht hat und dieser dem ZMD deswegen bereits besondere Rechte gewährt hat, etwa die Mitsprache beim bekenntnisorientierten Religionsunterricht, ist bei der rechtlichen Anerkennung als Religionsgemeinschaft unerheblich. Damit verwundert es nicht, dass der Anspruch des ZMD, als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden, bis heute stets zurückgewiesen wurde.

Dennoch führen alle diese Irrtümer dazu, dass dem ZMD ein völlig überproportionaler Raum gewährt wird; in den Medien, bei sozialen Projekten und vor allem von Seiten der Politik. Ob und wann sich insbesondere die Politik mit den Fakten und Tatsachen zum ZMD beschäftigt, bleibt abzuwarten.

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