Fatwa-Ausschuss Deutschland: Neue Aufstellung, Alte Bekannte

Der Fatwa-Ausschuss Deutschland ist die deutsche Filiale des European Council for Fatwa and Research (ECFR). Das ECFR gilt als Organisation, die von der Muslimbruderschaft dominiert wird. Vor kurzem gab der Fatwa-Ausschuss bekannt, zukünftig in einer neuen Zusammensetzung wirken zu wollen. Darunter ist nunmehr auch ein bundesweit bekannter radikaler Prediger.

Mitteilung über die Neubesetzungen des Fatwa-Ausschusses (Belegbild: Facebook-Seite Fatwa-Ausschuss Deutschland, Abruf 01.10.20)

Der Fatwa-Ausschuss Deutschland wird seit seiner Gründung sowie seinem ersten öffentlichen Auftreten in der Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) im Jahr 2016 in verschiedenen Verfassungsschutzberichten erwähnt. Er wird dem Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft zugeordnet. Nach diversen Umbenennungen gibt es bei der deutschen Dependance des ECFR nunmehr auch etwas Bewegung. Auf seiner Facebook-Seite gab der Fatwa-Ausschuss Mitte September bekannt, dass man zukünftig in neuer Zusammensetzung wirken wolle. Vorangestellt wurde, man habe eine „ordentliche Mitgliederversammlung“ abgehalten. Damit wird eine formale Zusammenkunft nach deutschem Vereinsrecht suggeriert; der Fatwa-Ausschuss ist jedoch kein eingetragener Verein und erscheint auch nicht demokratisch, sondern hierarchisch strukturiert. Die Mitglieder werden wohl nicht gewählt, sondern bestimmt. Dabei gab es einige Neuerungen. Dazu heißt es auf der Facebook-Seite:

„Die Mitglieder des Fatwa-Ausschuss Deutschland sind:
1. Herr Dr. Khaled Hanafy – Vorsitzender des Fatwa-Ausschuss. Er schloss sowohl den Magister als auch seine Promotion in der islamischen Rechtstheorie an der Al-Azhar Universität ab. Stellv. Generalsekretär des European Council for Fatwa and Research.
2. Frau Ustadha Elham Ghadban – stellv. Vorsitzende des Fatwa-Ausschuss. Master in Islamischer Normenlehre und Rechtstheorie.
3. Frau Ustadha Nada Bsaiso – Bachelor in Scharia an der Universität von Jordanien – Spezialisierung auf Normenlehre und Rechtstheorie. Weiter verfügt sie über Lehrerlaubnisse (iǧāzāt) von Gelehrten in Hadithwissenschaften und Islamischer Normenlehre.
4. Frau Ustadha Haya Nabulsi – Bachelor in Scharia an der Universität von Jordanien – Spezialisierung auf Normenlehre und Rechtstheorie.
5. Herr Dr. Talal Hadi – Abschluss an der Iman-Universität in Sanaa und Promotion an der Islamischen Universität im Sudan.
6. Herr Shaykh Nihat Abdulquddus – Mitglied des European Council for Fatwa and Research.
7. Herr Shaykh Muhammad Siddiq – Mitglied des European Council for Fatwa and Research.
8. Herr Shaykh Ferid Heider – Bachelor in Islamischen Studien am Europäischen Institut für Humanwissenschaften – Château-Chinon (Frankreich). Aktuell Master-Studium an der Freien Universität Berlin.
9. Herr Shaykh Abdelaziz Elkhodhary – Absolvent der Al-Azhar Universität, Fakultät Islamische Studien. Master in Islamischen Studien, aktuell Promotionsvorhaben in Islamischer Normenlehre und Rechtstheorie.
10. Herr Shaykh Taha Amer – Absolvent der Al-Azhar Universität, Fakultät Islamische Studien. Master in Islamischen Studien, aktuell Promotionsvorhaben in Islamischer Normenlehre und Rechtstheorie.
Hinzu kommt eine Reihe von Beratern und Experten im Bereich der Medizin, Ökonomie, Recht und Psychologie/Psychiatrie.“

Der Vorsitzende bleibt also Khaled Hanafy, der auch dem Europäischen Institut für Humanwissenschaften (EIHW) vorstand. Das EIHW mit Sitz in Frankfurt wird vom hessischen Verfassungsschutz als „Kaderschmiede der Muslimbruderschaft“ bezeichnet. Die NBS wurde früher ebenfalls als Teil dieses Netzwerks im Berliner Verfassungsschutzbericht als eine von insgesamt vier muslimbrudernahen Einrichtungen in Berlin aufgeführt. Neben der NBS unter Taha Sabri waren das das Islamische Kultur- und Erziehungszentrum Berlin e.V. (IKEZ), die Teiba-Moschee und das Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e.V. (IZDB). Ferid Heider, bundesweit bekannter Prediger, ist Vorsitzender des Teiba-Kulturzentrums. Sein Stellvertreter ist Mohamed Hajjaj, der Vorsitzende das Landesverbandes des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD). Heider ist auch nach Eigenangaben ein Zögling des französischen Schwesterinstituts des EIHW. Auch Abdelaziz el-Khodhary ist in diesem Berliner Geflecht aufzufinden. Mit Heider und el-Khodhary sind also mindestens zwei Akteure im Ausschuss, die der Berliner Szene zuzuordnen sind.

Als eine Anpassung an deutsche Verhältnisse ist die erstmalige Aufbietung von Frauen im Ausschuss zu sehen. In der Mutterorganisation ECFR sind Frauen bislang nicht aufgefallen. Die Frauen erscheinen aber über ihre angegebenen Abschlüsse als jüngere Personen, die schon darüber den Männern im Ausschuss im Falle eines Dissenses wenig entgegen zu setzen haben dürften, zumal man getrennt tagen dürfte. Möglicherweise sollen sie Ansprechpartnerinnen für ratsuchende Frauen sein. Die Benennung dient aber wohl auch der organisatorischen Verschleierung, da Frauen, auch wenn sie einschlägig geschult sind, weniger in der Öffentlichkeit auftreten als etwa Imame. Bei zwei der drei Frauen ist zudem Jordanien als Studienort angegeben – sie dürften daher in Deutschland bislang wenig aufgefallen sein. Ob es sich bei Haya Nabulsi um eine Verwandte von Mohammed Rateb al-Nabulsi handelt, ist offen. Al-Nabulsi ist ein sehr bekannter syrischer Gelehrter, der seit Jahren einem dänischen Einreiseverbot als Hassprediger unterliegt. Schon kurz nach der Gründung des Fatwa-Ausschusses 2016 und deren Bekanntgabe in den sozialen Medien war von einigen Aktivistinnen gefragt worden, wo denn die Frauen seien. Daraufhin gab es eine Veranstaltung mit Talal Hadi, Abou Obaida Ali und Abdulaziz al-Ḫuḍari  Alle drei werden in der Ankündigung als Mitglieder des Fatwa-Ausschusses benannt. Ali, der ehemalige Studiendekan des EIHW, war erst vor kurzem wieder aufgefallen. Er wirkte als Imam und Prediger im diesjährigen Ramadan im Islamischen Zentrum Aachen. Die benennung der Frauen könnte also auch eine Reaktion darauf sein.

Nihat Abdulquddus (verschiedene Schreibweisen) ist der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) zuzuordnen. Hinter „Muhammed Siddiq“ verbirgt sich der einflussreiche Konvertit Wolfgang Borgfeldt, der die Muslimische Jugend in Deutschland mitgründete und lange das Haus des Islams, eines ZMD-Mitglieds, leitete. Taha Amer schließlich ist Leiter des Rats der Imame und Gelehrten in Deutschland (RIGD), der ebenfalls vom hessischen Verfassungsschutz der Muslimbruderschaft zugeordnet und in den entsprechenden Berichten erwähnt wird. Amer spielt auch eine Rolle im europäischen Zusammenschluss European Council for Imams.

Neben der Nutzung moderner Kommunikationswege wie soziale Medien stellt auch die Aufstellung jüngerer Personen als Ansprechpartner und Ratgeber wohl den Versuch dar, den Nachwuchs direkt anzusprechen und zu gewinnen. Alleine auf seiner Facebook-Seite hat der Ausschuss etwa 40.000 Follower. Insofern ist es gelungen, einen Teil der jüngeren Generation, der fundamentalistisch eingestellt ist, zu interessieren. Eine weitere Strategie ist die Benennung von Frauen als Muftis (Rechtsgelehrte) in den Ausschuss, was tatsächlich eine enorme Neuerung darstellt, da dieses Amt traditionell Männern vorbehalten ist. Eine nachwachsende europäische Generation von gut ausgebildeten Frauen könnte, auch wenn Frauen in der obersten Führungsriege des ECFR keine Rolle zu spielen scheinen, wenigstens Frauen als zusätzliche Ansprechpartner in Sachen Auslegung vermissen. Um dem zu begegnen, hatte das ECFR wohl auf einer Sitzung jüngeren Datums neben der „Fatwa-App“ auch die Einbindung von Frauen anvisiert (Google Chrome Übersetzung): „The second is the ECFR Research Committee. This is a very promising initiative that aims to gather and employ the emerging European youth scholarly cadre, both male and female, and to explore the possibility of cooperation with other educational and governmental bodies. The initiative will also aim to make better use of the media to spread awareness of the work and findings of the ECFR to the European Muslims, European Imams, and to the general European population.“ Die neue Zusammensetzung könnte demnach diesen Beschluss widerspiegeln.

Man sollte sich allerdings über die Bedeutung dieser veränderten Strategie nicht täuschen. Es ist mehr symbolisch, richtet sich an Frauen und soll diese gewinnen, ihren „Rang“ nach den alten Vorgaben anzuerkennen. Es ist also nichts, was auf tatsächliche Emanzipation abzielt, nicht auf die allgemeinen Menschenrechte der Frau, sondern auf die Akzeptanz der anderen und minderen Rechte nach dem fundamentalistischen Islam. Die verheißene Gleichwertigkeit – im Jenseits – ist das Ziel dieser veränderten Werbestrategie, nicht Gleichberechtigung, also gleiche Rechte im Diesseits. Im Grunde hat sich also wenig verändert.

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